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Drittes Kapitel

Wie er auf dem Heimwege quer durch den Greenpark schritt, war er da ruheloser als vorher oder nicht? Es ließ sich nur schwer sagen. Ganz angenehm berührt, ein bißchen erwärmt allerdings, aber dennoch irritiert wie immer, wenn er mit Menschen in Berührung kam, für die die Kunst nichts als eine amüsante Phantasterei war. Welche Idee, dieses Kind zeichnen zu lehren, diesen Springinsfeld mit seinem Reiten und seinem Kätzchen und den Perdita-Augen! Seltsam, wie sie sich ihm sofort angefreundet hatte! Vielleicht war er ein wenig anders als die Menschen, an die sie gewöhnt war. Und wie fein sie sprach! Ein sonderbares, anziehendes, fast reizendes Kind! Gewiß nicht mehr als siebzehn und – Johnny Dromores Tochter!

Ein scharfer Wind wehte, die Lampen glänzten hell zwischen den kahlen Bäumen. Immer war es schön, London bei Nacht, sogar im Januar, sogar im Ostwind, und nie wurde er dieser Schönheit müde. Seine dunklen, wie gemeißelten Formen, seine schimmernden Lichter gleich Schwärmen schwebender Sterne, die zur Erde gefallen waren. Und alles erwärmt vom Weben und Regen zahlloser Leben, jener Leben, die zu kennen und an denen teilzuhaben ihn so sehr verlangte.

Er erzählte Sylvia von seiner Begegnung. Dromore! Der Name machte sie stutzig. Sie kannte ein altes irisches Lied, ›Das Schloß von Dromore‹, mit einem seltsamen Refrain, der einen nicht wieder losließ.

Die ganze Woche hindurch fror es stark, und er begann eine lebensgroße Gruppe ihrer beiden Schäferhunde. Dann kam Tauwetter und jener erste Südwestwind, der jeden Februar ein Gefühl des Frühlings bringt, wie es nachher nie wieder so empfunden wird, und ein Taumel erfaßt die Menschen wie schläfrige Bienen in der Sonne. Es erweckte in ihm heftiger als je zuvor das Verlangen zu leben, zu erleben und zu lieben, den Hunger nach etwas Neuem. Das war's natürlich nicht, was ihn zu Dromore zurückführte, gewiß nicht! Nur Höflichkeit, da er seinem alten Schulkameraden nicht einmal seine Adresse gegeben oder ihm gesagt, daß seine Frau sich freuen würde, seine Bekanntschaft zu machen, wenn er vorsprechen wolle. Denn Johnny Dromore schien keineswegs allzu glücklich zu sein, trotz seiner selbstsicheren Miene. Jawohl, es war nur ein Gebot der Höflichkeit, wieder hinzugehen.

Dromore saß in seinem langen Armstuhl, eine Zigarre zwischen den Lippen, einen Bleistift in der Hand und einen Turf-Almanach auf den Knien; neben ihm lag ein großes grünes Buch. Er hatte etwas Feierliches an sich, das ganz verschieden war von jenem zeitweiligen Trübsinn bei Lennans erstem Besuch; ohne aufzusehen, murmelte er:

»Hallo, Alter! Freut mich, daß du gekommen bist. Nimm Platz! Sag mal! Agapemone – mit wem, glaubst du, soll ich sie zusammentun – mit San Diavolo oder Ponte Canet nicht mehr als vier Kreuzungen von St. Paul? Werd diesmal ein Prachtexemplar von ihr bekommen!«

Lennan, der noch nie diese geheiligten Namen gehört hatte, gab zurück:

»Oh, mit Ponte Canet natürlich. Aber wenn du zu arbeiten hast, will ich ein andermal wiederkommen.«

»Unsinn, bleib! Steck dir eine an! Geh grade ihren Stammbaum durch – bin gleich fertig. Trink doch was!«

Lennan setzte sich also, um die Forschungen zu verfolgen, die von Zigarrenrauch eingehüllt und von gemurmelten Flüchen unterbrochen wurden. Diese heilige Sache nahm Dromore zweifellos ebenso in Anspruch wie Lennan das Streben, Kunstwerke aus Ton zu schaffen; denn im Geiste sah er das ideale Rennpferd vor sich – auch er war ein Schöpfer! Das war kein bloßer Vorwand, um Geld zu machen, sondern eine Arbeit, die durch ein besonderes Gefühl gleich dem, das man beim Aneinanderreiben der Handflächen empfindet, ihre Weihe erhielt, das Gefühl, das jede schöpferische Tat begleitet. Nur einmal hielt Dromore inne, wandte den Kopf und sagte:

»Blödsinnig schwer, die richtige Abstammung zu finden!«

Wahre Kunst! Wie gut der Künstler dies verzweifelte Suchen nach dem Schwerpunkt, nach der Zentralachse verstand, die man finden mußte, ehe ein Werk ins Leben treten konnte! … Und er bemerkte, daß heute kein Kätzchen da war, keine Blumen, nicht das geringste Zeichen einer wesensfremden Persönlichkeit – sogar das Bild war verhängt. War das Mädchen nur ein Traum gewesen, ein Phantasiegebilde, das seine Sehnsucht nach Jugend heraufbeschworen hatte?

Dann sah er, daß Dromore das große grüne Buch fallen gelassen hatte und vor dem Feuer stand.

»Nell ist neulich gleich mit dir gut Freund geworden. Hast ja immer bei den Frauen Glück gehabt. Erinnerst du dich noch an die Kleine bei Coaster?«

Coasters Teestube, wo er jeden Nachmittag, den er bei Kasse war, hinzugehen pflegte, nur um mit schüchternen Blicken ein Gesicht bewundern zu können. Nur weil es so schön anzusehen war, nichts weiter! Johnny Dromore würde das jetzt ebensowenig verstehen wie damals bei Bambury. Vergebliche Müh, es ihm erklären zu wollen! Er schaute nach den glotzenden Augen hinüber und hörte die spöttische Stimme:

»Du! Du wirst aber grau! Wir sind greulich alt! Lenny! Der Mensch wird alt, wenn er heiratet.« Und Lennan erwiderte:

»Übrigens – ich hatte keine Ahnung, daß du verheiratet bist!«

Von Dromores Antlitz wich der spöttische Ausdruck, wie wenn eine Kerzenflamme erlischt, und es überzog sich mit einem Kupferrot. Ein paar Augenblicke blieb er stumm, dann wies er mit dem Kopfe nach dem Bild und murmelte barsch:

»Kam gar nicht dazu, sie zu heiraten; Nell ist nicht rechtmäßig …«

Etwas wie Zorn ergriff Lennan; warum äußerte Dromore dieses Wort so, als schämte er sich seiner eigenen Tochter? Um kein Haar besser war er als alle seiner Art – etwas Engherzigeres als einen Lebemann konnte es gar nicht geben! Jeder eigenen Meinung total unfähig! Arme Schlucker, die umhertrieben ohne den einzigen wahren Halt: eine eigene Überzeugung! Und ohne recht zu wissen, ob es Dromore angenehm berühren würde oder ob er ihn für einen Phantasten halten oder sogar seiner Moralität mißtrauen würde, sagte er:

»Da muß jeder anständige Mensch nur um so freundlicher mit ihr umgehn. Wann will sie Zeichenunterricht bei mir nehmen?«

Dromore ging quer durchs Zimmer, zog den Vorhang von dem Bild und sagte mit verschleierter Stimme:

»Beim Himmel, Lenny, das Leben ist ungerecht! Nells Geburt hat ihrer Mutter das Leben gekostet. Ich wollt, es wär lieber mir passiert – Spaß beiseite! Aber die Frauen haben kein Glück.«

Lennan erhob sich aus seinem bequemen Sessel. Denn aus der Vergessenheit aufgescheucht, erfüllte die Erinnerung an jene Sommernacht, als eine andere Frau auch kein Glück gehabt, sein Herz mit düsterm, unauslöschlichem Gram. Er sagte ruhig:

»Lieber Freund, die Vergangenheit ist tot.«

Dromore zog den Vorhang wieder über das Bild und kam zum Feuer zurück. Eine volle Minute lang starrte er hinein.

»Was soll ich nur mit Nell anfangen? Sie wird älter.«

»Was hast du denn bis jetzt mit ihr angefangen?«

»Sie ist in der Schule gewesen. Im Sommer geht sie nach Irland – ich hab einen alten Besitz dort. Sie wird achtzehn im Juli. Ich werd sie in die Gesellschaft einführen müssen. Hol's der Teufel! Wie? Wo?«

Lennan konnte nur murmeln: »Meine Frau zum Beispiel.«

Bald nachher verabschiedete er sich. Johnny Dromore! Ein wunderlicher Vormund für jenes Kind! Sie mußte ein sonderbares Leben führen auf dieser Junggesellenbude, von Renn-Almanachen umgeben! Was sollte aus ihr werden? Irgendein junger Leichtfuß würde sie aufgreifen, mit dem man sie dann gewiß verheiratete – ihr Vater würde schon dafür sorgen, daß alles vorschriftsmäßig erledigt werde, seine Ehrbegriffe waren offenbar sehr hoch entwickelt! Und hernach – würde sie vielleicht den Weg ihrer Mutter gehen – jenes armen Geschöpfes auf dem Bild mit dem bestrickenden und doch verzweifelten Antlitz. Na, ihn ging's ja nichts an!


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