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Karl Maria saß in dem alten braunen Lehnstuhl in seinem Mansardenstübchen auf einem Schemel, zu seinen Füßen hockte Gundl und blickte mit guten treuen Augen zu ihm auf. Der müde, vergrämte Bub strich über das Goldhaar und bat leise: »Bleib bei mir, Kundry!«

Dann legte er den Kopf hintenüber und schloß die Augen. Bleischwer waren ihm alle Glieder, das Gehirn taub und leer. In ihrer Scheu hatten die Kinder kein Wort von den häßlichen Dingen gesprochen, die eben geschehen waren. Sie taten beide nur, als sei plötzlich eine schlimme Krankheit in den »Blauen Herrgott« gefallen.

Die grausame Szene mit dem Vater hatte Karl Maria todmüde und willenlos gemacht. Krampfhaft suchte er das häßliche Bild aus seiner Erinnerung fortzuwischen, wie man den Schlaf aus den Augen reibt. Zerschlagen und beschmutzt kam er sich vor, seine Geige hatte man ihm besudelt. Nie, nie mehr wollte er geigen. –

Dann schlief er ein wie ein müdgeweintes Kind.

Im Schlaf noch glitten seine Hände über den Leib, als müßten sie etwas Unreines fortwischen.

Kundry sah ihm aufmerksam und besorgt zu, mit großen, erstaunten Augen, in heimlichem Glück, daß sie ganz allein bei Karl Maria sein durfte, wie einst nach dem kalten Bad in ihrem Puppenteich. Ein feines Muttergefühl hielt das dumme kleine Ding gebannt, daß sie reglos bei ihm wachte und nur zum Schutze die Hand hob, wenn ein Sonnenstrahl seine geschlossenen Lider treffen wollte.

Im Hause wurden Stimmen laut, Johann Sebastians dröhnender Baß, Mutter Appolonias erschreckter fetter Knarrton und der dunkle junge Bariton des starken Giacomo. Dann kam ein Frauenschrei.

Da dachte Kundry: »Jetzt haben sie es Tante Lisbeth gesagt!«

Leise erhob sie sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte Karl Maria auf die Stirn.

Schritte klangen jetzt auf dem Korridor. Da schlich Kundry zur Tür und flüsterte geheimnisvoll: »Er schläft.«

Frau Lisbeth warf einen traurigen Blick auf das Kind in dem riesigen braunen Lehnstuhl. Die Nachmittagsonne legte just ihr Gold um den Knabenkopf, daß die romantische Lisbeth Williguth mitten in ihrem Kummer an den kleinen Jesusknaben erinnert wurde. Sie bückte sich rasch und küßte die Kundry, die voll Dankbarkeit knixte.

»Wir müssen ihn jetzt alle noch viel lieber haben als früher,« flüsterte das Kind.

Dann saßen sie beide ganz still. So warteten sie auf den Abend und hüteten Karl Marias Schlummer. Und mitleidig und still blieben sie auch, als Karl Maria endlich die Augen aufschlug und verwirrt vor sich hinblickte. Vor den Fenstern lag schwarzblau der Abendhimmel, ein schmaler Streifen von blutrotem Gold war tief hineingeschnitten. Ganz fern läuteten die Glocken.

Karl Maria reckte die Arme und ließ sie rasch wieder sinken. Den Kopf schob er vor und starrte so von seinem Lehnstuhl auf den roten Streif im dunklen Blau.

Lisbeth trat hinter ihn, Kundry schmiegte sich ängstlich an sie. Mit zitternder Stimme sagte die Mutter: »Wir sind bei dir, Karl Maria.«

Kundry stammelte: »– und wollen dir alles, alles schenken, was du willst.«

Er wandte den Blick nicht vom Fenster: »Jetzt ist das Rot ganz fort.«

Die Abendglocken schwangen in das Schweigen.

Da stand der Knabe auf und sagte hart: »Lasset mich allein!«

Als sie langsam die Treppe hinabgingen, hörten sie von oben ein Krachen und Splittern. Kundry lief atemlos zurück, stürzte in das Zimmer und schrie laut auf: »Tante Lisbeth, er hat seine Geige zerschlagen!«

Mitten unter den Trümmern von S. Lewis' kostbarer Geige stand Karl Maria, ernst und blaß in der hereinsinkenden Nacht. Die Lippen zuckten kaum, als er leise die Worte vor sich hinsprach: »So, Mutter. Nun muß ich im »Blauen Herrgott« bleiben.«

 


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