Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Um sich nun auch mit dem Gedanken an den Tod auszusöhnen, kann man nichts Besseres tun, als von jenen Katakomben nach dem neuen Campo Santo Neapels hinüberzugehen. Man sagt, daß er der schönste Friedhof Europas sei, und wohl möchte ich es glauben, denn seine Lage ist so entzückend, wie seine Monumente inmitten eines paradiesischen Gartens freundlich und dem Auge wohlgefällig sind. Man hat ihn auf einem Hügel unter Poggio Reale angelegt, welcher die Straße nach Nola beherrscht, und von wo aus das Panorama auf Stadt und Golf, die Küsten von Sorrent, den Vesuv und die reiche Vegetation zu seinen Füßen offen liegt. Dieser Hügel ist ganz mit Grabmonumenten bedeckt, welche meistens in der Form kleiner, sehr zierlicher Säulentempel sich erheben. Sie bilden hier ganze Straßen, da sie sich auf beiden Seiten aneinander reihen, und indem man zwischen ihnen hingeht, möchte man ungefähr in kleinerem Maßstab die Vorstellung von dem haben, was einst die Via Appia gewesen ist. Andere stehen wieder in anderen Gruppen vereint oder schließen sich zu einer kleinen Totenstadt zusammen. Etwa auf der Höhe des Hügels erhebt sich eine Säulenhalle und eine Kirche, wo Totenmessen gelesen werden. Auch hat man weiterhin ein kleines Kloster in gotischem Stil aufgebaut, worin zwölf Kapuzinermönche wohnen und Gottesdienst halten. Die größte Anzahl jener Tempel gehört den Brüderschaften Neapels; diese uralten, höchst wohltätigen Vereine zum Zweck der Bestattung von Toten, ohne Frage die trefflichsten sozialen Gemeinschaften, da sie auch Kranke und Notleidende pflegen, belaufen sich auf die Zahl 174. Man liest ihre Namen an den Frontispizen der Grabmäler. Andere Monumente sind Familiengräber. Die kleinen Tempel haben Raum zu einer Kapelle, welche durch eine Gittertür verschlossen wird. Es befindet sich darin ein Altar, ein Madonnenbild, die ewige Lampe; auch fehlt es nicht an Bildern und Büsten der Toten. Hier können sich die Nachgebliebenen zum Gebete versammeln und sind nicht ganz von der Gemeinschaft mit ihren Geliebteit getrennt. In jeder Weise erinnern diese Grabmonumente an die der Alten: heiter und sinnreich, in schönen Formen, selbst in pompejanischer Weise mit Farben geschmückt, machen sie einen beruhigenden und versöhnenden Eindruck. Dazu diese Haine von blühenden Bäumen, diese Oleanderbüsche, Amaranten, Tulpenbäume, Hortensien, Myrten; sie drängen alles Düstere und Farblose zurück. Wenn man unter solcher Blütenpracht dasitzt, den Blick auf das gesegnete Campanien und das abendlich verklärte Meer gerichtet, muß man glauben, daß den Toten hier recht wohl gebettet sei. Der schöne Kirchhof wurde erst im Jahre 1845 eingeweiht.

 

Man wird schwerlich Neapel verlassen, ohne den Vesuv bestiegen zu haben; aber nicht viele mag es geben, die auch seinen Zwillingsbruder, den Berg Somma besuchten. Alles Interesse nimmt der rauchende Vulkan in Beschlag, so daß seine zweite ausgebrannte Spitze unbeachtet bleibt; und doch gar so schön gipfelt sich die Somma mit ihren steilen schwarzen Lavawänden neben dem Vesuv empor und senkt ihre grünbewaldete Seite in die Ebene Campaniens allmählich nieder.

Ich beschloß eine Fahrt auf den Berg, denn schon ein Blick von seinem Gipfel auf den Aschenkegel des Vesuv dürfte belohnend sein, da dieser, so von oben herab und in unmittelbarer Nähe angeschaut, sich in einer neuen Form darstellen muß. Wir waren eine heitere Gesellschaft von sieben Männern, darunter auch zwei Naturforscher, ein französischer Zoologe und ein Arzt aus Tambow in Rußland. Um sechs Uhr morgens fuhren wir von der Stadt aus, und nachdem wir San Giovanni verlassen hatten, wendeten wir uns links durch blühendes Gartenland nach Santa Anastasia unter der Somma. Wir nahmen uns hier Führer, die des Wegs durch die Bergwaldung kundig waren. Ein kräftiges Weib trug unsern Speisekorb, und zwei malerisch aussehende Männer, von denen der eine im Gürtel einen langen Dolch und auf der Schulter eine Flinte mit sich führte, schritten uns vorauf. So setzte sich die kleine Karawane in der fröhlichsten Laune in Bewegung, entzückt durch den strahlenden Himmel des Julimorgens und durch die schon jetzt wundersame Fernsicht in das Paradies Campaniens, welches dem Berge zu Füßen ausgebreitet liegt.

Wir stiegen zuerst durch Gärten aufwärts, in denen der edle Wein von Somma wächst, dann kamen wir in Kastanienwälder, bis das Aufsteigen beschwerlicher und die Bergsenkung immer steiler wurden. Durchweg und bis gegen die Kante des Gipfels ist die Somma mit Kastanienwuchs bedeckt und mit einer üppigen Flora geziert. Feuerlilien, Nelken, Trifolium, purpurnes Antirrhinum, die köstliche Valeriana lockten den Botaniker, während der Zoologe auf die bunten Schmetterlinge eifrig Jagd machte.

Je weiter wir hinaufstiegen, desto wegeloser wurde der Berg; nicht einmal Hirten haben ihre Straße hier ausgetreten; oft verschwinden die schmalen Pfade und verlieren sich in Gebüschen oder in Abgründen und Schluchten. Wir fanden tiefe, steile Rinnen, nun trockengelegte Betten der Regenflut, deren Wände in vulkanischer Aufschichtung bald Asche, bald Lapilli und feste Lava bildeten.

Drei von unserer Gesellschaft stiegen in eine solche vulkanische Schlucht nieder, mit Hammer und Schaufel ausgerüstet, um den Kristallisationen nachzuspüren. Wir fanden ihrer genug in den Grotten, welche hier von der basaltischen Lava und den verhärteten Aschenschichten gebildet sind. Vielfache Eisenkristalle und das herrlichste vulkanische Gestein liegt teils auf dem Boden, teils läßt es sich hervorschlagen; die mineralogische Ausbeute könnte hier groß sein, wenn man sich die Mühe nicht verdrießen läßt und die Gefahr nicht scheut, von den lockern Wänden der Schluchten verschüttet zu werden.

Mit Gestein beschwert gesellten wir uns wieder zu den andern, die unterdes im Schatten des Baumwuchses auf uns gewartet hatten. Wir stiegen rüstig weiter, bis wir, von der Anstrengung des Kletterns und der Sonnenglut erschöpft, ungefähr auf dem zweiten Drittel des Bergs an einer Quelle niedersanken. Die Quellen sind auf der Somma sparsam; unsere Führer nannten diese, deren Wasser nicht reichlich, aber erquickend frisch war, Fontana di Mennone. Wie beschlossen, sie in der Tat Quelle des Memnon zu taufen, den Kastanienhügel aber, auf dem sie fließt, den Berg des Memnon zu nennen. Auch ist alles Gestein ringsum tönend, weil es gebrannt ist; schlägt man mit einem Eisen oder Stock an diese graublauen Tuffe, so klingen sie mit fast metallischem Ton, nicht anders als die Säulen auf dem Forum in Pompeji, wenn man an sie schlägt.

Höher hinauf wurde der Berg immer wüster, mehr und mehr häufte sich die Asche und das Lapilligebröckel; das Aufsteigen ward beschwerlicher, aber auch immer lohnender die Aussicht. Vom Vesuv sahen wir noch nichts, weil der steile Kamm der Somma ihn verdeckte; dagegen erweiterte sich landhinein der Horizont fast mit jedem Schritt und umfaßte eine der erhabensten Ansichten von der Bai Bajäs und den Gipfeln Ischias über Neapel und den Golf hinweg, über die Ebene von Caserta und das ganze große Gartenland Mittelcampaniens bis gegen Sarno hin. Vom Golf, an dem sich das unermeßliche Neapel die Hügel hinaufzieht, bis soweit das Auge zu den Apenninen, den Bergen von Mattese und Santa Vergine reicht, dehnt sich diese Ebene aus; sie gleicht einem ungeheuren Park, von weißen Wegen durchschnitten und bedeckt mit Schlössern, Villen, Kirchen und Klöstern, und mit Städten, die im Grünen inselgleich hervorschimmern. Auf dem letzten Vorhügel unter dem Kamm der Somma standen wir von Entzücken hingerissen, denn wir konnten nun Neapel und das Meer auf der einen, die Ebene Campaniens auf der andern Seite wie mit einem Blick übersehen.

Wir zählten folgende Städte: Santa Anastasia und Somma, weiterhin Pomigliano d'Arco, Acerra, Afragola, Santa Maria unterhalb Capua, rechts von hier Caserta und sein Schloß, Maddaloni zu Füßen blauer Berge, gerade vor uns, über Somma hinaus, Marigliano, und weiterhin Nola, dann Ottajano, Palma und Sarno, wo die Berge zur äußersten Rechten bei Nocera die Ebene schließen. Es war heute das Fest der Mutter der Gnaden. Aus den Städten unten drang wie dumpfes Pelotonfeuer der Schall von Kanonenschlägen aufwärts, und wie wir hoch auf dem ausgebrannten Krater der Somma standen, glichen die rollenden Schüsse vulkanischen Feuern, die im Innern des Berges verknatterten.

Wenn man dies Meer und Land erblickt, so begreift man, daß, wer einst hier Herrscher war, eher sterben als den Verlust verschmerzen mochte; so die Schwaben, so Aragon und Joachim Murat. Auf einem solchen Standpunkt mochte einst der Kaiser Friedrich II. ausgerufen haben: «Jehova würde seinem Moses das gelobte Land weniger angepriesen haben, hätte er Neapel gesehen.» Und nun wartete ein größeres Schauspiel auf uns. Noch sahen wir den Vesuv nicht; wir näherten uns dem Gipfel der Somma, welchen ein hölzernes Kreuz bezeichnet, und noch ein paar Schritte auf dem scharfen Grat vorwärts, so wuchs plötzlich aus dem Boden empor, so stand vor uns die unbeschreibliche Gestalt des Aschenkegels, nah und nächst uns gegenüber. In grellstem Kontrast wurden wir von den lachenden Gefilden Campaniens in die graue, leichenstarre Todeswüste versetzt, wo die freudenlose Natur in Asche trauert. Die Gewalt dieses Gegensatzes kann ich nicht schildern, noch den Eindruck bezeichnen, den der plötzliche Anblick des dampfenden Aschenberges machte; schien er doch mit einemmal in dämonischer Furchtbarkeit aus dem finsteren Höllenschlund schwefelflammend emporzusteigen.

Von keinem Punkt aus kann der Vesuv ein gleiches Bild gewähren wie von der Spitze der Somma, die ihn an Höhe beinahe erreicht. Wenn man auf dem Wege von Resina zu ihm emporklimmt, sieht man ihn nur von unten auf, hier von oben nach unten; man schaut fast in seinen Rachen hinein und sieht ihn in seiner vollen Gestalt auf dem herrlichsten Hintergrunde von Landschaft und Meer; außerdem hat man das Theater des Sommakraters vor sich mit allen seinen abgestürzten Lavawänden. Wer nun endlich vom Fuß des Vesuvs sich zum Aschenkegel emporwindet, sieht überhaupt nicht mehr die Gestalt desselben, sondern nur seine Asche und Lavafelder.

Drei von uns wagten sich auf dem schmalen Grat des Berges bis an die äußerste Spitze vorwärts, und hier war die Szene diese: dreifach zerschmettert und zerrissen gipfelt sich die Somma dreimal, nach dem Vesuv senkrecht hingestürzt. Zur Rechten und zur Linken starrt der alte zerschellte Krater, ein schwarzer, zerbrochener Trichter, rötliche und graue Felsenzinken, massige, scharfe Lavasplitter werden von zusammengeballtem vulkanischen Geschiebe unterbrochen. Wenn der Beschauer auf dem mittelsten Auslauf des Sommarandes steht, sieht er diesen Rand in pyramidischen Bildungen halbkreisförmig um den Vesuv gebogen, von dem er durch den schwarzen Abgrund getrennt wird. Nah vor den Augen steht der Kegel, überwältigend erhaben, vom Scheitel bis zum Fuß in Asche gehüllt, graugelb von Farbe, nur an den Seiten, wo ihn die Lava überfloß, tiefschwarz gestreift; der Kraterrand hochgelb und weiß umfaßt, einen leichten Dampf ausatmend.

Mit der Bewunderung des Erhabenen verbindet sich das Entzücken über die sanften Formen und Linien dieses schönen Kegels, wie über die nicht zu beschreibende Zartheit seiner Farben. Ich kenne keine Ansicht der Natur, in welcher sich eine so vollkommene Verbindung des Furchtbaren mit dem Reizenden zeigte wie in dem Aschenkegel des Vesuvs; und nun, da ich auch den Krater des Ätna bestiegen habe, darf ich sagen, jene Verbindung ist das Charakteristische, welches dem Vesuv eigen ist. Es ist schwermütige Majestät; die Farbe der Asche, mit deren Anblick sich zugleich die Vorstellung des Sanften und Weichen verbindet, ihr bräunlicher oder bläulich milder Ton, endlich die schönen Linien des Kegels kommen hinzu, um ein wunderbares Gemälde hervorzubringen. Wenn die glänzende blaue Meeresfläche, das violette Gebirge und die duftige Landschaft den Aschenkegel als Hintergrund umgeben, und so diese lebhafteren Lichter gleichsam hervorquellen, wird hier eine bezaubernde Farbenstimmung hervorgebracht.

Wir lagerten auf der steilen Wand der Somma, alle Seligkeit der Welt in Himmel, Erde und Meer über, um und unter uns verbreitet. Ruhig ließ uns der Vesuv gewähren; nur aus dem hochgelben Schwefelrande dampfte er, um uns zu sagen, daß mitten in das Paradies aller Wonnen der Dämon der Zerstörung hingestellt sei. Jene beiden Lavastreifen, welche den Aschenkegel schwarz einfassen, sind die erstarrten Ströme zweier jüngerer Eruptionen. Der auf der linken Seite stammt vom Jahre 1850 her. Damals hatten sich, gegen den Fuß des Aschenkegels hin, fünf kleine Krater gebildet; wir sahen diese sonderbaren schwarzen Kegel. Herr Berncastel zeigte mir auch die Stelle, wo beim Ausbruch von 1847 ein Amerikaner und ein Deutscher ums Leben kamen. Tollkühn sich vorwagend wurden beide von glühenden Steinen niedergeschlagen.

Ein wunderbares Schicksal traf im Jahre 1822 einen Schuster aus Sorrent. Er war auf den Vesuv gegangen, ohne einen Führer mitzunehmen. Der Krater, ausgeleert durch den Ausbruch vom Jahre 1820, lag frei; der verwegene Mensch stieg hinein, und es wandelte ihn die Lust an, dem Höllengeist nicht allein in den glühenden Rachen zu schauen, sondern ihm als ein obszöner Titane noch ein Schimpflicheres anzutun. Bei dieser Verunglimpfung überfiel ihn ein Schwindel; der Mann stürzte in den Krater hinab. Erstarrte Lava hielt ihn auf. Mit einem zerschmetterten Bein und Arm blieb er zwei Tage lang am innern Kraterrande schweben, bis einige Vesuvfahrer sein Wimmern hörten. An Seilen zog man den Unglücklichen in die Höhe; der Schuster aber schien die unzerstörliche Natur Ahasvers zu haben, denn er kam aus dem Spital lebend und gesund in seine Heimat zurück. Diese schrecklich heitere Geschichte erzählte uns Don Michele, Pfarrer der Einsiedelei auf dem Vesuv, zu dem wir hinabgestiegen waren. Denn nach einer Stunde Aufenthalts hatten wir den Gipfel der Somma verlassen, um rechts fort zur Einsiedelei zu gelangen.


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