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Der Verlust ihres großen Vermögens, der Tod ihrer Mutter, die Liebe zu dem Prinzen August von Preußen, der ihr Herz so ganz, der ihr Verstand aber nur theilweise zustimmte, Bedrängnisse demnach in ihrer äußern Lage, und tiefer Gram, wie mit Verzweiflung abwechselndes Entzücken, hatten Madame Recamier so hin und her geworfen, sie des süßen Friedens so gänzlich beraubt, daß sie der Erholung und Sammlung dringend bedürftig war. Und das Schicksal, das die Bürden für die Schultern der belasteten Menschheit abmißt nach der größern oder geringeren Tragfähigkeit der Individuen, das Schicksal gönnte der Madame Recamier kurze Rast, bevor es ihr neues Leid auferlegte. Sie gebrauchte die Bäder von Aix in Savoyen, und als sie sich hier gestärkt, folgte sie einer Einladung der Frau von Staël. Diese, um den Druck ihres Buches über Deutschland, das wegen der ihm durch die napoleonische Polizei bereiteten Hemmnisse und Hindernisse nicht minder berühmt ward, als durch seinen reichen und anziehenden Inhalt, Frau von Staël hatte sich der französischen Hauptstadt so weit genähert, als der Wortlaut des Verbannungsdecrets es ihr gestattete, nämlich bis auf vierzig Meilen. Sie bewohnte in der Nähe von Blois das alte Schloß von Chaumont-sur-Loire, das durch viele frühere namhafte Gäste, durch schöne Frauen und merkwürdige Männer, eine mit Scheu verbundene Berühmtheit erlangte. Dort hatten die schöne Diana von Poitiers und die arglistige Catharina von Medicis, sowie jener Nostradamus gewohnt, der am Himmel die Bahnen der Zukunft zu lesen behauptete. Dies halb unheimliche, halb anziehende Schloß ward jetzt von Frau von Staël bewohnt, und sie entbot dahin ihre Freunde von nah' und fern. Da nun Madame Recamier in der ganzen Frauenwelt ihrem Herzen am theuersten war, so mußte diese natürlich vor allen die Hallen des stolzen Schlosses durch ihre schöne Gegenwart mit Licht und Glanz erfüllen. Es hatte von Seiten der Frau von Staël keiner großen Ueberredung bedurft, um ihre Freundin zu bestimmen, daß sie aus dem Bade nicht sofort nach Paris zurückkehre, sondern erst einige Wochen bei ihr verweile. Indeß sollte Madame Recamier zu Chaumont nur einen kurzen Aufenthalt nehmen. Herr Leray nämlich, der Besitzer des alten Schlosses, kehrte aus Amerika nach einer längern Abwesenheit unerwartet zurück, und Frau von Staël, sowie ihre zahlreichen Gäste, die alle mehr oder minder berühmte Namen trugen, fanden es nicht angenehm, von der Gefälligkeit eines Mannes abzuhängen, zu dem sie kein näheres Verhältniß hatten. Frau von Staël übersiedelte deshalb mit ihrer glänzenden Umgebung nach Fossé, einem Landgute des Grafen von Salaberry, wo man lange nicht so viele Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten fand, wie in Chaumont, wo aber die Freiheit der Bewegung eine weit größere war.
Madame Recamier, die in ihrem Salon die Mitglieder der russischen Gesandtschaft sehr häufig und gern sah, da sämmtliche Mitglieder derselben vortrefflich französisch sprachen und sich tadellos benahmen, Madame Recamier hatte sich besonders freundlich gegen den Grafen Nesselrode gezeigt, weil diesen, außer seinem feinen Betragen, auch Geist und Wissen schmückte, so daß er die Zierde einer jeden Gesellschaft war. Graf Nesselrode fühlte sich nun stolz und beglückt, von der schönsten und gefeiertsten Frau der Hauptstadt mit so viel Güte und Huld behandelt zu werden. Als er einst im Laufe einer Abendunterhaltung von ihr erfahren hatte, daß sie für ihre Reisen in der Provinz einen recht bequemen Wagen zu kaufen beabsichtige, so hatte er ihr den seinigen, den er für den Augenblick gar nicht brauchte, mit so liebenswürdiger Dringlichkeit angeboten, daß es ihr unmöglich gewesen, das mit anmuthiger Herzlichkeit ihr zur Verfügung Gestellte mit kalter Höflichkeit zurückzuweisen. Da sie nun länger in der Provinz blieb, als sie ursprünglich geglaubt hatte, so wandte sie sich mit einigen entschuldigenden Worten an den russischen Gesandtschaftssecretär und fragte bei ihm an, ob sie den Wagen auch zurücksenden solle. Darauf erhielt sie folgende Antwort:
»Paris, den 15. August 1810.
Was mir am meisten zusagt, Madame, ist, Ihnen gefällig sein zu dürfen. Sie verpflichteten mich sehr, als Sie meinen Wagen anzunehmen geruhten, Sie werden mich noch mehr verpflichten, falls Sie ihn so lange behalten, als er Ihnen Dienste leisten kann. Ich brauche ihn für den Augenblick durchaus nicht und sehe vor Ausgang des Septembers keine Wahrscheinlichkeit, daß ich seiner bedürftig wäre.
Was mich aber einigermaßen außer Fassung bringt, ist die Verlängerung Ihrer Abwesenheit, und in dieser Beziehung grolle ich Ihnen allerdings, daß Sie nicht Wort hielten.
Leben Sie wohl, Madame, und kehren Sie bald zurück! Paris sieht sehr verstimmt aus, wenn Sie nicht da sind.
Genehmigen Sie die Versicherung meiner aufrichtigen und unwandelbaren Gefühle.
Carl Nesselrode.«
Während der Wochen, wo Madame Recamier bei Frau von Staël auf Fossé, der Besitzung des Grafen von Salaberry, verweilte, erschienen dort viele berühmte und erlauchte Personen. Für kürzere oder längere Zeit trafen ein: Adrien und Mathieu von Montmorency, der Graf von Sabran, Herr von Barante, Benjamin Constant und viele andere Männer von Ruf und Ansehen. Madame Recamier entriß sich diesem Kreise sehr wider ihre Neigung; doch sie, die sich nie den Pflichten der Freundschaft entzog, mußte sich nach Paris begeben, um dort durch ihre Vermittelung die napoleonischen Geistesschergen etwas geschmeidiger zu machen, damit die Censur den dritten Theil des Buches der Frau von Staël nicht allzusehr verstümmele. Die Abreise der Madame Recamier war demnach eine nothwendige; nichtsdestoweniger kostete die Trennung beiden Freundinnen heiße Thränen. Frau von Staël, die, gleich Goethe, Gedanken und Gefühle, die sie allzu schmerzlich berührten, dadurch von sich ablöste, daß sie denselben ein selbstständiges Leben gab, Frau von Staël schrieb an Madame Recamier schon vor ihrer Abreise:
»Theure Julie, Ihr Aufenthalt bei mir geht zu Ende; ich kann mir das Land- wie mein inneres Leben ohne Sie gar nicht denken. Alles stürzt zusammen, wenn Sie abreisen. Sie waren der süße und friedliche Mittelpunkt unsrer Vereinigung, und nach Ihnen hält nichts mehr zusammen. Wolle Gott, daß sich dieser schöne Sommer erneuere!«
Madame Recamier reiste in ziemlich leidender Gesundheit von Fossé ab; doch nahm sie auf ihren Zustand nicht die geringste Rücksicht, da sie sich sagte, daß ihre Anwesenheit in Paris für Frau von Staël nützlich, ja, nothwendig sei. Mathieu von Montmorency, der in Fossé zurückblieb, schrieb über diese, durch freundschaftliche Rücksichten beschleunigte, Abreise an Madame Recamier nach Paris folgende Zeilen:
»Fossé, bei Blois,
den 2. October 1810.
Ich kann es mir nicht versagen, Ihnen, meine liebenswürdige und vollkommene Freundin, wenigstens mit einigen Worten zu nahen. Unser Hauptgedanke, der allen Ihren hier zurückgebliebenen Freunden gemeinsam war, beschäftigte sich ausschließlich mit Ihrer Gesundheit, auf die Sie bei Ihrer gänzlichen Aufopferung so gar keine Rücksicht nahmen. Dann beschäftigte ich mich besonders mit den Beschwerden Ihrer Reise von Angervilliers nach Paris; dies verursachte mir förmliches Herzweh. Ich hoffe, daß die Beschwerden des schlechten Weges für Sie keine nachtheiligen Folgen gehabt haben, und daß Sie jetzt ganz wiederhergestellt sind.
So eben empfängt unsre Freundin durch Albert Albert war der zweite Sohn der Frau von Staël und fiel 1813 im Duell. Ihren Brief, der so ausführlich ist und von Ihrem vortrefflichen Charakter und Ihrem Opfermuth neues Zeugniß ablegt. Es ist überflüssig, Ihnen von den Empfindungen zu sprechen, die Ihr Brief bei Allen wachrief; ein Gefühl beherrscht in diesem Augenblicke mein ganzes Innere, nämlich die wonnige Erkenntniß, wie viel Edelmuth und Aufopferung in Ihrer Seele wohnt.«
Mathieu von Montmorency unterläßt auch diesmal nicht, seiner Freundin, so innig er auch ihr edles Verhalten auf ihrer irdischen Laufbahn anerkennt, seiner, noch immer in das weltliche Getriebe allzu sehr hineingezogenen, Freundin an's Herz zu legen, daß sie von Zeit zu Zeit sich zu dem Jenseits emporschwinge. Sein Brief schließt:
»Möchten die von so großer Aufopferung eingegebenen Schritte Sie nicht abhalten, den Blick nach oben zu richten! Möchten Sie sich immer emporgezogen fühlen zu dem Urquell alles Guten und Erhabenen!«
Madame Recamier mußte, um das Buch der Frau von Staël vor den Streichungen der Censur so viel wie möglich zu bewahren, angelegentliche Unterhandlungen mit Herrn Esmenard führen, der Mitglied der französischen Akademie und zugleich Censor der neu erscheinenden Bücher war, so daß von seinem weit- oder engherzigen Verfahren sehr viel abhing. Selbst diesem Herrn Censor – man ist sonst von diesen Geistesschergen anzunehmen geneigt, das Gehässige ihrer Beschäftigung müsse auf ihre ganze Art und Weise zu sein ansteckend gewirkt haben – selbst diesem Herrn Censor hatte Madame Recamier Gefühle huldigender Verehrung eingeflößt, wie aus folgendem Schreiben hervorgeht:
»Madame.
Ich würde selbst gekommen sein, um mir den Band zu holen, den Sie seitdem die Güte hatten mir zu schicken, wenn ich nicht ebenso gefürchtet hätte, wie ich es andererseits wünsche, Sie allein zu treffen. Die Vereinigung des Schmerzes mit der Schönheit hat einen tausendmal größeren Reiz, als das Glück ohne Schatten, und obgleich ich in Deutschland nicht die Empfindsamkeit gelernt habe, so bin ich doch nicht Herr über ein Gefühl, das Sie mir untersagten. Indeß, es erforderte zu großen Heldenmuth, um dem Vergnügen Ihres Anblicks mich zu entziehen, jetzt, da Sie die Güte hatten, mich zum Kommen aufzufordern. Ich bitte deshalb um die Erlaubniß, im Laufe des Abends nach Ihren Befehlen fragen zu dürfen. Um acht Uhr werde ich mich bei Ihnen einstellen. Es wäre zu liebenswürdig von Ihnen, wenn Sie ohne das Hinderniß einer andern Gesellschaft meine ehrfurchtsvolle Huldigung entgegennehmen wollten.«
Natürlich war Madame Recamier gegen diesen, für Frau von Staël so wichtigen, Herrn Esmenard überaus liebenswürdig. Es war deshalb ganz überflüssig, daß Mathieu von Montmorency ihr empfahl: » Vous ferez toutes vos gentillesses à Esménard.« Madame Recamier, höflich und liebreich von Natur, ließ alle ihre körperliche und geistige Anmuth walten, wenn es galt, ihren Freunden hülfreich zu sein. Hier nun handelte es sich ja um ein neues Lorbeerreis in der Dichterkrone der Frau von Staël. – Mathieu von Montmorency, der meinte, daß Madame Recamier in der überaus schwierigen Aufgabe, die ihr zugefallen war, den männlichen Beirath einer der Frau von Staël aufrichtig ergebenen Persönlichkeit nöthig haben werde, Mathieu von Montmorency benachrichtigte sie von seinem baldigen Eintreffen in Paris mit folgenden Worten:
»In diesem Feldzuge der Freundschaft werde ich Sie vom nächsten Sonnabend an unterstützen.«
Das ebenso gehässige, wie lächerliche Verfahren der napoleonischen Polizei gegenüber dem Buche der Frau von Staël ist zu bekannt, als daß wir nicht schnell darüber hinweggehen dürften. Genug, das Buch über Deutschland hatte den Zorn des Kaisers aufs Hellste entflammt, weshalb er die zehntausend Exemplare, deren die Polizei noch habhaft werden konnte, sofort einstampfen ließ. Frau von Staël erhielt inzwischen den Befehl, sogleich nach Coppet abzureisen, und man deutete ihr an, wie man hoffe, daß sie sich bald nach Amerika begeben werde. Dorthin hatte ja auch Moreau vor der Rache des Corsen flüchten müssen.
Waren demnach alle Schritte der Madame Recamier im Interesse ihrer Freundin auch fruchtlose gewesen, so wurden sie doch von Frau von Staël mit glühender Dankbarkeit anerkannt, und der Schmerz, von ihrer theuren Julie durch eine grausame Verbannung getrennt zu sein, empfing durch die Betrachtung ihrer Vortrefflichkeiten einen noch schärferen Stachel.
Gerade in der Zeit, wo Madame Recamier durch die Schicksalsschläge, welche Frau von Staël getroffen hatten, betrübt, ja, erschüttert wurde, ging ihr ein wohlthuendes Zeugniß zu, wie Entfernung und Glücksfälle gegen alles Erwarten dennoch nicht im Stande waren, die Erinnerung an sie in den Herzen ihrer Freunde zu schwächen. Sie empfing nämlich von dem durch den schwedischen Reichstag zum Kronprinzen gewählten Bernadotte folgendes Schreiben:
»Stockholm, den 22. December 1810.
Madame.
Als ich mich für immer von Frankreich trennte, beklagte ich es aufrichtig, daß Ihre Abwesenheit von Paris mich des Glückes beraubte, mir Ihre Befehle zu erbitten und Ihnen Lebewohl zu sagen. Sie trösteten eine Freundin bei einer nahe bevorstehenden und vielleicht ewigen Trennung; ich glaubte, mich in eine so inhaltsschwere Zeit nicht mit Nachrichten von mir eindrängen zu dürfen, und verschob meinen Brief auf eine günstigere Gelegenheit. Der russische Gesandte versprach mir, der Herold meiner Gefühle zu sein und Ihnen in meinem Namen Huldigungen darzubringen, die ich selber so gern geleistet hätte. Wir haben viel von Ihnen gesprochen, von Ihrem herrlichen Charakter, und von dem zärtlichen Interesse, das Sie Allen einflößen, die in Ihrer Nähe athmen.
Leben Sie wohl, Madame. Genehmigen Sie die Versicherung der Ihnen geweihten Gefühle, die weder die Zeit, noch die eisigen Nebel des Nordens je auszulöschen im Stande sind.
Karl-Johann.«
Durch diesen Brief Bernadotte's ward für Madame Recamier die trostvolle Ueberzeugung erweckt, daß, wenn sie auf dem reinen Altare der Freundschaft eine hohe und helle Flamme entzündet hatte, an der sich gar Viele wärmten und Schutz suchten bei den rauhen Stürmen des Schicksals, daß sie nicht blos spendete, sondern auch empfing, und daß auch ihr von liebender Hand angezündete und unterhaltene Feuer loderten, zu denen sie sich flüchten konnte, wenn über ihr die Wolken des Unglücks hereinhingen, und die Hagelschloßen der Tyrannei sie zu treffen drohten. Und dies Bewußtsein hatte sie nöthig, um dem Imperator zu trotzen, der sich anschickte, auch ihr Herzeleid zu bereiten, nachdem zwei ihr so theure Wesen, wie Frau von Staël und Mathieu von Montmorency, bereits durch seinen Grimm getroffen worden.