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Ein und zwanzigstes Capitel.

Die Morgenlichter gaben manch eine Seltsamkeit des erwählten Nachtlagers kund. Wie es Pietro schon in der Dunkelheit gefühlt hatte, zeigte sich der Altar in der That bekränzt, und zwar so reichlich und frisch, daß man abnehmen konnte, es mußte hier noch am vorigen Tage eine große Festlichkeit begangen seyn.

»Wunderlich!« sagte Pietro. »Leben wir denn noch in der alten hellenischen Heldenzeit?« Und genauer hinblickend, las er in den Stein eingemeißelt die Worte:

»Der meerentstiegenen Aphrodite geweiht.«
»Liebchen,« sagte er voll neuerwachender, lustiger Galanterie zu Malgheriten hinauf, »das bist Du. Dem Meer entstiegen bist du erst in dieser Nacht, und auf dem Altare thronst du ja noch.«

»Meinst Du?« entgegnete Malgherita sehr ernst. »Wenn ich nun aber als Opfer hier auf dem Altare läge? Siehst du den verbluteten Kriegsmann da unten? Es geht hier schauerlich zu. Oder du hast mich auch wohl vergöttert, und ich bin ein verabscheuenswürdiges Götzenbild geworden.«

Pietro bebte unwillkürlich zurück, aber Thiodolf sagte: »Setzt Euch keine thörichten Spukereien in den Kopf. So arg ist es wahrhaftig nicht mit Euch Beyden: das nehm' ich auf mein eignes Herz. Damit Euch aber die Nachtgedanken vergehen, wollen wir ein wenig fürder wandeln in das lachende, morgenröthliche Land.«

Damit hub er Malgheriten leichten Schwunges vom Altar, und Alle schritten in ein blühendes Thal nach Osten zu hinunter.

Der helle, blaue Morgenhimmel über ihnen, zu ihren Seiten der Bäume und Gebüsche saftig dunkles Grün, und die sanft herniedersteigenden, mit würzigem Grase bekleideten Hügel – Alles das zog die Blicke der Wandrer mit süßem Zauber auf sich hin, und goß erquickende Freudigkeit aus durch Seel' und Leib. Die Nordmannen sangen einzelne Zeilen aus Liebesliedern, so zart, als ihre Heimath sie irgend kannte, und selbst von Malgheritens Lippen – welche doch seit dem Verluste des Kindes sanglos geblieben waren – schwebten einzelne, zauberisch liebliche Töne in den glühenden Morgenduft hinein.

Thiodolf ging derweile tiefgesenkten Hauptes, aber freudeblitzenden Auges seinen Weg entlang. –

»Freuen Euch denn die Blumen also sehr, fragte Malgherita, daß Ihr auch keinen einzigen Blick nach Himmel und Hügel und Wald emporrichten wollt? Es sind ja doch nur Herbstblumen, lieber Freund.«

»Blumen? Herbstblumen?« fuhr Thiodolf aus tiefem Sinnen empor. »Wer hat an Blumen gedacht? Aber seht hier im Grase die tiefen Furchen! Das kommt von Speerwürfen, liebes Malgheritchen, und fürwahr, ich bin gänzlich bethört, oder das müssen nordische Speere seyn, die so gepflügt haben in den rasigen Grund.«

Die Isländer stimmten ihrem jungen Heerführer bey und schritten fürder auf der gefundnen Spur tapfrer Landsleute, mit einer Sehnsucht, wie sie nur derjenige kennen mag, welcher, auf ein ödes Meereseiland einsam verschlagen, Menschentritte im Küstensande wahrnimmt. Dabey ließen sich einzelne Stimmen aus der Schar vernehmen, die bald diese, bald jene Lanzenfurche mehr bewunderten. – » Den Wurf, rief Einer, hat ein kühner Held gethan.« – »Was sagst du zu dem da?« entgegnete ein Andrer. »Eben so tief in den Boden hinein, und die blutige Spur beweist, daß es vorher durch Feindesglieder gegangen war.«

Man kam tiefer in den Forst, und einzelne Speere, in den Bäumen festgeheftet, gaben noch deutlichere Kunde von ihrer Werfer Gewandtheit und Kraft, so wie die Gestalt der Waffen noch ungezweifelter bewies, sie seyen aus nordländischer Faust geflogen. Während nun die Kriegsleute hier viel eifriger über die Vorzüge der Würfe rechteten, bald das tief Eindringen, bald den im schönen Bogen von oben herabgeflognen Schwung priesen, blieb Thiodolf regungslos vor einem Lorbeerbaume stehen, in dessen Stamm eine Lanze von beynahe riesiger Größe saß. Theils deren eben so ungeheure als glänzende Gestalt, theils auch das Beispiel des jungen Hauptmann's versammelte nach und nach alle Nordmannen um diese Stelle. Bewundernd standen sie allzusammt unter dem Gezweig.

Thiodolf sah bald ehrfurchtsvoll auf den festgeworfnen Speer, bald fragend auf die Kriegsleute ringsherum. Endlich sagte er: »Leute, diese Waffe – betrachtet mir einmahl den mächtigen, schön, geglätteten Schaft vom edelsten Holze, den funkelnden Goldreif unten um die Spitze her, und die ungeheure lichtblitzende Stahlspitze selbst – Leute, diese Waffe hier kann keine andre, als eine Helmfridswaffe seyn. Damit wir aber auch mit voller Sicherheit wissen, ob sie dem gewaltigsten aller Nordlandskrieger gehört, und ob seine Heldenfaust sie geworfen hat, so trete jedweder nach der Reihe herzu, versuchend, sie aus dem Stamms herauszuziehn.«

Es geschahe, wie Thiodolf gebothen hatte. Manch' tapfere Nordlandsfaust rüttelte an der leuchtenden Waffe, aber hart und unbeweglich starrte die in dem Baume fest. Pietro trat ebenfalls vergebens mit angestrengten Kräften daran. Da trat endlich Thiodolf hinzu – auch sein Ringen war beym ersten Anlauf umsonst. Zum zweyten Mahle, schon Zorn in den blitzenden Augen, begann er die ernste Uebung; nun riß sich endlich der Speer mit gewaltigem Stöhnen und Krachen von dem Lorbeerstamme los, und zugleich stürzte Thiodolf im Zusammenrasseln aller seiner Waffen lang auf den Rasen hin; aber die ersiegte Lanze, hielt er fest in der Hand. Da neigte sich über ihn ein hoher Greis, in herrlicher Nordlandsrüstung leuchtend, dessen Herzukommen über den Eifer des Wettkampfes noch Niemand wahrgenommen hatte, und sagte ernst lächelnd in isländischer Sprache: »Ey Jüngling, Jüngling, wer hat dich denn gelehrt die Helmfridlanzen aus den Bäumen ziehn?«


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