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Zwanzigstes Kapitel

... Über Wald und Wasser brach jetzt der Abend schnell herein. Zuerst beendeten die Schwalben ihre Jagd, von der sie scheinbar gar nicht hatten lassen wollen; und das Licht, das über der Welt befestigt gewesen zu sein schien, sank nach dem letzten Aufflackern allmählich flügellahm und schattenhaft zu Boden.

Der Mond würde erst um zehn aufgehen. Und alle Dinge harrten. Nur langsam kamen nach jenem hellen Sommertag die Geschöpfe der Nacht hervor, erst als die Schatten der Bäume immer länger auf das jetzt kreidefahle Wasser fielen, erst als das kreidefahle Antlitz des Himmels sich mit Samt verhüllte. Sogar die tiefschwarz gefiederten Bäume schienen voll Verlangen auf den Purpurflaum der Nacht zu warten. Alle Dinge, so bleich zu jener Stunde des verscheidenden Tages, machten große Augen – alle Dinge starrten brütend, gottverlassen drein. So tot war das Licht in jenen Augenblicken, daß man hätte glauben können, alles Leben sei von der Erde verschwunden. Doch nicht für lang. Auf Schwingen der Finsternis stahl es sich zurück – nicht die Seele des Irdischen, die entflohen war, sondern ein koboldartiger, finsterer Geist, der in den schwarzen Bäumen spukte, in den hohen dunklen Halmen des Schilfrohres, auf den grimmschnauzigen Baumstümpfen, die aus dem Wasser lauernd ragten. Dann kamen die Eulen hervor und alle nachtgeflügelten Wesen. Und im Wald hub eine grausame Jagdtragödie an: eine düstere Hetzjagd im Zwielicht über das Farnkraut hin; der markerschütternde Aufschrei eines Geschöpfes, in das sich fremde Klauen immer wieder einschlugen; und rasendes, heiseres Triumphgebrüll dazwischen. Sie währten eine ganze Weile, jene gellen Geräusche der Nacht, Klangsymbole aller Grausamkeit im Herzen der Natur, bis der Tod diesem Wüten endlich Einhalt tat. Und jeder Wanderer draußen, dem Flüchtlingslos ins Herz schnitt, konnte wieder aufatmen und ohne Schrecken lauschen …

Dann fing eine Nachtigall sanft und sehnsuchtsvoll zu schlagen an; und ein Wachtelkönig zirpte im jungen Weizen. Wieder brütete die Nacht in den schweigsamen Wipfeln der Bäume, in den noch schweigsameren Tiefen des Wassers. In langen Zwischenräumen stieß sie einen Seufzer aus, ein Murmeln, ein leise plätscherndes Geräusch, den Jagdruf einer Eule. Und noch immer glühte der Atem der düfteschwangeren Lüfte, denn es fiel kein Tau …


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