Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ein Theil des folgenden Tages war verstrichen, indem man Bertrams Kleinodien zusammengepackt und geordnet hatte, so daß Thiodolf sie gleich nach vollendeter That mit sich nehmen könne. –
»Es ist nur das Eine dabey bedenklich,« sagte der Isländer, »daß Ihr so weit ab von Achmets Schlosse wohnt. Vielleicht glückt mir ein schneller, unverseh'ner Streich, und dann soll ich erst wieder hierher, wohl gar den ganzen Gewinn zum zweytenmahl auf's Spiel setzend.«
»Hört Freund,« sagte Harun nach einigem Besinnen, »ich glaube, wir thun am Besten, wenn Ihr das ganze Päcklein gleich mit Euch nehmt. Eure tapfre Rechte hat Bertram einmahl zum Schirm seines Schatzes erkoren, und ich denke, Ihr bringt ihn auch wohl allwärts sicher durch.«
»Meinethalben!« entgegnete Thiodolf. »Zudem wollte Bertram gewiß meinem Unternehmen keine Bande anlegen mit seinem Juwelenhort. Im schlimmsten Fall laß' ich mir sagen, wie viel es werth gewesen ist, und erobr' ihm die ganze Geschichte anderwärts wieder. Es gibt ja noch viel Edelsteine in der Welt. So leicht indeß soll es Niemand von mir heraushohlen. Gebt nur immer her.«
Und damit schritt er, eine Laute des Alten im Arm, seinen gestrigen Weg zurück, mit der Abendkühle vor Achmets Burg anlangend.
»Es sieht hübsch hier aus,« sagte er vor sich hin, »und ich möchte wohl, es liefe Alles friedlich ab, damit ich die glatten, blanken Wände nicht mit Blut zu besprühen brauchte.«
Als er eben hineingehen wollte, fiel es ihm ein, daß seine treuen Kampfgenossen ihn wohl schon zu lange vermißten, und vielleicht mit sinkender Nacht an's Land heraufkommen möchten, ihn zu suchen. Da schritt er nach einem Hügel empor, von wo er seine Schiffe sehen konnte, und stieß in sein Heerhorn, aber lange, gehaltne Töne, die zum Stillebleiben und zur Friedlichkeit verwiesen.
Auf den ersten Ruf des bekannten Hornes fuhren alle Nordmänner zu den Waffen; die Klänge der Ruhe und des Stillstandes vernehmend, legten sie ihr Gewehr seufzend wieder ab, und setzten sich, alte Sagen auf den Lippen, in einen Kreis zusammen.
Derweile hatte sich Thiodolf dem prächtigen Bau wieder genaht, und ward auf sein Klopfen und Rufen gastlich eingelassen. Er verlangte zum Herren der Burg, und aus einem glänzenden Gartengehege schritt sogleich ein schöner Mann in mohrischer Tracht auf ihn zu, der sich als solchen zu erkennen gab.
Da wollte Thiodolf thun, wie ihm Harun gerathen hatte, und die Unterredung alsbald mit einem Liede beginnen. Er griff gewaltig in die Saiten der Zither, aber zweye davon zersprangen vor der kühnen Bewegung; unmuthig faßte er das zarte Werkzeug noch härter, und Boden und Steg brachen entzwey. Da schmiß er es zürnend an den Boden, trat es vollends mit dem Fuß auseinander, und sah den Burgherrn einigermaßen verlegen an.
»Lieber Gast,« fragte der mit herzlichem Lachen, »was wolltet Ihr denn eigentlich bey mir?«
»Ja Herr,« – antwortete Thiodolf, – »was ich wollte? – Ich wollte Euch eigentlich etwas vorspielen. Aber seht, das Ding da unter meinen Füßen war allzu zimperlich, und brach entzwey.«
»Das war doch unbillig von der Zither, bey also zarter Berührung;« lachte der Araber, und lud diesen Gast, von dem er sich vielen Spaß versprach, ein, ihm in den Pallast zu einem fröhlichen Abendgelag zu folgen.
»Habt Ihr hier keine Frauen?« fragte Thiodolf, als sie zusammen in eine prächtige Halle traten, wo unterschiedliche reichgeschmückte Männer bereits als Gäste auf Polsterkissen um eine leuchtende Tafel her lagen.
»Frauen wohl nicht,« entgegnete Achmet, »aber doch Eine, und eine schönere, als es in Mahoma's Paradiese gibt; nur freylich nach der Art, wie Ihr mit Eurer eignen Laute umgingt, könnt Ihr es mir nicht wohl verdenken, daß ich erst einen Versuch mache, inwiefern Ihr für Damen taugt. Die Schöne befindet sich im Nebenzimmer.«
»Gut,« sagte Thiodolf, »wir wollen es abwarten;« legte sich auf ein Kissen nieder, und schenkte sich lustig ein. »Das ist doch vernünftig von Euch,« – sagte er nach einer Weile, unterdessen ihn die Andern mit lächelndem Staunen angestarrt hatten, – »daß Ihr Euch nicht des lieblichen Rebengetränks enthaltet. Denn ich habe vor Kurzem gehört, daß es wohl sonst bey Euch Leuten mit den hohen Kopfbinden und den krummen Schwertern so die Sitte ist.«
»In dieser Burg ist Alles Sitte, was die Lebensgeister edel und freudvoll anregt, und das Blut seliger durch die Adern kreisen läßt!« rief Achmet, und: »es lebe die göttliche Freyheit!« setzte er hinzu, worauf die Genossen des Mahles ihre goldnen Pokale hell zusammen klingen ließen. Thiodolf aber schüttelte den Kopf, und sagte still vor sich hin: »damit könntet Ihr weit kommen, und noch ein Bischen weiter, als Euch lieb wäre.«
»Ihr murmelt da so etwas in Euch hinein, lieber hyperboreischer Weiser,« sprach der lachende Fürst. »Wollt Ihr uns nicht etwa hören lassen, was die Musen einem so hochnordlichen Priester eingeben?«
»Eure wunderlichen Reden und Ausdrücke versteh' ich nicht;« entgegnete Thiodolf.
»Nun, theurer Herr,« spöttelte ein Gast, »waret Ihr denn niemahlen in Hellas? Kennt Ihr nicht den göttlichen Homer? Nicht den fröhlichen Heroen Aristophanes? In deren kecker, naturfrischer Weise leben wir fort und fort, und wissen von keiner andern Regel, als der, welche aus den Himmelshallen der Kunst eben so nothwendig, als lieblich herunter thaut. Nun, mein zarter, gebildeter Gast, versteht Ihr doch ohne Zweifel mich und unsern ganzen Bund?«
»Kein einziges Wort davon versteh' ich,« sagte Thiodolf gelassen, »weiß auch nicht, weßhalb die Herren hier allesammt so spaßhafte Gesichter machen. Aber so viel weiß ich ganz gewiß, daß Niemand Lied oder Scherz aus mir herausbringen soll, bis ich die schöne Frau vor mir sehe, die in diesem Schlosse wohnt.«
»Nun es wird ja doch wohl zu wagen seyn!« lachte Achmet, und einige Gäste lachten zurück: »O ja, auf alle Weise!« worauf der Fürst hinausschritt, und bald wieder zurück kam, ein, schlanke, verschleyerte Dame von hohem, herrlichem Wuchs am Arm. – »Nun werdet Ihr doch wohl singen, junger Orpheus?« fragte er lächelnd.
»Orpheus heiß ich nicht,« kam die Antwort zurück, »ich heiße Thiodolf der Asmundurssohn. Und singen werd' ich auch nicht eher, bis die da den Schleyer von ihrem schönen Angesicht zurückgeschlagen hat.«
»Oho, mein kostbarer Herr,« entgegnete Achmet, »so etwas könnte nur die Belohnung seyn für ein herrliches Lied, nicht aber für irgend einen wunderlichen Singsang die Bezahlung im Woraus.«
»Bezahlung!« murrte Thiodolf halb vom Kissen emporgerichtet, und Alle schraken unwillkürlich vor der kräftig schönen Bewegung zusammen. Doch bald wieder ruhig zurückgelehnt, fuhr er in ernsthafter Freundlichkeit fort: »ich sehe nicht ein, Leute, warum wir einander das Leben mit vielen Pfiffen und Wendungen sauer machen. Die verschleyerte Frau dort ist ohne Zweifel die Entführte, welche ich suche. Auf mannigfache Weise bin ich es den Verwandten schuldig geworden, sie wieder zurück zu bringen, und spüre auch selbsten eine große Lust zu dieser That. Laßt es Euch also gefallen, Fürst Achmet, und gebt mir das schöne Bild in Güte mit. So wird's wohl für uns Alle das Beste seyn.«
Ein unauslöschliches Gelächter brach aus dem Munde Achmets hervor, und riß alle Gäste mit sich fort, ja, es rief nach und nach das ganze Schloßgesinde herbey, und wie Einer dem Andern die Reden und Forderungen des Fremden weiter erzählte, nahm auch das Lachen zu, wobey die Rohesten aus dem Haufen mit den Fingern auf Thiodolf zeigten, wie auf ein gar ergötzliches und unerhörtes Wunderthier. Nur die Dame schien plötzlich von einer ahnungsvollen Bangigkeit ergriffen, und zog sich, vor leisen Schauern schwankend, in ihre Gemächer zurück.
Eine geraume Zeit lang saß Thiodolf bey dem Aushöhnen und Auslachen der fremden, wunderlichen Gestalten ganz ruhig. Aber eine stille, gewaltige Flamme stieg immer heißer und heißer in seine Augen empor. Es war fast, wie wenn Fackeln in Zeiten herandrohender Gefahr aus den Fenstern hoher Warten funkeln. Endlich stand er auf, blickte scharf und streng' um sich her, und sprach mit einer Donnerstimme, die hart durch das Getümmel hinriß: »Gebt Ihr mir sie nun gleich? Ich meine die entführte Schöne! Wird's?«
Da schien es, als gehe bey Achmet eine Ahnung der furchtbaren Kraft auf, die in Thiodolfs Zorne heranwetterte. Er wollte sich nun freundlich und verträglich mit ihm besprechen, und auch alle die Andern schwiegen plötzlich still. Aber das war jetzt viel zu spät für Thiodolfs gereitzte Berserkerwuth. Nur noch Einmahl fragte er mit rollenden Augen: »Gebt Ihr mir sie gleich? Ist sie auch fertig zur Abfahrt?« Und die Verzögerung der Antwort war das Zeichen zum allerentsetzlichsten Ausbruch.
Messer und andere scharfe Tischgeräthschaften flogen, im Nu von des zürnenden Helden Faust zusammengerafft, nach allen Seiten des Zimmers wie ein Platzregen aus, und streckten Viele ohnmächtig, oder gar todt zu Boden, die noch eben erst ein dreistes Lächeln auf den Lippen hatten. Wie nun die Uebrigen in Zorn und Bangigkeit gegen den Wuthschäumenden anstürmten, flog auch die Streitaxt gewaltigen Schwunges in des Vordersten Brust, und dann begann die gute Klinge Rottenbeißer ihr furchtbares Mahl.
Es war weniger ein Gefecht, als der vernichtende Zorn losgelassener Naturkraft gegen die menschliche Schwäche. Bald lagen nur blutige Leichname in dem kaum noch festlichen Saale umher, und wenige einzelne Verwundete taumelten gesträubten Haares die Stiegen hinab. Einsam stand der furchtbare Jüngling in der verödeten, blutdampfenden Halle.
Die lähmende Mattigkeit, welche der Berserkerwuth nachzuschleichen pflegt, begann sich, sobald der grau'nvolle Sieg erfochten war, durch all seine Glieder hinzustrecken. Er wollte, im Gefühl der nahenden Betäubung, eilen, seine holde Beute in Sicherheit zu bringen, und rief mehrmahls in Provenzalischer Sprache nach dem Nebengemach hin:
»Isolde, komm heraus! Ich sage Dir, Isolde, komm doch heraus! Ich will dich ungekränkt zu deiner Schwester führen, bey der Ehre meines Stamm's, und so wahr die Gebeine meines Vaters Ruhe haben sollen in der Erde!«
Wie nun aber noch immer Alles stille blieb, nahm er seine letzten, erschöpften Kräfte zusammen, und sprengte mit einem Fußtritte die Thür. Zitternd sank das verschleyerte Damenbild, welches er vorhin an Achmet's Arme gesehen hatte, vor ihm in die Knie, und streckte die Hände flehend nach ihm aus. »Komm doch nur, Isolde,« sagte er freundlich. »Wahrhaftig, es kann Niemand auf der Welt minder gesonnen seyn, dir Leid zuzufügen, als Thiodolf der Asmundurssohn. Aber schlage deine Schleyer zurück, daß ich Stärkung und Freude schöpfe aus deinen holden Augen.«
Es schien, als vernähme die Schöne in ihrer großen Angst nur wenig von Thiodolfs begütigenden Worten, aber eben in dieser Angst eilte sie, das wenige Verstandene als einen Befehl in Ausübung zu bringen. Sie entschleyerte sich.
Aber wie ward dem armen Thiodolf, als ein zwar wunderschönes, aber ihm gänzlich fremdes Gesicht mit bleichen, flehenden Mienen gegen ihn aufstarrte!
»Dame,« sagte er schwindelnd, »ach Dame, wollet mir nichts verhalten. Seyd Ihr denn die einzige Frau hier im Schloß?«
»Ja,« stammelte diese, »meine zwey schwarzen Sklavinnen ausgenommen, gibt es sonst keine hier, ich würde mich gewiß nicht unterstehen, Euch mit Unwahrheit zu berichten, mein gestrenger Herr.«
»So, so!« entgegnete Thiodolf, wie ihm Traume, »ja, das ist ein andres, ein schlimmes Ding. Freilich, da bin ich sehr, sehr irre gefahren. Verzeiht mir, meine unbekannte, ach gänzlich unbekannte Schönheit, aber der Schlaf lastet plötzlich wie mit eisernen Wuchten über mir.«
Und in betrübter Ermattung sank er zwischen die Todten nieder, schwer vom Dunkel der Trauer, mehr noch von dem der Ohnmacht überwallt.