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Ersten Theiles
zweytes Buch.

Erstes Capitel.

In der Burg des großen Provenzalischen Freyherrn lief ein hoher, luftiger Bogengang hin, aus dessen offnen Wölbungen man auf ein Gehölz voller edlen Wildes, noch innerhalb der Burgumwallung gelegen, hinabschaute. Es war ein erfreulicher Blick über die tiefgrünen Wipfel hin, zwischen denen bald schwellender Rasen, bald das Gewässer kleiner crystallheller Teiche und Gräben herdurchleuchtete. Man hörte, wie das Wild durch die Büsche strich, oder an dem Gezweige nagte, und sah es auch bisweilen an lichten Stellen hervorkommen, und mit einander spielen.

Ein sehr schönes, auf die Wand des Bogenganges gemaltes Crucifix erinnerte an den Stammherrn des Hauses, welcher ein geschickter Bildner mit Farben gewesen war, ohne daß doch bey ihm die Führung des Pinsels der Führung des Schwertes Eintrag gethan hatte. Er war in beyden gleich vortrefflich, und hatte auf diese, ihm besonders liebe Stelle die Gestalt des Heilandes hingemalt, wie um die Lust, welche ihm Jagd und frisches Leben hier einflößten, durch die höchste Erinnerung zu heiligen und zu mildern. Er sollte auch eine besonders räthselhafte Prophezeiung über einige seiner Nachkommen aufgeschrieben, und in das Gemäuer nahebey verborgen haben, aber man wußte die Stelle nicht mehr genau. Ueberhaupt sahen die mehrsten Burgbewohner, und selbst auch der große Baron, diesen Theil des Baues mehr mit Grauen, als Wohlgefallen an, denn es gingen wunderliche Sagen davon, wie der Schatten Huldiberts – so hatte der Stammherr geheißen – bisweilen die Gallerie entlängst schwebe, und auf selbiger Stätte schon öfters mithandelnd in die Begebenheiten der Familie eingetreten sey.

Nur der schönen Isolde war alle dergleichen Scheu ganz fremd; vielmehr liebte sie diesen Ort vor allen, und wenn der große Freyherr, im Wahn, sie von ihrer Sehnsucht nach dem Kloster abzubringen, eine lästige Zerstreuung auf die andre fast gewaltsam um sie häufte, ?üchtete sie oftmahlen hierher, im Gebeth und Nachsinnen ihr ernstes Gemüth sammelnd und entladend. Denn an dieser gleichsam gefreyeten Stelle wagte es auch der herrische Vater nicht, sie nur im Mindesten zu stören.

So geschah es auch, daß am Abende nach dem prächtigen Jagdzuge, wo Thiodolf Isolden zum ersten Mahle erblickt hatte, sie sich in dem geliebten Bogengange feyerlich nachsinnend erging. Die Bilder einer himmlischen Liebe umleuchteten sie, und zweifelnd, dergleichen jemahls in der Welt anzutreffen, sah sie nach dem ernsten Klosterleben sehnend hinüber. Sie hielt sich überzeugt, eben eine der ihren gleiche Sehnsucht habe stolz, erhabene Gemüther aus den kleinlichen Erdenkreisen weg nach unsichtbarer Herrlichkeit getrieben, und so die Regel der Nonnen und Mönche begründet. Vielleicht auch deute des Stammherrn Prophezeihung, meinte sie, auf etwas Aehnliches hin, und ihr glühender Wunsch war es, die weissagende, geheimnißreiche Handschrift zu entdecken; doch hatte sie wieder die alte, noch außer dem heiligen Bilde des Erlösers, mit vielen glänzenden Zeichen bemahlte Mauer viel zu lieb, um sie einer bloßen Muthmaßung wegen zu verletzen.

Heute, wie oft schon, ging sie hier mit dem schauerlich lieblichen Wunsche auf und nieder, es möge ihr der Ahnherr Huldibert doch einmahl ein Zeichen geben, und sie nach und nach, wenn auch durch manchen Schreck und sinnestehlenden Graus, heranziehen an das hochgewaltige Wesen und Treiben der Oberwelt.

Indem sie eben tiefsinnig an einen Pfeiler gelehnt stand, rauschte es, wie mit Flügelschlag, an ihr vorüber. Im schnellen, weiblichen Erschrecken fuhr sie zusammen, gleich darauf aber ihren Muth erweckend für etwas Uebernatürliches, das sich jetzt vielleicht ihrem Begehren offenbar thun wolle. Mit königlichem Stolze richtete sie ihre herrliche Gestalt empor, und sagte: »wer will mich sprechen? Hier steht Isolde, des großen Freyherrn älteste Tochter, an Geist und hohem Muthe nicht dem Edelsten ihrer Ahnen weichend.«

Das Flügelschlagen schwirrte wieder an ihren kastanienbraunen Locken vorüber, und sie erkannte im schnellen Umblicken die Gestalt eines schönen Falken; zugleich auch schwang sich unweit von ihr ein Ritter in leuchtendem Gewaffen, aber mit seltsamlichem Hauptschmuck über das Geländer des Ganges herauf, und sagte: »das weiß ich wohl, daß hier Isolde steht, und eben darum stehe ich hier auch.«

Sie erkannte den Normannenführer, den sie vorhin im Kastanienwalde gesehen, und ihm einen freundlichen Blick geschenkt hatte, aber jetzt empfindlich gekränkt durch die betrogne Hoffnung auf etwas Höheres, kehrte sie sich unwillig ab, sprechend: »o wendet Euch zurück, Herr, von wo Ihr hergekommen seyd. Isoldens Ohr ist nicht für Euch, und Alles was Ihr vorbringen könntet, wär' hier nur eitles nutzloses Thorenwerk.«

»Das möcht' ich denn doch wundershalben näher wissen!« sagte Thiodolf, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Hört an, schöne Jungfrau, Ihr seyd ein Abbild aller Huld und Lieb'sgewalt, aber fürwahr, eine Göttin seyd Ihr nicht, und da müßt Ihr mich erst anhören, wenn Ihr wissen wollt, ob mein Reden Thorenwerk ist. Sonst thätet Ihr ein solches, und das wäre Schade um Euch.«

Isolde maß ihn mit einem langen, staunenden Blicke; es war beynahe, als laufe ihr Stolz Gefahr, zusammenzubrechen, vor dieser stillen, unbefangnen, fast kindlich geäußerten Kraft. Sich aber an etwas Anderes in Hochmuth emporrichten wollend, sprach sie: »ich weiß gar nicht, Herr, durch wessen Vergunst Ihr auf dieser Stelle steht, und wie Ihr überhaupt hereingekommen seyd?«

»Das will ich Euch gern erzählen,« sagte Thiodolf. »Seht, ich kam, wie sich's geziemt, an das große Thor Eurer Burg, aber nicht wie sich's geziemt, fragten mich einige ungeschickte Hallebartenwächter, wie ich heiße, und wer ich sei? Denen gab ich zur Antwort, sie hätten nur schlechte, ungastliche Sitten, daß sie einen Fremden gleich von vorn herein nach dergleichen fragen dürften, und ihm nicht mindestens erst mit einem Ehrentrunk entgegen kämen. Darüber wollte Einer das Gesicht verziehn, und mich auslachen; den schlug ich auf seinen Mund, daß er an die Erde fallen mußte, und ging fort. Die Uebrigen hatten auch nicht eben allzugroße Lust, mir nachzukommen. Da schritt ich um den Bau herum, und weil ich an schärfere Felsenpfade gewohnt bin, klomm ich leicht über all das Gemäuer herüber, und nachher zu Euch hier das Geländer des Ganges herauf. Hört mich nun übrigens geduldig an, so werdet Ihr merken, daß kein einziges Thorenwort auf meine Zunge kommt.«

Isolde setzte sich kopfschüttelnd auf einen Vorsprung der Mauer, sah' eine Weile sinnend vor sich nieder, und sagte dann endlich: »Ihr seyd ein wunderlicher, unerhörter Gast. Aber redet nur.«

»Das wird sich leicht thun lassen,« entgegnete Thiodolf, »denn horcht einmahl, welche anmuthige Horn- und Zitherklänge aus dem Burghofe herüberrauschen. Davor spricht es sich ganz unvergleichlich aus treuem Herzen heraus.«

In der That ließen sich mannigfache Töne von blasenden und Saiteninstrumenten durch die Hallen des Gebäudes vernehmen. Sie kamen von einigen Troubadours, welche dorten eine kunstreiche Uebung hielten. Thiodolf aber hub seinen Spruch folgendermaßen an:

»In den nordischen Gegenden, wo ich herkomme, gibt es zarte Geister, die können den hellen Tag nicht vertragen. Bei Nacht und Mondschein ist es ihnen vergönnt, ihre zieren Reigen zu tanzen, aber ein einziger Blick der scharfen, gewaltigen Sonne verwandelt sie in Stein. Nun war aber einmahl ein hochmüthiges Mädchen unter ihnen: die meinte, wenn sie nicht im Sonnenlichte tanze, kühn und stolz, wie die stärksten Wesen in aller Welt, tanze sie gar nicht. Da that sie denn endlich auch, aller treuen Gegenreden unerachtet, nach ihrem Willen, und ein kalter, unerquicklicher Stein ward, die noch kaum aller Jugend Sehnsucht und Blüthe gewesen war. Möchtest du auch gern zum Stein werden, Isolde?«

Das Fräulein sah ihm stolz und strenge in die Augen. –

»Jüngling,« sagte sie, »Ihr sollt Euch alsbald entfernen, ich höre wohl, daß Ihr auch nicht die leiseste Ahnung habt von dem, was mir das Herz bewegt.«

»Nicht?« lächelte Thiodolf zurück, »in meinem Herzen so gut, wie in Euerm, gehen die Mahnungen eines übermüthigen Stolzes bisweilen auf. Aber ich thue wie ein ächter, kräftiger Nordlandssohn, und trete ihnen auf den Nacken, daß sie die Lust zum Sprechen verlieren. Das könnt Ihr, armes, schwächliches Weibsbild nun freylich nicht, so schön und stolz Ihr auch immer aussehen mögt, und ich habe deßwegen ein herzliches Mitleiden mit Euch. Nun, seyd nur immerhin ruhig. Allvater hat Euch einmahl zu nichts Kräftigerem erschaffen.«

Isolde lächelte hochmüthig gegen Thiodolf hin, oder versuchte es doch zu thun, aber er sagte sehr ernsthaft: »O macht dergleichen häßliche Gesichter nicht; sie kleiden Euch nur schlecht, das dürft Ihr mir glauben, ja, ich kann Euch noch mehr sagen, Euer weißer Christ hat gewiß in seinem ganzen Leben niemahlen so ausgesehen.«

»Wie sprichst du denn: Euer Christ!« entgegnete Isolde verwirrt. »Bist du denn ein Heide?«

»Mag ich seyn, was ich will,« rief Thiodolf, »ich bin in diesem Augenblick wahrhaftig was Bessers, als Ihr, denn Ihr weiset mich hochmüthig von Euch ab, und ich bringe doch Freud' und Frieden in reichem Maße herein.«

»Zeige mir Freud' und Frieden, wenn ich dir glauben soll,« sprach Isolde, ohne daß sie vermocht hätte, ein Auge vom Boden zu bringen. Ein zartes Morgenroth flog über ihre Wangen hin.

»Ach du Gottesbotin,« seufzte Thiodolf, »wenn du so gar anmuthig aussiehest, wie eine Himmelsblume, muß man Alles in Demuth vor dir bekennen. Ich dachte nämlich so, ihr Vater soll der armen, freundlichen Malgherita Verzeihung schenken, und da will ich das hochmüthige, trotzige Ding, die Isolde, die meint, es seye kein einziger Rittersmann für sie gut genug, aus ihrer Burg allenfalls mit Gewalt entführen, und meinetwegen nach Christensitte heirathen. Ziehen will ich sie mir alsdann schon nach meiner Hand. So ist uns Allen geholfen: der Vater hat die älteste Tochter verehlicht, und zwar an einen nordischen Fürstensohn, Pietro und Malgherita finden Huld bey ihm, Isolden wird der starre Sinn gebrochen, und ich – i nun, an sich muß ein tüchtiger Kerl immer zuletzt denken, und ein Weib mag so böse seyn, als es will, die Lust an kühnen Abentheuern kann es mir dennoch nicht verbittern.«

»Ich träume wohl, du wahnwitziger Sprecher!« sagte Isolde, mit der Hand über die Stirn fahrend.

»Nein, Herrin,« erwiederte Thiodolf, »Ihr träumt eben nicht; aber Ihr vernehmt, wie es ein braver Nordmann mit seiner Ehefrau hält, wenn sie so ist, wie ich mir Euch vorgestellt habe. Ach, aber Ihr seyd viel anders. Liebe, schöne, großherzige Isolde, was ich dem Pietro und seiner Frau zu Willen gethan hätte, thu' ich nun mir ganz allein zu Willen. O reicht mir Eure schöne, stolze Hand. Bitte, liebe Isolde. Hört doch, wie die Harfen drein lispeln von jener Seite herüber. Die mögen meine Sache führen; ich armer, ungeschickter Nordmann, fühl' ich wohl, kann es nicht so recht.«

Es war fast, als stehe Isolde im Begriff, dem wunderlichen Gerede mild zu erwiedern. Aber die Klänge, die sich eben erst mit schmeichelndem Geflüster herüber gewogt hatten, fuhren urplötzlich triumphirend und feyerlich empor, so daß Isolde sich wie eine Kriegerin aufrichtete, sprechend: »von hinnen, frevler, bethörter Mensch! Was in Euerm schneeigarmen Nordlande für Zauber gelten mag, gilt doch glücklicherweise hier nicht dafür. Eure Frechheit ist mir kund geworden, und ich sage Euch, daß ich mich nimmermehr zu Euch herablassen werde, und je minder, je überdreister Ihr Euch betragt.«

»Oho,« sagte Thiodolf, »Umstände verändern die Sache. Nun bleibt es dennoch bey der Manier, die ich mir zuerst vorgenommen hatte. Denn Pietro und Malgherita dürfen auf keine Weise darunter leiden, und ich will schon sehen, wie ich mit dir zurecht komme, du schönes, ungezognes Ding!«

Damit schwang er Isolden auf seine Arme, und sich mit ihr über das Geländer des Bogenganges hinab. Eben so ging es auch durch den Garten hin, und sie war viel zu erschreckt und betäubt durch ein so unerhörtes Verfahren gegen sie, um nach Hülfe rufen zu können. Vor Thiodolfs Zorn und gewaltiger Heldenkraft möcht' es auch vielleicht nicht gar viel geholfen haben.


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