Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Andrea di Cione, genannt Orcagna, baute diese schöne Halle um das Jahr 1374. Er gehört zu den begabtesten Künstlern seiner Zeit; denn er leistete gleich Großes in der Architektur, in der Malerei, in der Skulptur, und er war auch Poet. Einen solchen Verein von Schöpferkräften, welcher heutzutage unmöglich geworden ist, schenkte die Natur in Zeiten eines zum Schaffen jugendlich begeisterten Geschlechts wohl auch anderen Menschen jedes Landes, nirgends aber, so scheint es, häufiger als in Toskana. Das beweisen Giotto, Orcagna, Leonardo da Vinci, Michelangelo und Brunelleschi. Derselbe Orcagna ist der Meister des bewundernswürdigen Tabernakels in der Kirche Or San Michele von Florenz, der Meister der Fresken in der Kapelle Strozzi in der S. Maria Novella, welche das jüngste Gericht darstellen, und auch im Camposanto zu Pisa malte er als ein wahrhafter Poet den Triumph des Todes, ein Werk von großartiger Phantasie. Sein schönstes Denkmal aber, das er sich als Baumeister setzte, ist jene später so genannte Loggia dei Lanzi, eine prächtige Halle von drei Rundbogen auf korinthischen Pfeilern ruhend, von schönen Verhältnissen und von leichtem Schwunge. Die Halle wird durch die Statuen, welche in ihr aufgestellt sind, leider nicht genugsam ausgefüllt. Eine große Mittelgruppe würde dem Übel abhelfen, wenn sie vorhanden wäre. Am Eingang stehen zunächst zwei große marmorne Löwen, von denen der eine antik, der andere ein Werk des Flaminio Vacca ist. In der Mitte der Loge erhebt sich eine antike Gruppe; Menelaus, der den toten Patroklus in den Armen trägt. Neben ihm steht der Herkules, welcher den Nessus erschlägt, von Johann von Bologna. Das Werk ist nicht bedeutend, und auch sein Raub der Sabinerinnen, einst von ganz Italien als ein Wunder gefeiert, will jenem Ruf nicht mehr entsprechen. Diese Gruppe steht in einem der offenen Bogen der Halle nach der rechten Seite hin. Sie enthält drei nackte Figuren, welche übereinander aufsteigen, denn der Römer, der das geraubte Weib in seinen Armen und über sich erhebt, hat den Sabiner unter sich geworfen. Die Komposition in einer fast spiralen Linie, nämlich bei gebogenen oder gewundenen Leibern, ist nicht wohlgefällig. Die Florentiner lieben diese Gruppe; man sieht sie in ebenso häufigen Nachbildungen in Gips, in Marmor und in Alabaster, als Johann von Bolognas Fliegenden Merkur, seine schönste Bronzestatue, in den Uffizien. Zwei Werke von Bronze und ausgezeichneten florentinischen Meistern angehörig stehen noch in der Halle, nach dem Platze zu links der vielberühmte Perseus des Benvenuto Cellini, und nach den Uffizien zu die Judith des Donatello.

Das Interesse, welches die Natur Cellinis einflößt, überträgt sich natürlich auch auf seine Statue, deren Geschichte er überdem in seiner Biographie selbst beschrieben hat. Ohne dies merkwürdige Buch würde der Perseus schwerlich mehr Aufmerksamkeit erregen als die Statuen von Johann von Bologna. Nun aber ist es eben der Perseus dieses Cellini, in welchem die ungezähmte Natur der florentinischen Republikaner aus der Zeit des Corso Donato zum letzten Male erscheint. Die Mediceer zähmten dieses Naturell und verweichlichten es durch die Kunst.

Der Perseus ist zierlich und manieriert. Er hat wenig, aber doch einiges von dem Wesen Cellinis, ich meine auch jene gespreizte Genialität, die er selbst in seiner Lebensbeschreibung an den Tag legt. Er steht, mit der Linken das Medusenhaupt erhoben, in der Rechten das kurze Schwert, auf dem krampfhaft verzerrten Leibe der Medusa. Diese aber liegt über einem Gewand und Kissen; Haupt und Rumpf strömen Blut aus, von dem man nicht sagen mag, ob es Blut sei oder Stoff von Natternbildung. Unangenehm geziert ist das krause Haar des Heros, welcher die geflügelte Sturmhaube ziemlich kokett auf dem Scheitel trägt. Indes haben doch die Formen der Natur leichte und wohltuende Verhältnisse und machen der Wissenschaft des Meisters Ehre. Das Ganze ruht auf einem architektonischen Piedestal, in dessen vier Nischen kleinere, sehr zierliche Bronzefiguren stehen, nämlich Merkur, Jupiter, Venus und Minerva. Unter der Statue Jupiters liest man die für Cellini charakteristische Inschrift:

Te, fili, si quis laeserit, ultor ero.

Haben wir also im Perseus einen heroischen Jüngling, der einem weiblichen Ungeheuer den Kopf abschlägt, so kehrt sich das in Donatellos Judith um; denn da sehen wir eine heroische Jungfrau, welche einem gewaltigen Kriegshelden das gleiche tut. Ich weiß nicht, wie oft die Skulptur die Judith dargestellt hat, und zweifle, daß es oft geschah; die Poesie hat sie noch in unserer Zeit zum Stoff als Drama genommen, die Malerei sie in alter und in neuer Zeit ebenso häufig behandelt wie ihr Seitenstück, Herodias' Tochter. Von ältern Meistern muß ich hier zwei vorzügliche Darstellungen erwähnen, ein kleines Bild des Sandro Botticelli in den Uffizien von Florenz und eine Handzeichnung des Mantegna (im Zimmer der Handzeichnungen in den Uffizien). Mantegnas Auffassung der Judith in dieser kleinen und wenig gekannten Handzeichnung ist von der größten Genialität und Erhabenheit. Weder irgendein anderes Gemälde, noch irgendein Gedicht, es sei denn die biblische Darstellung selber, kommt auch nur von weitem dieser Komposition gleich. Donatello wie Hebbel hätten sie sehen sollen. Judith hält dort das Haupt des Holofernes ihrer Dienerin hin; diese steht vor ihr, den Sack geöffnet, in welchen das Haupt bereits versinken will. In der Rechten hält Judith hinter sich noch das Schwert. Die dramatische Energie dieser Szene ist groß, der Ausdruck im Kopfe des Holofernes von bewundernswürdiger grausiger Kraft; Judith ein heroisches Weib in den edelsten Formen, von antik schöner Gewandung, das Haupt, von welchem Locken über den Nacken fallen, halb herabgeneigt, der Mund geöffnet, die Züge voll von Schauder und von tragischer Besinnung, jede Linie edel und ins Erhabene – das dienende Weib ganz charakteristisch, derb und robust – das Ganze wie eine Szene aus dem Aeschylus. Auch Sandro Botticellis Judith ist schön und wohltuend, eine Heldin mit dem Ölzweig, welche nach vollbrachter Tat gen Jerusalem heimschreitet, ernst und trauervoll, eine Botin ihres tragischen Geschicks und des Friedens. Diese alten Meister kannten nichts von bizarrem Schwulst oder von sinnlichem Luxus, der zum Beispiel Alloris berühmte Judith (im Palast Pitti zu Florenz) schon so tief unter sie herabsetzt. Viel kann der Neuere in unserer weibischen Zeit von ihnen lernen, wo die einfachsten Naturverhältnisse, die des Geschlechts meine ich, zu himmel- und erderschütternden tragischen Problemen verzerrt worden sind.

Die Judith des Donatello ist eine kleine, vermummte, sehr unansehnliche Gestalt, welche der Karikatur ganz nahekommt. Den Holofernes, der mit herunterbaumelnden Beinen dasitzt, hat sie beim Schopf, da sie eben zum zweiten Hieb in den schon durchhauenen und unschön verdrehten Hals ausholt. Unter der Statue liest man jedoch auf dem Kapitäl des gewundenen Piedestals die bedeutenden und tröstlichen Worte: «Exemplum Salut. Publ. Cives Posuerunt.» Man hat also wieder ein Stück Geschichte der Stadt Florenz vor sich. Denn ehedem stand diese Judith in den Zimmern des Piero di Medici. Nachdem ihn das Volk vertrieben und seinen Palast geplündert hatte, erhob es die Judith Donatellos zum Symbol der Befreiung und schrieb jene Worte auf das Fußgestell. Und so ist der einzige Gedanke, den Donatellos Werk ausspricht, eben diese Inschrift.

Noch stehen an der Hinterwand der Loggia sechs antike Marmorfiguren aus der Villa Medici in Rom. Man weiß nicht, ob sie Priesterinnen der Sabiner, oder Vestalinnen, oder gallische Sklavenfrauen vorstellen. Eine schöne Figur unter ihnen soll die deutsche Thusnelda sein; wahrscheinlich jene, die mit einem erhabenen Antlitz voll tiefer Trauer die Hand zum Gesicht bewegt. Diese Antiken, ernst und feierlich aus dem Hintergrunde blickend, scheinen jene Werke der florentinischen Meister still zu betrachten, wie das Alter in Ruhe die Taten des jüngeren Geschlechts betrachtet. Wir treten nun aus der Halle des Orcagna unmittelbar in jenen Raum, der von den Uffizien umschlossen wird. Sie bilden zwei lange parallele Flügel, die nach dem Arno zu verbunden, nach der Piazza hin offen sind. Eine Gesellschaft von Florentinern hat sich das Verdienst erworben, die Bildsäule der berühmtesten Männer Toskanas dort in den Nischen der Untergeschosse aufzustellen. Seit etwa zwanzig Jahren ist dies Unternehmen im Gange; das Volk zahlt die Beiträge gern, denn jene Statuen sind in Wahrheit sein Eigentum. Arbeiten der modernsten Bildhauer von Florenz, verdanken sie ihren Wert nicht der Kunst, sondern nur der Teilnahme, welche jene getreu im Kostüm ihrer Zeit dargestellten Porträtfiguren erwecken. Wenn nun auch viele mittelmäßige Werke sind und von den Florentinern scharf bekrittelt werden, so meine ich doch, Dante oder Michelangelo auch in schlechtem Marmor mittelmäßig dargestellt, erhebt die Betrachtung höher als die schönste Kuh des Myron und der beste Faun der Praxiteles.

Wandelt man unter diesen Statuen so großer und edler Männer, so muß man den unerschöpften Reichtum der kleinen Republik Florenz wahrlich anstaunen, welche den Vergleich mit Athen dreist aushalten darf. Denn andere Städte Italiens waren groß und größer auf eine andere Weise, wie Rom, Genua und Venedig, in Florenz allein hatten alle Künste und Wissenschaften Jahrhunderte hindurch ein gemeinsames Vaterland. Dies zu beweisen, genügt es fast nur die Namen jener Männer, die nun in den Uffizien aufgestellt sind, von ihren Fußgestellen zu lesen: Andrea Orcagna, Niccolo Pisano, Giotto, Donatello, Leon Battista Alberti, Leonardo da Vinci, Michelangelo Buonarroti, Dante Alighieri, Francesco Petrarca, Giovanni Boccaccio, Niccolo Machiavelli, Francesco Guicciardini, Amerigo Vespucci, Galileo Galilei, Giovanni delle bande nere, Francesco Redi, Paolo Mascagni, Andrea Cesalpino, Santo Antonino, Francesco Accorso, Guido Aretino, Benvenuto Cellini, Farinata degli Uberti, Pier Capponi, Francesco Ferrucci, Cosimo Pater Patriae, Lorenzo il Magnifico. Wohl ein großer Verein edler Geister! Das kleine Volk Toskanas, ja fast nur eine Stadt brachte sie hervor, Florenz in jedem Sinne blühend, wie sein Name sagt, umhegt von den Olivenbäumen der Minerva, welche nur Sinnbilder seiner friedlichen Künste scheinen. Und gewiß, man weiß nicht, was mehr für die Größe von Florenz spricht, daß hier schon so viele Genies beisammen stehen, oder daß deren hier noch so viele fehlen, die entweder die nächste Zeit noch aufstellen wird, oder denen die Enge des Raumes ein Ehrendenkmal nicht mehr gestattet.

Die Mannigfaltigkeit der hier versammelten Intelligenzen ist so reich wie die Fülle von Naturgefilden. Welche prächtigen Köpfe der alten großen Zeit, welche Eigentümlichkeiten origineller Charaktere! Mit einem Male scheint die Betrachtung alle Sphären des menschlichen Könnens zu umfassen, jegliche Kunst des Friedens wie des Krieges, und solche Kräfte zumal, welche das ganze Menschenleben bis auf unsere Tage erneuernd, ordnend und fortgestaltend durchdrungen haben.

Denn ihre Impulse beschränken sich nicht allein auf Italien, und geschieht es doch bei vielen dieser Geister, die, wie Piero Capponi oder der edle Ferrucci, wie Accorso und Johann von den schwarzen Banden, nur eine örtliche Beziehung haben, so öffnet wieder ein Amerigo Vespucci die Aussicht nach Amerika, und Galilei in noch fernere Welten.

Der Älteste in dieser Versammlung ist Niccolo Pisano, der, um das Jahr 1220 geboren, der Begründer der italienischen Skulptur wurde. Würdig steht ihm der große Giotto zur Seite, der Begründer der italienischen Malerei, groß auch als Bildhauer und Architekt; er trägt die Kapuze jener ernsten und religiösen Zeit, wie auf alten Bildern, und den Plan seines Turmes hält er aufgerollt in der Hand. Mit Betrübnis vermißt man neben ihm seinen Meister und Vorgänger Cimabue, und indem dessen Statue hier fehlt, scheint Dantes berühmtes Wort bestätigt zu werden, welches er dem Maler Oderisi im elften Gesange des Purgatorium in den Mund legt:

O vanagloria dell' umane posse,
Com' poco verde in sulla cima dura,
Se non è giunta dall' etati grosse!
Credette Cimabue nella pintura
Tener lo campo, ed ora ha Giotto il grido,
Si che la fama di colui è oscura.

O eitler Ruhm des Könnens auf der Erden;
Wie wenig dauert deines Gipfels Grün,
Wenn roher nicht darauf die Zeiten werden.
Als Maler sah man Cimabue glühn,
Jetzt sieht man über ihn den Giotto ragen
Und jenes Glanz in trüber Nacht verglühn.

(Albert Streckfuß)

Dante selbst, der über seinem eigenen Spruch erhaben steht und dauern wird, solange die Erde dauert, von deren Geist er eine der größten Offenbarungen gewesen ist, er steht, die Leier und sein Buch haltend, gesenkten Hauptes, tief nachsinnend, den Finger erhoben. Sein Antlitz ist auch von dem schlechtesten Bildhauer nicht ganz zu verderben. Ich kenne keines unter den Hunderten von Angesichtern großer Menschen, die ich betrachtet habe, welches so ganz individuell wäre wie das Dante-Gesicht, und auf keinem fand ich eine gleiche Energie oder Tiefe der Leidenschaft ausgeprägt. Es gibt neben ihm nur noch einen Kopf Homers, wie ihn nämlich die Griechen typisch oder ideellerweise auf das glücklichste erdacht haben.

So gern ich nun die meisten jener Porträtfiguren hier genauer betrachten möchte, so muß ich es doch mir oder den Lesern versagen. Denn Porträts wollen gesehen, nicht beschrieben sein. Nur diesen oder jenen wollen wir auszeichnen, mehr als weniger bekannte Erscheinung, denn als Porträt im besonderen; so den Ghibellinen Farinata degli Uberti, den Sieger von Montaperti, der im Verein mit jenen Geistern sein Jahrhundert so trefflich charakterisiert. Er sagt uns, daß die sturmvollen Zeiten der Republik, gleicherweise in Florenz wie in Athen, eben dieselben waren, welche die edelsten Kräfte entfesselten. Denn in derselben Zeit, wo auf den Plätzen und Straßen von Florenz Ghibellinen und Guelfen, Bianchi und Neri, Popolanen und Adel kämpften, sich ermordeten, Häuser anzündeten und Türme zerbrachen, und wo draußen der Feind gegen die Tore stürmte, saßen über ihren Riesenentwürfen in der einsamen Stube Giotto, Dante, Arnolfo, und erließ die Signorie der florentinischen Republik das stolze Dekret, «daß ein Dom gebaut werden solle in der höchsten und kostbarsten Herrlichkeit, welche weder größer noch schöner vom Genie und vom Vermögen der Menschheit je könne erfunden werden». Und so erhob sich denn Battisterium, Turm, Dom und Dantes Gedicht.

Aber wo ist die Statue des Dino Compagni, der jene merkwürdige Zeit so klassisch geschildert hat? Wo ist die Bildsäule des großen Chronisten Giovanni Villani, der zur Ehre Gottes im Jubeljahre Roms (1300) seine Chronik begann, unter den Ruinen der Ewigen Stadt und unter der Million von Pilgern, welche sie durchwogten, zu seinem Werk begeistert? ich hätte lieber ihn hier gefunden als Guicciardini. Aber es scheint, die Florentiner waren in Verlegenheit, wie sie jede Periode ihrer Stadt repräsentieren sollten, und sie möchten den einzelnen Epochen nicht zuviel Männer zuweisen. Und wie viele vermißt man hier? Die Kirche von Florenz ziert allein der heilige Antonius, der berühmte Dominikaner von San Marco, dann Erzbischof der Stadt, ihr geistlicher Reformator und Vorläufer des Savonarola. Auch die beiden jüngsten Jahrhunderte gingen nicht leer aus. Ihnen sind drei Statuen gewidmet, jene des Francesco Redi, welcher eine solche Auszeichnung schwerlich seinem Gedicht Bacchus in Toskana, aber wohl mit Recht seiner Naturwissenschaft verdankt, jene ferner des Paolo Mascagni und die des Andrea Cesalpino. Beide waren Ärzte und Naturforscher.


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