Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Die Villa Malta in Rom

und ihre deutschen Erinnerungen

1888

Die Villa Malta hätte wohl verdient, deutsches Eigentum zu bleiben, denn manche vaterländischen Erinnerungen haften an ihr. Vierzig Jahre lang ist sie das römische Sanssouci des kunstliebendsten aller deutschen Fürsten gewesen. Ludwig von Bayern hat dort oftmals Hof gehalten, nicht mit besternten Diplomaten, sondern mit lebensfrohen und talentvollen Künstlern. Nun aber sind auch die letzten Veteranen seiner Tafelrunde dahingegangen, die Villa selbst ist das Besitztum eines russischen Edelmannes geworden, und bald wird ihre deutsche Vergangenheit eine Legende sein. Darum will ich ihr ein paar Blätter des Andenkens widmen und sie ganz ernsthaft wie ein historisches Monument behandeln.

Der Ursprung der Villa Malta ist sehr vornehm; ihr Stammbaum wuchs in den Gärten des Lukull.

Ehe Aurelian Rom mit neuen Mauern umgab, lagen die nördlichen Hügel der Stadt im Freien, wie heute die Villa Borghese und die Monti Parioli. Sie waren immer ein beliebter Gartenbezirk. Die gesunde Luft, die Nähe der Weltstadt, die herrliche Aussicht auf diese wie auf die großartige Landschaft lockten die Römer, dort Weinberge und Landhäuser, und dann auch prachtvolle Villen anzulegen. Solche erstreckten sich vom Esquilin und Viminal bis zur Porta Flaminia. Man nannte Kunstgärten mit den dazugehörenden Gebäuden Villae oder auch Horti, und davon erhielt jenes Hügelland (der heutige Pincio) den Namen Collis Hortorum. Nach dem Quirinal hin begrenzte dasselbe die Villa des Geschichtschreibers Sallust (Horti Sallustiani); gegen die Via Flaminia dehnte sich eine Reihe schöner Parkanlagen aus mit Prachtgebäuden und Kunstsammlungen, die Gärten des Lukull, des Pompejus und der Domitier. Lukullus war der erste Römer, welcher auf dem Pincio eine Villa von unvergleichlicher Schönheit baute. Sie lag auf der Strecke, die heute durch Santa Trinità dei Monti, Via Sistina und Capo le Case bezeichnet wird. Zur Zeit des Claudius gehörte sie dem Konsular Valerius Asiaticus, welchen Messalina in den Tod trieb, um sein Landhaus zu besitzen. Tacitus erzählt, daß vor den Augen des Verurteilten der Scheiterhaufen aufgetürmt wurde, aber daß der Sterbende den Befehl gab, ihn an einer andern Stelle zu errichten, wo der Feuerqualm die Baumgruppen seiner geliebten Villa verschonen konnte.

Diese wurde jetzt das Lusttheater für die Ausschweifungen der Messalina, und hier ereilte sie auch die strafende Nemesis. Als Claudius die Kaiserin umzubringen befahl, fanden sie seine Centurionen auf der Erde liegend, den Dolch in der zarten Hand, doch mutlos, sich selbst den Todesstoß zu geben. Ein Tribun erstach sie. Die Villa kam hierauf an den kaiserlichen Fiskus, und dort schwelgten die schreckliche Agrippina und ihr Sohn Nero. Sie blieb Eigentum der Kaiser, die sich fast aller großen Villen der Stadt bemächtigten. Noch im 4. Jahrhundert behauptete sie ihren Ruf gleich den Horti Sallustiani. Weil die Westgoten Alarichs diese durch Feuer zerstörten, mag auch jene in demselben Jahre 410 das gleiche Los getroffen haben.

In der letzten Kaiserzeit war sie in tiefem Verfall. Sie gehörte dem Senatorengeschlecht der Pincii, deren Name auf den ganzen Gartenhügel überging. Die Domus Pinciana, der letzte Rest der Villa Lukulls, war zur Zeit Theoderichs so ruiniert, daß dieser von dorther Marmor nach Ravenna schaffen ließ zum Bau seiner Residenz. Weil damals noch Kunstschätze der alten Villa übriggeblieben sein mußten, so wird der Gotenkönig auch davon manches nach Ravenna entführt haben. Noch tausend Jahre später fand man im Schutte der Lukullischen Gärten den messerschleifenden Skythen, welcher zu einer Marsyasgruppe gehört zu haben scheint. Jeder kennt ihn aus der Tribuna der Uffizien in Florenz.

Im Hause der Pincier hatte noch Belisar sein Hauptquartier, als er Rom gegen die Goten verteidigte; und so endigte mit seiner Heldengestalt die antike Geschichte Roms eigentlich in jenen Gärten des Lukull. Denn nach den Gotenkriegen senkte sich die tiefe Nacht der Barbarei auf die verödete Stadt.

Den Mons Pinzi des Mittelalters bedeckte jahrhundertelang geschichtloses Dunkel. Da er außerhalb des täglichen Verkehrs und des Lebens der Stadt lag, und dieses sich von den Höhen immer mehr in das Marsfeld nach dem Tiberflusse hinunterzog, so blieb der Hügel der Gärten seiner Verwilderung überlassen. Weinberge, Gemüsefelder, Gebüsche, Nachkömmlinge der antiken Horti, reichten bis zur heutigen Piazza di Spagna hinab. Die Trümmer der alten Villen luden, wegen ihrer entfernten Lage, keine Barone ein, dort ihre Türme aufzubauen. Allein sie dauerten in jener Wildnis lange fort, denn noch auf dem Stadtplan Buffalinis (um 1551) sind im Bezirk der Kirche Santa Trinità und der Via Sistina große Ruinen verzeichnet, die der Domus Pinciana müssen angehört haben. Von unten herauf, wo die Straße Capo le Case liegt, führte seit alter Zeit ein Weg, die Via Pinciana, zu dem gleichnamigen Tore, welches erst im vorigen Jahrhundert verschlossen wurde.

Am Ende des 15. Jahrhunderts ließ Karl VIII. von Frankreich die Kirche Santa Trinità dei Monti errichten, und seit dieser Zeit belebte sich der Hügel der Gärten wieder. Er wurde sogar seiner alten Bestimmung zurückgegeben, denn einige prachtvolle Villen des neuen Rom entstanden in der Spätrenaissance auf ihm. Der Kardinal von Montepulciano erbaute die Villa Medici, welche der Papst Leo XI. noch als Kardinal erwarb, dann der Großherzog von Toskana erhielt, endlich die französische Regierung während der Revolution sich aneignete. Im 17. Jahrhundert errichtete der Kardinal Ludovico Ludovisi die großartige Villa seines Namens, deren Park sich bis zum eigentlichen Pincio längs der inneren Seite der Stadtmauern fortzog. Auf dem westlichen Rande des Zirkus der Sallustischen Gärten bauten auch die Massimi ein reizvolles Landhaus. Den Abschluß aller dieser modernen Anlagen machte der öffentliche Garten des Pincio, der zur Zeit Napoleons entstand und erst unter Pius IX. seine heutige Gestalt erhielt.

Die Villa Malta also ist ein Ableger aus den Gärten des Lukull. Sie steht auf der höchsten Erhöhung des Pincio unweit der Porta Pinciana, zwischen den Villen Medici und Ludovisi, und ist so tief versteckt, daß von der Via Sistina her nicht einmal ihr Turm sichtbar wird. Sie war niemals eine Sehenswürdigkeit Roms; in keiner Stadtbeschreibung wird ihrer gedacht, in keinem Album römischer Bauwerke ist sie abgebildet. Erst im 18. Jahrhundert erscheint sie als ein Garten, Giardino del Pino, von einem Pinienbaum so genannt.

Sie hieß auch Giardino di Malta. Dieser Name, größer und stolzer als die Namen Medici und Ludovisi, scheint anzudeuten, daß sie einst ein Besitz des Ordens der Malteser gewesen ist. Man hat sie auch bis heute für eine alte Sommerwohnung dieser Ritterschaft gehalten. Allein das kann nicht erwiesen werden. Auf meine Bitte ließ einer der edlen Kavaliere, der Marchese Giacomo di Pietramellara, im Mai 1886 das Archiv des römischen Ordenshauses nach Urkunden, die Villa Malta betreffend, durchsuchen, und es hat sich deren keine vorgefunden. Auch in der Villa selbst ist niemals das Wappen der Malteser gesehen worden. Die Entstehung des Namens ist daher noch heute rätselhaft.

Im 18. Jahrhundert war das Landhaus Eigentum des französischen Klosters Santa Trinità in seiner Nähe. Die Mönche dort besaßen in ihrem Bezirk Weinberge und Gärten, und zu diesen muß auch jenes Grundstück gehört haben. Sie selbst erbauten wohl das einfache zweistöckige Kasino mit einem kleinen viereckigen Turm, von welchem man die schöne Aussicht genießen konnte. Fast alle römischen Landhäuser dieser Art sind mit einem solchen Belvedere versehen. Der Baustil der Villetta di Malta deutete höchstens auf das 17. Jahrhundert zurück.

Am 5. Juli 1764 verlieh das Kloster dies Grundstück in Emphyteuse bis zur dritten Generation der römischen Familie Parinegiani gegen einen Jahreskanon von 150 Skudi (750 Francs). Das ist das älteste beglaubigte Datum in der Geschichte der Villa. Sie wechselte schnell ihre Pächter: noch im 18. Jahrhundert kam sie an den Grafen Domenico della Torre, und von ihm an den Ritter Giuseppe Antonio Celani. Schon diese Besitzer vermieteten, wie vor ihnen die Mönche selbst, die Räume der Villa als Wohnungen, auch an Künstler zu Ateliers.

Der durch seine Luft gesunde, stille und ländliche Pincio war schon seit langer Zeit ein Maler- und Bildhauerviertel besonders für deutsche Künstler. Diese haben mit Vorliebe in den dortigen Straßen gewohnt, in der Via Felice und Sistina, in der Via Gregoriana, S. Isidoro, Purificazione, Capo le Case, und auf der Piazza Barberini.

Die Geschichte der deutschen Ansiedlungen in Rom ist noch zu schreiben, und sie wird hoffentlich einmal geschrieben werden. Sie beginnt wesentlich mit den Kolonien der Langobarden, Franken und Sachsen, die sich seit dem 8. Jahrhundert im vatikanischen Borgo gebildet hatten. Die Kirche und das Kaisertum haben während des Mittelalters Scharen von Deutschen nach Rom gezogen. Manche deutsche Männer dienten den Päpsten als Sekretäre und Skriptoren.

Theoderich von Niem aus Westfalen, einer der Stifter der deutschen Nationalkirche dell'Anima in Rom, hat sich als Geschichtschreiber des großen Schisma im 14. Jahrhundert unsterblich gemacht, und jedermann kennt die Bedeutung des Elsässers Burckhard, des Zeremonienmeisters Alexanders VI., auf dessen und der Borgia Privatleben sein berühmtes Diarium ein so grelles Licht geworfen hat.

Der Glanz Roms unter den Päpsten der Renaissance, welche die Ewige Stadt mit monumentalen Kunstwerken ausstatteten und durch die Sammlung der vatikanischen Bibliothek die Wissenschaften förderten, lockte viele deutsche Gelehrte dorthin. Erasmus und Reuchlin, Kopernikus, Agrikola, Dalberg, Celtes, Hutten und andere besuchten dies Zentrum der humanistischen Bildung, und um den berühmten Luxemburger Goritz sammelte sich ein Kreis von deutschen Dichtern, welche sich in Rom einbürgerten.

Es ist auffallend, daß in der zahlreichen römischen Kolonie von Deutschen während der Renaissance nur Dichter und Gelehrte, aber keine bedeutenden Künstler sichtbar wurden, und das nicht einmal in der Zeit, ehe die lutherische Reformation ihren erbitterten Kampf gegen das päpstliche Rom begann. Albrecht Dürer, der größte und vielseitigste Künstler der deutschen Renaissance, lebte, von seinem Nürnberger Gönner Wilibald Pirkheimer unterstützt, ein Jahr lang (1505) in Venedig, von wo aus er Bologna besuchte, aber er hat Rom nicht gesehen. In seinem letzten Briefe aus der herrlichen Dogenstadt seufzte er: «Wie wird mich nach dieser Sonne frieren; hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer.» Ein Verlangen, Rom zu besuchen, hat er nicht ausgesprochen; sein deutsches Wesen ist nicht durch Italien beeinflußt worden.

Selbst Hans Holbein, der unter allen deutschen Malern den am meisten an die italienische Kunst erinnernden Sinn für Form und Schönheit besaß, hat sich nur in der Lombardei, namentlich in Mailand, aufgehalten, zu einer Zeit, wo Leonardo da Vinci nicht mehr dort lebte. In Rom ist Holbein nicht gewesen, wenigstens haben wir keine Kunde davon. Er hat dann bekanntlich lange in England gelebt. Es werden aber doch manche niederländische, fränkische und schwäbische Maler auch in den Werkstätten Raffaels und Michelangelos in Rom studiert haben.

Die Reformation unterbrach die friedlichen Wallfahrten der Deutschen nach der Ewigen Stadt. Nach dem Dreißigjährigen Kriege stellten sich jene Beziehungen langsam wieder her. Doch erst seit Raffael Mengs, welcher im Jahre 1741 nach Rom kam, hat sich die Niederlassung deutscher Künstler hier ununterbrochen fortgesetzt.

Die Villa Malta muß solchen schon damals, und lange bevor sie namhaft geworden war, zu ihren Werkstätten gedient haben. Die älteste deutsche Erinnerung an den «Garten von Malta» ist aber doch erst an Goethe geknüpft. Er nennt zwar diesen Namen nicht, aber er hat die Villa ohne Zweifel gekannt. Die Tradition erzählt, daß die größte der drei Palmen des Gartens von Goethe gepflanzt worden sei. Er selbst sagt in seiner «Italienischen Reise», daß er kurz vor seinem Scheiden von Rom (im April 1788) Dattelpflanzen, die er aus Kernen gezogen, einem römischen Freunde übergeben habe, von dem sie in einen Garten der Sixtinischen Straße versetzt worden seien, «wo sie noch am Leben sind, und zwar bis zur Manneshöhe herangewachsen, wie ein erhabener Reisender mir zu versichern die Gnade hatte. Mögen sie den Besitzern nicht unbequem werden und fernerhin zu meinem Andenken grünen, wachsen und gedeihen».

Der Garten an der Sixtinischen Straße kann nur jener von Malta gewesen sein; Goethe, der keinen schönen Aussichtspunkt unbeachtet ließ, muß ihn aufgesucht haben. Sein römischer Freund war vielleicht ein deutscher Künstler, der dort sein Atelier hatte, und der Besitzer des Kasinos im Jahre 1788 konnte der Graf della Torre sein.

Bald nach Goethe traf Herder zum Besuche in Rom ein. Es gibt keinen größeren Kontrast als Herder und Goethe in Rom. Dieser lebte dort in menschlich schöner Freiheit; Herz und Seele, die Flügel des Genius, wuchsen ihm empor, und die Sonne Roms gab seinen Idealen die klassische Reife. Jener kam dorthin am 10. September 1788 als «Appendix» launenhafter Freunde, Dalbergs und der Frau von Sekkendorf. Im Anfange des Oktober kam auch die Herzogin Amalie. Herder fand, daß er «zwischen den Weibern garstig in der Mitte sei». Er sah sich in Rom um allen Genuß betrogen. Dem Kardinal-Staatssekretär Buoncompagni und dem Senator Rezzonico wurde er als «vescovo di Weimar» vorgestellt. Welche seltsame Figur mußte ein «vescovo di Weimar» in Rom machen! Er verkehrte mit dem alten Reiffenstein, mit Zoega und Moritz, und mit Angelika Kauffmann. Der verdrießliche, krankhafte «Bischof» konnte der Ewigen Stadt nichts abgewinnen. Er begriff dort nur die Schattenseiten, die Pfaffenwirtschaft, die Nichtigkeit der Gesellschaft, das tote Meer der Wissenschaften, die falsche Weisheit und taumelnde Unwahrheit. Erst in Neapel, wohin er zu Neujahr 1789 mit der Herzogin Amalie ging, lebte er auf. Beide kehrten am 20. Februar nach Rom zurück. Und damals hat Herder mit der Fürstin in der Villa Malta gewohnt. Er verließ die Ewige Stadt am 15. Mai 1789. Seinen Aufenthalt dort hat Haym geschildert: «Herder nach seinem Leben und seinen Werken» (Bd. 2, 1885).


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