Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Der Fleiß dieser Mädchen, die alle mit der Weberei beschäftigt sind, ist erstaunlich, denn schon mit Sonnenaufgang setzen sie sich an den Webstuhl, und mit wenig Unterbrechung weben sie bis zum Sonnenuntergang, und so das ganze Jahr hindurch. Freilich sind sie nicht zu jenem Lasttragen verdammt, wie ihre Schwestern in Capri; nur wenn das Regenwasser in den Zisternen ausgeht, müssen sie die Treppe hinuntersteigen und in Krügen das Wasser von Capri holen, wo vier dürftige Quellen fließen. Goldnes Geschmeide und Korallenschmuck, auch silberne Pfeile in den Haaren tragen sie alle, und das Mädchen würde unglücklich sein, welches solchen Schmuck nicht besäße.

Es gibt im Ort einen Campo Santo, voll von Zypressen und Blumen; der größte Stolz der Ana-Capresen aber ist das sogenannte irdische Paradies, nämlich der Fußboden ihrer Kirche, auf dessen Fliesen in Smalto das Paradies dargestellt ist, eine Arbeit aus dem 17. Jahrhundert. Auch hier ist die Achitektur bizarr und maurisch. Es gibt Masserien, die mit ihrer Pergola reizend genug aussehen.

Wenig tiberische Ruinen sind in Ana-Capri aufzufinden; der Weinbauer hat sie hinweggetilgt, auch standen hier weniger Gebäude als auf Capri. Die meisten Reste von Altertümern hat die Ebene Damecuta, ein fruchtbares Land, welches zur Küste sanft niedersteigt und in dessen Ufer die Blaue Grotte liegt. Es ist eigentümlich, daß Ober-Capri trotz seiner Höhe doch niedrigere Küsten besitzt als Unter-Capri; denn der hohe Berg senkt sich lang hingestreckt nach Westen wie nach Norden ins Meer, aber dennoch ist das Ufer weder der Barke noch dem Menschenfuß zugänglich, strandlos, hafenlos und dem Schiffbrüchigen sicheres Verderben bringend.

Der Turm Damecuta bezeichnet ungefähr die Stelle, wo unten am Ufer die nun weltberühmte Blaue Grotte liegt, das Wunder Capris, doch nicht das einzige dieser sirenischen Insel. Von dem Tage, da sie entdeckt wurde, erzählt mir mein Wirt Michele ausführlich. Er machte damals die Unternehmung als Knabe mit. Es waren sein verstorbener Vater Giuseppe, August Kopisch, der Maler Fries und der Schiffer Angelo Ferraro, welche es wagten, in diese Grotte einzudringen. Alle sind sie nun tot, nur Michele weiß von der Entdeckung zu erzählen. Ein Onkel Paganos, Priester auf Capri, ermahnte die Gesellschaft, von dem Versuch abzustehen, denn die Höhle sei der Aufenthalt böser Geister, und viele Seeungeheuer hausten in ihr. Auch war das Eindringen schwierig, weil es vor der Entdeckung keine einzige kleine Barke auf der Insel gab. Es drang also Angelo auf einer Wanne ein, Kopisch und Fries schwammen. Mein Wirt beschrieb mir lebhaft das Jauchzen beider Maler, als sie in der Grotte waren, und zumal, sagt er, war Fries wie von Sinnen, er schwamm bald heraus, bald hinein, und immer mit Jubel und mit Jauchzen. August Kopisch hatte keine Ruhe, er eilte sofort nach Neapel und holte seine Freunde, und so tat er ab und zu. Pagano bewahrte ein altes Fremdenbuch wie eine Reliquie; darin hat Kopisch unter dem 17. August 1826 folgende Entdeckungsurkunde hineingeschrieben:

«Freunde wunderbarer Naturschönheiten mache ich auf eine von mir nach den Angaben unsers Wirts Giuseppe Pagano mit ihm und Herrn Fries entdeckte Grotte aufmerksam, welche furchtbarer Aberglaube jahrhundertelang nicht zu besuchen wagte. Bis jetzt ist sie nur für gute Schwimmer zugänglich; wenn das Meer ganz ruhig ist, gelingt es wohl, mit einem kleinen Nachen einzudringen, doch ist dies gefährlich, weil die geringste sich erhebende Luft das Wiederherauskommen unmöglich machen würde. Wir benannten diese Grotte die blaue («la grotta azzurra») weil das Licht aus der Tiefe des Meeres ihren weiten Raum blau erleuchtet. Man wird sich sonderbar überrascht finden, das Wasser blauem Feuer ähnlich die Grotte erfüllen zu sehen; jede Welle scheint eine Flamme. Im Hintergrund führt ein alter Weg in den Felsen, vielleicht nach dem darüber gelegenen Damecuta, wo der Sage nach Tiber Mädchen verschlossen haben soll, und es ist möglich, daß diese Höhle sein heimlicher Landungsplatz war. Bis jetzt ist nur ein Marinaro und ein Eseltreiber so herzhaft, diese Unternehmung mit zu wagen, weil allerhand Fabeln von dieser Höhle im Umlauf sind. Ich rate aber jedem, sich vorher mit diesen beiden des Preises wegen zu verständigen. Der Wirt, welchen ich seiner Kenntnis der Insel wegen empfehle, will einen ganz kleinen schmalen Nachen bauen lassen, womit dann bequemer hineingefahren werden könnte. Bis jetzt will ich es nur guten Schwimmern raten. Sie ist des Morgens am schönsten, weil nachmittags das Tageslicht stärker und störender hineinfällt und der wunderbare Zauber dadurch gemindert wird. Der malerische Eindruck wird noch erhöht, wenn man, wie wir, mit flammenden Pechpfannen hineinschwimmt.»

Der treffliche Kopisch hat sich auf diesem Eiland ein herrliches Denkmal entdeckt, und mir ist es, als wäre die wunderbare Grotte deutsches Eigentum und deutsches Symbol. An dieser Stelle verweben sich mit jenem Dichtermaler viel Erinnerungen auch an Tieck, an Novalis, an Fouqué, an Arnim, an Brentano, die nun alle heimgegangen sind bis auf Eichendorff und bis auf Heine, den letzten verwunschenen Prinz dieser Dichterschule. Wir wollen denn als Grabesspenden aus dem blauen Feuerwasser von Capri einen Weiheguß auf die Gräber jener toten Dichter gießen. Denn von dieser Grotte haben sie alle geträumt, und wahrlich, es konnte der Preis ihrer Auffindung auch nur einem Maler und Dichter zukommen, aus der Zeit derer, welche die blaue Wunderblume der Poesie suchten bei den Undinen in der Tiefe, bei der Frau Venus im Berge und in den unterirdischen Grotten der Isis. Sie waren alle liebenswürdige kleine und große Kinder, Knaben mit dem Wunderhorn. Ihr Hoherpriester Novalis sieht aus wie ein schöner, bleicher Knabe, der sich in das lange Predigergewand seines toten Urgroßvaters gesteckt hat und mystische Weisheit redet, von der niemand weiß, wie das Kind dazu gekommen sei. Ihre Muse aber ist eine Sirene. Sie wohnt in der Blauen Grotte auf Capri, der Insel des grausamen Wollüstlings Tiberius. Sie haben alle ihren herzbewegenden Gesang gehört, und keiner hat sie gefunden, sie haben sie alle gesucht und sind vor Sehnsucht nach der blauen Wunderblume gestorben. Goethe hat es ihnen prophezeit in dem «Fischer»: «Halb zog sie ihn, halb sank er hin und ward nicht mehr geseh'n.» Und nun, da die blaue Wunderblume, nämlich die blaue Wundergrotte, denn das war das unbekannte Mysterium, gefunden ist, ward der Zauber gelöst, und kein Lied der Romantiker wird mehr gehört werden in deutschen Landen.

Als ich in die Grotte einfuhr, war es mir, als wäre ich in eins jener Märchen zurückgekehrt, in die man sich als Kind hineinlebt. Welt und Tag sind auf einmal verschwunden, und da ist man in der wölbenden Erde und in einem Dämmer von blauem Feuerlicht. Die Wellen atmen still und perlen Funken empor, wie als sproßten aus den Tiefen blitzende Smaragde und rote Rubinen und tausend Karfunkelsteine auf. Geisterhaft blau sind die Wände und mysteriös anzusehen, wie Paläste von Feen. Es ist Schein von fremdem Wesen und von fremdem Geist, ganz wunderbar, heimlich und unheimlich zugleich. Alles ist still wie in einer Schattenwelt, da niemand auch nur reden mag. Du jauchzest zuerst auf, dann bist du still, und es schallt nur das plätschernde Ruder oder das Kichern der Wellen, welche Phosphorkränze um die Felsenwände schlingen. Das blaue magische Wasser lockt unwiderstehlich. Man muß hinabspringen, und man taucht sich wie in ein Lichtmeer nieder.

Ja, ich glaube wohl, daß Tiberius hier badete und unter den schönen Mädchen seines Harems umherschwamm, wie Sueton erzählt. In dieser wollüstig strömenden Phosphorflut glühten dann die Mädchenleiber wie strahlende Leiber von Meerfeien, und nicht hat hier Sirenengesang und Flötenspiel gefehlt, um solches Bad zu einem unsagbaren Wollustspiel zu machen. Ich sah auf einer griechischen Vase eine Sirene gemalt, ein wunderliebliches Wesen, das hebt beide lilienweiße Arme auf, kichert und schlägt zwei blitzende Erzbecken zusammen. So kommen hier die Sirenen aus der blauen Feuerglut herauf, schlagen die Erzbecken zusammen, kichern und tauchen auf und unter. Aber nur Sonntagsmenschen sehen sie und kleine Kinder.

Man muß über den Reichtum dieses Eilandes an Grotten sich verwundern. Erdgrotten und Meergrotten, seltsam geformt und alle schön, gibt es hier so viele, daß man nicht alle kennenlernen kann. Ich bin in mehr als fünfzehn dieser Grotten eingedrungen und habe darunter auf der südlichen Seite eine kleine gefunden, welche genau die blauen Lichteffekte der «Grotta azzurra» zeigt. In andern findet man grüne Lichter, je nach der Beschaffenheit des Grundes, in weißlichem Feuer phosphoreszierend, zumal in der «Grotta verde», der herrlichsten Capris durch ihre prächtig gewölbte Architektur und die Umfassung grandioser Felsenzinnen. Sie ist nicht ganz unterirdisch bedeckt, sondern hat eine Felsendurchfahrt von einer Seite zur anderen.

Einige dieser Grotten haben Namen, wie die Marmolata, die Marinella, andere sind namenlos. Ich machte mir das Vergnügen, alle die namenlosen, die ich besuchte, zu benennen, ohne den Ruhm eines Höhlenentdeckers zu beanspruchen. Und so weiß ich nur allein, wie schön es ist in der Grotte «Stella di Mare», in der meerblumengeschmückten Grotte «Euphorion», in der Grotte der Meerspinne, deren Wände gelb sind und deren Gestein, wo es die Welle benetzt, rosig, samtgrün und weißlich schimmert. In einer Grotte war es ein Wogenschlürfen und ein anapästisches Wellenschlagen, so daß ich sie den Eumeniden geweiht habe. Alle liegen sie vom Ufer des Solaro bis hinaus über die Faraglioni, unscheinbar außen, da ihre Mündung oft dem oberflächlichen Blick entgeht, drinnen hochgewölbig, dunkel, wellenstill, von Meerspinnen, Seeigeln, Meersternen bewohnt, eine zauberische Geistereinsiedelei.

Es ist höchst belohnend, die ganze Insel zu umfahren. Man braucht dazu drei Stunden und kann in dieser Zeit auch einige Grotten besuchen. Die Westküste hat die Höhlenbildung nicht, denn hier sinkt das Ufer vom Solaro nieder zwischen beiden Kaps Punta di Vitareto und Punta die Carena. Es sendet dort drei niedrige, doch schroffe Spitzen aus, Campetiello, Pino und Orica, welche mit Schanzen bewehrt sind. Und hier war auch die Stelle, wo die Muratisten bei Nacht die Felsen erklommen. Rudert man aber um die Carena, so wird das Südufer plötzlich furchterregend hoch und steil; die gigantischen Felsen steigen senkrecht vom Wasserspiegel auf bis in das Gewölk, welches ihre Gipfel umspinnt. So geht die Südküste fort bis zur Punta Tragara, und nicht minder erhaben, bizarr und wild zugleich ist die ganze Ostküste bis zum Lo Capo, dem Nordostkap der Insel. Hier ist das Ufer voll von stalaktitischen Höhlenbildungen.

Nun noch hinauf zum Gipfel der Insel, zum Solaro. Steigt man über Ana-Capri auf pfadlosen Felsen mühsam empor, so gelangt man zum Kamm des Berges. Form und Anblick ist überraschend, weil der Solaro auf der Höhe selbst sich tief einsenkt und eine dürre braune Fläche darbietet, das Dach jener Felsenwände, die nach Capri abstürzen. Auf braunem Heideland geht man fort zwischen starren Kalksteinblöcken, und jeder Schritt stört Schwärme von Heuschrecken auf, welche in unglaublicher Zahl den Boden bedecken.

Am Rand dieser Fläche aber hängt an schauerlichen Felsen hoch über dem Meer die Klause des Eremiten von Ana-Capri, und nimmer sah ich noch eine Eremitage, die es so ganz gewesen. Ich fand alle Türen offen und den Siedler nicht daheim. Seine Kutte hing über der Mauer seines Felsengärtchens, über seinem Bette der heilige Antonius von Padua, ein geweihter Ölzweig und ein Rosenkranz; in seiner Vorratskammer die weinende Madonna dolorosa, gerade über einem Häuflein Zwiebeln, und da standen umher ein Korb voll Brot und ein paar leere Teller.

Ich sah im Campo Santo zu Pisa jenes phantasiereiche Freskogemälde von Ambrogio und Piero Lorenzetti, welches das Leben heiliger Eremiten in der Wüste darstellt, und fand einen Zug daraus hier lebend wieder. Ich glaube, der alte Eremit predigt hier jeden Freitag den Fischen, gleich dem heiligen Antonius, den man auf einem Bilde in Rom sehen kann, wie er auf einer Felsenklippe steht und in das Meer hinunterpredigt. Es strecken aber die dummen Fische ihre Köpfe heraus und sperren alle die Mäuler weit auf. Wie ich nun in der Klause umherging, kam der Alte, ein Laienbruder. Er trug ein Bündel Reisig auf der Schulter. Sehr froh einen Gast zu finden, entschuldigte er sich, daß er keinen Wein habe. Schon 32 Jahre klaust er oben in der Felsenwüste, und auch er hinkt vom Klettern, doch nicht mephistophelisch wie der Tiberius-Eremit, sondern nur sanft wie Heilige und wie die indischen Götter, wenn sie die Erde der Sterblichen berühren.

Über seiner schwindelnden Klause steht der Gipfel des Solaro, die Spitze Capris und, wie ich schon sagte, die Warte eines Telegraphen. Hat man sich dort hinaufgearbeitet, so genießt man endlich den Lohn des Herkules. Denn hier liegt zu Füßen hingebreitet das ganze Eiland und ein Kosmos wunderbarer Schönheit.

Dies ist der Horizont, den hier das Auge umfaßt: südwärts endloses Meer, nach West und Nord die Ponzainseln, Ischia, das Eiland Vivara, Procida, hinter ihnen traumhaft und weit die Berge von Gaeta und Terracina mit dem Kap der Circe, weiter die Bergpyramide des Misen, an deren Fuß Tiberius ermordet wurde, die elyseischen Ufer und die der Kimmerier, die blauen Küsten von Bajä und von Puteoli, Cumae mit dem Berge Gaurus und der Solfatara, das schloßgekrönte Eiland Nisita, der schlanke Posilip, die Spitze der Camaldoli, ferne Berge von Capua, dann das Ufer von Neapel, ein langer Kranz von Städten bis nach Torre del Greco; der rauchende Vesuv über Pompeji, hinter ihm hervor die Berge von Sarno und Nocera, vielgegliedert und reichgefaltet; ostwärts das braune, scharfgemeißelte Ufer von Massa mit dem Kap Sorrento und dem der Minerva, dahinter der hohe Sant Angelo, weiterhin die sirenusischen Klippen und die Golfe von Amalfi und Salerno, endlich weit hinaus in der Ferne die bleichen Berge Kalabriens, der Ufersaum von Paestum und Kap Licosa in Lukanien.

Auf solcher Höhe und in solcher Weite des Gesichtskreises fühlt man einmal auch Sonnenweiten menschlicher Existenz. Denn fürchterlich eng ist das Menschenleben, und es rücken die Dinge hart auf den Leib, welcherlei Namen sie haben, so daß es ein ewiger kleinlicher, peinlicher Kampf ist um größern Horizont. So ist auch alle Bildung Horizontalvergrößerung; ihr herrlichster Lohn ein Blick von Höhen der Kultur, wo sich die Künste und Wissenschaften, alles Geschaute, Gedachte und Gelebte in göttlicher Ordnung schön und weit zu einem kosmischen Ringe schließen.

Auf dem Gipfel des Solaro dachte ich an Humboldt. Ich glaube, um dessen Geist liegt die Welt so schön und klar gegliedert; und auch an Plinius dachte ich hier, den Humboldt der Römer, weil ich den Berg Misen und den Vesuv sah; und an Aristoteles, den wahrhaft kosmischen Geist und Ordner des menschlichen Wissens.

Doch wir, schon zufrieden, nur mit dem leiblichen Auge eine so große Ordnung der Natur einmal angeschaut zu haben, steigen jetzt herab; denn es sinkt die Sonne hinter Ischia. Schon glüht das weite Meer im Westen von dunklem Purpur, und der Fels von Ponza, der sich aus der Flut emporhebt, schön und fern, als läge er in einer andern Sphäre des Raums und Lichts, ist ganz durchglüht und erschimmert in durchsichtigem Purpurbrande. Also lebe wohl, du schönes Eremiteneiland Capri.


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