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Neuntes Capitel.

Ueber einigen Trümmerhaufen der zerstörten Carthago lagen zauberisch funkelnd die Strahlen der untergehenden Sonne; hohe Gräser und duftende Gebüsche, aus den Steinritzen aufgeschossen, flüsterten im Seewinde, wie erzählend mit geheimnißreichen Lauten von den unerhörten Thaten der Vergangenheit. Die Stimme eines Hirtenknaben sang zwischen Hügeln – man hätte glauben können, es sey aus Gräbern – hervor:

»Marius auf Carthago's Trümmern,
Einst ein großer, röm'scher Herzog,
Hat gemeint mit bittern Lauten:
›Leben, ach in Wandlung endlos,
Bist du mehr wohl als ein Schatten?
Minder, als des Todes Herold?‹«

Vor diesem Liede bebte eine schöne Frau, die am Arm eines Mohrenfürsten ging, ängstlich zusammen, und er führte sie alsbald in eine prächtige, unfern davon sich erhebende Burg zurück.

Unlängst darauf kam Thiodolf über die Ebene herangegangen. Er war vor einigen Stunden an der Küste gelandet, und hatte nach seiner gewöhnlichen Weise das Nachfragen in dem feindlich drohenden Lande allein übernommen. Seine Antwort auf einige gutgemeinte Einreden der Kriegsgefährten war gewesen: »erstlich macht es um so minder Aufsehen, wenn ich allein komme, und zweitens hab' ich um so mehr Ehre von Allem, was mir begegnen kann. Haltet Euch ruhig auf Euerm Posten und stelle sich mir Niemand in den Weg.« – Sie wußten schon, was das hieß, wagten kein Wörtlein der Gegenrede mehr, und blieben nur horchend und schlagfertig am Strande, um auf den ersten Ton des Schlachthornes dahin zu rennen, von wo ihr junger kühner Heerführer sie berufe.

Als nun Thiodolf jetzt eben um die Trümmer herstrich, vernahm auch er des Knaben Gesang, und zwar in folgenden Worten:

»Hellbelaubte Sommertage
Wandeln sich in trübes Herbstroth!«

»Da thun sie nicht dumm dran,« entgegnete Thiodolf. Der Herbst ist eine schöne Jahrszeit. Du aber, dem er so trübe vorkommt, mach' dich 'mahl ein Bischen aus den Steinhaufen heraus, ich habe mit dir zu sprechen.«

Freundlich grüßend trat der schlanke Hirtenknabe vor den Heldenjüngling hin.

»Du hübsches Kind,« sagte dieser, »kannst du mich wohl nach des alten Haruns Wohnung hinweisen?«

»Morgen früh recht gern, lieber Herr,« entgegnete dieser. »Aber heute Abend ist mir's allzu grausig nach dem alten Gemäuer hin. Auch lauern dorten zur Nachtzeit viele Unthiere, und ehe wir unsern Weg vollbrächten, wäre der Mond schon lange herauf.«

»Laß du den Mond nur immer herauf kommen, liebes Kind,« entgegnete Thiodolf. »Du bist in eines kräftigen Nordmannes Schutz. Eh' dir ein Haar gekrümmt würde, müßt' ich todt am Boden liegen, und das thut sich nicht so leicht.«

»Das glaub' ich selbst, du große, herrliche Gestalt,« sagte der Knabe, »ich will auch mit dir gehen. Nur erst meine Herde muß ich hier unterbringen.«

Damit war Thiodolf gern zufrieden. Der Knabe trieb seine Schaafe in ein halb versunk'nes weites Gemäuer, zäunte es sorgsam mit einigen Hürden zu, und trat alsdann mit dem ritterlichen Gesellen seine Wanderung an. Sie schritten über die flache Küstenebne hin, nur selten einzelne Gebäude oder niederes Strauchwerk auf dem einförmigen Wege antreffend, während ein immer tiefer sinkendes Schattendunkel das kaum noch von der Abendsonne bestrahlte Gebiet wachsend überzog. Wolken der tiefsten Wehmuth und Sehnsucht zogen zugleich über Thiodolfs Gemüth. Die zurückgelass'nen Freunde auf Island, und die vor ihm geflüchtete stolze Schönheit sahen ihn, wie Vergangenheit und Zukunft, halb streng', halb lockend an. Er dachte bisweilen, es seye mit all der Lust, der er entgegen zu schreiten denke, Wolkenspiel. Die treuen Verwandten auf Island möge er wohl nimmer wiedersehen, des herrlichen Frauenbildes Liebe nimmer gewinnen. Dazu klangen die einzelnen Accorde, welche der Knabe aus seiner Zither hervorlockte, ebenfalls recht sehr betrübt, und es fiel hin und her eine schwere Thräne, fast wie aus den Wolken, wenn sie gerade recht kraftvoll gewittern wollen, aus den großen blauen Heldenaugen herab.

Als nun der Mond schon längst am Himmel war, und der Küstensand ganz goldgelb aussah von seinem Scheine, nahmen die Wandrer eines verwitterten Gemäuers wahr, das sich auf einem sanften Hügel erhob. Ringsumher zog sich dichtes Gebüsch von allerlei seltsam aussehenden Stauden, die, bald breit aus einander fahrend, bald spitz in die Höhe schießend, einem Fremden es mit jedem Blatt in's Gedächtniß riefen, wie fern seiner lieben Heimath, und in welcher unerhörten, wunderlichen Gegend er wandle.

»Da droben wohnt der alte Harun;« sagte der Knabe, und reckte die Hand gegen das mondbeleuchtete Gestein aus, blieb aber in dieser Stellung plötzlich wie bezaubert stehen. –

»Was hast du denn, Bursch?« fragte Thiodolf, »schreite doch fürder, sonst finden wir den alten Herren schon eingeschlafen.«

»Sehr Ihr denn nicht?« flüsterte das Kind, noch immer ohne sich zu regen. »Da lauert ja ein entsetzlicher Löwe sprungfertig auf uns. Rühren wir uns, so fährt er los.« –

»Ja, der Löwe soll ein schlimmes Thier seyn,« entgegnete Thiodolf. »Wenn ich ihn nur erst sähe.« – Und vorsichtig durch das Gebüsch umblickend, sprach er endlich: »sieh' 'mahl, da ist ein schöner, großer Hund, ganz goldgelb. Der soll uns helfen bey der Jagd.« Und eben wollte er den Hund zu sich locken, da sprang dieser ingrimmig auf ihn los. – »Will er fort!« rief Thiodolf ihn an, aber im selben Augenblicke fühlte er sich seinen Schildrand beynahe vom Arme gezerrt, und von des Thieres Zahn seine Hüfte gestreift. – »Bist du so bissig, Kerl?« rief er aus, und ließ seine Streitaxt auf das reichbehangene Thierhaupt niederfallen, es in zwey blutige Hälften theilend, daß der wilde Angreifer mit laut wiederhallendem Geheul zu Boden sank, und gleich darauf, seine Glieder im Sterben weit von sich streckend, verschied. – »'s ist Schade um den schönen herrlichen Hund;« sagte Thiodolf bedauernd, »ich habe wohl noch keinen so großen gesehen. Warum hatte sich das Ding auch so ungebärdig! Aber wo finden wir denn nun den Löwen?« –

Der staunende Knabe bedeutete ihn mit Mühe, das sey ja eben der Löwe, und zwar einer der furchtbarsten, die man auf diesen weitberühmten afrikanischen Küsten antreffen könne.

»So, so?« sagte Thiodolf, sich aufmerksam zu dem gefällten Thiere niederbeugend. »Das ist also ein Löwe! I nun, es ist immer ein recht hübsches, tüchtiges Geschöpf, aber ich kann dir doch sagen, ich habe mir mehr davon vorgestellt.«

Ein alter Mann mit ehrwürdigem Bart und hohem Turban war zu ihnen heran getreten. – »Könnt Ihr mich nicht berichten, Kinder,« fragte er, »was diesen gewaltigen Löwen hier gefällt hat? Daß es ein Donnerschlag gewesen seyn mag, ermesse ich wohl von selbsten. Aber wie ging es zu, daß ich den nicht vernommen habe, und dennoch das entsetzliche Todesgebrüll des Thieres scharf durch meine Gemächer drang?«

»Donnerschlag?« entgegnete Thiodolf, »ja, wem, Ihr das für einen Donnerkeil wollt gelten, lassen.« Er hielt seine Streitaxt dem Alten hin, und fügte hinzu: »aber Ihr würdet Euch irren.«

»Beinahe möcht' ich's demungeachtet Donnerkeil heißen!« sagte der Greis, bald die Schneide des Beiles, bald die Wunde des Thieres betrachtend, und der Hirtenknabe flüsterte in Thiodolfs Ohr, das seye hier eben der alte, reiche Harun, zu dem man gewollt habe.

»Lieber Harun,« sagte Thiodolf freundlich, »ich hab' Euch einen Gruß von Euerm Freunde Bertram zu bestellen.«

Der Alte sah ihn freudefunkelnden Blickes an, sprechend: »Du siehst freylich ganz darnach aus, Kämpferjüngling, als könntest du ein Freund meines Freundes seyn, und thust auch darnach, aber dennoch muß ich noch eine andre Beglaubigung fordern.«

Da hielt ihm Thiodolf den Siegelring vor die Augen, und alsbald faßte Harun mit Jugendfeuer und Jugendkraft die Hand seines Gastes, und führte ihn nach dem Gemäuer hinauf, auch dem Hirtenknaben Bewirthung und Nachtlager verheißend, damit er Morgen in heitrer Tagessicherheit nach seiner Herde zurück wandeln könne.


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