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Der Hekla hatte seine Feuerströme wieder gezügelt, die Insel lag seit mehrern Tagen still und nebelgrau in des weiten Meeres Mitten, nur herbstkalte, ja bereits winterliche Stürme hauchten ihr wildes Getöne darüber fort. Längst schon waren die ziehenden Schwäne mit ihren wohllautenden Flügelklängen nach Süden hinab; die Bäume schüttelten sich in feuchter Nässe, und warfen ihr braunes Laub wie einen feyerlichen Schlafteppich über Thal und Ebene hin. Thiodolf hatte um diese Zeit wenig Rast in dem Gehöfte. Er meinte, gerade so wären die Wälder in ihrer lustigsten Pracht; ob man denn je von schönern Bäumen auch nur geträumt habe, als von solchen goldhellen, mit bunten Farben dazwischen? Besseres habe doch ganz gewißlich das weitgepriesene Südland nicht aufzuweisen. Pietro und Nesiolf lächelten wohl darüber, konnten sich aber doch nicht erwehren, die Jagdfreudigkeit des Jünglings zu theilen, und oft mit ihm durch die nebligen Forsten umherzuziehn.
Während dieser Fahrten ward es Malgheriten in dem hochgebaueten, finstern Gehöfte oftmahlen unheimlich und enge zu Muth. Gunhildens ernste Geschäftigkeit und des Hausgesindes feyerlich ämsiges Wesen trieb ihr Schauer auf Schauer durch den Sinn; sie mußte bisweilen denken, Pietro seye herausgezogen auf Nimmerwiederkommen, und vor der fremden Natur um sie her werde sie endlich in Einsamkeit erstarren, und als eine Verzauberte, von allen Menschen unbegriffen, ihr fortan trübes und freudenloses Leben beschließen. Dann war nur Eines, was ihr leuchtend vor den Augen stand, und sie auf gewisse Weise mit diesem nordlichen Eilande verknüpfte: die Alfengeschichten Thiodolfs, und die schöne Benennung dieser kleinen Unsichtbaren als Lieblinge der Menschen. Sie hatte alle die mannigfachen Sagen sehr wohl behalten, und sang sie sich oft in der zarten provenzalischen Mundart vor. Insbesondere hatte sie eine davon gern; wie es nämlich zu geschehen pflege, daß die Lieblinge im Traume zu Jungfrauen und Junggesellen kämen, und ihnen Räthsel aufgäben, und wer die dann am Tage zu errathen wisse, finde zur Belohnung kleine goldne Täflein im Grase, und hübsche Bilder drauf. Nun war es ihr manchmahl bey'm Erwachen, als habe ein Alfenreigen vor ihrem Lager Tanz gehalten, sehr klein und schön und bunt und flink, und seye der schönste Liebling daraus mir sittigem Neigen vorgetreten, und habe ihr ein Räthsel aufgegeben, aber bey'm Erwachen konnte sie sich niemals auf das Räthsel besinnen. Dann pflegte sie nachdenklich in ein nahes Thal hinab zu gehen, das weit sanfter gestaltet war, als die übrigen, und dessen hohe Gräser ganz darnach aussahen, als könne man zwischen ihnen die goldnen Preistäflein finden. Oft noch, wenn die jetzt schon frühe in's Meer tauchende Sonne ihre letzten Scheidelichter durch das Thal hinlegte, und der Strom wilder im annahenden Nachthauch über die Kiesel klang, stand Malgherita sinnend unter dem verwachsenen Gezweig, und kam doch immer ohne Räthsel und ohne blanke Täfelchen nach Haus.
Als sie eines Abends auch so stand, ward es ihr doch urplötzlich, als gehe ihr ein Licht im Geiste auf, und komme davor mindestens ein oder die andere Strophe vom nächtlichen Alfenräthsel zurück. Was sie zusammen zu bringen wußte, hieß etwa folgendergestalt:
»Weit im Weinberg
Wohnen zwey Schwestern,
Kühn zwey Klingen
Zwischen Klippen starren.
Die Schwestern schenken
Schäumend Getränk ein,
Die Klingen klopfen
Königlich Blut aus.
Wenn die Schwestern wohnen
Wirthlich an Einem Herd –«
Da fehlten einige Zeilen; dann kam es ungefähr so:
»Wenn die Klingen klirren
Kräftig in Einer Hand –«
Da fehlte es wieder, und Malgheriten überlief ein Schauder, wenn sie drüber nachsinnen wollte. Einzelne Worte von »Spenden und Sprüchen« – von »grabtiefer Grube« – von »Frieden im finstern Land« – erhöheten, wie sie vor ihr auftauchten, dieses gestaltlose Grausen nur, und sie seufzte: »ach, an Dir, du Räthsel, werde ich mir die blanken Täflein wohl nimmermehr verdienen!«
Da leuchtete es unweit von ihr hell unter den hohen Gräsern, und sie schritt freudig hinzu. Aber wie ward ihr, als zwey riesig blanke Hörner emporstrebten von einem grimm behaarten Bärenhaupte, und langsam und brummend die Gestalt eines hohen Ungethümes aufstieg, mit bunten Fellen umkleidet, und wie zum wahnsinnigen Schmuck von Moos und Riedgras Geflecht drüber hingewunden. Die furchtbare Erscheinung tanzte einigemahl um Malgheriten her, die in ihrem Entsetzen regungslos stehen blieb; dann klomm es einen jungen, schlanken Baum hinauf, ließ sich von dessen gebeugtem Wipfel nach einem andern hinüberwiegen, und so in der Runde fort. Die Blätter schauerten heftig zitternd davor herunter, und endlich sank auch Malgherita mit einem leisen Ach! schwindelnd zwischen die gefallenen Blätter hin.
Alsbald war der Furchtbare von den Bäumen herunter, faßte die Jungfrau in seine Arme, und trug sie fort, daß sie entsetzt in völlige Ohnmacht zurücksank, ohne irgend eines seiner begütigenden Worte zu vernehmen.
Denn begütigende Worte sprach er allerdings, und in gar herzinniger, treuer Besorgniß für seine zarte Last. Es war nämlich Thiodolf, der zum Spaß Malgheriten als ein Alfenkönig hatte erscheinen wollen, – wie es ihm denn manchmahl vorkam, es müsse so einen schrecklich riesigen Mann geben, dem die kleinen, zierlichen Geschöpfe unterthan seyen, – und nun war ihm wieder Alles so übel und störend fehlgeschlagen.
Wie er noch so unter den Bäumen hinging mit immer eiligeren Schritten, um das Fräulein desto eher zum Gehöfte und in Muhme Gunhilds Pflege zu bringen, kam Pietro, auf eines Wolfes Fährte, seitwärts durch den Wald.
Der, seine Braut auf des schauerlichen Trägers Armen erblickend, schleuderte alsbald den Dolch nach dessen Hüfte, ihm den flüchtigen Tritt zu hemmen. Der Dolch traf, prallte aber von dem Pelzwerke machtlos zurück, und der Verfolgte schien es nicht einmahl bemerkt zu haben, so gleichgültig und gemessen schritt er fürder. Da entflammte Pietro in Zorn und Bangigkeit um Malgheriten noch heftiger; von zwey nordischen Lanzen, die er zum Waidwerke mit sich trug, warf er eine mit angestrengter Kraft, und traf wieder auf dieselbe Stelle, so daß sich Thiodolf ordentlich ein wenig zusammenbog, ohne doch deßhalb auf seinem Wege inne zu halten. Als aber Pietro die zweite Lanze schwang, riß Thiodolf den seltsamen Hauptschmuck von seinem Kopfe, schleuderte ihn gewaltig gegen Pietro's Brust, davon dieser einen Schritt zurücktaumelte, und rief: »laß mich doch zufrieden, sag' ich Dir, mit deinem tollen Werfen! Ich trage ja Malgheritchen zur Muhme, und Eilen thut noth.« Pietro, seinen wunderlichen Freund erkennend, wollte fragen, wie das Alles so seltsam komme, aber Thiodolf entgegnete nur: »ich habe wieder dumme Streiche gemacht. Drinnen will ich dir Alles erzählen.«
Sie gelangten schnellen Laufes zum Gehöfte; die verständige Muhme nahm kopfschüttelnd – sie errieth aus ihres Neffen wunderlichem Anputze leicht den ganzen Zusammenhang – das ohnmächtige Fräulein in ihren heilenden Schutz, und brachte sie unter Pietro's Beystande bald wieder in's Leben, während sich Thiodolf seiner Verkleidung vollends entledigte, und sich zugleich die nicht ganz unbedeutende Wunde verband, welche man nun erst in seiner Hüfte von Pietro's Speerwurf bemerkte. Der alte Nesiolf war darüber auch herzugekommen, und in der Freude, daß Alles so gut abgelaufen sey, rief man den Jüngling herbey, sich mit einem Becher voll Meth auf den Schreck zu erquicken. Selbst Malgherita streckte ihm das zarte Händchen lächelnd entgegen, und sagte ihm, er solle nur zufrieden seyn; sie wisse daß er's gut meine, und es fehle ihr gar nichts mehr.
Aber Thiodolf trat wehmüthig hinzu, sprechend: »das ist nicht genug; das ist beyweitem noch Alles nicht genug, ihr verzeiht mir wohl allzumahl meine verrückten Einfälle, aber ich merke nun wohl, ich bin ein viel zu hartes Werkzeug, um in der Nähe dieses zieren, zerbrechlichen Bildchens länger verweilen zu dürfen, ich könnte es einmahl entzwey machen, ohne daß ich selber wüßte, wie ich dazu gekommen wäre. Lustig will ich sie immer gern sehen, und wenn ich sie lustig machen will, fällt sie in Ohnmacht. Gute Nacht, Oheim; gute Nacht, Muhme; gute Nacht, hübsches Brautpaar. Wir sehen einander nun wohl vor der Hand nicht wieder.«
Damit suchte er sich von den Waffen, die an der Wand herum hingen, sorgsam die besten aus, belud sich reichlich damit, und schritt grüßend und tief seufzend aus der Halle in die schwarze Nacht hinaus.