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Nach einigen Tagen glücklicher Schiffahrt lag Thiodolf an den provenzalischen Küsten vor Anker. Er hatte sich eine schattige Bucht ausersehen, wo er um so verborgner war, da nicht leicht Andre, als gerade kühne Isländer, diese schwierige Stelle zum Landungsplatz erwählen konnten. Mit den Besten seiner Schar bestieg er einen nahen Hügel, von wo man fast in die Gassen der prächtigen Stadt Marseille hinein sah, und auch etwas entfernter die Burg des großen Freyherrn im Auge hatte. Thiodolf schien einen Angriffsplan auf diese zu entwerfen; endlich aber sagte er: »man muß doch erstlich wissen, wie die Sachen stehen. Darum werd' ich hinabgehen, und mich in der Stadt erkundigen, welche ich mir ohnehin gerne näher besehen möchte.« –
Seine Kriegsleute stellten ihm die Gefahr vor, in die er sich begebe, nach Allem, was er noch kaum erst an diesen Küsten angefangen habe, und baten, er solle lieber Einen von ihnen abschicken. Aber davon wollte er nichts hören, meinend, das habe nie in der Weise seines Stammes gelegen, bey irgend einer Art von Gefahr zurück zu stehen, und als zwey der ältesten Isländer ihre Jahre und ihre Erfahrung gegen ihn geltend machen wollten, rief er funkelnden Auges: »zu Helfern seyd Ihr mir mitgegeben, zu Führern nicht!« worauf sie alsbald in Demuth verstummten.
Da ward er sogleich wieder sanft, und sagte freundlich beruhigend: sie werden mich auch nicht eben da drinne fressen. Sollt' ich aber dennoch ausbleiben, und Ihr erführet, sie hätten mich in Uebermacht erschlagen, da laßt es die Stadt nur hübsch entgelten; kehrt das Unterste zu oberste und sorgt, daß ein tüchtiges Thiodolfsgrab daraus werde, so eins, das man weit in's Meer hinaussieht, wie einen hohen Berg.«
Somit grüßte er noch einmahl freundlich, und schritt wohlgemuth auf die leuchtende Hafenstadt zu.
Noch eh' er sie aber erreichte, führte ein Weg, der sich durch die blühenden Felder hinschlang, und den er mit Verwundrung über dessen Zierlichkeit und Glätte verfolgte, ihn auf einen lustigen Anger, wo unter schattigen Lauben fröhliche Trinkgesellschaften saßen, und Musik durch die sonnigen Lüfte jubelte, während schöne Jungfrauen und Jünglinge Tanz hielten auf geebneten Stätten.
Das gefiel dem freundlichen Thiodolf sehr wohl, und er wäre gern mit dabey gewesen, wußte aber nicht recht, wie er es anzufangen hätte. Manchmal fiel es ihm wohl ein, auf's Gerathwohl irgendwo mitzutrinken, oder mitzutanzen, aber er meinte, die Leute könnten sich erschrecken, und stören dieses anmuthige Gelag wollte er auf alle Weise nicht.
Einige sahen wohl staunend nach der riesigen Heldengestalt, und nach dem wunderlichen Hauptschmucke hin, aber man war in der reichen Handelsstadt zu sehr an Erscheinungen aus allen bekannten Welttheilen gewöhnt, um lange bey einer einzelnen zu verweilen, und so blieb Thiodolf einsam und sinnend, an seinen Wurfspeer gelehnt, mitten unter dem fröhlichen Gewimmel stehen.
Es fiel ihm endlich ein hübsches Gebäude in die Augen; da hing ein grüner Kranz vor der Thür, und viele Leute gingen mit leeren Flaschen hinein, und kamen mit gefüllten zurück. –
»Aha, sprach er zu sich selbst, das wird wohl dorten der Brunnen von all' dem Wohlleben seyn, und man muß versuchen, wie man auch einen Trunk daraus abkriegt.«
Er schritt hinzu, und fragte ein lächelndes Mädchen, die Speise und Trank an mehrere Herbeykommende austheilte, ob er wohl auch mit zu den Gästen gehören dürfe. –
»Warum nicht, mein mein Herr Riese?« entgegnete sie scherzend. »Wenn Ihr nur Geld habt.«
»Geld?« fragte Thiodolf. »Was hat denn das mit der gastlichen Bewirthung zu schassen?«
»Gar viel,« lachte das Mädchen zurück. »Der Gasthalter gibt seine Gaben um's Geld, und habt Ihr kein Geld, so sind seine Gaben nicht für Euch.«
»So ein Wirth möcht' ich nun auch nicht seyn,« sagte Thiodolf kopfschüttelnd. »Aber mir kommt dieser hier eben zu Paß. Geld hab' ich freylich nicht bey mir, – jedoch da! – Kann ich dafür ein Paar Flaschen Wein haben, und zwar von dem recht feurigen, schäumenden, hellen?« –
Er brach eine Goldspange von seinem Mantel, und hielt sie dem Mädchen entgegen.
»Zehn Flaschen, wenn Ihr wollt, und mehr;« entgegnete diese, sich tief verneigend, und schnell nach der Spange fassend. »Befehlt Ihr drinne zu trinken, oder unter einer Laube?«
»Unter einer Laube, wenn's seyn kann,« sagte Thiodolf. »Und was die zehn Flaschen betrifft, – i, bringe du vor der Hand nur fünfe, aber ein bischen große. Wir wollen nachher denn schon weiter sehen.«
Man bediente ihn auf's eilfertigste, und er sprach, sich unter die duftende Laube niederlassend: »närrisch ist es wohl etwas, auf diese Art ein Gast zu seyn, nur müßt' ich lügen, wenn ich sagen wollte, es wäre unbequem.«
Er hatte die eine Flasche schon fast geleert, da ward es ihm erst bemerklich, daß er nicht allein in der Laube war. Ein kleiner, freundlicher Mann in sehr anständiger Tracht saß ihm gegenüber, und blickte lächelnd mit scharfen Augen auf ihn hin: doch schwebte um den freundlichen Mund so viele Gutmüthigkeit, daß es immer schien, als seye der bereit, Alles zu verantworten oder zu entschuldigen, was etwa die klugen Augen entdecken möchten. Thiodolf, der sich gern durchschauen ließ, weil sein Innres lauter war und hell, wie ein Spiegelglas, sah gleichfalls den Fremden lächelnd an, nickte ihm zu, und sagte: »es ist sehr hübsch hier!«
»Ja wohl,« entgegnete der freundliche Mann, »und ich habe mein rechtes Behagen darüber, daß Ihr das so mit kräftigen Sinnen empfindet.«
»Trinkt mit!« sagte Thiodolf, und der Fremde nahm es an, brachte aber gleich darauf ein Paar Flaschen noch weit köstlicheren Weines zum Vorschein. Im zutraulichen Gespräche gab es sich baldigst kund, der Zechgeselle Thiodolfs sey ein Marseiller Kaufmann, der eine geraume Zeit des Jahres hindurch von seinen Geschäften an fremden, oft unwirthbaren Küsten umher getrieben werde, dann aber ein desto behaglicheres und reichlicheres Ausruhen in der lieben Heimath genieße.
»Gute Brüderschaft!« rief Thiodolf, die Gläser zusammenstoßend. »Denn im Grunde, lieber Herr, sind wir doch allzumahl Eines Geschäftes, nur daß Ihr gewöhnlich Gold zahlt für die Güter fremder Lande, wir aber Speerwürfe und Schwerthiebe und Blut.«
»Nun,« lächelte der Kaufmann, »ein kleiner Unterschied mag es wohl dennoch seyn, denn uns liefert man die Waaren immer freywillig aus, und nach vorhergeschehenem Vertrag. Dagegen freylich zahlt Ihr oftmahls wieder mit ritterlicher Hülfe und freudigem Sieg, und das ist dann eine so herrliche Münze, daß keine andre auf Erden damit in Vergleichung kommt, ich und meinesgleichen können uns die Brüderschaft immer gefallen lassen.«
»Und die Waffen,« sagte Thiodolf, »die Waffen nehmt Ihr doch auch bisweilen auf Euern Fahrten zur Hand?«
»Nie ohne Noth,« entgegnete der Kaufherr, »aber nie ohne Muth.«
»So ist es Recht!« rief Thiodolf aus, und faßte gewaltigen Schwunges seines Zechgesellen Hand. »Lieber, wackrer Herr, das fühlt sich wohl gleich, daß man mit Euch ohne bedenklichen Rückhalt sprechen kann, frisch heraus, wie es tüchtigen Männern ziemt. Erzählt mir doch um aller Götter Willen, wie geht es jetzt auf der Burg des großen Freyherrn zu?«
»Einer Eurer Landsleute hat vor Kurzem sehr übel dorten gehaust;« erwiederte der Kaufmann, und sah scharf und kopfschüttelnd in des Fragenden Auge.
»So! Hat er!« antwortete Thiodolf etwas verlegen. »Aber was ist denn nun endlich draus geworden?«
»Was beynah daraus werden mußte,« sagte der Kaufherr. »Des Freyherrn hohe und stolze Sinne haben sich im zornigen Leide verwirrt. Er kommt nicht Tag, nicht Nacht mehr aus dem offnen Bogengange fort, der sich an seiner Veste gegen den Thiergarten hinzieht, und sonst von ihm und den meisten Hausgenossen für einen unheimlichen Aufenthalt angesehen ward. Da geht er mit einem uralten Streithammer umher, und pocht gegen die bemalte Mauer, um die gewölbte Stelle herauszufinden, wo seines Ahnherren Huldibert Weissagung verborgen liegen soll. Die, meint er, werde ihm Licht verschaffen über das entsetzliche Geschick, das ihm seine beyden Töchter entführt habe.«
»Beyde Töchter? Beyde?« fragte der staunende Thiodolf. »Die Isolde ist ja nur auf eine halbe Stunde fort gewesen, und schon lange wieder nach Haus.«
»Ihr seyd falsch berichtet,« entgegnete der Marseiller, »Isolde ist durch jenen Nordmann, vermuthlich nach dem Willen der vor Kurzem wieder gleich einer Erscheinung aufgetauchten Malgherita, gewaltsam entführt worden.«
»Ja,« sagte Thiodolf, – auf den Tisch schlagend, daß die Flaschen und Gläser zusammenklirrten, – »das weiß ich wohl. Aber sie ist ihm wieder davon gelaufen, und schon längst wieder beym Vater.«
»Lieber Herr,« entgegnete der Kaufherr lächelnd, »Ihr irrt Euch dennoch, wie kräftig Eure Faust auch dem Tisch ihre Beweise führen mag. Ein wilder Nordmann, der sich vor der Burg hat sehen und auch fühlen lassen, – denn ein Thorwächter liegt von seinem Faustschlage noch halb todt zu Bette –«
»Das muß auch ein rechter Lump von Thorwächter gewesen seyn!« unterbrach ihn Thiodolf. »So ein Bischen Faustschlag!«
»Dem sey, wie ihm wolle,« fuhr der Kaufmann fort, »eben dieser Nordmann hat nachher ein Gefecht mit des Freyherrn Geschwadern am Strande gehalten, und sich nach seinen zwey Barken zurückgerettet, auf die er ohne allen Zweifel schon früher die schöne Isolde zu führen gewußt hat.«
»Nein, Herr, das hat er eben nicht gewußt,« rief Thiodolf mit unwilligem Lachen, »und das ist eben der Schade.«
»Ihr streitet wunderlich;« sagte der Kaufmann.
»I Herr,« entgegnete Thiodolf, »wer wunderlich streitet, das seyd Ihr. Die Geschichte kann Niemand so gut wissen, als ich, denn ich bin ja eben der wilde Kerl, von dem Ihr zu sprechen beliebt.«
»Ja so, das ist ein Anders!« sagte der Kaufmann herzlich lachend. Bald aber, in ein ernstes Nachdenken fallend, sah' er eine Weile schweigend vor sich hin, und fragte endlich:
»Um Gott, habt Ihr denn aber gar keine Ahnung, wo nun Isolde geblieben seyn mag?«
»Das wollt' ich Euch fragen!« rief Thiodolf aus. »Und Ihr könntet mir immer mit sehr gutem Gewissen Bescheid geben, denn ich habe nichts im Sinne, als die Versöhnung des ganzen Hauses, und deßhalben wollt' ich auch Isolden entführen, ja heirathen sogar.«
»Ey lieber Freund,« lächelte der Kaufmann zurück, »das Letzte haben gar viele Menschen gern gewollt.«
»Nicht so ehrlich und treuherzig, wie ich,« sagte Thiodolf. »Darauf wollte ich schon eine Wette eingehen.«
»Ich mit,« entgegnete der Kaufmann, »wenn Ihr es auch etwas wunderlich solltet angefangen haben. Soviel ist gewiß: Ihr oder Keiner vermögt es jetzt, Isolden zu retten, die in eines gar unwürdigen Entführers Hände gefallen seyn muß.«
»Den werd' ich vermuthlich zu Staub zertreten,« sagte Thiodolf.
»Laßt mich jetzt nur nachsinnen,« erwiederte der Kaufmann, »daß wir auf eine Spur kommen, wer er ist, und wohin er seine Fahrt gerichtet haben mag.«
Nach einigem Schweigen sagte er: »Es kann fast nicht anders seyn! Der stolze Araberfürst Achmet muß die That verübt haben. Der kreuzte gerade zu jener Zeit mit einigen Schiffen an unserer Küste, und man hat seine Korsaren oftmahls am Lande gesehen. Außer dessen Fahrzeugen und Euern gab es nur Handelsschiffe, die friedlich im Hafen unsrer Stadt lagen, und nicht die mindeste Gewaltthat hätten ausführen oder auch nur wagen können, am wenigsten gegen eine Tochter des großen Freyherrn.«
Schon emporgerichtet und seinen Wurfspeer zur Hand, fragte Thiodolf: »Wo find' ich den Achmet, lieber Herr?«
»Man will wissen, er sey von hier nach Sicilien gesegelt,« sagte der Kaufmann. »Findet Ihr ihn dort nicht, so müßt Ihr nach der Afrikanischen Küste hin. Da soll er ein großes, herrliches Schloß haben, unweit der Stelle, wo das alte Carthago stand, und ohne Zweifel wird er bedacht seyn, den geraubten Schatz dorthin zu bergen.«
»Habt Dank, mein wackrer, verständiger Wegweiser,« sagte Thiodolf, die Hand des Kaufherren schüttelnd, »und schenkt mir noch zum Abschied Euern Nahmen.«
»Ich heiße Bertram,« erwiederte dieser, »und möchte Euch wohl auch noch um etwas bitten. Es hat nämlich in der Nähe von Achmets Schlosse ein alter Araber, Harun geheißen, sehr kostbare Edelsteine für mich liegen. Die hab' ich nun noch immer nicht abhohlen lassen, weil mir keine Gelegenheit sicher genug dazu war. Jetzt wollt' ich, Ihr nähmt sie in Eure tapfre Hand, und brächtet sie bey Isoldens Heimführung mit nach Marseille. Ihr werdet aber denken, ich sey nur ein eigennütziger Mensch, der nichts als sein Verkehr und seinen Vortheil im Auge halte.«
»I warum nicht gar?« sagte Thiodolf. »Das ist ja eben die beste Lust und Freudigkeit auf der Welt, daß eine Hand so recht fest in die andre faßt, und Jeder nicht nur sein eigen bischen Geschäft fördert, sondern das Treiben sonst noch wackrer Leute mit.«
»Nun,« sagte Bertram, »so mag vielleicht auch Harun ein gutes dazu beitragen, Euch Isolden gewinnen zu helfen. Gebt ihm diesen Siegelring von mir; daran wird er Euch als meinen Freund erkennen, und Ihr mögt Euch ihm in allen Stücken unbedenklich anvertrauen. Finden könnt Ihr ihn leicht, jedweder Strandbewohner zeigt Euch den Weg zum Haus des alten Harun. Seht, mein wackrer Nordmann, der Gedanke, den Ihr da vorhin aussprachet, ist es eben, der mich freudig und kühn zum Handel macht, und mir es verbürgt, daß ich ein gottgefälliges Wesen damit treibe.«
»Auf's Wohl des Kaufherren! Aufs Wohl des Kriegsmannes!« rief Thiodolf aus, leerte sein Glas, drückte den Kaufmann fest an seine Brust, und eilte, noch ein Paar Flaschen des edlen Weines unter dem Arm, singend nach seinen Schiffen zurück. Sogleich wurden die Anker gelichtet, und man segelte mit günstigem Winde nach Mittag hinab.