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Die zweite Pariser Glanzperiode im Leben der Madame Recamier.

Als Madame Recamier nach Paris zurückkehrte, da war sie womöglich schöner und holdseliger als je. Das schwellende Bewußtsein, wieder in der Stadt zu athmen, die ihr, trotzdem sie auch in Lyon, Rom und Neapel mit Huldigungen überhäuft worden, die ihr den anhaltendsten Cultus erwiesen hatte; das Glück, in der Nähe des verehrten Vaters und ihres Gatten, der ihr durchaus sympathisch war, wenn sie auch ein innigeres Seelenbündniß nicht mit ihm vereinte, wieder leben zu dürfen; das Hochgefühl, von so vielen geliebten und Jahre hindurch schmerzlich entbehrten Freunden und Freundinnen umringt zu sein; die seligen Empfindungen ihres Innern strahlten wieder in den schönen Zügen ihres Antlitzes, und die stete Grazie ihres äußern Auftretens hatte eine leise Beimischung von Gehobenheit, die ihr sonst durchaus nicht eigen war. Denn die Bescheidenheit bildete den Grundzug ihrer Individualität.

So waren denn die drei ausgezeichneten Persönlichkeiten, die Napoleon in Paris nicht dulden wollte, wieder vereinigt in der französischen Hauptstadt, wo für die nächste Zeit alle Berühmtheiten Europa's zusammenströmten. Madame Recamier, Frau von Staël und Mathieu von Montmorency genossen in vollen Zügen das Glück eines seit Jahren unterbrochenen Beisammenseins. Jetzt wurden sie von keinem mißtrauischen und zornigen Auge in den Tuilerien bewacht, sondern konnten im Gegentheil von Seiten Ludwig's XVIII. des größten Wohlwollens gewiß sein. Ein Montmorency, und hätte er auch nicht einen so edlen Charakter gehabt, wie Mathieu, war wegen seines edlen Bluts bei dem aristokratischen Bourbon stets gutangeschrieben. Eine Frau von Staël aber erzwang sich überall Beachtung, außer wenn sie, wie bei Napoleon, auf eine ebenfalls geniale Natur stieß, die, ausgerüstet mit unbeschränkter Herrschergewalt und den Rücksichten der Billigkeit kein Gehör gebend, nichts Großes neben sich dulden wollte. Hegte Ludwig XVIII., der ja auf seine schöngeistigen Leistungen sehr eitel war, auch Neid gegen Frau von Staël und Chateaubriand, weil er ihnen ihren großen schriftstellerischen Ruhm nicht gönnte, so bedachte er doch andrerseits, wie man nicht mit Unrecht von der Verfasserin der Corinna gesagt habe, daß ihre Opposition dem mächtigen Kaiser schädlicher gewesen sei, als wenn noch zwanzigtausend Soldaten mehr gegen ihn in's Feld gerückt waren. Der Madame Recamier endlich konnte Ludwig XVIII. ein Gefühl von Hochachtung nicht versagen, wenn er in Erwägung zog, wie die stolzesten Namen der französischen Aristokratie, um der doppelten Gefahr einer Verbannung und Güterconfiscation zu entgehen, sich zu Hofämtern bei Napoleon bequemten, während die schöne und hochherzige Frau ihrer Ueberzeugung die schwersten Opfer gebracht und dem Autokraten mit eigenstem Willen gegenübergestanden hatte. Ueberdies verlangte Madame Recamier von Ludwig XVIII. nichts, als in Ruhe gelassen zu werden. So leuchtete jetzt von den Tuilerien her über Mathieu von Montmorency, Frau von Staël und Madame Recamier die Sonne des Wohlwollens in hellern oder mattern Strahlen, und Donner und Blitz waren von dorther nicht mehr zu befürchten.

Es begann nun für Madame Recamier von dem Juni 1814 bis zum Sommer 1819 eine ähnlich glänzende Periode, wie die frühere von 1796 bis 1806. Besaß sie jetzt auch keinen fürstlichen Reichthum, wie damals, so war das Bankiergeschäft ihres Gatten doch wieder zu erfreulicher Blüthe gelangt, und sie selbst verfügte über ein Vermögen von 400,000 Franken, das ihre Mutter ihr vermacht hatte. Madame Recamier fuhr demnach, da sie auf dem Straßenpflaster nicht gut zu gehen vermochte, auch bei den zahlreichen Gegenbesuchen, die ihr oblagen, die rüstigsten Füße bald erlahmt wären, Madame Recamier fuhr demnach im eigenen Wagen, was für Paris stets das Zeichen großer Wohlhabenheit ist, hatte eine Loge im Theater, und empfing bei sich nach beendeter Vorstellung.

Nach Mathieu von Montmorency und Frau von Staël, war es die Gattin Moreau's, deren Wiedersehen dem Herzen der Madame Recamier ganz besonders wohlthat. Auch die Gattin Moreau's, diese so anmuthige und begabte Frau, hatte über ihr Haupt die schwersten Gewitter dahinziehen und ihren Gatten vom Blitze getroffen sehen. Nachdem sie Jahrelang mit ihrem Gatten jenseits der Atlantis in der Verbannung gelebt hatte, war Moreau, einer Einladung des Kaisers Alexander folgend, nach Europa zurückgekehrt, um den verbündeten Heeren durch seine kriegerische Erfahrung von Nutzen zu sein. Er war nun, nachdem in der Schlacht bei Dresden eine Kanonenkugel ihm beide Beine abgerissen hatte, bald darauf seiner schrecklichen Verwundung erlegen. Der Kaiser Alexander, in jenem großen Stile handelnd, wie es die Autokraten Rußlands seit der glänzenden Katharina II. zu thun gewohnt sind, und wie es den Beherrschern des größten Reiches der Welt wohl ansteht, der Kaiser Alexander hatte der Gattin Moreau's ein jährliches Wittwengehalt von 100,000 Franken ausgeworfen. Auch Ludwig XVIII. war bestrebt, der Wittwe des berühmten Feldherrn seine Hochachtung zu bezeugen. Er ließ ihr deshalb den Titel einer Herzogin anbieten. Doch die Gattin Moreau's glaubte die ihr zugedachte Gnade ablehnen zu müssen. Da sie dem Andenken ihres verehrten und tiefbetrauerten Gatten einen frommen Cultus weihte, so wollte sie nicht einen Titel tragen, der seiner republikanischen Ueberzeugung zuwider gewesen wäre. Sie begründete ihre Ablehnung demnach durch den nicht anzufechtenden Wunsch, keinen andern Titel zu tragen, als den ihr Gatte geführt haben würde, wäre er am Leben gewesen. So entschloß sich denn Ludwig XVIII., ihr eine bis dahin unerhörte Auszeichnung zu Theil werden zu lassen; er verlieh ihr den Titel einer » maréchale de France«.

Madame Moreau betrat Frankreich in Begleitung jener Tochter, deren Geburt ihr Gatte der Madame Recamier aus dem Dorfe in der Nähe von Cadiz angezeigt hatte, als er sich anschickte, den schweren Weg in die amerikanische Verbannung einzuschlagen. Madame Recamier empfing Mutter, wie Tochter, mit großer Zärtlichkeit, und der Freundschaftsbund der frühern Tage ward in alter Herzlichkeit erneuert.

In dem Salon der Madame Recamier sah man, außer der besten Pariser Gesellschaft, auch die meisten der ausgezeichneten Fremden, die in der anziehendsten Stadt Europas nach der, durch den Krieg bewirkten, höchst unwillkommenen Unterbrechung zahlreicher, als je, zusammenströmten. Madame Recamier, von jeder politischen Parteirichtung absehend und nur Menschenwerth und gesellschaftlichen Schliff Auge fassend, empfing in ihrem Salon sowohl Mitglieder des alten Adels, wie der frühern kaiserlichen Regierung. Besonders wurden die Montmorency's, die ohne Ausnahme die Farben der schönen Julie trugen, häufig in dem Recamier'schen Salon gesehen, dem sie nicht bloß ihres glänzenden Namens, sondern auch ihrer persönlichen Würdigkeit wegen zum Schmucke gereichten. Außer den Montmorencys, begegnete man bei Madame Recamier zahlreichen, durch Geburt oder Verdienst hervorragenden Persönlichkeiten. Vor allen ist die Marquise von Catellan zu nennen, die Madame Recamier während der Zeit ihrer Verbannung in Châlons-sur-Marne aufsuchte und mehrere Wochen bei ihr ausharrte, obgleich sie bis dahin geglaubt hatte, in einer Stadt der Provinz es nicht länger, als einen Tag, aushalten zu können. Dann glänzte in dem Salon der Madame Recamier nach der schönen Herrin wol am meisten die Gräfin von Boigne, eine Frau von großen körperlichen und geistigen Vorzügen. Sie hatte ein überaus vornehmes Aussehn, so daß die große Dame sofort bei'm ersten Auftreten einem nicht allzu blöden Blicke sich bemerkbar machte. Ihr Haar war aschblond, von wunderbarer Weichheit und umwallte sie, wenn es gelöst ward, bis zu den Fußspitzen. Dabei war sie eine Meisterin der Töne und hatte eine so umfangreiche Stimme, daß Madame Recamier, wenn sie sang, an die Catalani erinnert ward. Da sie überdies einen unermeßlich reichen Mann geheirathet hatte, den sie freilich nicht allzu zärtlich liebte, so läßt sich nicht leugnen, daß die Gräfin von Boigne viele Vorzüge in sich vereinigte, wovon ein einziger ausreichend gewesen wäre, ihr Beachtung zu sichern. So verdrängte in dem Salon der Madame Recamier eine ausgezeichnete Erscheinung die andere, und es ist der beste Beweis für die seltenen geistigen und körperlichen Eigenschaften der schönen Julie, daß sie niemals durch so viele, in ihrer Nähe leuchtende, Sonnen überstrahlt wurde, sondern daß von ihr, wie in einem berühmten Gemälde Correggios, jene wunderbare Helle ausging, die ihre ganze Umgebung in einen reinern Aether emporhob.

Außer den Montmorencys, der Marquise von Catellan und der Gräfin von Boigne, begegnete man häufig in dem Salon der Madame Recamier der Marquise von Aguesseau und deren Tochter, der Gräfin Octave von Segur, dann dem zum Gesandten am Turiner Hofe ernannten Marquis von Osmond, ferner der Herzogin von Cars, nebst ihrer Tochter, der reizenden Marquise von Podenas. Doch wir müßten, wie in der Iliade bei der Aufzählung der Schiffe, ganze Seiten anfüllen, wollten wir alle die edlen und erlauchten Namen anführen, die sich um Madame Recamier versammelten. Wir wollen demnach, außer den bekannteren Namen, der Broglie und Bourgoing, nur noch die Kronprinzessin von Schweden erwähnen. Madame Bernadotte war ihrem Gemahle nach Stockholm allerdings gefolgt, hatte sich aber an das dortige Klima nicht gewöhnen können und war nach Paris zurückgekehrt, wo es ihr, abgerechnet, daß sie ihre nächste Familie nicht um sich hatte, tausendmal besser gefiel, als in der schwedischen Hauptstadt. Sie lebte in Paris unter dem Namen einer Gräfin von Ostgothland und erschien häufig bei Madame Recamier, zu der sie sich sehr hingezogen fühlte. Auch gefiel sie der Letzteren, da sie eine Frau von gutem Herzen und großer Bescheidenheit war. Die ihr so unerwartet zugefallenen höchsten Ehren hatten sie nicht im Geringsten stolz gemacht. Es wäre schwer gewesen, einer zweiten Frau zu begegnen, die, bei gleich hohem und wider alle menschliche Vermuthung ihr zu Theil gewordenem Range, sich eine ähnliche Anspruchslosigkeit bewahrt hätte.

Von Personen des frühern kaiserlichen Hofes, die in dem Salon der Madame Recamier gesehen wurden, nennen wir die Herzogin von Ragusa, Madame Regnault de Saint-Jean-d'Angely und den General Sebastiani.

Auch den Prinzen August von Preußen sah Madame Recamier wieder; aber nicht mehr mit der gluthvollen Empfindung der Liebe, sondern mit dem sanfteren Gefühle der Freundschaft. Der feurige Prinz allerdings, als er Madame Recamier holder und lieblicher, als je, erblickte, brannte wieder lichterloh, wie während jener, in Coppet verlebten, Wonnetage. Doch die gleichmäßige Freundlichkeit der Madame Recamier, die es niemals zu Betheurungen kommen ließ, und die dem gluthvollen, verlangenden Blicke des Prinzen mit einem Auge begegnete, das Wohlwollen und treue Zuneigung, aber kein wärmeres Gefühl verrieth, half dem stolzen Hohenzollern, seine Liebe wenigstens nicht zu bekennen, wenn er sie auch nicht zu ersticken vermochte. Da das engere Zusammensein mit dem Prinzen für Madame Recamier immer etwas Peinliches hatte, so verkehrte sie lieber mit ihm in einem größern Cirkel, wo sie sicher war, daß das Gespräch keinen wärmeren Ton annehmen konnte. So befand sie sich gemeinsam mit ihm in einer Gesellschaft bei der Königin Hortense, die nach der Abdankung Napoleons in Paris zurückgeblieben und von Ludwig XVIII. mit dem Titel einer Herzogin von Saint-Leu belehnt worden war. Nach eingenommenem Diner schlug die Herzogin von Saint-Leu ihren Gästen eine Spazierfahrt durch ihren Park vor, wozu Alle bei dem schönen Wetter sich gern bereit erklärten. So fuhren denn schnell Wagen vor, und die Gesellschaft erfreute sich an vielen prächtigen Fernsichten. Frau von Staël ward durch eine Stelle in dem sehr geschmackvoll angelegten Parke an Italien erinnert und sprach mit ihrer gewohnten gluthvollen Lebendigkeit von dem schönen Süden. »Sie waren also in Italien?« fragte die Herzogin von Saint-Leu, der man es bei mannigfachen Bedrängnissen ihrer damaligen Lage eigentlich nicht übelnehmen konnte, wenn sie zuweilen ein wenig zerstreut war. Doch den französischen Mitgliedern der Gesellschaft erschien es als ein Verbrechen, an Frau von Staël, die in einem weltberühmten Buche so viel von Italien gesprochen hatte, die Frage zu stellen, ob sie dort gewesen sei. » Et Corinne, Corinne!« erscholl es von allen Seiten. Jetzt ward die Herzogin von Saint-Leu ihre Zerstreuung gewahr, und mit nicht ganz verhehlter Verlegenheit lenkte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand.

Aus diesem anscheinend unbedeutenden Vorkommnisse erhellt, wie die demokratischen Ansichten auch in der besten Gesellschaft seit der französischen Revolution Platz gegriffen hatten. Im Jahre 1814 that eine ehemalige Königin, der es an Verstand übrigens durchaus nicht gebrach, eine ziemlich einfältige Frage, und sogleich gab ihre Umgebung dies durch eine spottende Gegen-Frage zu erkennen. Als Ludwig XV. den Gesandten Venedig's fragte: »Wie viele sitzen in Ihrem Rathe der Zehn?« – da war der geschmeidige Italiener viel zu klug, dem Könige das demüthigende Gefühl seiner Unwissenheit zu erwecken. Sich tief verneigend, antwortete er: »Ew. Majestät zu dienen, vierzig.«

Unter den berühmten Fremden, die im Sommer und Herbste des Jahres 1814 häufig bei Madame Recamier erschienen, wollen wir nur den Hervorragendsten anführen, nämlich den Herzog von Wellington. Frau von Staël schwärmte für ihn, und bei ihr war es, wo Madame Recamier dem Sieger so vieler Schlachten zum ersten Male begegnete. Gleich den folgenden Tag ließ er sich bei ihr melden. Seitdem erschien er sehr häufig bei Madame Recamier. Letztere stellte ihn der Königin Hortense vor. Außer in ihrem Salon, sah sie ihn fast in allen größern Gesellschaften, denen sie beiwohnte. So traf sie ihn bei der Herzogin von Luynes, die einen Kreis bedeutender und anmuthiger Persönlichkeiten um sich zu versammeln pflegte. Madame Recamier traf dort die Herzogin von Kurland, die bei schon reifern Jahren in Erscheinung und Benehmen äußerst anziehend geblieben war, weshalb beide Damen einander sehr gefielen. Von dem ebenfalls anwesenden Talleyrand dagegen fühlte Madame Recamier sich durchaus nicht angezogen, und obgleich er ihr an diesem Abende die größte Beeiferung zeigte, so blieb sie doch höflich-kalt gegen ihn, wie in der ganzen Reihe der voraufgegangenen Jahre. Sie hielt ihn nicht für eine Licht-Natur, und alle Diejenigen, in deren Herzen tiefe, unheimliche Gründe gähnten, machten sie scheu und zurückhaltend. Als demnach der Herzog von Wellington um die Ehre bat, sie zu ihrem Wagen führen zu dürfen, so ward der Vorwand, ihn nicht warten lassen zu wollen, schnell ergriffen, um von Talleyrand loszukommen. Der Herzog von Wellington scheint, wie alle Herren, auf die Madame Recamier einen tiefern Eindruck gemacht hatte, auch wenn er nicht um sie sein konnte, ihr mit Gefühlen und Gedanken nahe gewesen zu sein. So schrieb er ihr eine Masse von Briefen und Briefchen, die freilich weder durch Stil, noch Inhalt, sich auszeichneten. Einst, als Madame Recamier ihm die Briefe des Fräuleins von Lespinasse, die damals eben erschienen waren und großes Aufsehn machten, übersandt hatte, schrieb er ihr folgende Zeilen:

»Paris, den 20. October 1814.

Ich war gestern den ganzen Tag auf der Jagd, Madame, und habe Ihr Billet, sowie die dasselbe begleitenden Bücher, erst in der Nacht empfangen, als es zu spät war, Ihnen noch zu antworten.«

Man ersieht hieraus, daß, wenn Wellington auch kein graziöser Briefschreiber war, es ihm doch an Höflichkeit und guter Lebensart durchaus nicht gebrach. Denn nach der guten, alten Sitte sollte man innerhalb vierundzwanzig Stunden einen Besuch erwiedern und einen Brief beantworten. Der Herzog fährt dann fort:

»Ich hoffte, daß meine Kritik während des Lesens der Briefe des Fräuleins von Lespinasse durch Sie geleitet werden würde, und ich verzweifele fast, mir selbst ein Urtheil bilden zu können.«

Aus diesen Zeilen geht klar hervor, daß das Lesen der ihm zugesandten Bücher durchaus nichts Anziehendes für Wellington hatte, und daß er sich nur dann dazu entschließen wollte, wenn Madame Recamier ihm mit ihrem Urtheil zu Hülfe käme. An dieser Stelle scheint die englische Schwerfälligkeit für einen Augenblick in den graziösen Briefstil übergehen zu wollen. Doch der Schluß ist frostig. Er lautet: »Ihr sehr gehorsamer und treuer Diener

Wellington.«

Trotz der Beeiferung des so berühmten und durchaus ehrenwerthen englischen Herzogs, kam es niemals zu einem innigeren Verhältnisse zwischen ihm und der Madame Recamier. Es lag einfach daran, weil sie eine schwungvolle, ideale Natur war, und er dagegen ein nüchterner Verstandesmensch. Hierdurch kann und soll dem Herzoge von Wellington keineswegs bestritten werden, daß er außer seinem erfahrenen Feldherrnblick auch für alle Dinge der Außenwelt ein scharfes, kundiges Auge hatte; nur fehlte ihm die Schwinge, die ihn in eine höhere Welt hineintrug, und in dieser sich mit den ihr befreundeten Menschen von Zeit zu Zeit bewegen zu können, war für Madame Recamier unerläßlich. Wer im niedern Thale der Wirklichkeit verharrte, der durfte sie wol begleiten auf einer kürzern oder längern Wegesstrecke, aber ihr Blick ruhte nur seelenvoll und verständnißinnig auf Solchen, die von dem häufigen Verweilen im Reiche der Ideale mit jenem Nimbus geschmückt waren, der sie sofort als höhere Naturen kennzeichnete.

Wenn übrigens Madame Recamier im Jahre 1814 den Herzog von Wellington auch mit einem wärmern Gefühle beglückt hätte, als es nach unsrer Schilderung geschah, so würde dasselbe nach der Schlacht von Waterloo vor ihrer Vaterlandsliebe doch nicht haben bestehen können. Mochte ihr Napoleon antipathisch sein, so gehörten doch ihrem Vaterlande ihre glühendsten Sympathien, und wer dies demüthigte, den haßte sie zwar nicht, weil dies ihrem milden Naturell unmöglich war, aber er durfte doch in ihrem Herzen nicht den geringsten Raum beanspruchen.

Als nun der Herzog von Wellington nach der Schlacht von Waterloo zum zweiten Male in Paris anlangte, so eilte er gleich am folgenden Tage zu Madame Recamier, die von allen Frauen, die er bisher gekannt, auf ihn den mächtigsten Eindruck gemacht hatte. Von der Ungeduld getrieben, sie wiederzusehen, und zugleich von seinen glänzenden Erfolgen für eine kurze Zeit aus dem Gleichgewichte gebracht – den eisernen Herzog zierte sonst im Allgemeinen eine große Bescheidenheit – wartete er nicht ab, bis ihn ein Diener gemeldet, sondern eilte sofort in den Salon der Madame Recamier. Die über den Fall ihres Vaterlandes tiefbetrübte Frau erschrak, als sie Denjenigen plötzlich vor sich stehen sah, der an der Besiegung Frankreichs einen so mächtigen Antheil genommen. Sie war deshalb ein wenig verwirrt, da sie gemäß dem guten Tone den Gast willkommen heißen mußte, und doch dem Besieger ihres Volkes nur fremd und kalt gegenüberzustehen vermochte. Wellington hatte nicht Feingefühl genug, um sich die Empfindungen der Madame Recamier richtig deuten zu können. Da ihm bekannt war, wie sehr sie unter der Tyrannei Napoleon's gelitten, so glaubte er, ihre Bewegung gehe aus dem Staunen und der Bewunderung hervor, die sie für den Besieger des gewaltigen Mannes empfinde. Deshalb sprach er, sich selbst rühmend – ein seltener Fall bei diesem sonst so bescheidenen Manne –: » Je l'ai bien battu.«

Aber mit Napoleon war für den Augenblick auch Frankreich zu Boden geschmettert, und nur dies empfand Madame Recamier. Die hochfahrende Aeußerung Wellington's empörte demnach die patriotische Französin, und sie gab den Befehl, daß er niemals wieder bei ihr gemeldet werden dürfe. Ihre Thür war seit jener Aeußerung, durch die er sich in ihrer Gunst zu heben gedachte, ihm für immer verschlossen. Er beklagte sich bei Frau von Staël über die Härte ihrer sonst so gütigen Freundin; doch wurde dies Verbot nicht zurückgenommen.

Uebrigens vermißte Madame Recamier es kaum, wenn irgend ein glänzender Stern nicht mehr um sie seinen huldigenden Kreis beschrieb. Denn die edelsten unter ihren Landsleuten, und die erlauchtesten unter den aus Europa zusammengeströmten Fremden huldigten ihr, wie einer Königin, oder mehr, als einer Königin. Denn die Herrscherin durch das kalte Gesetz sieht nur die tief sich neigende Stirn, die durch Schönheit und Grazie Herrschende sieht auch das bewundernde Auge und hört das vor Bewegung klopfende Herz. Und wo Madame Recamier erschien, da erglänzten die Augen, da bebten vor Wonne die Herzen, und süßes Wohlsein umfing die Gesammtheit.


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