Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Mein Freund Dr. Erhardt in Rom besitzt ein altes Festprogramm der deutsch-römischen Künstlerschaft, welches sehr ergötzlich und durch die in ihm auftretenden Persönlichkeiten heute besonders wertvoll ist. Es ist auf vergilbtem Papier mit den guten Schriftzügen unserer Väter geschrieben und lautet so:

 

«Senatus Consultus.

Nachdem der Rath die ihm vorgelegten Ansprüche auf einen zu haltenden Triumph in Berathung gezogen und die Verdienste eines jeden reiflich erwogen hat, so bewilligt derselbe kraft dieses Rathschlusses, den Nachstehenden die Ehre eines feierlichen Triumphes, und zwar jedwedem nach dem Maße seines Verdienstes in der von unsern Vorfahren herkömmlichen Weise:

  1. Als dem Cav. von Thorwaldsen
    einen skandinavischen, deutsch-gotischen Triumph.
  2. Dem Baron von Stackelberg
    einen griechischen, orientalischen, deutsch-russischen Triumph.
  3. Dem Herrn von Kestner
    einen deutsch-englischen Triumph.
  4. Dem Herrn Byström
    einen gotischen, französisch-englischen Triumph.
  5. Dem Herrn Eggers
    einen deutsch-mecklenburg-schwerin-preußischen Triumph.
  6. Dem Herrn Launitz
    einen deutsch-russischen, kur- und livländischen Triumph.
  7. Dem Herrn Koch
    einen wiener Triumph.
  8. Dem Herrn Thürmer
    ein (!) Ovation über Konstantinopel und Griechenland.
  9. Dem Herrn Stier
    ein Ovation über Sicilien.

Die von den Triumphirenden zu hinterlegenden Gelder haben die Quästoren in Empfang zu nehmen und davon die Kosten zu bestreiten. Die Anordnung des Triumphes bleibt jedoch den curulischen Aedilen überlasen.

S. C.»

 

Der deutsch-englische Triumphator Kestner, der Sohn der Lotte Buff, war erst seit 1817 hannoverischer und englischer Diplomat in Rom, und der berühmte Landschaftsmaler Koch hatte sich von 1812 bis 1815 in Wien aufgehalten und dort durch seine Gemälde Aufsehen erregt. Otto von Stackelberg, der mit Bröndstedt Griechenland bereist hatte und sich hauptsächlich als archäologischer Forscher und Tourist einen Namen machte, wählte seit 1816 Rom zu seinem Aufenthalt. Demnach wird jener Triumph etwa diesem Jahre angehören.

An solchen frohen Festen auf den klassischen Gefilden der Ewigen Stadt nahmen alle deutschen Künstler ohne Unterschied ihrer Richtung teil. Der Kronprinz Ludwig versäumte sie nicht, sooft er in Rom war, und die Künstler selbst veranstalteten solche für ihren vergötterten Schutzherrn. Im Frühjahre 1818 gaben sie ihm zum Abschiede ein besonders glänzendes, welches Cornelius, schon im Begriffe, seinem Rufe nach München zu folgen, in einem Garten vor der Porta del Popolo, mit künstlerischem Geschmack einrichtete. Es machte Aufsehen selbst im Auslande, wo die Zeitungen davon wie von einem Ereignis berichteten. Es ist in der Lebensbeschreibung Bunsens von dessen Witwe und auch vom dänischen Dichter Atterbom, welcher gleich Rückert dabei war, beschrieben worden.

Das Jahr 1818 bezeichnet ein neues Datum in der Geschichte der Villa Malta, denn am 18. März desselben überließ sie ihr letzter römischer Besitzer Celani dem schwedischen Bildhauer Johann Niclas Byström. Dieser Zeitgenosse Thorwaldsens, mit dem er vergebens, doch nicht ruhmlos, um die Palme des Künstlers rang, war in Stockholm der Schüler Sergells gewesen und, mit einem Preise der Akademie gekrönt, 1810 nach Rom gekommen. Hier entwarf er sein erstes ausgezeichnetes Werk, eine trunkene Bacchantin, welchem im Laufe der Zeit viele andere folgten, teils in Rom, teils in Stockholrn ausgeführt, wo er auch eine Reihe von Monumentalfiguren schwedischer Könige schuf. Wie der große Däne hatte sich auch der Schwede Byström an die Deutschen in Rom angeschlossen, und auch er war bei jenem prachtvollen Feste zu Ehren Ludwigs zugegen gewesen.

Byström richtete sein Atelier in der Villa ein, vermietete aber noch ihre Räume an Fremde, oder ließ solche dort wohnen, bis ihr Termin abgelaufen war. Im Herbste 1818 wohnte daselbst der hannoverische Gesandte Baron von Reden, während sein Legationssekretär Kestner das ehemalige Humboldtsche Quartier in der Via Gregoriani innehatte. Reden gestattete der Malerin Luise Seidler, in dem schattigen Garten zu malen. Byström verbesserte die Villa und ihre Gartenanlagen. Deshalb bewilligte ihm das Kloster Santa Trinità am 13. Februar 1823 einen neuen Kontrakt, wodurch die Pacht auf ewige Zeit ausgedehnt, der Jahreszins auf 160 Skudi festgestellt wurde. Erst Byström setzte die Villa Malta mit der Via Sistina in Verbindung. Um dies zu tun, kaufte er dort im Jahre 1825 zwei Häuser von de Amicis und Lizzani und legte einen Eingang von der Straße an, indem er eine gewundene Treppe (a cordonata) bauen ließ.

Im November 1820, dann im Mai 1821 kam der Kronprinz Ludwig wiederum nach Rom. Er stand hier mit Byström in persönlichem Verkehr und besuchte seine an Kunstschöpfungen reiche Werkstätte in der Villa Malta. Schon damals war in ihm der Wunsch entstanden, diese zu erwerben; und wohl war es Wagner, der ihm solchen Vorschlag machte, um den geliebten Prinzen an Rom zu fesseln. Byström wurde oft nach Stockholm gerufen, wo er sich im Tiergarten ein schönes Landhaus anlegte, und auch in Rom selbst baute er sich auf dem Pincio, seitwärts von der Spanischen Treppe, das noch heute wohlbekannte Haus, welches von seiner freien Lage «A quattro venti» genannt wird. Er entschloß sich zum Verkauf der Villa erst im Jahre 1827, als Ludwig schon König war.

Wagner, welcher seit 1818 an Stelle des Bildhauers Eberhard die Privatangelegenheiten des Fürsten in Rom besorgte, war sein Bevollmächtigter bei diesem glücklichen Erwerbe. Die Summe betrug für die Villa an sich 9000, für ihr Mobiliar 3000, für die beiden Häuser in der Sistina 10 000, im ganzen 22 000 Skudi oder 110 000 Fr. Die Zahlung sollte in 15 Raten, vom Oktober 1827 bis zum Dezember 1828 geleistet werden; der an das Kloster schuldige Kanon blieb vorerst auf dem Besitze haften, um später abgelöst zu werden. Am 7. Februar 1827 wurde der Vertrag in München vom Könige bestätigt und am 14. April in Rom vollzogen. Das Notarinstrument, welches vom Doktor Leopoldo Angelucci ausgefertigt ist, hat mir durch die Güte des heutigen Eigentümers der Villa in einer Abschrift vorgelegen, und ihr entnahm ich auch die wesentlichen geschichtlichen Nachrichten über jene.

Sein römisches Besitztum bezog der König zum ersten Male im Anfange des Jahres 1829. Dies war ein glänzender Festtag für ihn und seine künstlerischen Paladine. In demselben Winter befand sich in Rom der geistvolle Kronprinz von Preußen, dessen Empfänglichkeit für künstlerische Ideale den Neigungen Ludwigs verwandt war. Der römische Aufenthalt Friedrich Wilhelms veranlaßte die Gründung des Archäologischen Instituts durch Bunsen und Gerhard. Während die rühmlichen Bestrebungen unserer Künstler es nicht vermochten, dort in einer deutschen Akademie einen dauernden Mittelpunkt zu finden, gelang dies unsern Archäologen. Die weltberühmte Anstalt auf dem Kapitol, eine Nachwirkung des Geistes Winckelmanns, wurde mehr als zufällig in den Schutz Preußens gestellt. Sie dauert noch heute als wissenschaftliche Schule des Deutschen Reiches fort, aber sie hat seit kurzem jenen großen internationalen Charakter verloren, welchen die Gründer diesem Institut gegeben hatten.

Da Preußen damals noch nicht den Palast Caffarelli erworben hatte, war Ludwig der einzige deutsche Fürst, der in Rom ein Grundstück besaß und deshalb römischer Bürger war. Sein Besitztum war sehr bescheiden, im Vergleich zu den glänzenden Villen, in deren Mitte es versteckt lag, der Villa Medici, wo die französische Akademie ihren Sitz hatte, und der Villa Ludovisi, wo in dem schönsten Parke Roms eine der berühmtesten Antikensammlungen aufgestellt war. Aber ihre idyllische Verborgenheit gab der Villa Malta einen hohen Reiz. Sie erfüllte vor allem den Zweck, dem Könige als stilles Absteigequartier zu dienen, sooft er nach Rom kam, um dem rauhen Norden zu entfliehen, um «seine Ketten abzulegen», auszuruhen und mit Künstlern selbst Künstler und Mensch zu sein. In einem Distichon hat er das so ausgedrückt:

Wie wert bist du mir, liebes Asyl, wo endlich den Menschen
    Findet der König aufs neu, welchen daheim er verlor.

Entweder lebte noch Leo XII., oder Pius VIII. war eben seit dem 31. März 1829 auf den Heiligen Stuhl gestiegen, als Ludwig seine Villa zu bewohnen kam. Sie erhielt zum ersten Male die Ehre eines päpstlichen Besuches als Erwiderung dessen des Königs im Vatikan. Das wiederholte sich, sooft derselbe in Rom war. Für solche päpstliche Auffahrten wurde, mit etwas verschämter Erinnerung an die Fahrten römischer und byzantinischer Cäsaren, vom Spanischen Platze bis zum Eingange des Landhauses eine Wegespur von Goldsand gestreut, über welcher dann der Papst in seiner Karosse mit den Nobelgarden und anderm Gefolge einherzog. Er konnte dort, auf der alten Stätte Lukullischer Schwelgereien, die spartanische Bedürfnislosigkeit des Königs mit mehr Takt bewundern, als ein reicher römischer Emporkömmling gezeigt haben soll, von welchem man erzählt, daß er dem Könige einmal ins Gesicht gesagt habe: «Sire, dies ist keine Villa, sondern nur ein Krautgarten.»

In Wahrheit, jeder Freigelassene der Messalina würde sich geweigert haben, ein so dürftiges Haus zu bewohnen. Die Villa fuhr fort zu sein, was sie schon vorher gewesen war, ein genial vernachlässigtes Künstlerheim. Die wiederholten Beschwerden Wagners, daß die Möbel abgenutzt seien, daß die Decken einzustürzen, die Fußböden sich zu lösen drohten, wurden nicht beachtet, oder der König erlaubte nur die notdürftigsten Herstellungen. Dies war Sparsamkeit und vielleicht auch Künstlerlaune.

Die berühmten Künstler jener Zeit lebten in einer Einfachheit, welche heute unerhört sein würde. Die enge Wohnung des großen Thorwaldsen war so ärmlich ausgestattet, daß er seinen Besuchern kaum einen Stuhl anzubieten hatte. Als ihm aber eines schönen Tages Frau Buti ein Kanapee anschaffte, dünkte er sich fürstlich eingerichtet. Die patriarchalische Einfachheit seines Asyls wollte sich der König Ludwig durch keine Standesrücksichten stören lassen. Es geschah einmal in späteren Jahren, daß sein Sohn Maximilian die Villa heimlich mit besseren Möbeln versehen ließ; kaum erblickte sie der König, so befahl er, diesen überflüssigen Luxus zu entfernen. Er hatte sich ein Arbeitszimmer eingerichtet, wo er den Morgen zubrachte. Der Nachmittag wurde zu Wanderungen in Rom, der Abend zu geselligen Zusammenkünften mit Künstlern in der Lorbeerlaube oder im obern Saale verwendet.

Im «Leben Thorwaldsens» von Thiele wird erzählt, daß der König im Jahre 1829, kaum in sein Landhaus eingezogen, die alte ungezwungene Lebensweise wieder aufnahm. Bisweilen kam er die Villa herab in die Via Sistina und rief zum Hause des Künstlers hinauf, ihn zum Mittagessen einzuladen. In der spanischen Weinschenke des Don Raffaele de Anglada auf Ripa Grande am Tiber suchte er seinen gewohnten Platz auf, der am Tisch durch einen festgenagelten falschen Bajacco bezeichnet war. Die erheiterte Gesellschaft stieg einmal auf diesen Tisch und brachte Dom Miguel ein Pereat aus. Man sieht in der Neuen Pinakothek Münchens eine Szene in jener Weinschenke dargestellt: Ludwig sitzt in einem langen, grünen Rock auf dem äußersten Ende der Bank und winkt dem stämmigen Wirte zu, welcher, einen hohen Zylinder auf dem Kopf, eine Weinflasche in jeder Hand, gravitätisch herbeikommt. Um den Tisch sitzen Thorwaldsen, Philipp Veit, Julius von Schnorr, Klenze, Wagner und Catel, sodann der Graf Seinsheim, Ludwigs Jugendfreund und beständiger Begleiter, der Hofmarschall von Gumppenberg und der Doktor Ringseis. Franz Catel, ein trefflicher Landschaftsmaler, ein wohlhabender und wohlgebildeter Mann, dessen sich alle meine Zeitgenossen in Rom gern erinnern werden, ist der Verfertiger dieses Bildes; er hat sich selbst auf ihm, die Gruppe in ein Skizzenbuch zeichnend, dargestellt. Da auf der Rückseite des Bildes das Datum des 29. Februar 1824 eingeschrieben ist, so gehört die heitere Szene noch der Zeit an, wo Ludwig Kronprinz war. Aber solche fröhliche, immer maßvolle Symposien wurden auch später von ihm fortgesetzt. Er besuchte auch die Osteria am Theater des Marcellus, welche Goethe berühmt gemacht hatte, und dort ehrte er das Andenken des Dichters durch eine Marmortafel. Den Römern war die geniale Laune eines regierenden Fürsten neu, der mit Künstlern umherschwärmte und mit dem Volke wie mit seinesgleichen verkehrte. Seine auffallende Erscheinung, die hagere, bewegliche, gestikulierende Gestalt, seine ganze außerordentliche Art verwunderte sie, bis sie sich daran gewöhnten. Kein fremder Fürst ist in Rom populärer gewesen als er.

Die wenigsten Künstler, die in der Villa Malta aus und ein gingen, besaßen eine Bildung, welche dem Könige genügen konnte. Künstler werden, fast so leicht wie Stubengelehrte eines Spezialfaches, einseitig und deshalb auch eingebildet. Bildung ist etwas Höheres als Wissen. Oft sind stockgelehrte Leute des Katheders ganz ungebildete bleierne Menschen. Künstler aber verfallen um so eher in Dünkel, weil sie zu schaffen suchen, was das Seltenste und der Glanz des Lebens ist: das Schöne. Auch ein Stümper, welcher Farben auf die Leinwand kleckst, wird leicht vom schönen Schein zu dem lächerlichen Wahn verführt, daß er einer auserlesenen Rangordnung schaffender Geister angehört. Nur der wahrhaft schöpferische Künstler vermag den Abstand zu messen, in welchem auch das gelungenste Werk von der Natur steht. Je größer er selber ist, desto bescheidener wird er sein.

Niebuhr klagte einmal, daß der Kronprinz Ludwig solchem Dünkel zuviel Nahrung gebe. Wenn er selbst als Gesandter Preußens während seines Aufenthalts in Rom bis 1823 mit den deutschen Künstlern, namentlich mit Cornelius, Overbeck, Platner und den beiden Schadow innig verkehrte, so tat er dies weniger aus ästhetischen als aus geselligen Bedürfnissen. Von den Zuständen des geistlichen Rom angewidert, war dieser ausgezeichnete Mann mit dem Kassandragemüt in seiner vorurteilsvollen, verdrießlichen Abgeschlossenheit unfähig, das zu begreifen, was in der edlen Natur der Römer und Italiener immer unzerstörbar und lebenskräftig blieb. Deshalb sagte er einmal: «In der lebendigen Gegenwart haben nur unsere deutschen Künstler Wert, und mit ihnen, soweit die Sphäre reicht, versetzt man sich wohl auf Stunden in ein besseres Volk.» Gleichwohl beschwerte er sich über ihren Mangel an Bildung.

Thorwaldsen war ohne alle Kenntnisse, er wußte von Geschichte und Mythologie nichts. Als ihm Ludwig die Statue Konradins auftrug, erkundigte sich der große Meister erst, wer diese Person gewesen sei. Kestner, der ihm in seinen «Römischen Studien» ein liebevolles Denkmal gesetzt hat, behauptete, daß Thorwaldsen nie ein Buch gelesen, wie Walter Scott nie eine Bildsäule angesehen habe. Er verlernte das Dänische und lernte Italienisch nur notdürftig. Bei manchen Künstlern, wie bei dem ohne Schule aufgewachsenen Cornelius, wurde die mangelnde Erziehung durch das eigene Genie ersetzt, und jeder las wenigstens und lernte etwas Ungewöhnliches in dem immer aufgeschlagenen illustrierten Weltbuche Rom. Andere waren von ihrer Jugend her wohlgeschulte Männer, wie Overbeck, Martin Wagner und der von Originalität sprühende Naturmensch Koch, ein Tiroler Bauer, aber wie Schiller in der Karlsschule erzogen. Mit ihm wetteiferte der Landschaftsmaler Reinhardt, welchem der König Ludwig im Jahre 1829 auftrug, die vier Aussichten der Villa Malta zu malen, wofür ein eigenes Zimmer in München bestimmt werden sollte.


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