Ferdinand Gregorovius
Wanderjahre in Italien
Ferdinand Gregorovius

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Auch im Tal Tragara sieht man antikes Mauerwerk, und hier wollen die Archäologen die Stelle der alten Ephebenschule und die Fundamente der Villa Julia erkennen, welche Augustus zu Ehren seiner verliebten Tochter gebaut haben soll. Auch die Sellaria des Tiberius verlegt man hierher, jenes schändliche Lusthaus, von welchem Sueton erzählt, daß es mit den frivolsten Bildern ausgestattet war. Indes was jene Trümmer bedeuten weiß man nicht, und selbst vor den großen Mauerresten, die über der Tragara bis Tuoro grande in einer gebogenen Linie fortlaufen, kennt man die ehemalige Bestimmung nicht. Man nennt diese Mauer Camerelle, wie einen ähnlichen Überrest in der hadrianischen Villa zu Tivoli. Sie ist teils aus Kalkstein, teils aus Ziegeln fest und stark aufgebaut und zeigt an ihrer Außenseite nebeneinander gereihte Kammern, deren Wölbungen noch zu erkennen sind. Die Meinung Rasarios Mangone, diese Camerelle hätten eine Straße getragen, die zur Villa Tibers hinaufführte, mag wohl richtig sein. Die Straße teilte sich dreifach; die eine wird nach dem Berg Tuoro, die andere nach der Villa auf San Michele, die dritte zu der des Zeus geführt haben.

Über den Camerelle erhebt sich der schöngeformte Hügel San Michele, eine der reizvollsten Höhen des Eilandes, von der man die herrlichste Ansicht auch der untenliegenden Stadt genießt. Über sie ragt das Fort Castello, hoch über diesem stehen die schroffen Felsen des Solaro, zu beiden Seiten grüne Täler und das blaue Meer. Daß auf dem Gipfel San Michele einer der schönsten Paläste des Tiberius stand, sagt schon die Lage dieses Ortes. Man sieht schon am Fuß des Berges mächtige Trümmer, Reihen von gewölbten Kammern, ohne Zweifel die Unterbauten der sanft aufsteigenden Straße. Oben auf der Fläche stehen Gärten und Vignenhäuser auf hohlem Boden, der unter den Füßen klingt und anzeigt, daß unten Gewölbe liegen. Man sieht auch römische Mauerungen in Netzarbeit und mehrere alte Gemächer. Das eine zeigt Spuren einer Kapelle, die dem heiligen Michael geweiht war, und von ihm hat der Berg den Namen. Heute steht ein Kirchlein dieses Heiligen ganz einsam am Berge und zieht durch seine originelle Architektur den Blick auf sich.

Man grub auch auf San Michele manches aus, betrieb jedoch die Nachforschungen hier nicht so eifrig. Der Bauer hat den ganzen Berg nach der Landseite zu terrassiert und mit Ölbäumen bepflanzt; es stoßen aber die Häuser der Stadt hart an die Felsen, so daß man vom Berge auf die Dächer steigen kann. Eines Abends nahm ich so meinen Rückweg, denn mir selber einen Pfad suchend, stieg ich zuletzt von dem Berg auf ein Dach, vom Dach durch das Zimmer auf die Straße.

Die nahe Ostküste der Insel steigt zur Höhe von 970 Fuß auf und stürzt senkrecht ins Meer, so daß auf dem höchsten Uferrand die Villa des Zeus liegt. Hier ist das ganze Ufer von furchterregender Wildheit. Geht man vom Tuoro grande zuerst durch das kleine Tal Matromania nach der südöstlichen Seite, so gelangt man an eine Stelle, wo sich die Küste in einem Winkel von den steilsten Linien zusammenzieht. Da blickt man in einen phantastischen Wald von Felszinken, die das Ufer in greulicher Verwirrung umstarren. Mitten dazwischen öffnet sich ein Fels zu dem prachtvollsten Bogen, dem Arco naturale. Nächst der Blauen Grotte ist er die überraschendste Einzelmerkwürdigkeit der Insel. Tief unten das Meer, schwarz verschattet, hoch oben der Himmel, rings rotbraune Klippen, über dem Meer der magische Anblick des Kaps der Minerva und der Küstenberge von Amalfi und Salerno.

Hier führt eine schroffe Stiege hinab, wo mitten im Ufer eine tiefe, schöne Grotte sich auftut, die rätselhafte Matromania. Sie hat ungefähr 55 Fuß Breite und 100 Fuß Tiefe, ein Werk der Natur, wurde sie doch von Menschenhand erweitert; schon am Eingange sieht man römisches Gemäuer, und im Innern hängt noch Mauerwerk an den Wänden. In der Tiefe erheben sich im Halbkreise zwei Aufmauerungen gleich Sitzen übereinander; mitten hindurch führten Stufen, wahrscheinlich zu der Nische des Gottes, dessen Bildsäule hier aufgestellt war. Alles spricht dafür, daß man die Zelle eines Tempels vor sich habe.

Der Name Matromania, den die Grotte führt und das Volk in bewußtloser Ironie zu Matrimonio verdreht hat, als ob Tiberius hier seine Hochzeiten vollzogen hätte, wird erklärt aus «Magnae Matris Antrum» oder aus «Magnum Mithrae Antrum». Dies Heiligtum war dem Mithras geweiht; denn man fand in der Grotte eines jener zahllosen Reliefs, welche das Mithrasopfer darstellen. In den Studien zu Neapel sah ich zwei dieser Vorstellungen; das eine Relief wurde in der Grotte des Posilip gefunden, das andere in der Matromania. Sie stellen Mithras in persischer Tracht vor, kniend auf dem Stier, in dessen Hals er das Opfermesser stößt, während Schlange, Skorpion und Hund den Stier verwunden. Zu dem mystischen Sonnendienst war diese Grotte Capris wohl geeignet; sie schaut gen Osten, und wer aus ihrer Tiefe Helios aufsteigen sieht und das Purpurglühen der Berge und des Meeres betrachtet, der wird hier wahrlich zum Sonnenanbeter.

In dieser Höhle machte man einen geheimnisvollen Fund, eine Marmortafel mit griechischer Grab-Inschrift, welche also lautet:

Die ihr das stygische Land, ihr guten Dämonen, bewohnet,
Nehmt auch mich nun auf, den Unseligen nehmt in den Hades,
Den nicht Moiras Gebot fortraffte, die Herrschergewalt nur
Jählings traf mit dem Tod, da schuldlos nimmer ich's ahnte.
Eben noch häuft' auf mich der Geschenke so manches der Cäsar,
Aber er hat nun mir und den Eltern vernichtet die Hoffnung.
Noch nicht funfzehn hab' ich erreicht, nicht zwanzig der Jahre,
Ach! und ich schaue das Licht nicht mehr des erleuchtenden Tages.
Hypatos bin ich genannt; dich ruf' ich noch an, mein Bruder,
Eltern, ich flehe zu euch: O weint nicht länger, ihr Armen!

Von welcher schrecklichen Tat spricht in so mysteriösen Worten diese Grabschrift eines Knaben? Hier ist ein Roman von Capri angedeutet. Des armen Hypatos Los ist verschollen, doch ich weiß es. In einer dämonischen Stunde opferte Tiberius seinen Lieblingsknaben der Sonne, hier in dieser Höhle, hier vor dieser Zelle. So opferte später Hadrian den schönen Antinous dem Nil. Damals waren Menschenopfer, wenn auch nicht häufig, so doch immer noch in der Gewohnheit, und am meisten brachte man sie dem Mithras dar.

Ja, könnte diese Höhle den Mund auftun, und wollten diese starren Klippen zu reden anfangen, grause Fabeln des Altertums würden sie zu berichten haben.

Die Überlieferung hat auf dieses wilde Ufer überhaupt den Wohnsitz des Tiberius verlegt. Es ist die schauerlichste Stelle auf der Insel. Geht man am Südostrand höher hinauf, so kommt man an einen Ort, welcher «Salto di Tiberio», Sprung des Tiberius, genannt wird. Das Ufer fällt hier mehr als achthundert Fuß tief in die See. Von diesem Punkt, so sagt die Überlieferung, stürzte der Kaiser seine Opfer hinab, und daß es ebenderselbe Ort sei, den man schon zu Zeiten Suetons als Merkwürdigkeit auf der Insel zeigte, unterliegt kaum einem Zweifel. Bei Sueton heißt es: «In Capri wird der Ort seiner Mordlust gezeigt, wo er die Verurteilten nach langen und ausgesuchten Martern in seiner Gegenwart ins Meer stürzen ließ. Sie fing unten ein Schwarm von Matrosen auf, um die Körper mit Segelstangen und Rudern zu zerschlagen, auf daß in keinem ein Lebenshauch überbliebe.» Es ist wahrlich ein diabolisches Vergnügen, von diesem schroffen Absturz Steine rollen zu lassen, welche in entsetzten Sprüngen von Zacken zu Zacken sich fortschnellen und die Felsen vom Donner ihres Falls widerhallen machen.

Zwei Schritte weit von dem grausigen Salto liegt jetzt ein kleines Haus, über dessen Türe das Wort «Restaurant» zu lesen ist. Im Zimmer steht zu jeder Stunde ein gedeckter Tisch, beladen mit Früchten, mit Brot und mit Flaschen voll Tränen des Tiberius. Derselbe Wirt, der dies Tischchendeckedich eingerichtet hat, ließ auch den schmalen Rand des Salto mit einer kleinen Mauer einfassen, und so bietet er den Fremden das Gräßliche gleichsam auf dem Präsentierteller dar.

Man geht durch dieses Haus, um zu dem alten Faro Capris zu gelangen, welcher kaum 30 Schritte vom Salto entfernt steht. Bis auf die mächtigen Unterbauten aus gebranntem Stein ist er zerfallen, auch schlug vor einigen Jahren der Blitz den obern Teil der Trümmer herunter. Ringsumher liegen Stücke des Gemäuers, und weit bis in die Weinberge hinein bedecken sie den Boden. Sie und die noch stehenden Reste, welche auch Spuren von gewölbten Gemächern sehen lassen, bezeugen es, daß der Leuchtturm einst ein großartiger Bau war. Er wetteiferte mit dem Faro zu Alexandria, mit den Türmen in Ravenna und Puteoli. Der Dichter Statius nennt ihn in einem Verse den Nebenbuhler des nachtdurchschweifenden Mondes. Nach Sueton stürzte derselbe Faro wenige Tage vor der Ermordung des Tiberius ein, erschüttert durch ein Erdbeben, doch wurde er wieder aufgerichtet, sonst hätte ihn Statius nicht preisen können. Seine heutige Höhe beträgt kaum 60 Fuß. Im Jahre 1804 veranstaltete Hadrawa auch neben dem Leuchtturm Ausgrabungen; er fand dort Spuren einer unterirdischen Stiege, vielerlei Marmor und auch jenes Relief, welches die flehenden Gestalten der Crispina und Lucilla darstellt.

Nun aber gelangen wir mit wenigen Schritten, aufwärts steigend, zu der berühmten Villa des Zeus. Nach Sueton war sie der eigentliche Wohnsitz des Tiberius, und ausdrücklich sagt er, daß der Tyrann nach der Hinrichtung Sejans aus Furcht vor einer Verschwörung neun Monate lang sich darin eingeschlossen hielt. Es ist zweifellos, daß die Reste auf dem höchsten Nordostufer der Insel, dem Capo, zu jener Villa gehören. Denn dafür spricht die Bestimmtheit der Überlieferung, der die Insel beherrschende Ort, mehr noch die Ausdehnung des Palasts, dessen Ruinen die größten Capris sind und überhaupt zu dem Ansehnlichsten gehören, was sich von römischen Lustbauten erhalten hat. Man irrt dort in einem Labyrinth von Gewölben, Galerien und Gemächern, welche jetzt zum Teil zu Weingärten oder zu Viehställen benutzt werden. Kapitäle, Vasen, Säulenstümpfe, Marmorschwellen liegen noch umher; einzelne Kammern zeigen Reste ihres Stucks, und man erkennt selbst die Malerei in tiefem Gelb oder in dem Dunkelrot von Pompeji. Einige Böden haben noch ihre Mosaik von weißen Marmorstücken mit schwarzer Einfassung, und hie und da sind die Stiegen zu den untern Sälen gut erhalten.

Die Villa scheint mehrere Stockwerke gehabt zu haben; das unterste steckt noch unausgegraben im Boden. Der oberste Teil überrascht durch den vollkommen erhaltenen Plan seiner Gemächer, welche nach der Seite des Ufers ein Halbkreis umgibt, vielleicht ein Theater; Nischen und Rundmauern lassen weiter auf einen Tempel schließen. Alles, was zur überschwenglichen Pracht des fürstlichen Lebens gehört, hat diese Villa vereinigt, und weil sie so lange Zeit Kaisersitz war, muß sie, ehe Nero und Hadrian bauten, alle andern Villen Roms an Herrlichkeit übertroffen haben. Dazu kommt die unvergleichliche Lage über der Meerenge, wo zwei Golfe dem Blicke frei liegen. Von hier aus sah Tiberius alles, was auf der Insel vorging, er sah auch die Schiffe, welche von Hellas, von Asien und Afrika in den Golf einliefen, oder die von Rom herabkamen. Schön aber muß auf der See selbst der Anblick gewesen sein, segelte man zwischen Capri und dem Kap der Minerva und betrachtete dort die Marmorschlösser und den Faro, hier die Tempel. Denn Tiberius sah auf jenem Vorgebirge, dessen Spitze heute ein Turm krönt, noch die weitberühmten Tempel der Minerva, der Sirenen und des Herakles.

Ich saß manche Stunde lang auf den Trümmern und baute mir Capri wieder auf. Welch ein Anblick, denkt man sich alle diese Gipfel mit Marmorpalästen geschmückt und das Eiland bedeckt mit Tempeln, Arkaden, Statuen, Theatern, mit Lusthainen und Straßen. Und welch ein Bild würde es sein, sähe man alles dies von dem Hof eines römischen Kaisers belebt.

Man sieht in Neapel schöne Büsten und Kolossalfiguren des Tiberius, die trefflichsten aber besitzt das Vatikanische Museum. Ich habe bemerkt, daß jene in Neapel ihn eher im Alter, diese in Rom in jüngern Jahren vorstellen, wahrscheinlich weil die meisten Büsten des Kaisers, welche in Herkulaneum und Pompeji ausgegraben wurden, seiner caprischen Periode angehören. Im Vatikan steht seine kolossale Figur, die in Veji gefunden ist, aufgestellt in der Galerie Chiaramonti; sie stellt ihn in idealer Jugendlichkeit als Heros dar, mit porträtgetreuen Zügen. Sein Kopf ist geistvoll und edel geformt, der Mund fein und schön; in jugendlicher Erscheinung sind seine Züge dionysisch, und auch die Fülle des Körpers ist wollüstig, ja weibisch zu nennen. Dies moralische Ungeheuer war, wie Cäsar Borgia zu seiner Zeit, der schönste Mann unter den Lebenden, von allen Kaisern Roms übertrifft ihn nur Augustus an klassischer Schönheit. Man vergißt den Kopf des Tiberius nicht mehr, wenn man ihn einmal gesehen hat; man erwartet das verzerrte Antlitz eines Dämons zu erblicken und ist überrascht von der Feinheit seiner Züge, die einem Sardanapal so wohl entsprechen würden. Nur im Alter zieht sich um den Mund ein schneidend scharfer Zug von Hohn und Skepsis, und der Ausdruck bekommt etwas widerwärtig Starres, hartherzig Verschlossenes, selbst Gemeines. So zeigt ihn der kolossale Kopf in Neapel, und so ihn seine Büste im Kapitol.

Tiberius war der erste eigentliche Monarch nach Augustus, der noch in den Formen der Republik regiert hatte. Er erbte eine schon sklavisch gewordene Menschheit. An der Schlechtigkeit der Welt ging er selbst zugrunde. Caligula wurde bei dem Gedanken wahnsinnig, Herrscher der Erde zu sein, und dauerte nur wenig Jahre. Das ist kein Wunder. Denn diesen Menschen warf eines Tags der Zufall die Welt mit allen ihren Genüssen vor die Füße; sie wurden darüber sinnlos, sie hätten die Erde auf einmal ausschlürfen mögen wie ein Ei. Nach den Bürgerkriegen und nach Augustus trat eine Stille in der Weltgeschichte ein, die wüsteste Pause im Leben der Menschheit, da die Alte Welt unaufhaltsam verrottete. Augustus war groß und glücklich, weil er seine Herrschaft errungen hatte; seine Nachfolger waren elend, weil sie nichts zu erstreben hatten. Auf einmal in den Besitz eines schon längst eroberten Weltreichs gesetzt, wußten sie nicht, womit sie ihre Tage hinbringen sollten, denn auch der Genuß des Herrschens wird unerträglich, wenn ihn nicht Mühe würzt und Entbehrung unterbricht. Caligula überbrückte im Wahnsinn das Meer, Claudius ward ein Bücherwurm, Nero steckte Rom in Brand und spielte dazu die Zither, er machte Verse und wollte wenigstens als Wagenlenker und Komödiant etwas gelten. In jener Periode des antiken Weltschmerzes finden wir hintereinander Tiberius, Caligula, Claudius und Nero, Dämonen und Verrückte, weil das Räderwerk der Geschichte stille hielt. Beispiellos teuflisch wäre die Natur, schaffte sie solche Ungeheuer nacheinander grundlos und als ein abgeschmackter Zufall.


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