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Zwölftes Capitel.

Auf Island steht ein hoher Felsen, ein grünes Thal darum her, vormahls mit kühligem Gebüsch bewachsen, daß man anmuthig darunter ausruhen konnte, und den hören und sehen, welcher von der Steinklippe herunter sprach. Man nannte diese Stätte zu Thiodolfs Zeiten den Gerichtsfelsen, und pflegte sich mit Anbruch des Frühjahrs, oder sonsten zu gelegener Zeit dorten zu versammeln, und mit einander zu besprechen, was dem ganzen Volke heilsam und erfreulich sey. Denn die Insel war dazumal noch ein ganz freyes Land, und alle Leute richteten sich einzig und allein nach selbst erwählten Gesetzleuten, welche sie Lagmänner hießen.

Auch in diesem Frühlings saßen und standen die wackern Isländer beisammen, allzumahl in ihren Waffen, wie denn das edeln und muthigen Männern wohl geziemt, so daß viele blinkende Speerspitzen zwischen den Zweigen emporleuchteten, und manche blanke Schilde vor den Füßen ihrer Herren vom frischgrünen Grase heraufblitz ten. Einige hatten auch ihre Jagdthiere mitgebracht. Manch großer, schöngefleckter Hund strich vor den Heldengestalten herum, kluge Falken saßen ihnen auf den Schultern, oder umschwebten gemessenen und wohl gezähmten Fluges ihr Haupt.

So stand auch Thiodolf mit in der Schar, seinen getreuen Falken auf der Schulter, seinen gebändigten Wolf zur Hand, an einer ehrnen Kette, die er nach Belieben in jedem Augenblicke lösen konnte. Andere Begleitung hatte er nicht gewollt, meinend, der Oheim seye zu alt und bedächtig für mancherlei, was bey dieser Gelegenheit vorfallen könne; wenn Pietro mitziehe, weine sich Malgheritchen derweile die leuchtenden Augen trüb; und was Krieger niedern Standes anbetreffe, könne er sich eben so gut allein durchhelfen, als mit deren Beystand. Wirklich war es ihm auch sehr gut anzusehen, daß er leichter helfen könne, als geholfen werden, und trotz der glänzenden Schar von Verwandten. Freunden und Söldnern, welche den reichen Gunnar gegenüber umringte, war es eben nicht, als seyen die Parten gar zu ungleich abgetheilt. Aber alle Isländer sahen dießmahl den sonst so sehr geliebten Jüngling scheu und unwillig von der Seite an, voll traurigen Mißmuthes das Unrecht fühlend, welches er auf sich geladen hatte.

Da betrat Gunnar den Felsen, und sprach es in vielen verständigen Worten aus, wie so gar argen Frevel ihm Thiodolf zugefügt habe, und ärgern Frevel noch der Sicherheit des ganzen geliebten Eilandes, auf welches sich ja doch die Väter geborgen hätten, um in aller Ehrbarkeit und Ruhe, frey von der Willkür übermüthiger Nordlandsherrscher zu leben. Ob man denn aber das noch Ehrbarkeit und Sitte nennen möge, wenn ein jeder verwegner Jüngling durch die Schranken des Rechtes brechen dürfe, raubend und befehdend nach Herzenslust? Bestraft müsse diese Unthat werden, und alsbald solle sich Thiodolf erklären, welche Buße er dafür anzubiethen habe? Ob er Geld, Waffen, Pferde darbringen wolle, oder ein Grundstück, oder sich selbst in Verbannung begeben für manch ein Jahr? –

Als Gunnar seine ziemlich lange Rede geschlossen hatte, machte er Anstalt, seinem Gegner den Platz frey zu lassen, aber Thiodolf rief hinauf: »bleibe nur immer da oben stehen. Wir haben beyde Raum nebeneinander, und die Geschichte soll gleich zu Ende seyn.« – Gunnar mochte an einen blutigen Ausgang denken, denn er schnallte sein Wehrgehänge fester, rückte die Streithaube zurecht, und sagte alsdann mit sichtlich mühsamer Fassung: »komm nur herauf, du wilder Gegner, ich erwarte dich.«

Thiodolf schlang die Wolfeskette um einen Eichstamm fest ineinander, geboth dem Unthier, stille zu seyn, und stand mit all seiner kräftigen Gewandtheit Augenblicks neben Gunnar auf dem Felsen. Der Falke kreiste hoch um die beyden her.

»Bist du nun fertig mit deinem Gerede?« fragte der Jüngling trotzig, und auf seines Widersachers bejahende Antwort brach er in ein lautes, lustiges Gelächter aus, sprechend: »das ist auch recht sehr gut, denn du hast der unnöthigen Worte, die dir in deinem ganzen Leben zu gar nichts helfen können, bereits allzuviele gemacht.« – »Hört Ihr es, Isländer? Hört Ihr es, wie er mich höhnt und Euer Gericht?« So rief Gunnar ergrimmt vom Felsen herab, und ein Murmelndes dumpfen, bedrohlichen Zornes donnerte, nahen Ausbruch verkündend, durch die ganze Versammlung hin. Thiodolf aber stampfte mit dem Fuß, daß die Klippe davon zu dröhnen schien, und rief mit seiner durchdringenden Fechterstimme nach den Leuten hinab: »Stille!« – Da regte sich keine Stimme mehr, als die des Wolfes, welcher laut und zornig heulte, doch kaum, daß sein Herr ihm zurief: »halte du auch das Maul! Die Geschichte geht dich eben so wenig, als die Andern an!« – Da legte er sich gelassen nieder, und drückte sich zusammen, wie ein gehorsamer Hund.

»Landsleute,« sagte Thiodolf, »Ihr müßt nicht gleich wieder zu schelten anfangen, wenn ich etwa wieder zu lachen anfangen sollte. Denn schaut nur, ohne Lachen kann ich nicht gut an des reichen, klugen Mannes langausgestreckte Rede denken. Da hat er sich nun soviele Mühe mit gegeben; mir ist, als sähe ich ihn in seinem Gehöfte vor Augen, wie er sie sich ausdenkt, und hält sie nachher vor all seinem Hausgesind zur Probe, und vor den Gästen obenein, und sie bewunderns höchlich allzumahl, und lernen sie endlich so gut auswendig, daß sie ihm schon nach gerade einhelfen können, wenn er irgendwo stockt, und nun klettert er hier endlich gar stattlich auf den Felsen herauf, und bringt seine Weisheit an, und die ganze Mühe und herrliche Anstalt ist umsonst, – Kinder, es ist wahrhaftig zum Lachen, und habt ein bischen Geduld, so will ich's Euch auseinandersetzen, wie sehr er seinen Othem verschwendet hat.«

Er brach von neuem in ein helles Gelächter aus, und wie ansteckend zog die tolle Jünglingslustigkeit durch die ganze Versammlung, daß sich nach und nach die wenigsten, und selbst kaum solche, die Gunnars Sache sehr zu Herzen genommen hatten, des lauten Einstimmens zu erwehren wußten.

Da ergrimmte der vielfach gereitzte Kläger um so heftiger; er senkte die Spitze seines Speeres gegen Thiodolf. Aber der hatte alsbald seines Gegners Arm gefaßt, und rief: »du, hüte dich, daß du mich nicht böse machst, ich könnte dir leicht den Knochen entzwey brechen, und das thäte mir Leid hier in dieser anständigen Versammlung, aber die Schuld bliebe dein. Wie ging es dem Bär, als er den Uhr bey den Hörnern faßte? – Aber gedulde dich, thue die Augen auf, und sage dann selbst, ob dir dies Speereisen nicht verbiethet, irgend gegen mich Klage zu führen?« – Und damit hielt er seinem Widersacher eine blanke, abgebrochne Lanzenspitze vor Augen, streifte sich noch noch zum Ueberflusse den Aermel zurück, und zeigte die tiefe Wundennarbe, welche klar bewies, er sey derselbe, mit welchem Gunnar damals bey Gelegenheit des erschlagenen Stiers feyerliche Versöhnung vor Zeugen abgeschlossen hatte.

Der Kläger sah überrascht und beschämt zu Boden. Endlich erklärte er mit von Zorn und Scham glühenden Wangen, er seye freylich überlistet, und dieser ganze Rechtshandel aus.

Kaum waren die Worte über seine Lippen, so faßte ihn Thiodolf liebkosend in seine Arme, küßte und herzte ihn sehr, und sagte: »hegt nun auch keinen Groll weiter gegen mich, lieber Herr, ich habe das Alles wahrhaftig nicht eben sehr listig angefangen, aber es machte sich so von selbst, ich traf letzthin den alten Seeräuber Mördur am Strand, als ich fischen ging, und schlug ihn todt mit der Streitaxt –«

Ein lauter Jubel unterbrach des Jünglings Rede, denn eben dieser Seeräuber Mördur war ein Schrecken der ganzen Insel gewesen, und Niemand hatte sich getraut, ihn Mann an Mann zu bestehen. Einzelne Stimmen riefen dazwischen, warum denn der Jüngling die frohe Kunde solange verschwiegen habe? Da donnerte Thiodolf abermals mit seinem Fuß gegen den Stein, und rief: »Stille! – Was ist denn da weiter daran zu erzählen,« fuhr er fort, wenn einmahl ein Kämpfer den andern niederschlägt zum Nimmeraufstehen? Das geschieht ja oft, und wird noch viel öfter geschehn in der Welt. Wie ich aber dem alten Isegrimm sein Grab gebauet hatte, und ihn eben hineinthun wollte, fiel es mir ein, wenn ich so einen langen, greisenden Bart um Lippen und Kinn hätte, wie der da, möchte mich wohl Niemand wieder erkennen; ich schnitt ihm das wilde Haargebüsch ab, machte mir einen Bart davon zurecht, zog mir seine Bärenmütze in das Gesicht, und hatte erst im Sinn, auf diese Art ein Späßchen mit der artigen Provenzalinn zu machen, die jetzt in unserm Gehöfte wohnt. Weil die aber schon ein Paarmal beynahe an meinen Späßchen gestorben ist – sie hat eben nicht die stärkste Natur – dachte ich: du willst es lieber einmahl beym Gunnar versuchen. Vielleicht kannst du ihm einen Dienst thun, der ihn wieder gut auf dich macht. Geht das nicht – nun, so findet man sich darein, wenn man beym Gerichtsfelsen auf einige Jahre von dem Eilande verbannt wird. Ich wollte ja ohnehin gern nach Abentheuern aus. – Da ist denn nachher Alles so gekommen, wie es der Gunnar selbst am besten erzählen kann. Und lieber Gunnar, gebt Euch zufrieden, ich habe es fürwahr recht gut mit Euch gemeint.«

Die Treuherzigkeit des Jünglings machte, daß ihm der Beleidigte mit gutem Willen verzieh, und wegen der Siegesthat gegen den Räuber Mördur, begleiteten die edelsten Anbauer auf Island den tapfern Thiodolf mit Hörnerschall und Freudengeruf nach Haus.


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