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Das Jahr 1819, das Madame Recamier mit einer dritten Katastrophe heimsuchte, wodurch ihr Leben eine ganz veränderte Richtung erhielt, das Jahr 1819 verfloß in seiner größern Hälfte für die noch immer schöne und gefeierte Frau auf das Angenehmste und Erfreulichste. Da Madame Recamier von ihrer Mutter ungefähr eine halbe Million Franken geerbt hatte, über die sie ganz selbstständig verfügen konnte, so war sie zum Ankäufe eines eignen Hauses in der rue d'Anjou geschritten, wo neben ihr, ihrem Gatten und ihrer Nichte Amélie auch ihr Vater und dessen langjähriger Freund, Herr Simonard, sich bequem und behaglich einrichteten. Dies Haus hatte nicht die fürstlichen Räume, wie das früher von Madame Recamier in der Rue de la Chaussée-d'Antin bewohnte Hotel, enthielt aber eine Reihe heller und weiter Gemächer, die, von ihrer Eignerin mit feinstem Geschmack ausgestattet, durchaus würdig waren, die beste Gesellschaft Europa's zeitweise zu versammeln. Ein jeder Ort und eine jede Räumlichkeit, wo Madame Recamier längere oder kürzere Zeit weilte, ist durch den Pinsel des Malers oder die Feder des Schriftstellers für die Nachkommen verewigt worden. So gedenkt Chateaubriand dieses Hotels in der rue d'Anjou, und namentlich des Gartens, durch den die Besitzerin so gern ihre Gäste führte, weil sie bei ihrer Liebe zur Natur beglückt war, grünen Rasen, duftige Blumenbeete und hochgipflige Bäume ihr eigen zu nennen. Eines Abends, als Chateaubriand seine ihm immer theurer werdende Freundin in ihrem Hause der rue d'Anjou besuchte, und sie am augenblicklichen Erscheinen verhindert ward, ließ sie ihn durch den Diener auffordern, sich bei dem schönen Wetter in den Garten zu bemühen, wohin sie ihm bald folgen werde. Chateaubriand schildert uns nun in seiner edlen und zarten Prosa, die von der Poesie oft Farbe und Duft entlehnt, Chateaubriand schildert uns, wie er in dem Garten der Madame Recamier unter blühenden Lindenbäumen, durch deren Zweige die goldigen Strahlen des Mondes hindurchzitterten, auf- und niederwandelte und jener holden Frau entgegenharrte, die er mit so zärtlicher, fast ausschließlicher Freundschaft umfaßte. Denn Chateaubriands stolzes und etwas sprödes Herz hatte nicht, wie das der Madame Recamier, ein weites, gastliches Thor, das sich allen edlen und hochfühlenden Menschen bereitwillig öffnete. Er spendete von seinem irdischen Besitzthume, so lange er etwas besaß, jedem Nothleidenden mit unermüdetem Eifer und stets gleicher Zartheit, aber von seinem Herzen gab der stolze Mann auch kein Atom an selbst bessere Menschenkinder; er bewahrte diesen Schatz voll und ganz, bis er jener Frau begegnete, die seinen hohen Ansprüchen durchaus Genüge that.
Wie Madame Recamier sich von ihrem Gelde ein eigenes Haus gekauft hatte, so miethete sie, ebenfalls aus ihren Mitteln, für das Jahr 1819, ganz wie für 1818, ein reizend gelegenes Landhaus in der Vallée-aux-Loups, das, weil es für sie zu groß war – sie wollte hier einmal sich der Einsamkeit erfreuen und nur einen engern Kreis von Bekannten um sich sehen – das sie zur Hälfte an Mathieu von Montmorency überließ. Der makellose Ruf der Madame Recamier, sowie der Heiligenschein um das Haupt Mathieu's, gestatteten dies Zusammenwohnen, ohne den bösen Zungen Arbeit zu geben. Daß man sich allerdings einige gutmüthige Scherze erlaubte, beweist ein Brief der Herzogin von Broglie, den sie am 19. Juli 1819 an Madame Recamier schrieb, und in dem es unter anderm heißt:
»Ich stelle mir Ihre traute Häuslichkeit im Val-de-Loup als das Reizendste vor, was man sich nur denken kann. Aber, wenn man einst die Biographie Mathieu's im Leben der Heiligen liest, so wird – Sie können nicht anders, als mir Recht geben – so wird dies tête-à-tête mit der schönsten und bewundertsten Frau ihrer Zeit ein drolliges Kapitel bilden. »Alles ist rein für die Reinen«, sagt der heilige Paulus, und er hat recht. Die Welt ist stets gerecht; sie erräth den Grund der Herzen. Sie fügt zum Bösen hinzu, aber sie erfindet es nicht ganz und gar; deshalb bin ich auch der festen Meinung, daß man seinen guten Ruf stets durch eigene Schuld verliert.«
In das schöne Stillleben, das Madame Recamier in der Vallée-aux-Loups führte, fiel, ganz wie im Jahre 1806, ohne alle Vorbereitung, wiederum gleich einem Blitzstrahl aus heiterer Höhe, die Nachricht, daß ihr Gatte auf's Neue in seinem Bankiergeschäfte Unglück gehabt habe, und daß von ihrem Vermögen, das sie ihm zur Benutzung anvertraut hatte, 100,000 Franken verloren gegangen seien. Der Schlag war für Madame Recamier überaus hart, aber vernichtete sie nicht. Sie zeigte sich der Katastrophe gewachsen. Sofort war es ihr klar, daß es für sie mit dem Leben einer Weltdame fortan vorbei sein müsse. Aber sie begriff auch zugleich, daß dieser ihr Wille der Welt in sehr deutlicher, nicht mißzuverstehender Weise müsse ausgesprochen werden. So lange sie in Paris ein Familienleben führte, würde die Welt stets versucht haben, bei ihr einzudringen und sie wiederum in ihre Kreise zu ziehen. Sie sann und sann, wie sie der Welt aufs Deutlichste sagen könne, daß in ihrem Dasein ein neuer Abschnitt begonnen: die Zeit der Sammlung und der Vorbereitung für das Leben in der eigentlichen Heimath. Da fiel ihr die Abbaye-au-Bois ein. Dies, in Paris gelegene, Kloster gewährte Frauen, die sich von der Welt zurückziehen wollten, ohne sich einer strengen Abgeschlossenheit zu ergeben und einer festen Regel zu unterwerfen, in seinen Außengebäuden eine willkommene Zuflucht. Dort wohnte man ohne allen Zwang, ruhig und friedlich, hatte aber durch das Weilen auf klösterlichem Grunde und Boden der Welt einen deutlichen Absagebrief geschrieben. Madame Recamier verdankte dies, in ihrer schwierigen Lage so glückliche, Auskunftsmittel ihren vielfachen Beziehungen zu den mannigfachsten Lebenskreisen. Denn sie, die gefeierte Weltdame, hatte, wie wir schon wiederholt hervorhoben, nicht einzig für Salon und Theater Zeit, sondern sie besuchte Eingekerkerte in den Gefängnissen und freiwillig Zurückgezogene in ihren stillen Klausen. So war sie häufig zu der ihr befreundeten Baronin von Bourgoing gekommen, die sich in ein, zum Kloster der Abbaye-au-Bois gehöriges, weltliches Gebäude zurückgezogen hatte. Zu Lebzeiten ihres Gemahls, der Gesandtschaftsposten in Madrid, Stockholm und Dresden bekleidet hatte, war die Baronin von Glanz und Pracht umgeben gewesen; doch blieb ihr als Wittwe nur ein unbedeutendes Vermögen, und deshalb wählte sie diese Auskunft, um, während sie sich Beschränkungen auferlegte, ihre Kinder vor den Härten des Daseins zu bewahren. Ihre Tochter Ernestine heirathete später den Wackern Marschall Macdonald. Das Beispiel der würdigen Baronin diente nun ihrer nicht minder würdigen Freundin zur Nachahmung. Wie die Baronin von Bourgoing sich für ihre Kinder große Beschränkungen auferlegte, so opferte Madame Recamier der behaglichen Existenz ihres Gatten, ihres Vaters und des durch das lange Beisammenleben mit ihnen zum Familiengliede gewordenen Herrn Simonard ihr glänzendes Dasein in der großen Welt, festen Entschlusses und ohne bedauernden Rückblick.
Die Behörde des Klosters, an die sich Madame Recamier mit der Bitte wandte, ihr ein Zimmer in dem, auf ihrem Gebiete gelegenen, weltlichen Gebäude zu überlassen, gab sofort ihre Zustimmung. Wenn es ihr auch sicher schmeichelhaft war, daß die gefeiertste Dame von Paris zu ihr in eine Art von Gemeinschaft trat, so ahnte sie doch wol nicht, daß der neue weltliche Ankömmling über die Abbaye-au-Bois ein Licht werde leuchten lassen, das nur verlöschen kann, wenn alle literarischen Denkmäler Frankreichs vor dem rohen Anstürmen einer zweiten Völkerwanderung zu Grunde gehen. So lange aber die Stimmen der Dichter und Künstler erschallen, die, seitdem Madame Recamier in er Abbaye-au-Bois wohnte, hierher wallfahrteten, um Frieden und Begeisterung mitfortzunehmen, so lange wird jenes früher ganz unbekannte Kloster ruhmvoll genannt werden, und zwar mit größerer Liebe, wie jenes spanische Kloster, in das sich ein mißmuthiger Kaiser zurückzog, der, weil er einen vergeblichen Kampf gekämpft gegen das aufgehende Licht der Reformation, in nächster Nähe wenigstens jenes nächtige Dunkel sehen wollte, das er über ganz Europa so gern verbreitet hätte.
Als Madame Recamier für die drei Greise, deren behagliches Weiterleben sie erkaufte mit dem Verzichte auf eigene Bequemlichkeit, in der Nähe ihres Klosters eine freundliche Wohnung gefunden hatte, stieg sie mit stillbefriedigtem Sinne, und deshalb nicht unglücklich, auf engen und sich im Zickzack schlängelnden Treppen zu ihrem, im dritten Stockwerk liegenden, Zimmer empor, wo für sie ein ganz neues Dasein begann, weniger glänzend nach außen, aber mehr schimmernd von innen heraus.
Hier schließt ein großer Abschnitt im Leben der Madame Recamier. Fortan umwogt sie nicht mehr die Welt mit ihrem Glanz und Geräusch, wol aber nahen ihr nach wie vor die Geweihten des Menschengeschlechts, um in ihrer besänftigenden Nähe zu jener innern Harmonie gestimmt zu werden, die in der Brust der reizbaren Dichter und Künstler eine so seltene Wohnstätte findet.
Der zweite große Abschnitt im Leben der Madame Recamier hat nicht so viel strahlenden Glanz, als ihre Salon-Periode, aber ein sanftes, verklärendes Licht, und die vielen Personen, die fortan noch zu ihr in Berührung treten, oder den frühern Verkehr mit ihr eifrig fortsetzen, nehmen Theil an der Weihe, die seit dem Jahre 1819 ihrem noch immer schönen Antlitze einen neuen Reiz verleiht.
Jene zweite Periode im Leben der Madame Recamier kann man ihre Transfiguration nennen, insofern sie alles Selbstische abthat, um einzig der Menschheit zu leben und die Seele für das Jenseits vorzubereiten. Madame Recamier gewann an Seelencapital, was sie an äußern Gütern eingebüßt hatte. Ihre innere Schönheit mehrte sich mit jedem neuen Tage, während die äußere Schönheit, aus ihrem Seelenfrieden stets Frische und Nahrung saugend, keine Minderung erlitt. So ward sie in der Abbaye-au-Bois zu keiner dürren, sich verholzenden Pflanze, sondern sie blieb eine liebliche Blume, die durch Farbe und Duft das Auge erfreute und den Sinn belebte. Wenn Frau von Staël mit vollster Wahrheit Madame Recamier » la personne la plus brillante de son temps« nannte, und sie mithin für die Periode ihres weltlichen Glanzes eine Centifolie war, so glich sie, seit ihrem Verweilen im Klosterfrieden, dem Veilchen, das nicht bemerkt und bewundert werden will, das aber unablässig süßen Duft ausathmet und das Beste spendet, was es zu geben vermag.
Was sie an Pracht verlor und äußerm Schein,
Das bracht' durch innern Glanz sie reichlich ein;
Sie war im Dienst' der Menschheit ohne Rast,
An Liebe reich, hat niemals sie gehaßt.