Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Von diesem Denkmal nach Andria zurückkehrend, nahmen wir den Weg über Corato, einen kleinen aus gelbem Kalkstein zierlich erbauten Ort, mitten in Wein- und Olivengärten. Ich sah kaum eine so freundliche und reinliche Stadt in Apulien, und meine Verwunderung darüber ausdrückend, erhielt ich die Erklärung: daß sie sauber sei, weil die Feldarbeiter nicht in ihr, sondern auf den Feldern wohnen. Diese selbst, namentlich die Weinberge, sind musterhaft gehalten. In ihnen bemerkt man an vielen Stellen kegelförmige Häuschen («casella» genannt), welche aus Kalkstein ohne Mörtel zusammengesetzt sind. Sie dienen zur Aufbewahrung von Werkzeugen des Feldbaues und zur Lagerstätte für die Wächter.

Ich hatte einen ganz besonderen Grund, Corato zu besuchen; denn diese Stadt ist jenes Quadrata oder auch Curiata, welches der unglückliche Don Alfonso von Aragon nebst Bisceglie von der Krone Neapels empfangen und seiner Gemahlin Lucrezia Borgia als Heiratsgut mitgebracht hatte. Von Corato aus ist auch das nahe Bisceglie (im Altertum Vigilia) zu sehen, eine schöne Hafenstadt am Meere, mit weißen Häusermassen und vielen Türmen. Alfonso war davon Herzog, und diesen Titel führte auch Donna Lucrezia fort, nachdem ihr Bruder Cesar ihren Gemahl hatte erwürgen lassen. Zur Zeit jenes Zweikampfes lebte sie schon in Ferrara, aber Corato wie Bisceglie gehörten noch ihrem kleinen Sohne Rodrigo. Cesar Borgia selbst war im Jahre 1502, zur Zeit als er und sein Vater Alexander sich enge an die Politik Spaniens angeschlossen hatten, vom König Ferdinand dem Katholischen sogar zum Herzog Andrias («Dux Handrie») ernannt worden. Er war also der unmittelbare Vorgänger jenes Consalvo, welcher ihn nur ein Jahr später in Neapel verräterisch gefangennahm und nach Spanien schickte und dann selbst Andria von der Krone Spaniens zum Lehn erhielt.

Von Corato gelangt man in weniger als zwei Stunden nach der Stadt Ruvo, welche seit dem Anfange dieses Jahrhunderts als Fundort antiker Vasen aus gebranntem Ton berühmt geworden ist. Ruvo ist ein ansehnlicher Ort von etwas mehr als 12 000 Einwohnern, in einer fruchtbaren, überaus weinreichen Landschaft gelegen, wie Corato und Andria. Seinen unzweifelhaften griechischen Ursprung beweisen die antiken Gräber, die überall nicht nur draußen auf den Feldern, sondern mitten in der Stadt gefunden werden. Aus den bildlichen Darstellungen auf vielen jener Vasen, die man aus ihnen hervorgezogen hat, aus Szenen nämlich der Theseussage und andern attischen Mythen, hat ein literarisch gebildeter Bürger der Stadt, Herr Giovanni Jatta, den Schluß gezogen, daß Ruvo eine alte attische Kolonie gewesen sei.

Dies mag auf sich beruhen; genug, daß es eine Reihe von antiken Münzen gibt, welche die griechische Aufschrift

ΡΥΒΑ, ΡΥΨ, ΡΥΒΑΣΤΕΙΝΩΝ

tragen. Horaz nennt den Ort Rubi:

Inde Rubos fessi pervenimus, utpote longum       
Carpentes iter et factum corruptius imbre.
Postera tempestas melior, via peior ad usque
Bari moenia piscosi.
Satir., I., V, 94.
Müde erreichten wir Rubi, denn lang war die Strecke,
die wir durchwandert, und gründlich verdorben vom tückischen Regen.
Besser war folgenden Tages das Wetter, doch schlechter der Weg noch.
Bis an Bariums Mauern, der Stadt des ergiebigen Fischfangs.

Die Einwohner der Stadt nennt Plinius «Rubastini». Von ihren geschichtlichen Verhältnissen während des Altertums und in langen Jahrhunderten des Mittelalters ist kaum etwas bekannt. Jatta mußte daher in einige Verlegenheit kommen, als er die Geschichte seiner Vaterstadt zu schreiben unternahm. Sein Werk erschien im Jahre 1844 zu Neapel unter dem Titel: «Cenno storico sull' antichissima città di Ruvo nella Peucezia.»

In der normannischen Zeit gehörte die Stadt zur Grafschaft Conversano, dann wurde sie ein eigenes Lehn, dessen Zustände jedoch völlig dunkel geblieben sind. Im 15. Jahrhundert waren die Balzi des benachbarten Andria, später die Caraffa Grafen von Ruvo.

Die Residenz dieser Feudalherren war das dortige Kastell, von dem sich noch starke Überreste mit einem kolossalen Turm erhalten haben. Die Zeit der Erbauung der Burg ist unbekannt.

Dem 12. oder 13. Jahrhundert gehört die Kathedrale Ruvos an, wie das aus ihrem Baustil geschlossen werden darf. Diese Kirche, eine mäßige Basilika von drei Schiffen und drei Apsiden, hat ein mit Skulpturen reich verziertes Portal im Rundbogenstil und zwei Seitenportale; in der Mitte der Fassade eine Fensterrose. Neben ihr steht ein finstrer, hoher Glockenturm. Das Ganze, ernst und düster, von der Zeit geschwärzt, sieht in der Umgebung der engen, kleinen Straßen sehr fremdartig aus. Es ist die plastische Gestalt einer für uns rätselhaft gewordenen Vergangenheit, die sich hier plötzlich dem Blick enthüllt.

Das Menschengeschlecht, welches diese Kirche gebaut hat, von deren Entstehungszeit, unter uns gänzlich unbekannt gebliebenen Bischöfen und Grafen, wir gar nichts wissen, ist für uns kaum minder geheimnisvoll als jenes antike, welches die kunstvoll geformten und bemalten Vasen in die Gräber Ruvos legte.

Denkmäler sind psychologische Offenbarungen des Lebens der Menschheit. Der Architekt und der Kunstkenner mißt und zergliedert sie, und er ordnet sie den Systemen der Kunstgattungen und Stile ein; der Kulturforscher bringt sie in synthetischen Zusammenhang mit dem Leben selbst, und er würde das innerst Wahre und Wirkliche angedeutet haben, wenn es ihm gelänge, nach Denkmälern den geistigen Organismus des Menschengeschlechts zu ermessen, aus dessen Bildung und Denkweise gewisse Schöpfungen mit Naturnotwendigkeit entspringen mußten. Aber noch sollen die Geschichtschreiber kommen, welche dieses Geheimnis aufschließen. Wir besitzen heutzutage nur erst das lückenhafte historische Material für eine Philosophie der Entwicklung des schöpferischen Menschengeistes.

Diese Abschweifung hier entstand keineswegs durch etwas Außerordentliches, was der Dom Ruvos darböte, denn diese Kirche ist nur dritten Ranges unter den schönen Bauwerken solcher Natur. Sie entstand vielmehr aus der zufälligen Empfindung des Rätselhaften und Mythischen, welche mich dort durchdrang, und dieses erregte mich nicht weniger, als es der Anblick der Vasen im Museum Jatta tat, in welches wir uns unmittelbar von jener Kathedrale begaben.

Ruvo würde heute ein unbedeutender und von Fremden schwerlich besuchten Ort sein ohne dies sehr merkwürdige Museum.

Schon lange bevor die antiken Tongefäße dieser Stadt von sich reden machten, wurden solche hier gefunden. Arbeiter im Felde und Bürger, welche Häuser bauten, mußten oft genug auf alte Gräber und ihren Inhalt stoßen. Aber man beachtete diese nicht; zahllose Vasen wurden im Lauf der Zeit als Scherben weggeworfen. «In meiner Jugend», so erzählt der Geschichtschreiber Ruvos, «hörte ich von alten Leuten, daß Feldarbeiter, wenn sie antike Gräber fanden, aus Ärger, in ihnen statt Geld nur tönerne Gefäße vorzufinden, diese mit ihren Hacken zerschlugen. Daher kommt es, daß man die städtischen Gründe, wo man Gräber zu entdecken pflegt, mit vielen Scherben antiker Tongefäße bestreut findet. Wie haben sich seither die Zeiten geändert! Denn heute sind es eben diese Feldarbeiter, welche den Anspruch machen, daß jedes Stück einer beliebigen Vase ein Stück Goldes wert sei.»

Die Gefäße Ruvos kamen plötzlich im Jahre 1810 in Ruf, nachdem nämlich ein Maurer mit Namen Rinaldo di Zio beim Graben der Fundamente eines Hauses an den alten Stadtmauern ein Grab entdeckt und in ihm Vasen von besonderer Schönheit der Form und Malerei gefunden hatte. Die königliche Regierung erwarb diese; sie kamen nach Neapel, dann aber mit andern, in Canossa gefundenen im Jahre 1815 nach München, wo sie noch einen ausgezeichneten Bestandteil der dortigen Vasensammlung bilden.

Seit diesem Fund bemächtigte sich der Rubestiner eine wahre Ausgrabungswut. Sie erreichte, nach dem Bericht Jattas, ihre Höhe im Jahr 1822. Ruvo bot damals im kleinen den Anblick der Goldgräbereien Kaliforniens dar. Es bildeten sich Gesellschaften; man durchwühlte die ganze Umgebung der Stadt. Die Felder verwandelten sich in Märkte. «Wenn man alle Vasen», so erzählt Jatta, «die man damals ausgrub, in eine Sammlung vereinigt hätte, so würde dieselbe durch ihre Zahl und ihren Wert vielleicht jede andere in der Welt übertroffen haben.» Die Gefäße Ruvos gingen massenhaft ins Ausland; nebst denen aus Nola, Nocera, Cumae, aus den Städten Apuliens und Lucaniens, und denen Siziliens stehen sie heute im Nationalmuseum Neapels aufgestellt, und auch sonst gibt es schwerlich ein Museum in Europa, welches nicht rubische Tonvasen besäße. Im Angesicht eines so außerordentlichen, glücklich verteilten Reichtums konnten die Bürger Ruvos auch den fremden Museen ihre Schätze gönnen, um so mehr, als der Rechtsgelehrte Giovanni Jatta und sein Bruder Giulio damals den patriotischen Gedanken gefaßt und durchgeführt haben, ihrer Vaterstadt einen guten Teil jener Kostbarkeiten zu erhalten. Diese Bürger gründeten ein Museum der Tongefäße im Jahre 1820 und vollendeten dasselbe im Jahre 1835. Heute ist es in einem der genannten Familie gehörigen neuen und schönen Gebäude vereinigt. Sein gegenwärtiger Besitzer ist Herr Giovanni Jatta, ein Neffe des eigentlichen Gründers der Sammlung. Er hat sein Museum, den Stolz Ruvos und der ganzen apulischen Umgegend, in einem umfassenden 1178 Seiten starken Katalog beschrieben. («Catalogo del Museo Jatta con breve specificazione dei monumenti da servir di guida ai curiosi per Giovanni Jatta. Napoli 1869.»)

So wunderlich sind die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung im Menschenleben: irgendein armer Maurer findet ein paar schöne Vasen, und dieser Fund, der ihm selbst nichts eingetragen hat als ein wenig Geld, gründet in der Folge das Glück und auch den Ruf einer andern Familie. Dem Namen Jatta ist nun für lange Zeit die Fortdauer in der Kunstgeschichte gesichert worden.

Das Museum enthält, alles zusammengerechnet, etwa 1700 Gefäße. Dazu kommt eine Sammlung von Terracotten und Anticaglien verschiedener Natur, und ein Münzkabinett.

Die Vasen Ruvos zeigen mehrere Epochen der Kunst. Viele gehören schon der Zeit des ins Barocke gefallenen Geschmackes dieser schönen griechischen Industrie an. Und sie gibt uns, wenn auch nur in handwerksmäßigem Betriebe, noch heute einen Begriff von der Blüte der hellenischen Malerei überhaupt, deren stofflicher Inhalt, deren vollendeter Adel in der Form im öffentlichen und häuslichen Leben des Volkes sich abgespiegelt hat. In der Blütezeit jener Vasenkunst, die man in Italien die etruskische zu nennen pflegt, erschienen die Figuren in der Regel rot oder gelblich auf dem glänzend schwarzen Grunde des Gefäßes. Der ältere, strengere Stil hat schwarze Figuren auf rotem Grunde.

In der Zeit des Verfalls der Kunst wurden die Vasen an Umfang größer, bunter in der Dekoration und überhaupt rokokohaft überladen.

Ein Sohn des Herrn Jatta hatte die Güte, uns einige Gräber zu zeigen, von denen eins eben erst beim Legen der Fundamente eines Hauses mitten in der Stadt entdeckt worden war. Solche Gräber, zumal vornehmer Personen, sind in der Regel in den lebenden Stein eingegraben. Die viereckige Vertiefung schloß stets eine fest eingefügte Steinplatte; doch hat der Mörtel, welcher dieselbe befestigte, nicht den Einflüssen der Witterung widerstehen können, so daß sich fast alle, auch die noch nie durchsuchten Gräber mit Erde angefüllt haben.

Die meisten zeigen mit Stuck bekleidete, oft auch bemalte Wände. Der Körper des Toten liegt mit dem Kopf nach Sonnenuntergang gewendet. An seinem Fußende steht die größte und schönste Vase; an seinen Seiten befinden sich die Gefäße mittlerer Größe; endlich steht, wie Herr Jatta versicherte, ohne Ausnahme eine Vase auf der Brust des Toten. Dieselbe Anordnung zeigen die etruskischen Gräber, wie man solche im Museum Bolognas sehen kann. Unzweifelhaft sind diese Vasen in Fabriken Ruvos selbst gearbeitet worden.


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