Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Das Castel Nuovo ist noch bedeutender und das größte Architekturwerk Neapels. In ihm befindet sich der merkwürdige Triumphbogen, den Alfonso I. von Aragon im Jahre 1470 von Giuliano da Majano, oder nach andern von Pietro di Martino errichten ließ. Er spannt sich zwischen zwei Türmen aus und zeigt in mehreren Abteilungen übereinander viele interessante Reliefs, die sich auf den Einzug jenes siegreichen Königs in Neapel beziehen. Auch hier fällt es auf, daß ein solches Werk der Öffentlichkeit entzogen, in einem Kastell versteckt gehalten wird. Man hatte zwar die Absicht, den Bogen vor dem Dom aufzustellen, aber zufällige Bedenken verhinderten dies.

Neapel: Castel Nuovo

Neapel: Castel Nuovo

Das Castel Nuovo ist eine Anlage Karls von Anjou aus dem Jahre 1283. Überhaupt sind es die Anjous gewesen, welche die größten Bauten in Neapel ausgeführt haben, und auch die wichtigsten Kirchen schreiben sich aus ihrer Zeit her. Sie sind die wahren geschichtlichen Denkmäler Neapels, nicht allein um mancher Grabmäler willen, sondern weil sie ihre Entstehung größtenteils historischen Ereignissen zu verdanken haben. Den Dom baute Karl I. auf den Ruinen eines Neptuntempels, und ihn vollendete Robert I. San Domencio Maggiore baute Karl von Calabrien im Jahre 1289, um ein Gelübde zu lösen, welches er getan hatten, als er in die Gefangenschaft des Loria fiel. San Lorenzo Maggiore gründete Karl I. im Jahre 1265, um ein Gelübde zu lösen, welches er nach der Schlacht von Benevent geleistet hatte. San Pietro Martire baute Karl II. von Anjou; Santa Chiara der König Robert im Jahre 1310; die Incoronata, verherrlicht durch Giottos Fresken, gründete Johanna I. zum Andenken an ihre Vermählung mit Ludwig von Tarent. San Giovanni a Carbonara, Monte Oliveto, S. Antonio Abbate bauten Ladislaus und Johanna. Auch das Kloster San Martino auf Sant Elmo verdankt Ursprung und Ausbau den Anjous, und endlich bezeichnen Carmine Maggiore und das Purgatorio del Mercato den Fall des Hohenstaufengeschlechts, weil in jener Kirche die Grabstätte Konradins und seine im Jahre 1847 von Maximilian von Bayern errichtete Statue sich befinden, und in dieser Kapelle die Porphyrsäule steht, welche Karl I. auf der Stelle soll errichtet haben, wo Konradin und Friedrich von Baden enthauptet wurden. Die Inschrift darauf lautet:

Asturis ungue Leo pullum rapiens aquilinum
Hic deplumavit acephalumque dedit.

Bei Astura ergriff der Löwe das Junge des Adlers.
Hier entfedert er es, trennt ihm vom Rumpfe das Haupt.

Weder die Normannen noch die Hohenstaufen haben in Neapel irgendeinen nennenswerten Bau ausgeführt, und keine jener maurisch-normannischen Architekturen, von denen Sizilien angefüllt ist, darf man hier suchen. Die Gründung der neuen Dynastie Anjou, welche sich nach dem Verlust Siziliens auf Neapel beschränkte, entwickelte auch die einzige Blüte der Architektur und Skulptur, die Neapel hervorgebracht hat. Indem hier der romanische Baustil der Basiliken aufgegeben wurde, trat an seine Stelle der germanische. Diese Periode dauerte etwa bis zum Ende des 14. Jahrhunderts; ihr Gipfelpunkt ist die Regierung des kunstliebenden Königs Robert. Neapel brachte damals die beiden Masaccio hervor, von denen der zweite als Bildhauer ausgezeichnet war. Er machte die Grabmäler des Karl von Durazzo, der Katharina von Österreich, Roberts von Artois und der Johanna von Durazzo in der von ihm nach älteren Plänen ausgeführten Kirche San Lorenzo; er baute auch die gotische Kirche Santa Chiara und verfertigte dort hinter dem Hauptaltar das merkwürdigste Werk neapolitanischer Skulptur, das Grabmal Roberts, der im Jahre 1343 starb. Es erhebt sich im gotischen Tabernakelstil mit vielen Skulpturen; wenn auch die Formen noch nicht frei entwickelt sind, so machen diese Bildwerke doch immer den Eindruck künstlerischer Komposition und wohltuender Naivität. Santa Chiara ist reich an solchen Grabmonumenten, denn es liegen daselbst noch viele andere Anjous bestattet, Karl von Kalabrien, Roberts Sohn, Johanna I. und mehrere Prinzessinnen.

Im allgemeinen drängt sich vor den Grabmälern der Anjous die Bemerkung auf, daß sie alles wahrhaften Ernstes und aller Würde bar sind. Sie zeigen Reichtum gotischer Ornamentik, schon nach dem Bizarren und Seltsamen neigend, bisweilen glückliche Naivität, öfter ein wunderliches, geziertes Wesen. Man fühlt sich auch hier in Neapel. Und rettungslos, nicht durch den Verfall des Hauses Anjou, noch durch die Schuld der Zeiten, ging die neapolitanische Kunst in das Überladene und Bizarre über. Sie erzeugte dann dies ungeheuerliche Wesen im Innern wie Äußern der Kirchen, Fassaden wie jene von Gesù Nuovo, die von einem Festungsbau entlehnt scheint, oder andere, die ganz kindisch ausschweifend sind; selbst die ältere gotische Architektur wurde durch öftere Restauration infolge von Erdbeben verzerrt.

Der Gipfel dieses Ungeschmacks sind die drei Obelisken della Concezione, di San Gennaro und di San Domenico, pyramidalisch aufgetürmte Stockwercke, welche die vergoldeten Heiligen tragen und mit ganz unbeschreiblichen Bildwerken bedeckt sind.

Hier erkennt man bereits den Einfluß Spaniens, das unter seinen Vizekönigen, in einer Folge trostlosester Zeiten, das schöne Land Neapel beherrscht hat. Die Spanier haben manches Denkmal zurückgelassen; so auch die Fontana Medina, ein Werk des Domenico Auria, auf Befehl des Vizekönigs Olivares im Jahre 1593 entworfen. Dreimal wurde dieser Springbrunnen, unter Castro, Alba, Monterey, bald hier, bald dort aufgebaut, bis ihn Donna Anna Caraffa, Gemahlin des Vizekönigs Medina, auf seine jetzige Stelle setzen ließ. Auch er ist reiches überladenes Figurenwerk von Tritonen, Delphinen, Meerwesen, aus deren Mitte sich über einer von drei Satyrn getragenen Muschel Neptun erhebt. Aus seinem Dreizack springen, nicht übel anzusehen, Wasserstrahlen.

Das beste Denkmal spanischer Vizekönige wird immer der Toledo bleiben, welcher dem bekannten Pietro di Toledo aus der Mitte des 16. Jahrhunderts seinen Glanz verdankt.

Ich habe die merkwürdigen Katakomben Neapels besucht. Der Eindruck, den man dort empfängt, ist gemischt aus Grauen und lebhaftem Interesse an jenen Zeiten, welche dieses unterirdische Werk schaffen und pflegen, ja mit Leben durchdringen und mit Kunst verzieren konnten.

Die Katakomben von Syrakus erscheinen minder düster, weil ihre Galerien durch feste Symmetrie geregelt werden. Dagegen sind die römischen Katakomben, soweit sie zugänglich gemacht wurden, nur enge, niedrige, kunstlose Gänge und Kammern von freilich unermeßlicher Ausdehnung, aber doch die merkwürdigsten, weil sie in der Hauptstadt der Welt selber die Stätten waren, wo das Christentum sein nächtliches Leben nährte und sich gleichsam aus der Erde emporwühlte, um endlich Rom und die Welt zu beherrschen. Die Katakomben Neapels liegen gegen die nördlichen Höhen von Capo di Monte unterwärts in dem Tuffelsen, durchbrechen die Hügelkette, zwei, ja wie man behauptet, drei Stockwerke hoch, und dehnen sich als eine weite Totenstadt bis gegen Puzzuoli aus. Kein Stein konnte leichter zu bearbeiten und kein Felsen leichter zu durchgraben sein als dieser gelbe vulkanische Tuff Neapels. Wie mit der Zeit solche unterirdische Höhlungen und Stollen entstanden sind, kann man überall da erkennen, wo diese Tuffwände als Steinbrüche für den Häuserbau angegriffen werden. So auf der neuen Straße des Posilip, wo sich Grotten, Austiefungen und Gemächer im Fels zeigen, die nun zu Vorratskammern, selbst zu Wohnungen benutzt werden.

Die ungeheuren Räume, welche so in der Erde entstanden und allmählich zu einem troglodytischen Labyrinth anwuchsen, mußten sich von selbst zu irgendeiner Benutzung darbieten. Man hat von den Kimmeriern gefabelt, den Anwohnern des neapolitanischen Meeres, daß sie sich hier in die Erde hineingewühlt hätten. Aber wer kann sich ein noch so rohes Menschengeschlecht vorstellen, welches im Angesicht einer solchen Natur, unter dem glücklichsten Himmel sich in ein unterirdisches Dunkel verkröche? Jene uralten Felsenwohnungen, wie sie im Tale Ispica und in Malta gefunden werden, öffnen sich doch immer dem Tageslicht. Gegen feindlichen Anfall konnten diese Räume wohl Schutz bieten. Indem nun die Stadt anwuchs, die von dorther das Material zu ihren Häusern holte, war nichts natürlicher als der Gedanke, die Toten daselbst zu begraben. Daß nicht erst die Christen diesen Gebrauch von den Katakomben machten, ist unzweifelhaft; daß bereits die Römer und Griechen dort Grüfte anlegten, ist eine Tatsache. Man findet noch heute eine kleine Säule in einem ziemlich geräumigen Gemach der Katakomben, auf welcher in griechischer Schrift das Wort «Priapos» steht.

Die Katakomben werden ursprünglich der Begräbnisort des armen Volks gewesen sein, welches kostbare Denkmäler über der Erde nicht errichten konnte. Mit geringer Mühe war hier ein Grab in den Tuff gehauen, waren hier Loculi eingegraben, worin man die Aschenkrüge aufstellen konnte. Man findet in diesen Grüften noch Malereien, welche durchaus der heidnischen Vorstellungweise angehören; die meisten freilich sind christlichen Ursprungs. Denn nachdem die verfolgte Gemeinde in diesen unterirdischen Stätten Schutz gesucht und sie zum Vereinigungspunkt ihrer Andachtsübungen gemacht hatte, schmückte man die Grüfte der geliebten Toten, welche man in dem gemeinsamen Asyl bestattete, mit Bildern und Symbolen des Glaubens. Ihre Formen blieben noch die hergebrachten heidnischen; man findet den heitern Sinn der pompejanischen Arabesken auf den Wänden dieser Christengräber wieder. Selbst die symbolischen Darstellungen sind noch heidnisch, wie namentlich die vom Bacchus entlehnten Bilder der Weinlese und Kelter. Man sieht Rebengewinde, Genien, Trauben, an denen Vögel naschen. Christus wird als Orpheus vorgestellt. Dann entwickeln sich wesentlich christliche Symbole, der gute Hirt, welcher das Lamm trägt und die Schafe weidet, der Hirsch, der Pfau, der Fisch, die Taube, das Bild des Kreuzes und Engel. Es macht einen seltsamen Eindruck, diese nun leider durch den Dampf der Fackeln geschwärzten Wandbilder zu betrachten, und hier die Anfänge der christlichen Kunst aus der römischen Wandmalerei hervorgehen, vom pompejanischen Stil zu dem von Byzanz fortschreiten, und unmittelbar an die heidnische Mythologie eine neue christliche sich anschließen zu sehen.

Da das Samenkorn der christlichen Entwicklung in eine Grabkatakombe gelegt war und aus ihr emporwuchs, so ist kein Wunder, daß der Charakter des Christentums ein katakombenhaftes Wesen mit in die freie Luft hinübernahm. Das Totenhafte der Lebensanschauung, Weltentsagung, Märtyrertum, Lebensverachtung, Lust am Schmerz, endlich Unduldsamkeit und Fanatismus, würden sie dem Christentum so tief eingedrückt worden sein, wenn es seinen Kultus in der sonnigen Luft über der Erde, in der fröhlichen Natur entwickelt hätte und nicht wäre gezwungen worden, in der dunklen Grabhöhle der Martyrer bei düsterm Fackellicht, in beständiger Angst vor dem Verfolger zu wohnen?

So hat mich in Neapel nichts so tief bewegt als der Eintritt in diese Katakomben und der Besuch Pompejis. Man kann die Katakomben das Pompeji des Christentums nennen. Beide Stätten erschließen uns zwei große Perioden der Menschheit; ihr Widerspruch kann nicht greller sein. Sehen wir dort die nun auch leichenhaft öden Wohnungen des Heidentums, so lacht uns doch aus Haus und Säulentempel der heitere Menschensinn entgegen, der sich mit den Formen des Schönen umgibt und mit seinen Göttern das Leben genießt. Hier blicken wir in die Wohnstätte eines andern und doch desselben Menschengeschlechts. Es sind Griechen und Römer, wie jene in Pompeji, noch derselben Kultur angehörig, und wie verschieden! Den pompejanischen Frohsinn scheinen sie noch nicht vergessen zu haben, selbst in der Nacht der Katakomben. Wie aus Gewohnheit haben sie die Freske, die zierliche Arabeske, die Weinkelter des Dionysos auf die dunkeln Wände übertragen; aber sie schmücken Gräber. Sie selbst sitzen an Gräbern, sie genießen unter und mit den Toten ihre Liebesmahle, die Agapen. Sie erfüllen diese Galerien mit ihren Klagegesängen und ihren monotonen Gebeten. Einst werden sie hervorkommen; sie werden an das Tageslicht mit sich nehmen Götter von schreckendem Angesicht, wie das Medusenhaupt, vor denen das schöne Leben der Natur versteinern wird, Märtyrer, Totenschädel, Gebeine, Reliquien der Hingerichteten, welche sich über die Welt verbreiten werden, und die man einst auf jene Altäre zur Anbetung niederlegen wird, wo die Statuen griechischer Götter standen. Das wird von hier hervorsteigen, und mehr als der Vesuv über Pompeji ausschüttete, wird die Katakombe über die Welt ergießen – Asche der Trauer.

Sollten diese unheimlichen Vorstellungen vielleicht mehr als Katakombenphantasien sein? Ich lasse es auf sich beruhen. Es gibt kein besseres Lokal für spekulative Theologie und Gespenster als jene Grüfte. Die Luft ist feucht und schauerlich; tiefes Dunkel oder grauer Dämmerschein, Modergeruch, fürchterliche Totenstille. In die wirren Kammern, durch die langen, verworrenen Galerien, zu deren Seiten mit Knochen und Moder gefüllte Gräber sich endlos ausdehnen, oder Nischen und Loculi sich sehen lassen, schlüpft man hinein, wühlt man sich hervor. Grell leuchten die Fackeln in die Schatten und herauf zu den Malereien in den Nischen, zu Gestalten der Abgeschiedenen, die mit aufgehobenen Händen, gespenstisch und überirdisch herunterblicken. Verwischte Inschriften, griechische, römische, selbst hebräische, ob zu entziffern oder nicht, und zahllose Symbole, Monogramme, Zeichen bringen recht ins Bewußtsein, daß man in einer Welt sich befindet, wo alles Mysterium, Allegorie und Rätsel ist. Zwei Hospitaliten von San Gennaro dei Poveri, Greise, die in jenem Kloster am Eingange der Katakomben verpflegt werden und die Fremden in die Grüfte führen, halten die Fackeln, erklären und gehen voran. Passendere Führer in diese Unterwelt kann man nicht finden. Sie schleichen in ihren langen blauen Kutten, die Fackeln in den Händen, wie Gespenster; von Alter gekrümmt, mit silberweißem Haar, eingefallene Gesichter und totenbleich; wenn ich diese Alten betrachtete, so schienen sie mir bereits tot wie die Gerippe, welche ihr Fackelschein beleuchtete, und als wankten sie schon tausend Jahre in den Katakomben. Der eine las vor zwei Figuren in einer Nische, indem er die Fackel hielt: «Votum solvimus nos quorum nomina deus scit» (Wir haben unser Gelübde gelöst, wir, deren Namen Gott kennt). Man muß es an Ort und Stelle empfinden, wie bei aufgeregter Phantasie solche mysteriösen Sprüche sich anhören; mir schien es, als sagten diesen Spruch die beiden Alten von sich selber, und als wollten sie mir damit zu verstehen geben, daß sie bereits abgeschieden seien. Ich sah ihnen ins Gesicht, und wie sie so dastanden in ihren Kutten und mit diesen totenfarbenen Gesichtern, überkam mich ein Grauen; ich wollte nichts mehr hören noch sehen. Diese Mysterien, dieser tiefe, schwarze, nächtige Grund des Lebens, in welchen uns die Natur wieder einmal hinunterstürzt – bliebe er doch dem menschlichen Auge stets verschlossen! Ich bat die Alten, mich wieder ans Licht zu führen, ich hätte genug. Sie lächelten und schlichen zurück. Am Eingange überzeugte ich mich denn auch, daß sie beide noch lebten, denn sie bedankten sich für das Silberstück, das ich ihnen gab, ihr altes Herz mit einem Trunk Wein zu erlaben.


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