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Alle Störungen waren mit Thiodolf aus dem Gehöfte verschwunden. Die Tage lösten einander still und friedlich ab, um so stiller, da nun der Winter starr und kalt über dem Eilande lag, seine beschneyeten Eismassen bis weit in das Meer hinausdehnend. Wie unter einem kalten Grabe blühete Malgheriten's und Pietro's stille Liebesgluth. Wenn die zweye einander in die leuchtenden Augen blickten, fühlten sie wohl die paradiesische Zaubermacht der Liebe, und standen wie in eines duftenden Gartens Mitte; aber ein Blick hinaus auf den schneeigen Hof oder nach den schneeigem Bergen empor, brachte ihnen die Einsamkeit auf Island furchtbar in's Gemüth; die beyden Alten seufzten öfters tief, und man merkte wohl, daß es um ihres lieben Neffen willen geschah, so daß sich Pietro und Malgherita noch obenein wie störende Unheilsbringer vorkamen, und Alle zumal im Grunde ihres Herzens den wunderlichen Thiodolf wieder zurückwünschten.
Eines Abends – die grimmige Kälte draußen hatte die bunten Glasscheiben der Halle eingeeist, und die Bäume knarrten vor dem schneidenden Sturm in all ihren Aesten – saßen die Hausgenossen trüb um das Feuer her. Die alte Gunhild, sonst immer in dem Winterwetter behaglich still, einer grauen, in diese Lande ganz eingewachsenen Weissagerin vergleichbar, schauderte doch heute selbst bisweilen zusammen, wenn die Hähne draußen durch die Nacht kräheten, und die Jagdhunde heulten, und das Wild aus den Forsten herüber schrie. Sie bath endlich gar, Pietro möge etwas Heiteres aus seinen blühenden Südlanden erzählen, etwa aus der Zeit, wo er in wunderlichen Verkleidungen um Malgherita freyte, und er hub folgendermaßen an:
»Meine schöne Braut saß einstmahlen mit ihrem großmächtigen Vater unter einer hohen Linde, die weit vor dem Burgthore hinaus stand, und es war schon tiefes, tiefes Abenddunkel, und die Nachtvögel flogen hart über die Erde weg, und streiften mit ihren Fittigen, Regen verkündend, in Seen und Bächen die Fluth. Am Himmel aber stand es, wie grause, schwere Gewitter.«
»Ich dachte,« unterbrach ihn die alte Gunhild, »Ihr solltet uns etwas Freundliches, Anmuthiges erzählen, davon man hübsche Bilder mit in den Schlaf hinübernähme, und nun kommt Ihr mit solchen wunderlichen Worten.«
»Laßt nur,« sagte Pietro; »es wird gar hell und vergnüglich nachher. – Ich ging wehmüthig unten das Thal entlang, und hatte nur meine Lust daran, wenn der aufsteigende Nachtwind über die Saiten meiner Zither hinpfiff. Die waren zwar eben von derselben Luft verstimmt, und es gab nur ein ängstliches, mislautendes Getöne, wie wenn ein Sterbender winselt in schwerer Todesnoth.«
»Pietro, Pietro,« sprach Malgherita dazwischen, »um Gott, wie erzählst du denn? Und wie kommen doch nur alle die gräulichen Reden auf deine Zunge?«
»Ich weiß es nicht,« entgegnete der Ritter nach einem kurzen Besinnen. »Aber habt nur allesammt Geduld. Es wird sich schon geben, wenn die Geschichte sich heitrer wendet, und daß sie das thut, und Alles bloß auf einen fröhlichen Liebesscherz hinausläuft, ist dir ja bekannt, Malgherita. – Viel hätt' ich darum gegeben, oben zu stehen bey meiner Geliebten, deren holdes Geflüster mir von dem Hügel herunter tönte, wie sie mit ihrem Vater sprach, und dennoch wußt' ich gar nicht, wie das vor dem feindseligen Manne anzufangen sey.
Da kam ein Priester, Gebethe murmelnd, mir durch das Thal entgegen. In Priesterkleidung, das wußt' ich wohl, nahm mich der große Freyherr willig auf, und ward mir auch wohl die Gelegenheit, ein Paar Worte in Malgheritens Ohr zu flüstern, ich trat dem Wandelnden hart und unversehens entgegen, faßte ihn gewaltsam, und zog ihn in den nahen Kastanienwald hinein; mein Dolch funkelte dicht vor seinen Augen.«
Nesiolf unterbrach ihn kopfschüttelnd, und sagte: »Christenpriester haben wir freylich auch hier auf der Insel bisweilen todtgeschlagen. Dort unter den Wurzeln des Rüsterbaumes modert eines solchen Gebein, den ich selbsten mit einscharren half. Aber wie Du, italischer Ritter, einem Priester deines Glaubens tödtlich begegnen konntest –«
»Ich that ihm ja gar nichts zu Leide«, sagte Pietro. »Nur freylich, bey Liebesmuth wohnt oftmahlen auch Uebermuth. Der Tausch, den ich mit dem Alten anstellte, war reich für ihn; das Gold in meinen Taschen, die Edelsteine an meines Mantels Saum mochten leicht zusammengenommen so viel werth seyn, als sein halbes Kloster. Aber ich dachte mir es spaßhaft, wenn er sich erst von einem Räuber beraubt wähnte, und fände sich endlich, nachher zur Besinnung gediehen, königlich beschenkt. Darüber jedoch verzerrten sich des Priesters Züge in der Angst recht gräßlich, und die einzelnen Mondenstrahlen, welche durch das finstre Gebüsch über seine Bildung herein fielen, machten ihn vollends zu einer entsetzlichen Leichengestalt. Verdreht die Augen, offen der lautlose Mund. –«
»So sah der Christenpriester auch gerade aus, als wir ihn unter der Rüster begruben, sagte Nesiolf. »Wenn Euch nur nicht etwa in dem provenzalischen Thal sein Gespenst erschienen ist.«
Diese Worte kamen Allen sehr furchtbar vor. Sie sahen sich schaudernd an, und Niemand hatte Lust, den Mund zu einer Frage oder Erläuterung aufzuthun, denn es war ihnen zu Muth, als müßten unwillkürlich immer graunvollere Reden über ihre Lippen springen.
Da knarrten die Pforten der Halle leise, leise, und eine kleine, schwarze Mannesgestalt schlich seufzend herein, die sich im Näherkommen als einen todtbleichen Christenpriester zu erkennen gab. Die um das Feuer her Sitzenden bebten zurück, der Ankommende bebte auch, und weil Jene meinten, er thue dies als ein Gast des bleichen, kalten Grabes, rückten sie nur noch ängstlicher zusammen, bis er endlich seine Stimme in folgenden Worten erhob:
»Der mich wie ein Sturmwind hier hereingerissen hat, wird wohl wissen, was ich soll. Aber ich weiß es nicht. Nehmt mich gütig auf. Wenn ich wüßte, daß ich einen Christenmenschen hier unter Euch fände, würde ich sagen, mir sey wie meinem Nahmensheiligen Jonas geschehen, – denn der arme Priester Jonas bin ich genannt, und hergeschleudert wie durch einen gewaltigen isländischen Wallfisch, ohne Zweifel zu Gott des Herrn Preis und Ehre, denn Alles in dieser, wenn auch gleich sehr weit abgeirreten Welt, geschieht ja doch gewißlich dazu.«
Pietro gab ihm die Hand, sprechend: »Wenn Ihr auch nicht zu Glaubensgenossen als Euern Wirthen kommt, so sitzen doch Christenleute hier mit am Feuer, und Ihr könnt ohne alle Besorgniß erzählen, was Euch hierher getrieben hat, ich, ein christlicher Ritter, stehe Euch für jedwede Gefahr.«
»Es gibt mehr Christen hier auf der Insel,« entgegnete Jonas. »Dort in der milderen, zum Thal sich senkenden Berggegend, welche sie Hlidarende heißen, hat ein frommer freundlicher Mann sein Gehöft. Der ist unserm seligmachenden Glauben zugethan, und heißt Gunnar. Bei ihm fand ich milde Aufnahme und Schutz; ja, er verhieß mir, es werde sich Niemand unterfangen, mich gewaltsam anzurühren, so lange ich noch sein Gastfreund sey.«
»Nun, das hat auch gewiß kein Isländer gewagt,« erwiederte Nesiolf. »Gunnar ist groß und mächtig in unserm Land. Wenn ich Isländer sage, rede ich von Menschen in Fleisch und Bein, denn unsere Alfen – für die kann freylich Niemand stehen.«
»Ich meine, daß es ein Mensch war, der mich vom Gunnarshof bis hier herein riß,« sagte Jonas. »Groß, riesig trat er vor mich hin, als ich mich vor dem Hause meines Beschützers erging, warf mich auf seine Schultern, wie man es mit einem Gebunde leichten Zeuges zu thun pflegt, und verwundete zwey Gunnarsknechte, die mir zu Hülfe kommen wollten, gewaltig. So ging es über Thal und Hügel fort, und hin durch den rauschenden Markarfluß, und endlich schleuderte er mich hier in Euer Gehöfte, dicht vor die Thüre dieser Halle herein. Ein zierlicher, verlockender Alfengeist war es wahrhaftig nicht, und ich glaube gar, er steht noch immer in seiner riesigen Gestalt ganz hart an Euerm Bau.«
»So Tyr mir helfe,« rief Nesiolf aus, »ich denke, es ist abermals mein unbändiger Neffe, der diesen Streich angefangen hat.«
»Angefangen, und auch ausgeführt,« sagte Thiodolf, indem er freundlich grüßend in die Halle trat. »Was aber habt Ihr dagegen einzuwenden, und überhaupt Euch darüber so großes zu verwundern?«
»Was?« rief der alte Nesiolf in heftigem Zorn. »Bedenke nur soviel, mein frevler Bursch, daß Gunnar der mächtigste und reichverwandteste Anbauer auf unserm ganzen Island ist. Soll ein verderblicher Krieg unter uns Allen losbrechen, bloß um deiner thörichten Neckereien willen? Hebe dich von uns, wenn du nicht Ruhe halten kannst. Dich zu beschützen, ist ein blutiges Geschäft; so mag ich dich auch nicht fallen lassen. Hebe dich von uns, sage ich, und lasse meine Wohnung, wo möglich aber auch unsere ganze Insel in Frieden.«
Thiodolf hatte anfänglich sehr gelassen zugehört, aber nach und nach war ihm eine glühende Röthe in's Gesicht gestiegen; die Augen funkelten ihm nun plötzlich wie zwey Sterne durch Gewitterwolken; er ballte beyde Fäuste, griff nach einem ehrnen Kessel, der ihm zur Seite stand, und warf ihn auf den Boden, daß er sich zusammenbog, wie dünnes Blech; zugleich schritt er fest und hart auf seinen Oheim zu. Der war urplötzlich stille geworden, sah vor sich hin an die Erde, und that den Mund nicht mehr auf. Thiodolf aber brach los, und rief mit wild erhobener Stimme:
»Aus deiner Wohnung soll ich, Oehm? Aus unserer Insel soll ich fort? Schick mir erst Einen, der mich hinauswirft. Aber ich denke wohl, du magst lange umhersuchen, ehe du einen solchen findest. Hüte dich, alter Vatersbruder! Ich habe so viel Recht an dein Gehöfte, als du, und meine Arme und Fäuste sind – das weiß der große Asathor – um viele tausendmahl besser, als deine. Du thätest löblich, wenn du dich still verhieltest, ich mag wohl noch dumm seyn, und blöden, ungeübten Verstandes, fange auch nicht ohne Noth irgend ein Gelärm an; aber wenn mich Einer allzuviel schilt, knackt es mir in allen Gliedern. Ruhe, mein Oheim! Ich rathe dir Gut's.«
Die alte Gunhild zitterte sehr, Nesiolf regte sich nicht, und sagte nur ganz leise in Pietro's Ohr: »er ist entsetzlich in seinem Zorn. Man nennt das in unsern Nordlanden die Berserkerwuth, was jetzt in ihm aufsteigt. Da ist ein Held seines Gleichen unbezwinglich drin, und kennt nicht Vater nicht Bruder. Haltet Euch um aller Götter Willen so, daß Ihr ihn auf keine Weise erzürnt. Wir wären verloren, so viel wir unserer hier in der Halle sind.«
Malgherita hatte etwas von diesen Reden vernommen, hielt die zarten Händchen vor die Augen, und weinte still. Da sah Thiodolf eine Weile nach ihr hin, und ward alsbald ganz ruhig und sanft. – »Malgheritchen, sagte er, mußt dich weiter nicht fürchten, ich bin allein zu deinem und Pietro's Heil hier so unvermuthet hereingekommen. Heute Abend noch soll Hochzeit seyn, ich kann es nicht länger ertragen, daß Ihr Zweye, die Ihr einander so herzlich lieb habt, noch immer nicht Mann und Frau seyd. Und weil Ihr einen Priester dazu braucht, welcher dem weißen Christ bedienstet ist, habe ich diesen greisen Herrn hier aufgespürt, und ohne Weiteres mit herein gebracht. – Nun gieb sie zusammen, alter Herr Jonas, und Alles ist gut.«
Pietro und Malgherita vor ihrem so plötzlich nahen Glück, Alle vor Thiodolfs noch kaum zurückgehaltenen Ungestüm, und der schauerlichen Stunde, bebten zusammen, und gaben nach. Der Priester segnete die Liebenden ein, den Sturm, der heulend und unheimlich um das Gehöfte pfiff, mit minderm Grauen beachtend, als den dräuenden Jüngling ihm zur Seiten, und in Eine Kammer führte Gunhild die Neuvermählten ein, unter Windeswehen und Schneegestöber, das vom empörten Meere herauf gegen die Fenster schlug.