Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Juliens Verheirathung.

Madame Bernard begriff als kluge Frau, daß ihre wunderschöne Tochter durch eine geschickte Ausbildung ihrer Talente, sowie durch Ausschmückung ihres Geistes, noch größere Anziehungskraft gewinnen werde. Da nun Julie für Musik und Tanz entschiedene Anlage zeigte, so erhielt sie bei Meistern in diesem Fache mehrjährigen Unterricht. Ihre Leistungen in beiden Künsten waren außergewöhnliche und gereichten häufig zum Entzücken eines ganzen Kreises. Auch in Bezug auf sonstigen Unterricht ward nichts vernachlässigt. Was aber besonders dazu beitrug, Juliens Geist zu wetzen und ihn zugleich mit höhern, über die gewöhnliche Frauensphäre hinausgehenden, Anschauungen zu füllen, war ihr Zugegensein bei den Empfängen ihrer Mutter, die es liebte, sich mit Männern zu umgeben, welche über das Durchschnittsmaß hinausragten. War Madame Bernard ihrem schönen Ehegemahle auch innig zugethan und gestattete sie sich nie – was bei den losen Sitten der damaligen Zeit gar nicht aufgefallen wäre – ein zärtliches Verhältniß zu einem fremden Manne, so suchte sie doch nach einer geistigen Ergänzung ihrer, in Bezug auf höhere Intelligenz ziemlich trostlosen, Ehe. An mehreren Abenden der Woche versammelte sich demnach bei Madame Bernard ein Kreis von klugen, theilweise berühmten Männern, und die heranwachsende einzige Tochter des Hauses war, wenigstens im Beginn der gesellschaftlichen Vereinigung, regelmäßig zugegen. Da sah sie das feine, rücksichtsvolle Benehmen der alten französischen Gesellschaft, das mit der Revolution theilweise schwand, das aber ihr für alle Zeit anhaften blieb. Auch hörte sie mit Vergnügen die kluge und gewandte Rede der begabten Männer, die bei ihrer Mutter erschienen und sich mit der wunderlieblich aufblühenden Jungfrau gern beschäftigten. Die erste Berühmtheit, der Julie in ihrem Leben begegnete, war Laharpe, den Madame Bernard für ihre abendlichen Empfänge zu gewinnen wußte. Sehr häufig stellte sich auch Lemontey ein, der, seitdem er zum Volksvertreter erwählt worden, Paris nicht mehr verließ. Auch Barrère, der später einen so blutigen Schein um sich verbreitete, erschien häufig in dem Salon der Madame Bernard.

Zu den zwar nicht berühmten, aber doch sehr willkommenen Erscheinungen in dem Bernard'schen Hause zählte Herr Recamier, der, als baldiger Gatte Juliens, unsre volle Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt. Herr Recamier gehörte, gleich den Bernard's, einer wohlhabenden bürgerlichen Familie Lyons an. Sein Vater, François Recamier, war durch einen schwunghaften, besonders nach Spanien betriebenen Handel ein reicher Mann geworden, und der Sohn, Jacques-Rose, der die schönste Rose Frankreichs heimführen sollte, war schon zu Anfang der Revolution einer der bedeutendsten Pariser Bankiers. Als ganz junger Mann, wo er noch im Geschäfte seines Vaters thätig war, hatte er häufige Reisen nach Spanien gemacht. Kein Wunder demnach, daß er das Spanische gut zu sprechen und zu schreiben wußte. Doch war auch seine Schulbildung keineswegs vernachlässigt worden. So verstand er gut Latein, was ihm bei Erlernung des Spanischen sehr zu Statten kam. Er liebte, bei passender Gelegenheit Verse von Horaz und Virgil anzuführen, hatte in dieser Hinsicht demnach Aehnlichkeit mit dem damaligen Grafen von Provence, spätern Könige Ludwig XVIII. Doch weiter erstreckte sich diese Aehnlichkeit nicht. Herr Recamier war viel hübscher und gutmüthiger, als der Graf von Provence, wenn er auch an Klugheit hinter ihm zurückstand. Was zuerst das Aeußere anbetrifft, so war Herr Recamier ein sehr hübscher, fast schöner Mann. Er hatte blondes Haar, blaue Augen, regelmäßige Gesichtszüge und eine schlanke, kräftige Gestalt. Noch günstiger, als mit dem Aeußern, war es mit dem Innern bestellt. Er hatte das mildeste, großmüthigste Herz. Niemals wandte sich ein Freund vergeblich an ihn. In Bezug auf Rath und That ließ er auch gegenüber seinem Nächsten es nie an sich fehlen. Aber er war in Bezug auf leichten Sinn ein echter Franzose. Nichts konnte seinen Horizont für längere Zeit trüben. Er glich sehr dem Goethe'schen Egmont und durchaus nicht dem bedächtigen Oranien. Ihm war »Sorglichkeit ein fremder Tropfen in seinem Blute«. Da der Seelenhorizont des Herrn Recamier niemals Wolken zeigte, sein klares Auge stets strahlte, sein hübscher Mund stets muntere Worte sprach, und er sich dabei sehr gewandt und gewinnend auszudrücken wußte, so ist es kein Wunder, daß er Julien, die unter seinen Augen groß wurde, immer eine sehr willkommene Erscheinung war. Dem Kinde schenkte er die schönsten Puppen, die mit steigenden Jahren andern sehr hübschen und passend gewählten Geschenken Platz machten. Als er demnach im Jahre 1793 um Juliens Hand anhielt, so war die Tochter geneigter, das Jawort zu sprechen, als die Mutter. Diese erhob die schwersten Bedenken, und wenn Julie nicht so vertrauensvoll zu Herrn Recamier emporgeblickt hätte, so würde sein Antrag wol zurückgewiesen worden sein. Madame Bernard erwog, daß Herr Recamier 42 Jahre zählte und ihre Tochter erst funfzehn; ferner daß Julie von wunderbarer Schönheit und zugleich das Kind sehr wohlhabender Eltern war. Für ihren mütterlichen Stolz wäre demnach ein großer, grundbesitzender Herzog ein eben genügender Schwiegersohn gewesen, hätte nicht die furchtbare Zeit, in der man lebte, Bescheidenheit, ja Demuth gelehrt. Denn man befand sich in den ersten Monaten des Jahres 1793. Das Haupt des Königs war unter der Guillotine gefallen, die vornehmsten Adeligen hatten sich in's Ausland geflüchtet, und die Pöbelrotten der Hauptstadt gewannen täglich an Einfluß und Frechheit. Solche Vorgänge waren wahrlich dazu angethan, den hochragendsten Stolz zu beugen. So verzichtete Madame Bernard auf das glänzendere Loos, das sie für ihre Tochter geträumt hatte, und hieß – ihr Gatte hatte keine Stimme – Herrn Recamier als Schwiegersohn willkommen.

Die Vermählung Juliens mit Herrn Recamier fand am 24. April 1793 statt; trotz der sehr günstigen Vermögensverhältnisse der Schwiegereltern und des Schwiegersohnes in Einfachheit und Stille, da man in jener schrecklichen Zeit Alles vermied, was den Neid des Pöbels und der tonangebenden Demagogen erwecken konnte. Wie damals jeder Vorzug zum Verbrechen ward, so hätte man Julien ihre wunderbare Schönheit als aristokratische Ueberhebung angerechnet. Wenn tollhäuslerische Demagogen in Straßburg vorschlugen, die schlanke Pyramide des Münsters abzutragen, weil sie voll Anmaßung die Dächer der Stadt überrage, so hätte man in Paris den lieblichen Kopf Juliens, der sich auf einem so schlanken, marmorweißen Halse wiegte, begierig vom Rumpfe getrennt, um der Häßlichkeit der beleidigten Fischweiber Genüge zu thun.

Julie entzog sich demnach so viel wie möglich den Blicken einer rohen und blutgierigen Menge, und wenn sie und die Ihrigen die furchtbaren Jahre, wo Robespierre, gleich Alba, einer fanatischen Idee Hekatomben schlachtete, glücklich überstanden, ohne ein theures Haupt zu verlieren, so dankten sie dies einmal ihrer zurückgezogenen Lebensweise und ihrem vorsichtigen Verhalten, aber dann auch ihrer Bekanntschaft mit Barrère, der die vergnügten, bei Madame Bernard zugebrachten Abende nicht vergessen hatte und gern seinen einflußreichen Schutz gewährte, wenn derselbe von Mitgliedern der ihm werthen Lyoneser Familie angerufen ward.

So gingen Julie und die Ihrigen ungefährdet durch das rothe Meer von Blut, das sich zu beiden Seiten in schaurigem Purpur emporthürmte.


 << zurück weiter >>