Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Im Castel del Monte saßen zu jener Zeit andere erlauchte Gefangene, alte Ghibellinen, Freunde und Verwandte des staufischen Hauses. Das waren der berühmte Infant Don Arrigo von Kastilien, Exsenator Roms, seit dem Jahre 1267 der erbitterte Feind Karls von Anjou, und ferner Corrado, der Sohn des Grafen Richard von Caserta und Violantes, einer natürlichen Tochter des Kaisers Friedrich II. Beide edle Herren, die Waffenbrüder Konradins, waren nach der Schlacht bei Tagliacozzo als Gefangene in die Burg zu Canosa gesetzt worden (diese durch den Normannenhelden Boemund berühmte Stadt liegt nur zwei Stunden von Andria entfernt und ist von Castel del Monte her sichtbar), und dort waren sie bis zum Anfange des April 1277 geblieben; denn am 28. März dieses Jahres erließ der König Karl I. einen von Bari datierten Befehl, jene Gefangenen nach Castel del Monte hinüberzuführen.

Der Infant war durch Donna Blanca, die Mutter Karls, dessen naher Verwandter, und nur dieses Verhältnis, wie die Verwandtschaft mit andern mächtigen Königen, hatte ihn vor dem Tode geschützt: aber keine noch so dringende Verwendung der Monarchen Spaniens, Frankreichs und Englands vermochte den König, seinem Vetter die Freiheit zu schenken.

Wir besitzen noch Antworten Karls auf solche Bittgesuche und einige Reskripte, welche unter Anwendung größester Vorsicht den Besuch des Gefangenen durch Personen gestatteten, die namentlich vom aragonischen und englischen Hofe abgeschickt worden waren, um sich von dem Zustand des Infanten zu überzeugen.

Don Arrigo bezog, wie der Graf von Caserta, zu seinem täglichen Unterhalt drei Goldtari; auch hatte er zwei Diener zu seiner Aufwartung. Dagegen war für jeden der Prinzen nur die klägliche Summe von 54 Gran täglich ausgesetzt, und von den Dienern für sie ist keine Rede.

Endlich gelang es doch den Bemühungen des Königs Eduard von England, die Befreiung des Infanten zu erwirken, welcher der leibliche Bruder seiner Gemahlin Donna Eleonora von Kastilien war. Am 5. Juli 1291 befahl Karl II. seinem Stellvertreter, dem Grafen von Artois, Don Arrigo aus Castel del Monte zu entlassen.

Der unglückliche Infant konnte endlich in sein Vaterland Kastilien zurückkehren, und dort starb er, von seinen Leiden und Schicksalen nicht gebeugt, hochangesehen, im Jahre 1304.

Im Castel del Monte blieb zurück sein Unglücksgenosse Corrado, der Letzte vom alten Grafenhause Caserta, nebst seinem Weibe Catarina di Gebenna, bis auch diese beiden im Jahre 1304 die Freiheit erlangten.

Nur der Söhne Manfreds erbarmte sich niemand. Wie bemerkt worden ist, wird ihrer in königlichen Erlassen erst des Jahres 1291 Erwähnung getan, und zwar als Gefangener im Castel del Monte.

Sollen wir uns in diesem Schlosse irgendeinen der Säle des Ober- und Untergeschosses als das Gefängnis der armen Prinzen denken? Ein menschlich fühlender Schloßvogt konnte das den Enkeln eines Kaisers, den Kindern eines Königs gönnen; aber ich glaube, daß selbst Karl II. diese Räume für die Söhne Manfreds zu groß und schön gefunden hat, und daß er sie in den kleinen Turmgemächern einsperren ließ. Denn auch dieser König, welcher doch selbst die Bitterkeit der Gefangenschaft, obwohl in anständigem Gewahrsam, erfahren und alle Mächte Europas um seine Befreiung angefleht hatte, war so gefühllos, daß er jene Prinzen, die schuldlosesten unter allen seinen Staatsgefangenen, fortdauernd in Ketten hielt. In Ketten waren sie groß geworden; aus Kindern Jünglinge, aus Jünglingen Männer werdend, hatten sie an dem veränderten und zunehmenden Gewicht der Eisenlast das Wachstum ihres Leibes und Leidens ermessen können. Wie Bettler waren sie gekleidet und genährt, und sicherlich ließ man sie absichtlich in Unwissenheit und Elend zu Idioten werden. Spätere Berichte wollen sogar wissen, daß man sie geblendet und verstümmelt hatte; doch die Wahrheit dieser Angaben entzieht sich unserem Urteil, auch machen sie einige Reskripte des Königs nicht glaubwürdig.

Am 18. Juni 1295 befahl Karl II. von Anagni aus seinem Reichsvikar und Sohne Karl, ihm unverzüglich die Kinder Manfreds zu schicken. Dieses Reskript lautet: «Gewisse Gründe machen es im Augenblick rätlich, daß Heinrich, Friedrich und Enzius, die Söhne Manfreds, des weiland Fürsten von Tarent, welche in unserem Castel Santa Maria del Monte eingekerkert sind, aus diesem Gefängnis befreit werden. Wir befehlen Dir daher den genannten Heinrich und seine Brüder ohne Verzug und wohlbehalten aus dem vorgenannten Schloß zu uns zu schaffen, sie aus dem Kerker zu befreien und sofort unter sicherer und kurialer Bedeckung zu uns zu befördern. Wir aber befehlen gleichzeitig durch andere Briefe dem Ritter Stormito de Guagnonville, dem Vogt des genannten Schlosses, alle Gefangenen unserem Boten zu übergeben.»

Um diesen überraschenden Befehl zu erklären, muß man wissen, daß zu jener Zeit der Papst Bonifacius VIII., zu welchem sich der König Neapels begeben hatte, den Frieden zwischen diesem und Jakob von Aragon, dem Sohne Constanzas, vermittelte. Infolge dieser Übereinkunft verzichtete der damals hart bedrängte aragonische König auf den Besitz Siziliens, was freilich die Sizilianer sich nicht gefallen ließen. Demnach war jener Befehl Karls II. auf Grund einer ihm vom aragonischen Hof auferlegten Bedingung erlassen worden, denn nach dem Verzicht auf Sizilien mußten für diesen Aragonen die Ansprüche der legitimen Erben Manfreds bedeutungslos sein.

Wir wissen nicht, ob und in welcher Weise dem Reskript des Königs Karl Folge gegeben wurde. An Freilassung der drei Prinzen war nicht zu denken; denn wurden sie auch ihrem Kerker augenblicklich entnommen, so behielt sie doch Karl II. noch als Pfänder in Gewahrsam, bis die Friedensartikel tatsächlich ausgeführt waren. Sie kamen aber nicht zur Ausführung, denn Don Federigo, der Bruder Jakobs von Aragon, sagte sich alsbald von diesem und seiner furchtsamen Politik los, er bot selbst dem Papste Trotz, und schon am 25. März 1296 ließ er sich in Palermo krönen.

Die Söhne Manfreds blieben daher, um ihre Hoffnungen betrogen, in Castel del Monte, oder sie kehrten dorthin, nach einer kurzen Veränderung ihres Ortes, zurück.

Hier finden wir sie wiederum im April des Jahres 1297; denn am 25. dieses Monats erließ Karl II. an den Schloßvogt folgendes aus Neapel datierte Schreiben: «Wir befehlen Euch durch dieses, daß Ihr Heinrich, Friedrich und Azolin, die Söhne des ehemaligen Fürsten Manfred, welche in dem genannten Schloß in Ketten gehalten werden, augenblicklich von diesen Ketten befreiet und sie ehrenvoll behandelt, wie es sich geziemt. Und weil es heißt, daß einer derselben krank ist, so sollt Ihr irgendeiner Person zu seiner Pflege in angemessener Weise den Zutritt erlauben. Wir gestatten auch, daß Fra Matteo von Matera vom Orden der Minoren zu den vorgenannten Brüdern ungehindert Eingang habe. Doch sollt Ihr nichtsdestoweniger sie unter sorgsamer Wache halten.»

Auch dieser Befehl war die Wirkung von Friedensverhandlungen zwischen Neapel und Aragon und des Kongresses der betreffenden Fürsten in Rom. Denn dorthin hatte sich der König Jakob schon am Ende des März 1297 begeben, und Donna Constanza war ihm mit ihrer Tochter gefolgt, welche sie dem Prinzen Robert von Kalabrien zuführte. Auch Don Federigo, von dem sich die Mutter abgewendet hatte, während er den Krieg wider seinen Bruder Jakob mannhaft fortsetzte, sollte bewogen werden, Sizilien in friedlichem Vertrage an Neapel abzutreten. Die geringe Milderung des Schicksals der gefangenen Prinzen war demnach alles, was ihre Schwester Constanze damals für sie zu erreichen wagte – und dieser Tropfen des Erbarmens mußte zentnerschwer auf ihrer Seele lasten. Wie tief mußte sie der Gedanke an die großmütige Königin Eleonore von Kastilien beschämen, welche die Befreiung ihres Bruders Don Arrigo durchgesetzt hatte, während sie selbst ihre Brüder in Ketten verschmachten ließ.

Die Prinzen blieben im Kerker, denn Federigo behauptete Sizilien. Warum aber wurden die Unglücklichen nicht befreit, nachdem derselbe König im Jahre 1302 mit Neapel Frieden gemacht hatte? Wir wissen es nicht, oder vielmehr wir wissen es. Staatsgründe! Was mehr?

Da sind noch ein paar Reskripte, jene Unglücklichen betreffend. Am 5. Mai 1298, wo die Prinzen bereits zweiunddreißig Jahre lang im Kerker zugebracht hatten, erinnerte sich Karl II. plötzlich, daß es seiner königlichen Majestät keine Ehre bringe, wenn die Kinder Manfreds vor Hunger sterben. Er befahl dem Schloßvogt, sie besser zu nähren. Man kann sich nicht eines Wutanfalls erwehren, wenn man dieses königliche Schreiben liest, dessen Anfang lautet: «Es gereicht nicht zur Ehre des Königs, was die Söhne Manfreds, weiland Fürsten von Tarent, und Konrads, ehemals Grafen von Caserta, betrifft, welche im Castel Santa Maria del Monte eingekerkert gehalten werden, nämlich wenn sie aus Mangel des Unterhalts, den sie nach Mandat der Kurie durch Dich erhalten sollen, vor Hunger umkommen (‹fame peribunt›), da ihnen die Einsperrung im Kerker und das Schmachten (‹maceratio›), welches sie so lange Zeit erduldet haben, genug ist.»

Ein Jahr später erfolgte das letzte uns erhaltene Reskript desselben Königs, die Gefangenen betreffend. Am 25. Juni 1299 erließ er an den Ritter Guillaume de Ponciac folgenden Befehl: «Wir haben in andern Schreiben dem Ritter Giovanni Picicco, unserm Burgvogt zu Santa Maria del Monte, befohlen, daß er auf Deine Requisition die Söhne Manfreds, weiland Fürsten von Tarent, welche im vorgenannten Schlosse eingekerkert sind, ohne weiteres befreie und also frei dieselben Dir überweise. Deshalb befehlen wir Dir, daß Du im Angesicht dieses den genannten Kastellan aufforderst, jene zu entlassen. Jedem von ihnen sollst Du eine passende Kleidung machen lassen, und sollst sie dann unter der Führung eines Ritters oder einer anderen geeigneten Person zu uns schicken, nachdem Du ihnen Pferde gegeben hast, auf denen sie reiten, und die man an Riemen führen soll, und so viel Geld als nötig für sie ist bis zu ihrer Ankunft bei uns in Neapel.»

Der weite Ritt von Castel del Monte nach Neapel, durch das schöne Land ihrer Väter, ihr eigenes rechtmäßiges Erbe, im heißen Sonnenbrande, mußte für diese armen Gefangenen höchst qualvoll sein, obwohl ihnen hier zum erstenmal während eines hinter Kerkermauern hingebrachten Menschenalters der längere Genuß von Luft und Licht gewährt wurde. Wenn sie sich mit der Hoffnung trösteten, daß endlich die Stunde der Befreiung geschlagen habe, und daß der König sie ihren aragonischen Verwandten ausliefern werde, so wurde dieselbe alsbald bitter getäuscht. Denn Karl II. ließ die Gefangenen in das Castel dell' Ovo setzen, dasselbe, in welchem ihre Schwester Beatrice lange Zeit eingekerkert gewesen war.

Die letzten legitimen Erben Friedrichs II. hatten in der von neuen Machtverhältnissen geregelten und von neuen Dynastien in Besitz genommenen Welt keinen andern Platz mehr als den Kerker, worin sie sterben sollten. Es forderte sie niemand aus den Händen ihres Quälers, weder Aragon noch der deutsche Kaiser vom Hause Habsburg, welcher die Majestät des Reiches dem Machtgebot der Kirche schmachvoll unterworfen hatte. Schon Rudolf von Habsburg hatte feierlich geloben müssen, niemals an dem Könige von Neapel wegen der Hohenstaufen Rache zu nehmen, und zur Verleugnung jeder praktischen Erinnerung an diese wurde auch Albrecht gezwungen. Kein Papst erhob je seine Stimme zugunsten der Unglücklichen; denn erbarmungslos und mit jener kalten hochmütigen Genugtuung, mit welcher Priester auf die zufällige Erfüllung ihrer Flüche blicken, ließ die Kirche das erbfähige Geschlecht Friedrichs II. bis auf den letzten männlichen Sproß umkommen, weil sie selbst dieses ganze Geschlecht als die «giftgeschwollene Vipernbrut» verflucht hatte.

Die Söhne Manfreds waren im vollsten Sinne des Worts von der Welt verlassen und vergessen. Ihr Ende ist unbekannt. Es gibt darüber nur Sagen oder Vermutungen, die sich auf nichts Tatsächliches gründen. Federigo und Enzio sollen zuerst gestorben sein; nach einer Volkssage zu Canosa bezeichnete man sogar im Dom dieser Stadt, nicht weit von der Gruftkapelle des Fürsten Boemund, zwei Steine als die Gräber jener Söhne Manfreds. Andre Sagen berichten, daß Federigo glücklich nach Ägypten entronnen sei. Der älteste der Prinzen endlich, Enrico, soll noch im Jahre 1309 im Castel dell' Ovo gelebt haben, und dann, erblindet und alt geworden, unter der Regierung des Königs Robert gestorben sein.

Dies war das Los der Söhne Manfreds. Das an ihnen verübte Verbrechen schändet die Anjou, jene grausamen Söldlinge des Pfaffentums mit frommen Heuchlermienen, mehr als die Hinrichtung Konradins.

 

Ich habe schon bemerkt, daß Castel del Monte seit den Anjou mit der Grafschaft Andria vereinigt blieb. Schon Karl I. hatte das Schloß stärker befestigen lassen und mit einer Wache von dreißig Mann versehen. Diese Befestigungen werden in Mauern und Wällen bestanden haben, von denen heute keine Spur übriggeblieben ist. Das Schloß dauerte sodann als Besitztum der Balzo, der Aragonen und der Caraffa fort. Es blieb im wohnlichen Zustande noch lange Zeit. Wir lesen, daß der König Ferdinand I. von Aragon im Jahre 1459 einen Monat lang im Castel del Monte wohnte, als er sich in Barletta krönen ließ.

Erst nach der Verwüstung Andrias durch Lautrec soll das Schloß nicht mehr bewohnt worden sein; die erste Zerstörung, die es erlitt, mögen ihm damals die Franzosen zugefügt haben. Wenn dies wirklich der Fall gewesen ist, so wird das Verbrechen des Vandalismus, mit dem sich dieselben in Heidelberg gebrandmarkt haben, noch durch Castel del Monte vermehrt. Doch müssen es die Caraffa wiederhergestellt und noch als Villa oder Jagdschloß benutzt haben, denn im Jahre 1656 flüchtete die gesamte herzogliche Familie vor der Pest, die in Andria wütete, nach Castel del Monte, wo sie ein halbes Jahr verblieb.

Die Zeit der gänzlichen Verödung dieses schönen Schlosses ist nicht mit Bestimmtheit anzugeben. Es wurde endlich dem Verfall schonungslos preisgegeben. Kein Wächter schützte mehr die prachtvollen Säle vor mutwilliger Zerstörung durch Ackerbauer und Hirten; man durchwühlte die Gemächer, den Hof und die Zisterne nach Schätzen; man brach den kostbaren Marmor aus den Wänden; selbst Räuber benutzten das Schloß Friedrichs zu ihrem Versteck. Nur der Umstand, daß es kein herrenloses Gut, sondern das Eigentum des Herzogs von Andria war, verhinderte die vollkommene Zerstörung. Denn die Caraffa führten fortdauernd den Titel Principe di Castel del Monte. Er ist dem Zweig ihres Geschlechts von Andria noch heute geblieben. Sie haben alle ihre dortigen Güter verkauft, nur dieses Schloß nicht, entweder des Titels wegen, der an ihm haftet, oder weil sich kein Käufer für eine nutzlose Ruine fand. Mit ihr selbst ist keine Scholle Ackers mehr verbunden: der Prinz von Castel del Monte besitzt hier nichts mehr als die nackten Mauern des Schlosses.

Der Syndikus Andrias sagte mir, daß man dieses einzigartige Denkmal der Hohenstaufen um einige tausend Francs erstehen könne, und daß Hoffnung vorhanden sei, die Gemeinde Andria zum Ankauf desselben zu bewegen. Ich beschwor ihn und andere einflußreiche Herren der Stadt, auf diesem Wege und durch Beteiligung des Provinzialrates von Bari für die Erhaltung des Monuments zu sorgen. Sein Verfall ist noch keineswegs so weit fortgeschritten, daß der Aufwand von Kosten und Mühen dafür ein unverhältnismäßiger sein würde. Selbst die Wiederherstellung des Schlosses würde keine zu große Schwierigkeit darbieten, denn noch steht es in seinem Grundbau und mit allen seinen Räumen aufrecht da.

Es wäre Schimpf und Schande zunächst für Apulien, wenn Castel del Monte, ein Denkmal, welches, wie kein anderes mehr, so rein und unverfälscht und unmittelbar eine große Epoche dieses Landes darstellt, aus Geiz oder Stumpfsinnigkeit, um des Lumpengeldes von einigen tausend Lire willen, der Zerstörung überlassen bliebe. Mit ihm ginge nicht allein eine monumentale Erinnerung an den größten Herrscher des Mittelalters zugrunde, sondern auch dasjenige Bauwerk, in welchem die profane Architektur ihre letzte klassische Höhe vor Bramante erreicht hat. Denn nach der schwäbischen Zeit sinkt sie in Verfall.

Die Erhaltung der geschichtlichen Monumente kann heute praktischerweise nur das Werk der Gemeinden und der Provinzen sein, in deren Gebiet solche liegen, und sie ist auch ihre nächste Pflicht. Dies haben vor kurzem Ferrara und die dortige Provinz begriffen, denn sie erstanden das berühmte Schloß der Este, welches der Fiskus an den Meistbietenden losschlug. Der Reichtum an historischen Monumenten ist in keinem Lande der Welt so groß wie in Italien; daraus folgt, daß die Regierung sich außerstande sieht, sie alle als Nationaleigentum zu behandeln und ihre eigenen ausgetrockneten Finanzen mit ihrer Erhaltung zu belasten. Der Fiskus verkauft sie, denn was kümmern ihn die Denkmäler der Geschichte? Als das Schloß Astura, wo der letzte königliche Hohenstaufe, Konradin, auf der Flucht von den Frangipani gefangen und an Karl von Anjou ausgeliefert worden war, um die Vorschlagssumme von 5000 Frs. vom Fiskus angeboten werden sollte, verwendete ich mich in Rom für die Zurückziehung dieser fiskalischen Maßregel, und ich erhielt die tröstlichste und liberalste Zusicherung. Astura ist später unter den Hammer gebracht worden; der Fürst Borghese hat das Schloß gekauft, doch sind ihm dabei gewisse Bedingungen auferlegt worden, dort nicht zu bauen und nicht zu graben ohne Genehmigung der Regierung.

Unser Ritt nach Castel del Monte schloß zu Palese mit einem ländlichen apulischen Gastmahl von wahrhaft phäakenartiger Fülle. Hier ward das Köstlichste aufgetischt, was dieses Land darbietet: Fische des nahen Meeres in verschiedener Zubereitung, homerisch aufgehäufte Fleischmassen, Schüsseln voll dampfender Makkaroni, zahllose Leckerbissen von Latticini der Murgie, das heißt von Gerichten, welche aus Milch bereitet werden, Oliven und andere Früchte und die feurigen Weine des Landes in hohen gläsernen Gefäßen. Unsere liebenswürdigen Wirte versicherten, daß sie nicht übermäßige Anstrengungen gemacht hätten, dieses Mahl auszurüsten, denn so ungefähr sei ihr täglicher Tisch bestellt. Die Apulier essen nur eine Mahlzeit am Tage. Ich nahm mir zu der Bemerkung Gelegenheit, daß wir Deutschen nicht ganz mit Recht bei den Italienern im Rufe der Vielfresser stehen («i Tedeschi lurchi», sagt Dante): wir essen zwar mehrmals am Tage, aber alle täglichen Mahlzeiten einer bürgerlichen Familie Deutschlands zusammengenommen machen noch nicht die Menge dessen aus, was eine apulische Familie zu ihrem einmaligen Tisch gebraucht.

Am Abend geleitete uns Herr Marchio nach Andria zurück, wo uns wiederum Herr Lionetti, der Syndikus der Stadt, empfing, um uns am folgenden Morgen bis nach Trani das Geleite zu geben. So schieden wir aus diesem Lande mit der freundlichsten Erinnerung an eine wahrhaft glänzende Gastfreundschaft.


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