Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Aber man würde dem Charakter des Tiberius Unrecht tun, würfe man ihn mit seinen Nachfolgern zusammen. Diese waren plumpe, nackte Bösewichte, die ihre bestialische Natur offen zur Schau stellten. Tiberius, seiner Zeit an Geist überlegen, war ein feiner Kopf, ein vollendeter Diplomat aus der Schule des Heuchlers Augustus. So fein, verhüllt, still herauslauernd und vorsichtig spähend ist auch sein Antlitz, zumal der jesuitische Zug um den Mund, und schwerlich hat die Natur einen vollkommeneren Diplomatenmund geschaffen. Scharf geschlossen sagt er das Wort Talleyrands, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu verbergen. Wir aber wissen aus dem Tacitus, welcher Art die Kunst des Tiberius im Sprechen war. Die Grammatik und Logik der Diplomaten hat Tiberius erschaffen. Dieser Mann versprach nicht, noch schwor er, noch log er, der eine fortwährende Lüge war. Wie plump erscheinen gegen diesen feinen, klassischen Despoten Herrscher der neueren Geschichte, Abenteurer, die sich auf einen Thron hinaufgelogen, und Könige, welche offenbar die Eidschwüre brachen. Tiberius würde sie unter seine Freigelassenen verweisen, mit verächtlichem Lächeln. Dieser Mann ließ niemals ahnen, was er tun würde, denn auch das Gegenteil war gewiß. Er schlug nie den Dingen geradezu und mit der brutalen Gewalt der sogenannten Staatsstreiche auf den Kopf, er umschlich sie. Sein Wille und seine Absicht waren wie Helldunkel zweifelhaft. Man lese nur die meisterhafte Geschichte vom Sturze des Sejan.

Der Mann von Elba hat einst den Charakter des Tiberius warm verteidigt und gegen die Urteile des Tacitus und der Geschichte in Schutz genommen.

Nachdem nun Tiberius die Diplomatie Augusts zu dem System des Jesuitismus verfeinert hatte, zog er sich in diese Villa zurück, um lebensekel sich im Genusse zu betäuben. Er erschöpfte jede Wollust, aber die menschliche Natur ist so dürftig angelegt, daß sie nur einen winzigen Teil von Lust genießen kann. Das lehrt die Felsenscholle Capri und diese Villa des Zeus, in welche sich der Herrscher der Welt verbannte, der diese selbst nur als ein Exil zu betrachten gelernt hatte.

Innerhalb derselben Wände, die einst widerhallten von lydischen Flöten und von dem Lachen der schönsten Weiber, wohnt jetzt Vieh der armen Bauern; und dies ist heute die Ausstattung der Säle des Tiberius: Efeu, wilde Feigenbäume, Malven, Rosen, Zinerarien, Granatbäume, das wuchert in diesen zerstörten Zimmern durcheinander, und im Winde tanzen die Reben, die Enkel des alten capräischen Bacchus, als wären sie die Geister jener Hetären, welche einst hier den Cancan um Tiberius getanzt haben.

Oben steht eine Kapelle, Santa Maria del Soccorso, auf der höchsten Höhe der Villa und über ihren Ruinen. Dort wohnt ein Eremit. Kein Ort in der Welt ist zum Büßen so passend als die Ruine dieser Villa des Tiberius, unter dessen Regierung und während dessen Aufenthalt in Capri Jesus ans Kreuz geschlagen wurde. Die Kapelle steht hier wie das Christentum selbst auf den Trümmern der heidnischen Welt, deren Buße es war. Dies Zusammentreffen ist seltsam, und ich meine, hier ist eine der tiefsinnigsten Stellen, an denen man verweilen mag. Denn hier steigen vor dem Blick zwei ungewöhnliche Gestalten auf, Zeitgenossen, Repräsentanten zweier Weltperioden: hier im Westen der greise Dämon Tiberius, der Beherrscher der Erde, der Repräsentant der untergehenden heidnischen Welt und als Ebenbild ihres sittlichen Elends; dort im Osten der junge ideale Mensch, Jesus, an das Kreuz geschlagen, aber umringt von begeisterten Propheten eines neuen Erdenfrühlings. Diese beiden Gestalten stehen sich gegenüber wie Ahriman und Ormuzd, der Gott des Lichts und der Finsternis.

In solchen Betrachtungen über die Jugend des ersten Christentums stand ich auf diesen Trümmern, und siehe, da trat mir plötzlich die historische Erscheinung jener idealen Religion entgegen, in der Gestalt des schmutzigen Franziskanereremiten, und fast wich ich vor dem Mann zurück: ein alter Mönch mit langem, weißem Bart, in schwarzer Kutte, ein Klumpfuß, hinkend, häßlich, mit habgierigen Augen. Da war es mir, als sah ich Tiberius als Mephistopheles vor mir, und mit satirischem Lachen hörte ich ihn sagen: «Das ist die Geschichte des Christentums!»

Der Klumpfuß hinkte mir voran in seine Zelle. Ich suchte unter seinen Büchern und las auf deren einem diesen Titel: «Legendarium der heiligen Jungfrauen, welche für unsern Herrn Jesus Christus sterben wollten.» Auch der Eremit Tiberius las auf derselben Stelle Bücher von Jungfrauen, aber nicht von solchen, die für seinen Zeitgenossen sterben wollten, sondern es waren die Schriften der griechischen Hetäre Elephantis, welche die Kunst der Wollust behandelten und damals in Rom Mode waren. Sueton erzählt, daß er diese Bücher in Capri bei sich gehabt habe. Indes auch Laszivitäten fand ich bei dem jetzigen Einsiedler. Er zeigte mir die Kopie eines Reliefs, welches man im Museum zu Neapel sehen kann. Es stellt einen ältlichen nackten Mann zu Roß dar; vor ihm sitzt auf dem Sattel ein nacktes Mädchen mit einer Fackel, ein nackter Jüngling führt das Roß gegen die Statue eines Gottes. Die Ähnlichkeit des Reiters mit Tiberius ist so auffallend, daß man glaubt, jenes Relief stelle eine nächtliche Szene aus seinem Leben in Capri dar, etwa ein Opfer vor dem Priap; aber die Halskette, welche die Gestalt trägt, ist genau dieselbe, die der sterbende Fechter und andere Gallier tragen, sie paßt also nicht für Tiberius. Der Eremit hatte das Relief in Wasserfarben mit sichtbarem Behagen am Nackten kopiert; es gehört nämlich zu seinem Lokal, weil es unter den Trümmern der Villa ausgegraben wurde.

Zweimal wurden diese durchsucht, doch jedesmal unvollständig, im Jahre 1804 von Hadrawa, von Feola 1827. Man fand schöne Fußböden von Marmor, wovon einer sich in der Hauptkirche Capris vor den Altar gerettet hat, auch viele köstliche Säulen, darunter eine kleine von Lapislazuli, welche ein Engländer erstand, Bildsäulen, die man verschleuderte, Mosaiken, welche das Museum in Neapel aufbewahrt.

Kein Kaiser in der Welt kann sich rühmen, im Besitz eines Hauses von gleich schöner Aussicht zu sein, als dem Eremiten seine merkwürdige Klause gewährt. Aus seinen Fenstern überschaut er die Golfe von Neapel und Salerno und die schönen Küsten und Inseln Italiens. Nichts gleicht dem Blick auf das nahe Vorgebirge der Minerva, dessen Formen von der herrlichsten Plastik sind; hinter ihm sieht man die Bergreihen des Sant Angelo und des ganzen Ufers von Amalfi und Salerno in der Verkürzung aufgereiht, wie Kulissen eines ungeheuern Theaters. In klarer Luft sah ich Paestum weit über Meer, dann das Kastell Baro und die Punta Licosa in meilenweiter Ferne. Bei Sonnenuntergang ist das Irisspiel der Farben über den Bergen hinreißend wie eine Phantasmagorie, und oft war es mir, als wäre, was ich sah, nicht Wirklichkeit, sondern das strahlende Bild einer Vision.

Eines Abends saß ich auf den Ruinen der Villa und weidete mich an dem großen Anblick jenes Kaps, da fiel mein Blick auf die silberweiße Haut einer Schlange, die, jüngst abgestreift, mir zu Füßen lag. Ich nahm sie auf wie ein göttliches Geschenk, das für mich selbst mit vergangenen Tagen in einer gewissen symbolischen Verbindung stand. Mir fiel aber auch ein, daß Tiberius hier eine Lieblingsschlange gehalten hatte, die er fütterte, und mit der er zu spielen pflegte. Ich stieg mit meinem Fund den Berg hinunter. Da kam mir Mephistopheles auf einem Esel entgegengeritten. Ich zeigte dem Mönch die Schlangenhaut und erfuhr bei dieser Gelegenheit, daß der geheimnisvolle Mensch auch Schlangenzauberer sei. Er erzählte mir, daß er Schlangen fange, und zwar lebendige, zu jeder Zeit und jede, welche er wolle. Ich fragte ihn hierauf, wie er das mache. «Ich greife sie», sagte er, «wenn ich ihnen befohlen habe, stille zu liegen; sie wickeln sich sogleich um meinen Arm, dann sperre ich sie in ein Gefäß und schicke sie nach Neapel zum Apotheker.» – «Wie aber könnt Ihr ihnen befehlen stille zu liegen?» Er antwortete mit einem satanischen Lächeln: «Ich sage ihnen einen Spruch vor und den Namen Sankt Paul, dann liegen sie gleich still.» – «Könnt Ihr mir den Spruch nicht geben», fragte ich, «damit ich auch den Schlangen befehlen könne?» – «Nein», sagte er, «ich habe ihn von einem andern Einsiedler und mit dem heiligen Schwur gelobt, ihn nicht wegzugeben.»

Als ich fragte, warum im Spruch der Name Sankt Paul vorkomme, so entgegnete er, daß der heilige Paulus der Patron der Schlangen sei, und daß alle Tiere ihre Patrone hätten. Wie mir nun der Mönch das gesagt hatte, so fragte ich ihn nach den Patronen von allem, was da kreucht und fleucht. Von den Eidechsen ist die Patronin die heilige Gertrude; dies nimmt mich für sie ein, denn die Eidechsen liebe ich gar sehr; sie haben etwas Graziöses und Mädchenhaftes, auch lispeln sie mit dem Zünglein auf die allerliebste Weise. Sankt Antonius ist der Patron der Fische, die heilige Agathe die Patronin der Löwen, die heilige Agnes die der Lämmer.

So hatte ich also richtig geahnt, daß dieser Eremit ein Schwarzkünstler sei, und ich glaube, er treibt noch andere dunkle Sachen im Mondschein auf den Ruinen und an den Klippen mit Kräutern, Wurzeln und schädlichem Gewürm.

 

Wir haben wahrlich vergessen, daß es auf dem Eiland noch ein zweites Städtchen, Ana-Capri, gibt. Dies ist kein Wunder, denn wer auf Unter-Capri lebt, hört und sieht von jenem Orte nichts. So sehr hat ihn die Natur von allem Verkehr abgeschieden. Man sieht eben nur die steile Felsenstiege, welche dort hinaufführt, und deren Beschwerlichkeit nicht zum Steigen reizt; und so möchte es nicht leicht irgendwo die gleiche Sonderbarkeit geben, daß zwei Städte auf einem und demselben Eiland, deren Entfernung auf ebenem Boden wenig mehr als eine Viertelstunde betragen würde, so gänzlich voneinander gesondert sind, daß ihre Bewohner nur selten miteinander verkehren, an ihren Festen selten teilnehmen und selbst einen verschiedenen Dialekt reden.

Die Liebe, so erzählt die Sage, war die Gründerin von Ana-Capri. Ein junges Paar entfloh in alten Tagen aus der Unterstadt, erstieg die schroffen Felsen der obern Insel und baute sich dort im Gebüsch hoch oben am Fuße des Solaro eine Einsiedelei. Seitdem folgten andere Verliebte, und so entstand mit der Zeit diese Kolonie der Liebesgötter, welche jetzt Ana-Capri heißt.

Und auch heute fliegt der beschwingte Amor wie ein Bergfalke herüber und hinüber von Capri nach Ana-Capri und leiht dem Jüngling seine Flügel, welcher eins jener wilden und schönen Mädchen liebt, die oben in ihrem kleinen Hause unter Rebenranken am Webstuhl sitzen, seidene Bänder weben und Lieder singen, wie Circe in der Odyssee.

So ist also Ana-Capri von der untern Insel geschieden, daß nirgends ein Weg nach oben führt als jene 560 Stufen hohe Jakobsleiter. Denn plötzlich steigen die Felsenwände, steil und senkrecht wie Mauern, in den wildesten Formen über dem unteren Capri auf und bilden gleichsam die gigantische Wand, über welcher, dem Dach einer Basilika gleich, der Berg Solaro sich lagert und auf seiner Senkung das weltabgeschiedene Volk und die Stadt Ana-Capri trägt, gleichsam ein Volk von Eremiten. Im Zickzack führt die in den lebenden Stein gehauene Stiege an dem scharfen Felsenrande aufwärts und endet oben an der Plattform. Man schreibt dies sonderbare Werk den ältesten Zeiten zu, als Phönizier oder Griechen die Oberstadt anlegten, denn nur auf dieser Stelle ist eine Verbindung mit der Oberstadt möglich. Man sieht auch noch Spuren der ältesten Stiege. Auf der Hälfte dieses Wegs steht die kleine Kapelle des heiligen Antonius, wo man Odem schöpfen kann, denn man erreicht die Höhe nicht, ohne entatmet zu sein. Aber die unvergleichliche Fernsicht von der Plattform, Capo di Monte genannt, belohnt die Mühe reichlich, da man den ungeheuern Fels mit seiner breiten Brust und den schwebenden Bäumen, welche hängenden Gärten der Semiramis gleichen, frei in die Luft ragen sieht und unter sich den Anblick von ganz Nieder-Capri und den Prospekt in beide Meere hat. Hoch über der Plattform steigt der Solaro, von wüstem, grauem Gestein überdeckt, noch einige hundert Fuß empor und trägt auf einer scharfen Kante die schönen Ruinen des Kastells Barbarossa, welches seinen Namen von dem berühmten Korsaren führt, der einst Capri zerstörte.

Sobald man wenige Schritte auf der Plattform weiter geht, breitet sich vor den Augen eine neue und fremde Welt aus. Der Berg Solaro, das Ebenbild des Monte Pellegrino von Palermo, gipfelt sich hier steil empor; er ist ganz öde und mit zahllosen Felsblöcken wie mit Trümmern bedeckt. Gegen Westen und Norden senkt er sich zur größten Ebene nieder, welche die Insel besitzt, und auf dem schrägen Abhange steht hoch über dem Meer, unter grünen Bäumen und blühenden Gebüschen, Ana-Capri.

Die kleinen, originell gebauten Häuser dieses Städtchens liegen in Gärten zerstreut; und hier gibt es viel Ölbäume und sehr viel Reben, die nach campanischer Art um die Bäume ranken. Die Luft ist rein und balsamisch, aber die Sonnenglut wirkt um so stärker auf der schiefen Ebene. Blickt man auf diesen malerischen Ort, auf diese seltsame sonnverbrannte Felsenöde über ihm, in die grenzenlose Stille des blauen Meers in allen Fernen, so möchte man hier den Wanderstab in die Erde stecken und der Welt Lebewohl sagend seine Eremitenzelle bauen.

Hier ist es noch stiller als in Capri. Man sieht nur Menschen, welche singend arbeiten, vor der Türe am Webstuhl sitzen oder die Spindel mit der gelben Seide drehen, oder im Garten graben und die Maulbeerblätter für den Seidenwurm abpflücken, oder solche, die mit dem Wasserkrug auf dem Kopf daherkommen. Weil die Männer draußen sind und, da es Sommer ist, viele Jünglinge auf den Korallenfang nach Afrika oder Korsika gezogen sind, sieht man hier fast nur Frauen. Es scheint, wir seien zu den Weibern von Lemnos gekommen, welche männerlos auf ihrem Felsen sitzen, endlose Gewebe webend.

An den Tagen und Stunden, wo die Barken von Neapel heimkommen, fand ich bisweilen über der Stiege eine Schar Mädchen sitzen, oft mehr als dreißig, viele von seltner Schönheit. Plaudernd saßen sie um die Felsen und spähten den nahenden Segeln entgegen, um dann an den Strand hinabzusteigen. Ich setzte mich unter sie und blickte nicht minder sehnsüchtig über den Golf auf das weiße Schiff, ob es mir einen Brief in diese Einsamkeit herüberbrächte. Fast alle hatten sie einen Strauß in der Hand oder einen Zweig Basilikum, durch die Blume zu bitten; Antoniella aber hielt den prächtigsten Strauß vor sich von Basilikum, Nelken, purpurroten Rosen und Myrten, mit einem bunten Band kunstvoll in Schleifen zugebunden. Dieser Strauß wurde das Sinnbild unserer Freundschaft und der Schlüssel zu dem reizendsten Weberhäuschen in Ana-Capri, wo ich manche Stunde mit den naivsten Naturkindern verbracht habe.

Antoniella webte in einer Gartenkammer, ganz im Grün unter Weinlaub und blühenden Oleandern, und sie war flink und geschickt wie die Spinnerin Arachne; ihre ältere Schwester webte neben ihr weißes Baumwollenband, sie aber ein buntgemustertes. Sie verstand nicht auf der Maultrommel zu spielen, aber desto geübter schlug sie die Handpauke. Ihre Brüder waren draußen auf dem Meer.


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