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Das alte Barockpalais des Finanzministeriums war in weißes Licht getaucht. Der Widerschein der roten Laufteppiche huschte über die Heidengötter im Stiegenhaus, die ihre nackte Schönheit im üppigen Blattgrün verbargen. Frauengewänder raschelten die Treppe empor, hier und da kam leises Lachen. Karl Maria drückte sich ängstlich an die Schwester, die mit halbgeöffneten Lippen und dunkelglänzenden Augen dahinschritt wie eine Königin, die heimkehrt.

Der dicke Diener in der Garderobe warf einen frechen Blick auf den Geigenkasten: »Von der Musik?«

»Ja,« antwortete der verlegene Karl Maria und dachte, nun müßten alle Türen vor ihm aufspringen.

Aber es kam anders.

Martha weinte fast vor Zorn, als man sie und den Bruder in ein Hinterzimmer wies, wo vier Musikanten saßen. Tabaksqualm und schaler Bierdunst hing in der Luft. Ein fetter Mann mit arg zerknittertem, schmierigem Vorhemd faßte Martha um die Hüfte: »Volkssängerin, Kleine?«

Sie blickte ihn bloß an, so ganz von oben, so selbstsicher, daß er erschrocken davonschlich und sich wieder an seinen Bierkrug machte. Der dürre Cellist, der gerade sein Instrument stimmte, grinste spöttisch: »Willst du auch hier geigen, schöner Bub?«

Martha winkte hochmütig: »Schweig, Karl Maria.«

»Was willst du denn spielen?« fragte der Skelettmensch, der hinter seinem dickbäuchigen Cello fast verschwand.

»Etwas von Joseph Italiener,« stammelte das Kind.

»Unsinn. Wer ist das? Hier gibt's nur Walzer. Die blöde Bande begreift nichts anderes.«

Und er lachte.

Der Klavierspieler, ein grauer, gebückter Mensch, brachte ein Glas Bier und einen Teller mit Wurst und Brot: »Habt ihr Hunger, Kinder?«

Sein zahnloser Mund verzog sich zu einem gutmütigen Lächeln: »Esset jetzt, nachher fressen nur die anderen, und wir müssen uns die Finger wundklopfen.«

»Ich danke sehr, aber ich bin nicht hungrig,« antwortete höflich der Junge und schob Glas und Teller von sich.

»Warum kommst du eigentlich her?« forschte der zahnlose Alte und strich die grauen Locken aus der steilen Stirn.

Karl Maria warf sich in die Brust, als müsse er sein verkanntes Prinzentum aus Wunderland ankündigen: »Sie haben mich gebeten, daß ich spiele.«

»Bist gar noch eitel darauf! Ja, ja, die fressen alles.«

Er riß die Augen ganz seltsam auf und schnitt eine bitterdumme Fratze. Die dürren Finger strichen nachdenklich über die weiße, schlanke Knabenhand. Dann brüllte er los, daß es durch das enge, rauchgefüllte Zimmer klirrte: »Bin auch einmal ein Wunderkind gewesen. Aber ich heiße Andreas Katzenkopf. Ein Mensch mit diesem Namen bringt es sein Lebtag zu nichts.«

Karl Maria dachte an Joseph Italiener und blinzelte scheu in den beizenden Qualm. Vielleicht war in dieser armseligen Enge die Hölle beschlossen, durch die er mußte, ehe er ins Himmelreich durfte. Mit feierlich glänzenden Augen blickte er den Klavierspieler an: »Ich will berühmt werden.«

Und er legte die Hand aufs Herz, als leiste er in dieser Stunde einen Gotteseid vor sich selbst. Plötzlich neigte sich der Alte zu ihm hin und schlug in wunderlicher Ergriffenheit ein Kreuz auf die Kinderstirn. Keiner bemerkte sein Tun. Der Cellist und der Holzbläser tranken und rauchten. Der fette Geiger mit dem schmutzigen Vorhemd und dem roten Lumpengesicht aber stolzierte dicht hinter Martha drein, die mit leisem Kleiderrauschen im Zimmer auf und ab lief wie eine gereizte Katze. Vor einem Glockenzug machte sie plötzlich halt. Sie schüttelte den Verfolger ab, daß er der Länge nach hinstürzte und seine groben Finger sich in Marthas gelbes Kleid hakten.

Ein Diener schob mürrisch den Kopf herein: »Ruhe, Gesindel! Habt ihr nicht genug zu saufen?«

Martha hielt ihm ihre Visitkarte hin: »Rufen Sie sofort Herrn Max Kirchweger.«

Der livrierte Frechling riß die Augen auf: »Sie, das gibt's bei uns nicht. Hier ist ein feines Haus.«

Doch Martha Tredenius, die aus der Armut ins Goldland wollte, herrschte ihn nur an: »Gehen Sie sofort!«

Da trollte er sich kopfschüttelnd und rieb die feisten Backen, als brenne dort ein Peitschenhieb.

Marthas blaue Augen waren jetzt beinahe schwarz vor Zorn, ihre Brauen standen dicht beieinander.

Wieder flüsterte der Geiger, der sich mühsam auf die Beine gestellt hatte: »Bist sein Verhältnis, Schatzerl, was?«

Sie hörte es kaum. Stolz aufgerichtet wartete sie.

Ihre Brust ging auf und nieder, zwei Blutstropfen lösten sich langsam von ihrer Unterlippe und standen auf der weißen Haut. Ihr Zorn aber wandelte sich schnell in ein huldvolles Lächeln, als der blonde Max Kirchweger ihr verlegen die Hand küßte und unsicher von einem Fuß auf den andern trat.

»Jetzt erst?« fragte sie schelmisch.

»Ja – allerdings – die Mama – die Tischordnung –,« stammelte der Blonde und gab ihr schnell den Arm.

»Und ich?« fragte der verzagte Karl Maria hinter den beiden drein.

Martha legte den hochfrisierten Kopf in den Nacken: »Bleib du nur einstweilen da.«

Die Tür fiel zu. Schweratmend standen sie in dem halbdunklen Korridor.

»Du, – du!« keuchte der junge Mensch, riß Martha an sich und legte seine heißen Hände auf ihre kühle weiße Haut, »weißt du, wie schön du bist, Mädel?«

»Du verdirbst mir die Coiffüre,« sagte sie kühl und machte sich geschickt los. In den Romanen, die sie las, gaben Frauen in solchen Lagen stets derartige Antworten.

»So! Führe mich jetzt zu deinen Eltern!«

Ihm trat der Angstschweiß auf die Stirn, hilflose Bangigkeit zwinkerte in den hübschen wasserblauen Augen. Nun kam der Skandal.

»Laß mir noch Zeit!«

»Nein.«

»Aber die Mama –.«

Statt zu antworten, öffnete sie die Tür zum Salon.

Vor ihr stand in einer Damengruppe eine schlanke, blonde Frau mit harten, grauen Augen. Die spielte mit dem Fächer und lächelte farblos.

»Komm!« zischte Martha und schritt hochmütig und sicher auf Ihre Exzellenz Frau Hella Kirchweger zu. Mit einknickenden Knien wankte Max ihr nach.

Stockend sagte er: »Du erlaubst, liebe Mama, – Fräulein Tredenius.«

Die Frau Minister zog unmerklich die Brauen hoch. Kalt und gemessen neigte sie das schöne Haupt ein wenig: »Sehr erfreut.«

Dann wandte sie sich ab.

»Der kleine Max hat Geschmack,« kicherte boshaft eine alte Gräfin, die übermäßig geschminkt war. Eine Oberstin mit einer dicken Schnur falscher Perlen ließ die Lorgnette klappern und trieb schnell ihre drei Töchter vor sich her ins Nebenzimmer wie verirrte Schäfchen. Ein noch sehr jugendlicher Bischof seufzte leise, als Marthas unbehütete Schönheit an seinen halbgesenkten Augen vorüberglitt. Ein paar Herren machten lange Hälse. Aber keiner bot Martha einen Sitz an.

Da tippte sie den Bischof auf die Schulter: »Darf ich um einen Stuhl bitten?«

Einen Augenblick war es recht still.

Langsam, als gehorchte er nur widerwillig einem inneren Zwang, erhob sich der Kirchenfürst und schob Martha seinen zierlichen Rokokofauteuil zurecht.

»Bitte,« sagte er höflich.

Martha Tredenius dankte mit einem schnellen Blick zwischen halbgeschlossenen Lidern. Die Herren umdrängten sie plötzlich. Die Damen waren verschwunden. Nur die boshafte alte Gräfin hielt stand. So vollzog Martha ihren Einzug ins gelobte Land.

 


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