Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Im Herbst 1802 lebte in der Villa die geistreiche Friederike Brun mit ihrer Tochter, der Gräfin Ida von Bombelles. In ihrem «Römischen Leben» hat sie folgendes aufgezeichnet: «Das Gebäude, welches wir bewohnen, war eine ehemalige, klosterähnlich eingerichtete Sommerwohnung der Malteserritter. Ein hoher Turm erhob sich gerade über dem Teile des Gebäudes, welchen wir bewohnen. Allein es gibt noch viele Logis in dem mit vielen Treppen versehenen, wunderlich aus- und eingebauten und doch zusammen um kleine liebliche Gärten gruppierten Häuserhaufen, Villa Malta genannt. Schon wohnt ein kranker Engländer, Sir Knight, hier mit ein paar Schwestern; mancher Künstler hat hie und da hinter freien Balkons sein malerisches Nestchen und phantasiebeflügelte Ausblicke. Aus meinen Zimmern führt eine Treppe in einen größeren luftigen Saal, welcher einen Flügel des Gebäudes allein bildend wie ein Erker in die Fülle des Grünen blickt und von drei Seiten mit großen Fenstern umgeben ist. Meine Wohnzimmer sehen auf die Gärten des Quirinalischen Palastes; es hat einen Kamin mit einer Marmorplatte. Ein Hofraum trennt mich von einem Gärtchen, darin sind Springbrunnen, Orangen, Reben, Akazien, Lorbeeren und Kaktus.»

Friederike versammelte dort manche ausgezeichnete Fremde, die damals in Rom lebten; Zoega, Fernow, Bonstetten, Thorwaldsen, Keller, Lund. Sie hat das Weihnachtsfest geschildert, welches sie in jenem großen Saal der Villa veranstaltete, wo später der König Ludwig von Bayern heitere Zusammenkünfte mit ihm befreundeten Künstlern hielt. Den geselligen Kreis der deutschen Dichterin versetzte die Ankunft Wilhelm von Humboldts in freudige Aufregung. Der Bruder Alexanders kam als preußischer Gesandter nach Rom und nahm seine Wohnung in derselben Villa Malta. Aus ihrem Fenster sah Friederike den Minister mit seiner Gemahlin und vier Kindern von der Via Pinciana den schmalen Weg zur Villa herauffahren. Sie erstaunte, die älteste, zehnjährige Tochter Karoline als Knabe gekleidet zu sehen, denn der Reise wegen war diese Vermummung für sie gewählt worden. Es war der 25. November 1802, als Humboldt in die Villa Malta einzog.

Das kleine Landhaus wurde alsbald der Mittelpunkt für die geistreiche Gesellschaft Roms. Alle jene Männer aus dem Kreise der Friederike Brun traten auch in diesen neuen Humboldts über. Außerdem verkehrten hier Lucian Bonaparte, Agincourt, Canova, Angelika Kauffmann, Camuccini, Reinhardt, Koch, Schadow, während der später berühmte Altertumsforscher Welcker Hauslehrer in der Humboldtschen Familie war.

Anfang 1809 kam auch der Kurprinz Ludwig von Bayern zum ersten Male nach Rom, nicht ahnend, welche Veränderungen sein Vaterland gerade in diesem verhängnisvollen Jahre erfahren sollte, Veränderungen, welche das Deutsche Reich durch den Rheinbund auflösten, den mit dem Feinde Deutschlands verbündeten Vater Ludwigs zum souveränen König des vergrößerten Bayern und ihn selbst zum widerwilligen Vasallen Napoleons machten. Der Kurprinz nahm in Rom Wohnung bei dem bayerischen Gesandten Häfelin, im Palast Rondanini auf dem Corso, dem Hause gegenüber, worin Goethe gewohnt hatte. Der Name dieses Palastes lebt noch in München mit der berühmten Medusa fort, welche er im Jahre 1811 aus ihm erwarb.

Den jungen Prinzen begeisterten die Monumente und Antiken Roms; sie weckten in ihm die fürstliche Leidenschaft, nicht nur Kunstwerke zu sammeln, sondern sein Vaterland auch durch Neuschöpfungen des Schönen zu adeln. Schon ein Jahr nach seinem Aufenthalt in Rom faßte er den großartigen patriotischen Gedanken zur Walhalla und gleichzeitig den Plan zur Glyptothek.

Sein Verkehr mit Künstlern in Rom war gleichwohl im Jahre 1805 noch nicht sehr lebhaft. Nicht einmal Thorwaldsen, dessen Hebe er schon in Venedig bewundert hatte, scheint er damals persönlich kennengelernt zu haben. Seine ersten Beziehungen zu diesem genialen Meister gehören ins Jahr 1808, wo er den Adonis bei ihm bestellte. Da er mit Wilhelm von Humboldt verkehrte, betrat er im Jahre 1805 auch die Villa Malta zum erstenmal.

Humboldt beherbergte dort in demselben Jahre seinen Bruder Alexander, welcher nach der Rückkehr von seiner epochemachenden Reise in Südamerika erst nach Paris gegangen war und dann im März 1805 mit Gay-Lussac Rom besuchte. Wilhelm blieb in der Villa bis zum Frühling 1807, dann zog er in das Haus Tomati, in der nahen Via Gregoriana; aber er verließ Rom für immer schon im Herbst 1808.

Die Umwälzungen, welche die Ewige Stadt durch den Sturz des Papsttums erlitt, hemmten hier für eine Reihe von Jahren die Tätigkeit der Künstler, aber sie begünstigten gerade die Absichten des Kronprinzen Ludwig, der mit Rom in beständiger Verbindung blieb. Sie erschütterten den Wohlstand der römischen Aristokratie so tief, daß selbst die Barberini, Braschi und Ruspoli sich mancher Kunstschätze, die ihre Familienpaläste erfüllten, entäußerten. Weil die schönsten Antiken und Gemälde aus den Galerien des Staates durch den modernen Vandalen Napoleon nach Paris fortgeschleppt waren, durfte sich niemand wundern, wenn Privatpersonen Werke ihres eigenen Besitzes verkauften. Zum letzten Male bot sich fremden Fürsten die Gelegenheit dar, aus Schätzen Roms und Italiens heimische Museen zu gründen, und diesen Zeitpunkt benutzt zu haben ist das große Verdienst Ludwigs gewesen. So sind durch ihn die alten Münchener Kunstsammlungen vermehrt und neue angelegt worden.

Die meisten Ankäufe besorgte für ihn Martin Wagner, sein unermüdlicher Agent in Rom. Daß der Barberinische Faun, die Minerva Ergane, Hunderte von Statuen und die große Vasensammlung nach München gekommen sind, ist wesentlich seiner Umsicht zu verdanken. Unter vielen Mühen und Gefahren schloß er auch den Kauf der Aegineten in Griechenland ab und führte dann diese weltberühmte Giebelgruppe glücklich von Malta nach Rom, wo er die Bruchstücke in seinem Atelier zusammensetzte, während Thorwaldsen sie restaurierte. Dort sah sie der Kronprinz, als er im April 1818 zum zweiten Male Rom besuchte.

Die durch die Französische Revolution und Napoleon aus den Angeln gehobene Welt hatte sich im Jahre 1815 wieder eingefügt, das Papsttum sich in Rom neu eingerichtet, und die Ewige Stadt war in ihr altes göttliches Nirwana, in jene von der Geschichte gesättigte, zeitlose Stille zurückgesunken, deren narkotischer Odemzug auf alle idealen Naturen immer wie ein Zaubertrank gewirkt hat. Altertumsforscher und Künstler studierten und arbeiteten wieder, und manche Fremden von Ruf erschienen.

Die wenigsten Ausländer empfanden das tatsächliche Elend, in welches das römische Volk aus dem besseren Zustande unter der französischen Regierung wieder herabsank, als ihm das Joch der Monsignoren mit ihrem Polizeisystem von neuem aufgelegt wurde. Niebuhr aber hat das tief empfunden und in seinen Briefen nach der Heimat ausgesprochen. Dieser große Gelehrte war seit 1816 preußischer Gesandter in Rom, und sein Legationsrat wurde Bunsen.

In demselben Frühjahr 1818, in welchem Ludwig nach Rom kam, kehrte dorthin auch die Gemahlin Wilhelms von Humboldt zum Besuche zurück. Sie nahm ihre Wohnung im Hause der Signora Buti, welches nahe bei der Villa Malta in der Via Sistina lag und die Künstlerherberge jener Zeit war. Thorwaldsen und Schadow, Wach, der Kupferstecher Senff und Wagner wohnten dort. Thorwaldsen arbeitete damals an seinem Merkur und ließ den Triumphzug Alexanders für die Villa Sommariva in Marmor ausführen. Die Malerin Luise Seidler, welcher Karl August von Weimar den Aufenthalt in Rom möglich machte, hat von dem patriarchalischen Leben, dessen Mittelpunkt Frau von Humboldt war, in ihren «Erinnerungen» erzählt. Auch Henriette Herz, die mit ihrer Freundin Dorothea Schlegel zu derselben Zeit in Rom lebte, hat die Abende im Hause Buti geschildert. Dort war der Kronprinz Ludwig gerne zu Gast; sein geistreiches Wesen, seine bürgerliche Einfachheit und Liebenswürdigkeit machten auf jene schöne und hochgebildete Frau einen tiefen Eindruck.

Als sie eines Tages in seiner Begleitung die Spanische Treppe hinaufstieg, fragte sie ihn: «Werden Sie denn auch als König so bleiben, wie Sie jetzt sind?» Der Kronprinz antwortete, die Schlußzeile des «Columbus» von Schiller verändernd:

«Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann euch gewiß.»

Das Viertel um die Villa Malta her war zu jener Zeit der Sitz einer zahlreichen deutschen Kolonie. In dem Landhause selbst wohnten immer Maler; auch Overbeck hatte dort seine erste Wohnung genommen, als er im Jahre 1810 nach Rom gekommen war. Bald darauf zog er mit seinen frommen Kunstgenossen in das nahe Kloster Sant Isidoro. Jedem Staatswesen, jeder bürgerlichen Pflicht entfremdet, weder von der erbärmlichen Reaktion in ihrem Vaterlande noch von der Knechtschaft Italiens berührt, lebten diese Künstler in Rom wie auf der Insel der Seligen, in olympischer Freiheit, als Weltbürger einer idealen Republik, versenkt in das Studium der alten Meister und zu eigenen Schöpfungen aufgeregt. Der Geist Carstens', der Klassizismus Canovas und Thorwaldsens wirkte auf diese neue Malerschule, die nach den verlorenen Formen des großen historischen Stils suchte. Die Fresken von Cornelius, Overbeck, Veit und Schadow in der Casa Bartholdy auf dem Pincio erregten damals Aufsehen als kunstgeschichtliche Tat der Umkehr zur Natur. Selbst Niebuhr sprach in einem Briefe an Savigny (vom Februar 1817) die Hoffnung aus, «daß wir jetzt in der Kunst für Deutschland in eine Epoche treten, wie die unserer aufblühenden Literatur im 18. Jahrhundert war».

Den Kronprinzen Ludwig überraschte der kühne Aufschwung der kleinen deutschen Künstlerwelt auf dem Pincio. Er bemerkte den Widerspruch ihrer Ideale, ohne sich für eins oder das andere zu entscheiden. Die Deutschen teilten sich in zwei Schulen: die weltlich-klassische der Kapitoliner, deren Häupter Koch und Reinhardt waren, und die christliche der Nazarener und Konvertiten, die im Zusammenhange mit den deutschen Romantikern zur vorraffaelischen Mystik zurückkehrten. Die Führer dieser waren Overbeck, Veit und in seiner ersten Epoche auch Cornelius. Dagegen blieb die persönliche Richtung Ludwigs unbegrenzt. Er war kein einseitiger Antiquar und Liebhaber; er liebte die ganze Kunst als solche, weil sie das Schöne schuf. Die Hebe und der Adonis Thorwaldsens entzückten ihn ebensosehr wie die blassen Heiligenbilder Overbecks und Veits.

In seinem phantasievollen Geiste vereinigten sich die Reflexe aller Kunstepochen und Stile, die griechische Antike, das byzantinische und romanische Christentum, die mittelalterliche Gotik, die italienische Renaissance. Ihre verschiedenen Formen hat er dann in der bunten Reihe seiner Bauten mit gleichem Enthusiasmus nachgeahmt. Die Glyptothek, die Pinakotheken, die Propyläen, der Residenzbau, die Arkaden, das Siegestor, Obelisk, Bavaria, Bibliothek, Walhalla, Basilika, Ludwigskirche, Feldherrnhalle, Ruhmeshalle: alle diese rühmlichen Schöpfungen zeigen ihn als den Sohn seiner weltbürgerlichen Zeit ohne Originalität, als einen romantischen Eklektiker auf dem weiten Gebiete des Schönen, wie es, freilich mit den Mitteln und in den Dimensionen des Römerreiches, einst der Kaiser Hadrian gewesen war, der letzte große Kunstmäzen des sterbenden klassischen Altertums.

Vielleicht war sich Ludwig seiner innern Verwandtschaft mit Hadrian bewußt, als er dessen Bildsäule neben der des Perikles in einer Nische der Außenwand der Glyptothek aufstellen ließ.

Es ist für sein Wesen bezeichnend, daß er im Plane hatte, der im ionischen Tempelstil errichteten Glyptothek gegenüber eine Apostelkirche aufzuführen und so Klassizismus und Romantik äußerlich miteinander zu verbinden. Solche Universalität des künstlerischen Gesichtskreises konnte nur die Tat eines sammelnden und nachahmenden Zeitalters sein, welches selbst keine eigene Kunstform besaß, sondern seine Größe im philosophischen Bewußtsein der Einheit des Menschengeschlechts und ihrer edelsten Kulturideale fand.

Es war noch die Zeit, wo Faust und Helena ihre Wonnemonde feierten. Der Geist Ludwigs selbst, wie mancher andere in Deutschland, entstammte dieser romantischen Verbindung des Germanentums mit dem Hellenentum, und nichts konnte später natürlicher sein, als daß ein Sohn Ludwigs den Thron des befreiten Griechenlands als erster König der Hellenen in Athen bestieg.

Weil Ludwig die Künste nach München verpflanzte, wurde er der Neuschöpfer dieser Stadt. Alles erschien hier noch ungünstiger für die Aufnahme des Schönen, als es früher der Boden Berlins gewesen war. Ein an ideale Anschauungen und Bedürfnisse nicht gewöhnter Volksgeist; eine gleichgültige unfruchtbare Naturumgebung in der nächsten Nähe; keine andere als die dynastische Geschichte des Herrscherhauses; keine Monumente eines alten und blühenden Gemeinwesens, welche Regensburg, Augsburg und Nürnberg so stolz und vornehm machen. Weder Berlin noch München besitzt auch nur eine wirklich schöne, alte Kirche, wie so mancher kleine Ort Deutschlands sie aufzuweisen hat. Jetzt strebt München, wie viele andere Städte unseres Vaterlandes, durch die alles belebende Kraft, welche das große nationale Reich ausströmt, mächtiger auf. Wenn aber diese freundliche Stadt mit ihren reichen Bildungsanstalten die Königin des herrlichen deutschen Alpengebietes wird, so hat sie das noch jenen Impulsen zu verdanken, welche ihr Ludwig gegeben hat. Was dieser geistvolle Fürst hier geschaffen hat, ist im Verhältnis zu den geringen Mitteln, über die er verfügen konnte, so bewundernswert, daß er, wenn er Ähnliches zu Griechenzeiten und für Griechen getan hätte, als Stadtheros in einem Tempel würde verehrt worden sein. Es kommt hier nicht einmal auf den künstlerischen Wert seiner Monumentalschöpfungen an, sondern nur darauf, daß er der Kunst wieder große Aufgaben gestellt und sie als die vollste Blüte der Kultur begriffen hat.

Ich bin von der Villa Malta abgeschweift, allein sie steht doch immer im Hintergrunde des merkwürdigen Treibens deutscher Künstler in Rom während der ersten Dezennien dieses Jahrhunderts. Der Kronprinz Ludwig war der Abgott dieser Künstler, nicht nur als geistvoller Mäzen, sondern als glühender deutscher Patriot. Noch im Jahre 1818 trug er in Rom die bereits von den Regierungen des Vaterlandes verpönte deutsche Tracht Jahns und der Burschenschaft. Künstlern, welche nicht Mittel hatten, sich deutsch zu kleiden, gab er sie, und so wanderten Maler und Bildhauer unter den Göttern Griechenlands und den Ruinen Roms als Urteutonen des Teutoburger Waldes stolz umher. Der Weltmann Canova wird sie mit stillem Lächeln betrachtet haben. Henriette Herz hat erzählt, daß in jenem Jahre 1818 einmal eine römische Prinzessin, mit ihrer Amme in Genzano am Nemisee spazierend, vor der plötzlich auftauchenden Erscheinung eines breitschulterigen Teutonen mit wild herabwallenden Haaren entsetzt davongelaufen sei. Dieser Schreckliche, welchen die Amme für den leibhaftigen Simon Magus hielt, war kein Geringerer als Rückert. Niemand konnte diesem Urgermanen ansehen, daß in seiner zarten Seele der «Liebesfrühling» keimte.

Es gibt ein Buch von Otto Baitsch: «Johann Christian Reinhardt und seine Kreise», worin jene Deutschtümelei unserer Künstler in Rom gezeichnet ist. Sie hinderte dieselben übrigens nicht, sich zuzeiten bei ihren Festen am Ponte Molle oder im Tal der Egeria in die Formen des antiken Römertums zu kleiden. Das klassische Heidentum verführte selbst fromme Gemüter. Der strenge Niebuhr forderte einst (im Juni 1818) nach der Kindtaufe bei Bunsen, nachts auf der Loggia des Palastes Caffarelli stehend und mit angeheiterten Augen den funkelnden Stern Jupiter betrachtend, Thorwaldsen auf, die Gesundheit des alten Gottes zu trinken. «Von ganzem Herzen gern», antwortete der Künstler mit beklemmten Brust. Einige der Gäste stutzten, aber Cornelius stieß auf den alten Jupiter wacker an.


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