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Wir erreichten endlich das Joch der Somma, wo die Ochsen ausgespannt wurden. Von hier rollt man auf der Fahrstraße, an einer ebensolchen Wasserschlucht, wie man sie aufwärts begleitet hatte, sechs Millien abwärts, durch reizende Bergpartien, bis sich überraschend schnell das alte Spoleto und hinter ihm das Tal des Clitumnus, wie die Tiberebene zeigen. Der Anblick dieser Stadt, nach vielstündiger Vereinsamung im tiefsten Gebirge, ist sehr schön. Mir schien, als hätte ich nie etwas so Malerisches gesehen als jene alte schwarze Burg über der vielgetürmten, schöngegliederten Stadt, wie sie sich mit ihren stumpfen Türmen und krenelierten Mauern hoch über ihr erhebt. Sie empfing gerade das tiefgoldene Licht der untergehenden Sonne, und so war dies ein Gemälde von vollkommen historischem Stil. Es kommt freilich viel darauf an, aus welchem inneren Gesichtspunkt man eine altertümliche Stadt betrachtet; denn es ist immer die Vorstellung selbst, welche das den Dingen an sich Eigene und Bedeutende erklärt. Ich kannte Spoleto noch nicht, und welche reiche Geschichte enthält nicht diese Stadt vom alten Langobardenherzog Faroald an bis zum verunglückten General Lamoricière, der hier im Jahre 1860 sein Hauptquartier aufschlug, um den Kirchenstaat gegen die neuesten Usurpatoren mit einer Handvoll Legionäre zu verteidigen.
Als ich in Spoleto einfuhr, vermischte sich das Bild des Altertums; auf der saubern Esplanade strömte die elegante Welt hin und her, und freundliche, selbst reinliche Straßen, moderne Gebäude, ein Anstrich von heiterer Wohlhabenheit machten den angenehmsten Eindruck fröhlichen Lebens.
Das langobardische Herzogtum Spoleto wurde um 570 gestiftet, bald nachdem König Alboin sein Volk nach Italien geführt hatte. Seine ersten beiden Herzöge waren Faroald und Ariulf; sie entrissen den Griechen eine Provinz nach der anderen, und das Herzogtum umfaßte mit der Zeit einen großen Teil Mittelitaliens, ganz Umbrien, die Sabina, das Marsenland (die heutigen Abruzzen) und die Marken Fermo und Camerino. Die Päpste in Rom gerieten oft in äußerste Bedrängnis durch die Herren von Spoleto, deren Macht ihnen gefährlicher wurde als die Benevents, des zweiten großen Herzogtums der Langobarden, welches ebenfalls am Ende des sechsten Jahrhunderts gestiftet worden war. Selbst als Karl der Große dem Langobardenreich ein Ende machte, blieb die Gewalt der Herzöge von Spoleto, der nun fränkischen Vasallen, noch groß genug. Franken selbst trugen dort die Herzogswürde; nach dem Falle der Karolinger konnte Guido von Spoleto sogar die römische Kaiserkrone sich aufs Haupt setzen. Er vererbte sie seinem Sohne Lambert, einem glänzenden, heldenmütigen Jüngling, der aber plötzlich durch einen Sturz auf der Jagd sein Leben verlor (898). Guido und Lambert waren demnach die beiden Kaiser, welche aus Spoleto auf den römischen Thron stiegen, Nationalkaiser, wie die Italiener sie im Gegensatz zu den Imperatoren deutscher Nation nennen, obwohl auch sie von fränkischem Geschlecht gewesen sind.
Als später das Reich in der deutschen Nation durch die Ottonen hergestellt wurde, besetzten die Kaiser den herzoglichen Stuhl in Spoleto nach Willkür; kein erbliches Dynastengeschlecht kam dort mehr auf. Vorübergehend wurde Spoleto mit dem Mathildischen Lande, selbst mit Ancona verbunden, bis die Päpste günstige Verhältnisse benutzten, sich jenes Herzogtums zu bemächtigen, auf welches sie schon seit Karl dem Großen Ansprüche machten. Es waren Innocenz III., und besonders Gregor IX., welche Spoleto, die Marken Ancona, Camerino und Fermo an die Kirche brachten. Die eigentliche Besitzergreifung jener Gebiete durch den Heiligen Stuhl datiert also vom Anfang des 13. Jahrhunderts; aber manche Landschaften gingen ihm später wieder verloren; so die Mark Ancona, welche erst im Jahre 1532 an Rom fiel, und ebenso Fermo und Ascoli, das gleichfalls erst damals römisch wurde.
Alle diese Provinzen verlor der Heilige Stuhl in kurzer Zeit, um die Mitte des September 1860. Lamoricière hatte Spoleto zu seinem Hauptquartier gewählt; die Position war gut, weil sie eine mittlere Lage darbot, von wo nach jeder der drei Seiten des Angriffs Truppen entsendet werden konnten. Der General Schmidt hatte sein Quartier in Foligno, Pimodan stand mit der zweiten Brigade in Terni, und de Courten in Macerata. Nun glaubte Lamoricière anfangs, daß er sich nach dem Neapolitanischen gegen Garibaldi würde zu wenden haben, aber die Kundgebung des Generals Fanti belehrte ihn, daß die Piemontesen in Umbrien und die Marken einrücken würden. Schon am 8. September brachen die Freischaren Masis bei Città della Pieve in den Kirchenstaat ein und rückten auf Orvieto. Am 10. September zog Lamoricière seine Korps zusammen, und am 12. brach er sodann nach den Marken auf, während ihm Pimodan folgte. In der Zitadelle Spoletos hatte er 300 Irländer unter dem Major O'Reilly zurückgelassen mit ein paar Kanonen. Diese kleine Festung wurde am 17. September von den Piemontesen unter dem General Brignone angegriffen; die Irländer verteidigten sich nach Lamoricières Bericht tapfer, schlugen einen Sturm zurück und ergaben sich erst nach zwölf Stunden. Die Piemontesen hatten, so sagt Lamoricière, 1ßß Mann an Toten, 300 an Verwundeten verloren, die Päpstlichen zählten nur drei Tote und sechs Verwundete. Es ist wunderlich genug, daß die letzte Waffentat, welche in der alten Burg geschah, Irländern angehört.
Man sieht noch die Spuren des letzten Kampfes auf ihr. Kein Militär liegt gegenwärtig darin, aber sie dient noch zum Bagno für Verbrecher.
Sonst ist alle Erinnerung an die Ereignisse des vorigen Jahres in Spoleto fast verschwunden. Die ehemalige Delegation hat sich in eine Unterpräfektur verwandelt und steht unter Perugia, dem Sitz der Zentralintendantur von ganz Umbrien. So hat Spoleto den Charakter und die Vorteile einer Provinzialhauptstadt verloren; der Sitz des Delegaten konnte bisher mit einem kleinen Hofe verglichen werden, und solche päpstliche Provinzialregierungen, namentlich die der Kardinallegaten, behaupteten eine gewisse Selbständigkeit. Das alles wird nun fortfallen, Präfekten und Kreise werden an die Stelle ehemaliger politischer Provinzen treten, und die alten historischen Begriffe Umbrien, die Marken, Sabina nur noch einen geographischen Wert behalten.
Die Straßen der Stadt gehen bergauf, doch in sanfter Steigung, und angenehme Plätze durchbrechen sie. Viele Teile sind außerordentlich malerisch, so recht italienisch, auch hie und da wüste und verwohnt. Man sieht dem Ort an, daß er einst ein reiches Land beherrscht hat und Mittelpunkt einer kleinen Monarchie gewesen ist, obwohl er kaum noch 9000 Einwohner zählt. Auch hier ist der vorherrschende Charakter der Architektur die Renaissance. Das höhere Mittelalter ist ziemlich zurückgedrängt, von römischen Altertümern zeigt sich mancher Überrest, und ein altes Tor beim Palast Gavotti erinnert sogar noch an Hannibal, der nach der großen Schlacht am Trasimenischen See von Spoleto zurückgewiesen war. Es heißt Porta della Fuga oder di Annibale.
Nur langobardische Altertümer wird man in Spoleto vergebens suchen. Meine erste Frage war hier die: wo der Palast der alten Herzöge gestanden habe. Aber niemand weiß darauf eine Antwort zu erteilen, und auch der Geschichtschreiber der Herzöge Spoletos, Giancolombino Fatteschi, erklärt, daß dies unbekannt sei. So spurlos verschwand die Erinnerung an die Residenz einst so mächtiger und so lange herrschender Fürsten; nicht ein einzelner Stein mehr redet davon. Nur eine unverbürgte Tradition behauptet, daß der Palast Aroni auf dem Domplatze die Stelle einnehme, wo seit dem ersten Herzoge Faroald (569) die Ariulf, Toto, Trasmund, Agebrand und Hildebrand, die Gisulf, Lambert und Guido geherrscht haben, bis mit dem letzten ihrer langen Reihe, dem Schwaben Konrad, das Herzogtum im Jahre 1198 erlosch.
Nun erhebt sich als eins der ältesten Denkmäler Spoletos der Dom auf einem zierlichen Platz mit dem Hintergrunde der malerischen Berghöhen. Er wurde schon vom dritten Herzoge Teudelapius im Jahre 617 gebaut, dann im Laufe der Zeit vielfach restauriert. Er ist eine Kirche von schöner Einfachheit, mit einem Turm neben der romanisch-gotischen Fassade aus dem 13. Jahrhundert. Das Atrium ist neu und ein Bau Bramantes. Die Fassade ziert ein großes Musiv, ein Werk des Solsernus, welches die Jahreszahl 1207 trägt. Man bemerkt an ihm mit Überraschung die erste freiere Entwicklung umbrischer Kunst. Drinnen hat sich Fra Filippo Lippi, einer der liebenswürdigsten Maler der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, durch seine Fresken im Chor verewigt, und er selbst liegt dort bestattet. Das Innere ist leider gänzlich modernisiert; von mittelalterlichen Inschriften blieb nichts mehr, selbst nicht im Atrium, übrig. Der Dom ist jetzt die Hauptzierde und größte Merkwürdigkeit Spoletos, außer ihm noch S. Pietro, eine Kirche im lombardischen Stil, sehenswert. Ihre Fassade ist mit Skulpturen bedeckt, unter denen die Fabel von Reinhard dem Fuchs in naivster Weise dargestellt ist.
Das in manchen Teilen noch altertümliche Gemeindehaus bewahrt ein schönes, ja bewundernswertes Freskobild von Lo Spagna, die Madonna mit Heiligen darstellend, und eine Marmorinschrift, welche die barbarische Zerstörung der Stadt durch den Kaiser Barbarossa, den großen Städteverwüster des Mittelalters, verewigt. Ich schrieb diese Inschrift in den Charakteren des 12. Jahrhunderts von dem Steine ab. Sie sagt:
HOC EST SPOLETVM
CENSV PPLQE REPLETVM
QVOD DEBELLAVIT
FRIDERICVS ET IGNE CREMAVIT
SI QVERIS QVANDO
POST PARTV VIRGINIS ANO
MCLV.
TRES NOVIES SOLES JVLIVS
TVNC MENSIS HABEBAT.
Wahrscheinlich ging die alte langobardische Residenz in eben diesem Brande ganz unter.
Besonders malerisch ist die Verbindung des oberen Stadtteils mit dem Monte Luco durch den riesigen Aquädukt. Dieser Berg wird nämlich von dem Hügel, auf welchem die Burg steht, durch eine 260 Fuß tiefe Schlucht getrennt, und über sie spannt sich eine großartige Brücke von zehn Spitzbogen. Ihr erster Erbauer soll schon der langobardische Herzog Teudelapius im Jahre 604 gewesen sein – im Laufe der Zeit wurde sie vielfach erneuert. Das Wasser wird über sie vom Monte Luco fortgeleitet. Wenn man auf dem schmalen Brückengange vom Kastell nach dem Berge geht, erregt der Blick in die Tiefe Schwindel, zumal der Wind hier heftig zu wehen pflegt; er zwang mich bisweilen, mich am Geländer festzuhalten. Der Monte Luco ist der Mon-Serrat Umbriens. Nachdem zuerst ein syrischer Heiliger Isaak dort im 6. Jahrhundert eine Einsiedelei gegründet hatte, entstand im zehnten das Kloster S. Julian und eine Reihe von Eremitagen. Von diesen Einsiedeleien stehen noch einige aufrecht, aber die Eremiten sind längst verschwunden; aus manchen ihrer Kapellen haben Bürger Spoletos sich kleine zierliche Landhäuser errichtet. Das Wandern in den tiefen Eichenschatten des Berges ist ein wahrer Genuß; das balsamische Kraut strömt vom Boden sein süßes Arom aus, die Lüfte säuseln im Laub tausendjähriger Eichenwipfel, und sonst stört kaum ein Ton, kaum ein Glockenklang die zaubervolle Stille. Dort oben gelagert blickt man auf das malerische Spoleto und die weiße Fahrstraße der Flaminia zu den Füßen der Stadt nieder oder in das lange, duftige Tibertal.
Aber vor allem majestätisch erscheint die Burg auf ihrem Stadt und Land weithin beherrschenden Berge, ein betürmtes Viereck von edelster Einfachheit der Renaissance, in Wahrheit eins der schönsten Denkmäler des Mittelalters in Italien. Der berühmte Kardinal Gil d'Albornoz, der Zeitgenosse des Volkstribuns Cola di Rienzo, hatte diese wohl schon uralte Burg im Jahre 1356 neu ausgebaut, worauf ihr später der Papst Nicolaus V. die Vollendung gab. Die Erinnerungen an die alten Herzöge oder die Vögte, welche in jenem Kastell hausten, sind hingeschwunden, aber aus den hohen Fensterräumen des Schlosses blickt auf den Wanderer das Bild einer reizenden, weltberühmten Frau herab, welche einst dort residierte, weil sie Herrin Spoletos war. Es ist Lucrezia Borgia, die Tochter Alexanders VI., die Kleopatra des 15. Jahrhunderts. Ihr Vater hatte sie im Jahre 1499 zur Regentin jener Stadt und ihres Distrikts ernannt, eine Handlung, welche in der Geschichte des Papsttums völlig unerhört ist. Die schöne Herzogin verließ mit stattlichem Gefolge Rom am 8. August zu Roß, um sich auf ihren Posten zu begeben. Schon vor Spoleto empfingen sie mit höchsten Ehren die Prioren der Stadt und geleiteten sie nach der Burg, wo sie Wohnung nahm. Sie überreichte hier ihren Untergebenen ihr Diplom und ein Breve ihres Vaters dieses Inhalts:
«Geliebte Söhne, Gruß und den apostolischen Segen. Wir haben dies Amt der Bewahrung des Schlosses wie die Regierung unserer Städte Spoleto und Foligno, ihres Komitats und Distrikts der in Christo geliebten Tochter, der Edelfrau Lucrezia de Borgia, der Herzogin von Bisceglia übergeben, zum Wohl und friedlichen Regiment eben dieser Orte. Vertrauend auf die besondere Klugheit, die vorzügliche Treue und Aufrichtigkeit derselben Herzogin, wie Wir das des weitern in Unsern andern Breven erklärt haben, auch auf Grund eures gewohnten Gehorsams gegen Uns und diesen heiligen Stuhl, hoffen Wir, daß ihr nach Pflicht eben diese Herzogin Lucrezia als eure Regentin mit aller Ehre und Ehrerbietung aufnehmen und ihr in allen Stücken gehorsamen werdet. Indem Wir aber wünschen, daß dieselbe ganz besonders ehren- und achtungsvoll von euch empfangen und angenommen werde, so befehlen Wir euch durch Gegenwärtiges, insofern ihr Unsere Gnade wert haltet und Unsere Ungnade vermeiden wollet, daß ihr dieser Herzogin Lucrezia und eurer Regentin in allem und im einzelnen, was immer von Rechts und Gewohnheit wegen sich auf die besagte Regierung bezieht, und was sie euch zu befehlen für gut halten will, wie Unserer eigenen Person gehorsamer und mit allem Eifer und Fleiß ihre Gebote ausführet, damit ihr euch die verdiente Billigung eurer Dienstbarkeit erwerbet. Gegeben zu Rom am Sankt Peter unter dem Fischerring, am 8. August 1499.
Hadrianus.
An die Prioren von Spoleto.»
Das Leben, welches Lucrezia Borgia, plötzlich Nachfolgerin der alten Langobardenherzöge, im Schlosse zu Spoleto führte, konnte ihr freilich nur langweilig und unerträglich sein. Es verlautet auch nichts von ihren Regentenhandlungen, außer daß sie eine Aussöhnung zwischen den streitenden Gemeinden Spoleto und Terni stiftete. Im Stadtarchiv zu Trevi zeigt man noch ein Aktenstück, welches von ihrer Hand mit dieser Formel unterschrieben ist: «Placet ut supra Lucretia de Borgia.»
Der Aufenthalt der schönen Papsttochter in ihrem einsamen Regierungssitz dauerte auch nur kurze Zeit. Sie besuchte von hier aus am 21. September ihren Vater in Nepi und kehrte schon im Oktober zu ihrer Entbindung nach Rom zurück. Wenige Monate später, im Juli 1500, erlitt sie den Tod ihres Gemahls Don Alfonso von Aragon, Herzogs von Bisceglia, welchen Cäsar Borgia erst auf der Treppe des Sankt Peter dolchen und dann in seinem Palast erwürgen ließ.
In Spoleto blieben ihre Beamten zurück, ihr Auditor Antonio degli Umioli von Gualdo, Doktor des Rechts, und ihr Sekretär Cristoforo Piccinino. Sodann übertrug am 10. August Alexander VI. die Regierung der Stadt dem Lodovico Borgia, Erzbischof von Valencia.