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Zwanzigstes Capitel.

Schon hatten Wolkenbilder und Meeresspiegel, überhinfliegende Vögel, und wie magisch heranschwebende Düfte seit einigen Tagen das Bild der Heimath immer heller und lockender vor Malgheritens Geist heraufgerufen; sie sprach nicht anders mehr, als in provenzalischer Mundart, worin ihr Thiodolf nun fast eben so gut erwiedern konnte, als Pietro; sie ließ eine unterwegens eingehandelte Mandoline gar nicht mehr vom Schoß, und lockte alle Lieder daraus hervor, welche ihre Wiege umschwebt hatten; kurz, es war fast mit ihr, wie mit einer Blumenknospe vor dem heranwehenden Lenz. Sie hätte in ihrer süßen Ungeduld bisweilen die Segel anhauchen mögen, um des Schiffes Lauf zu beflügeln, und wirklich schienen auch Wetter und Wind mit den Wünschen der holden Schönheit in einen traulichen Bund getreten zu seyn. Leicht und eben und schnell schwebten beyde Fahrzeuge über die spiegelglatte Fläche hin, in welcher Malgherita mir seligem Entzücken die tieffunkelnde, im Nordlande so ungern vermißte Bläue wiedererkannte.

»Schönes Weiblein,« sagte Thiodolf eines Abends zu ihr, »nun wollet mir einen einzigen Gefallen thun. Wir sind ganz dicht an Euern Küsten. Die blauen Nebelstreife dorten geben sie schon kund. Aber nun begebt Euch mit dem hereindunkelnden Abend in Euer Gemach, und hängt Eure Schleyer vor das Fensterlein, und seht nicht eher hinaus, als bis ich Euch rufe. Ich möchte so gar gerne dabey seyn, wenn Euer blühendes Vaterland in all seiner jungen Morgenherrlichkeit zum erstenmal Euer blühendes Antlitz anstrahlt. Wollt Ihr?«

Malgherita lächelte freundlich bejahend, und ging in ihre kleine Kammer zurück. Pietro blieb mit Thiodolf auf dem Verdeck.

Wie nun zu Nacht Alles so still und ruhig auf dem Schiffe war, und es pfeilschnell dahin glitt auf seiner Bahn, ward Malgheriten zu Muthe, wie wenn sie als Kind auf die Bescherung des Weihnachtsbaums und seiner Gaben gewartet hatte. Bisweilen schlummerte sie ein, und es kam ein Traum über sie herangelächelt, als sehe sie schon wirklich die geliebten provenzalischen Küsten vor sich, und wenn sie dann in Freuden auffuhr, und fand sich noch in dem Schiffskämmerlein, die kleine Lampe vor ihrem Lager hängend, ward ihr doch wieder in dem stillen, zuversichtlichen Harren ganz unbeschreiblich wohl und heimlich zu Sinne.

Als der Morgen durch die Schleyervorhänge hineinzuleuchten begann, erhub sie sich, und schmückte sich sorgfältig, wie eine Braut, um die blühende Heimath recht festlich zu empfangen.

Nicht lange dauerte es, da kam Thiodolf herangeschritten, klopfte an das Thürlein, und blieb, indem er es auf ihr freundliches »Herein!« öffnete, ordentlich wie etwas geblendet stehen. –

»Ach all Ihr Götter,« sagte er, sich verneigend, »wie schön ist Malgheritchen doch! Aber komm an's Tageslicht heraus, du blühendes Walhallakind. Der Lampenschimmer ist beyweitem nicht gut genug, um dich zu beleuchten.«

Und wie sie nun hervorschritt, und Pietro sie mit liebender Bewunderung umfing, und sie aus seinen Armen hinüber schaute in das nahe wiesenhelle, von Kastanien, und Olivengrün anmuthig dunkelnde, von Bächen silberklar durchrieselte Land, und die väterliche Burg fernher aufglänzte, und von der andern Seite die herrliche Seestadt Marseille – lieber Leser, du hast ja auch ein Vaterland! Es mag wohl beyweitem so schön nicht seyn, als dieser provenzalische Garten, aber denke Dir, wie die Freude durch alle deine Sinne zucken müßte, wenn es dir nach langer Abwesenheit urplötzlich so beschert würde, im selig verherrlichenden Lichte des Morgenroths und der Liebe! –

Malgherita stand noch immer regungslos und lächelnd, wie eine holde Bildsäule, während das Schiff nach und nach in stillen, gleichmäßigen Schwingungen näher an den Strand gerudert war. Man warf Anker, und setzte einen kleinen Nachen aus, während eine Schar muthiger Islandskämpfer schäumend mit allem Gewaffen in die See stürzte, und singend nach dem Gestade hinan schwamm. Etwas erschreckt fuhr Malgherita in die Höhe.

»Das ist Eure und Pietro's Leibwache, holdes Weiblein,« sagte Thiodolf, indem er auf die Schwimmer zeigte. »Und der Nachen ist für Euch beyde und mich. Da rudere ich Euch an das Land, denn betreten müßt Ihr doch Euern holden, väterlichen Boden auf alle Weise, und Blumen von ihm pflücken, laufe es auch nachher mit meiner Unterhandlung ab, wie es da wolle.«

»Aber einmahl am Lande, Thiodolf,« – wandte die zagende Malgherita ein – »sind wir auch sicher dort?«

»Schilt sie doch, Pietro,« sagte Thiodolf, zu diesem gewandt, »schilt sie doch gar tüchtig und erbaulich aus. Hat das ziere Kindlein so einen tapfern, ringfertigen Eheherrn, und bebt, wo es unter seinem Schutze steht. Zudem sind ja die Leibwächter schon dorten. Auf meinen Kopf, was dir Uebles geschieht!«

Die Isländer stäubten bereits am Ufer das Wasser von ihren Harnischen, Schilden und Speeren, und standen gleich darauf ehrerbietig gereihet und erwartungsvoll da. Malgherita gab ihrem Ritter die Hand, und ließ sich von ihm in den Nachen führen. Thiodolf sprang ihnen leichten Schwunges nach, ergriff das Ruder, und trieb das Fahrzeug mit gewaltiger Kraft gegen den Strand, daß es zu fliegen schien, und dennoch leicht und sanft und ohne Stoß am Ufer stehen blieb.

Mit schnellem und scharfem Blick sah Thiodolf durch die Gegend umher. – »Dorten der Hain,« sagte er, »schickt sich gut, um Malgheriten zu beherbergen, bis ich sichre Nachricht bringe von der Burg. Wir finden gewiß anmuthige Waldlauben, von denen du Pietro, die Aussicht auf das Gewässer und auf den Nachen behältst; bey dem bleiben zwey Mann zur Wache; Ihr übrigen zieht Euch mit in die Schatten hinein. Sollte mir wider Vermuthen irgend ein Unfall begegnen, so stoß' ich in mein Heerhorn. Das könnt Ihr leichtlich hören bis in diesen Kastanienwald, von der Burg herüber, und dann macht Euch eilig auf, und rettet Malgheriten auf das Schiff.«

»Was aber wird aus Dir?« fragte Pietro.

»Du wirst mir doch,« kam die Antwort zurück, »die Schmach nicht anthun, zu glauben, ein Nordmann könne so leicht in der Gefahr stecken bleiben, wenn er für weiter nichts zu sorgen hat, als für sich? Geht mir's aber dennoch irgend schief, so werdet Ihr's schon daraus merken, wenn ich etwa in einem Stündchen nicht zurück bin. Dann, Bruder Pietro, nimm die Mannschaft der Seeräuberbarke, steige damit an's Land, und rücke bedrohlich vor des großen Freyherrn Burg. Das Uebrige macht sich auf solch einen Fall von selbst. Aber nun redet mir weiter nichts davon, und laßt uns den behaglichsten und sichersten Raum für Malgheritens Rast auf ihrem hübschen provenzalischen Mutterboden erkunden.«

Sie gingen in die hohe Kastanienwaldung hinein. Freundlich und schattend breiteten sich die gewaltigen, dunkelbelaubten Zweige zu kühnen Wölbungen in einander, und bald war auf dem reichblühenden Rasen eine bequeme Stelle für die Dame gefunden, wo man zwischen die Blätter hin nach dem Nachen sehen konnte, und dennoch den Blicken der etwa durch den Forst Reisenden verborgen blieb.

Aber indem Thiodolf Abschied nehmen wollte, um seine Fahrt nach der Burg anzutreten, hörte man lustiges Hörnerklingen durch den Wald, und konnte wohl merken, daß eine Waidmannsgesellschaft abwärts von der Heerstraße, dicht an dem Orte, wo man sich eben gelagert hatte, vorbeyzuziehen im Begriffe sey. Da hielt es Thiodolf doch für besser, seinen Arm und Speer noch bey Malgheriten zu lassen, bis die zahlreich Herannahenden alle vorüber wären. Malgherita senkte einen dichten Schleyer über ihr Antlitz herab. Die noch immer ganz nordländische Tracht mußte sie und Pietro jedem etwanigen Bekannten um desto sichrer verhüllen.

Den Zug eröffneten einige Pagen zu Fuß, in Grün und Gold gekleidet, vergoldete Wurfspieße in den Händen tragend. Dann kamen Jäger auf weißen Rossen. Sie hatten graue, silbergestickte Kleider an, und bliesen auf großen silbernen Waldhörnern die erlesensten Stücke, ihnen folgten edle Ritter in den mannigfach zierlichsten Jagdkleidern, arabische Rosse reitend. Aber die Erscheinung, welche nach denen herankam, wiederum edle Ritter im Gefolge, war so leuchtend und herrlich, daß die Bäume ringsum ordentlich davon zu funkeln schienen. Eine hohe, schlanke Jungfrau saß in reichgestickter Jagdkleidung nach Frauenart auf einem schneeweißen Zelter; man fühlte wohl, alle die Pracht um sie her galt nur ihr allein, und nur sie allein schien nicht das Mindeste davon zu gewahren, mit den großen, tiefblauen Augen ernst in das Himmelblau emporschauend. Nur als der Zug an den Reisenden vorbeykam, erregte das Stocken, welches in der Dame Gefolge vor den ungewohnten Menschenbildern entstand, für einen Augenblick auch ihre Aufmerksamkeit. Sie sah freundlich auf die hohen, nordländischen Heldengestalten hin, grüßte noch freundlicher deren leuchtenden Führer, und ritt alsdann, wieder die Augen, gleich einer Adlerin, sonnenwärts gerichtet, ernsthaft vorüber.

»Herr Gott,« seufzte Malgherita nach langem Schweigen, »das war meine Schwester Isolde!«

»So!« entgegnete Thiodolf, in ein tiefes Nachdenken versinkend. »Die hab' ich schon einmahl im Traum erblickt. Da sah' ich sie aber für die Göttin Freya an. Das also, das ist Isoldens Gestalt!«


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