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Der Freundschaftsbund der Madame Recamier mit Mathieu von Montmorency.

Wäre Mathieu von Montmorency der Madame Recamier begegnet, ohne daß die für ihn so tragische Revolution seinen Sinn von allem Irdischen ab- und dem Ewigen zugelenkt hätte, er wäre sicher von derselben Liebe für sie entzündet worden, wie Lucian Bonaparte. Denn, wie schon berichtet, war er vor der Revolution den Freuden der Welt gar sehr ergeben, und da seine Gemahlin, eine geborene de Luynes, ziemlich unschön war, so entschädigte er sich dadurch, daß er Frauen den Hof machte, mit denen die seinige sich an Liebreiz nicht messen konnte. Denn nicht bloß seine vornehme Geburt, sondern auch sein Aeußeres und sein Benehmen erwarben ihm Gunst bei den Frauen. Er war großgewachsen und blond, sowie von untadelhaften Manieren. Seine Höflichkeit erinnerte etwas an die des Herzogs von Guise, der, bei äußerster Artigkeit selbst gegen den Geringsten, doch nie die unsichtbaren Schranken fallen ließ, die sich zwischen ihm- und den gewöhnlichen Sterblichen aufthürmten. Mathieu von Montmorency war keine stolze, sondern eine vornehme Natur. Er hielt sich deshalb die Ungebildeten und Halbgebildeten sehr fern, so daß nur ein Kreis von Auserwählten ihn umgab. In seiner weltlichen Periode hatte er einen oft aufbrausenden Charakter gezeigt; jetzt aus der Schule der Leiden als ein ganz Anderer hervorgegangen, war Friede und stille Heiterkeit der Grundzug seines Wesens. Hatte er der weltlichen Liebe ganz entsagt, so war seine Nächstenliebe dafür eine desto innigere und nachhaltigere geworden. Seine Mildthätigkeit kannte keine Grenzen. Gerade in dieser Eigenschaft, in dem steten Hange zum Wohlthun, begegnete er sich mit der Madame Recamier, von der wir schon erwähnten, daß bei ihr die schönste Seele in dem schönsten Körper wohnte. Wenn die Mittel des edlen Mathieu erschöpft waren, so trug er die Lage der Nothleidenden, die sich bei dem Rufe von seiner Nächstenliebe an ihn gewandt hatten, der Madame Recamier vor, die, mochte sie selbst nichts mehr besitzen, da sie so Vielen half, die dann von ihrem Manne, der gern spendete, sich das Fehlende zu verschaffen wußte. So begegnen wir in den vielen Briefen, die Mathieu von Montmorency an Madame Recamier schrieb, häufigen Danksagungen, daß sie ihn mit der Vertheilung von Almosen betraut hatte. In einem Briefe aus dem Jahre 1802 heißt es unter Anderm:

»Sie sind zu gut und edelmüthig, wenn es hierin ein Uebermaß giebt. Mit seltener Pünktlichkeit werden Sie Ihren versprochenen Hülfeleistungen gerecht, selbst wenn es an Tagen geschah, wo die Oper oder ein glänzendes Fest Ihren Sinn gefangen nahm.«

Man ersieht aus diesen Zeilen, wie Mathieu von Montmorency, ein ernster Tugendwächter, zu seiner schönen Freundin inmitten der Weltlust hintrat, um ihr die Armen und Nothleidenden an's Herz zu legen. Es heißt in demselben Briefe dann weiter:

»Ich werde die reichen Schätze, die Sie mir zufließen ließen, nicht sämmtlich an die Personen vertheilen, von denen ich Ihnen gestern gesprochen habe; ich spare einiges davon auf, falls Unglückliche kommen, die der Unterstützung ganz besonders bedürftig sind. Wie glücklich macht es mich, daß Sie mich zum Vermittler Ihrer Wohlthaten ausersehen! So finde ich immer neue Gründe, Sie zu lieben und zu achten. Bedenken Sie, wie es einst sein wird, wenn sich alle unsre schönen Hoffnungen verwirklicht haben!«

Aus diesen Worten erhellt, daß Mathieu von Montmorency der Madame Recamier in feierlichem Zwiegespräche ein Idealbild zeigte, dem immer ähnlicher zu werden ihre Lebensaufgabe sein müsse, und daß die schöne, von Weltlust umfluthete, aber von der Sehnsucht nach Höherm erfüllte Frau ihm versprach, an der Vertiefung ihres Innern arbeiten zu wollen.

In einem Briefe aus dem Jahre 1803 begegnen wir wieder ernsten und wohlgemeinten Ermahnungen, die Mathieu von Montmorency an seine schöne, so vielen Verführungen ausgesetzte Freundin richtete. So sagt er mit fast priesterlicher Weihe:

»Ich möchte in mir die Rechte eines Vaters, eines Bruders, eines Freundes vereinigen und Ihr vollstes Vertrauen erwerben, um Sie auf jenen Weg zu leiten, der allein Ihres Herzens und Geistes würdig ist, um Sie jener erhabenen Bestimmung zuzuführen, zu der Sie berufen sind, um Sie endlich zu bewegen, daß Sie einen großen Entschluß fassen.«

Mit diesen letzten Worten meinte Mathieu von Montmorency offenbar, Madame Recamier solle den glänzenden Festen, den Bällen und dem Theater ganz entsagen; sie solle weniger daran denken, ihren Körper aufzuschmücken, und dafür desto mehr ihre Seele veredeln. Daß Madame Recamier sich an den Huldigungen der Welt berauschte, daß ihr ganzes Sein und Denken ein durchaus äußerliches zu werden drohte, und daß ihr treuster Freund hierüber große Unruhe empfand, geht aus folgender Stelle hervor:

»Ich suche vergeblich in all' Ihrem Thun, in all' den kleinen Aeußerungen, von denen keine einzige meiner ängstlichen Sorgfalt entgeht, ich suche vergeblich nach etwas, das mich zu beruhigen, das der Aufgabe, die ich Ihnen stellte, irgendwie zu genügen vermöge. Ach! ich darf es Ihnen nicht verhehlen, ich verlasse Sie oft mit großer Bekümmerniß. Ich zittre davor, was Sie auf dem Gebiete wahren Glücks einzubüßen bedroht sind, während ich um den Verlust meiner Freundschaft zu trauern hätte.«

Hier sagt Mathieu von Montmorency deutlich, daß seine Freundschaft für Madame Recamier mit ihrer Tugend in dasselbe Grab sinken würde. Er fährt dann fort:

»Ich werde unaufhörlich zu Gott beten, daß er Ihr Auge klar mache und Sie erkennen lasse, wie ein Herz, das ganz von ihm erfüllt ist, niemals eine Leere empfindet. Sie schienen mir dies neulich nicht glauben zu wollen.«

Er schließt seinen Brief dann mit folgenden eindringlichen Worten:

»Thun Sie nur Gutes und Lobenswerthes, nichts, was später das Herz zerreißt, nichts, was Ihnen je Reue erwecken könnte!«.

Aus einem spätern Briefe erhellt, daß Madame Recamier in den häufigen Unterhaltungen, die Mathieu von Montmorency mit ihr über Seelenheil und unablässige Veredelung zu führen liebte, daß sie wol einmal gegen ihn den Gedanken äußerte, wie die Gnade bei ihr noch nicht zum Durchbruch gekommen, und wie ein unmittelbarer Verkehr mit Gott nur wenigen Auserwählten vergönnt sei. An diesen Einwand dachte Mathieu von Montmorency, als er seiner, zwar noch der Weltlust ergebenen, aber doch gern auf den Ruf aus dem Jenseits lauschenden Freundin Folgendes schrieb:

»Seien Sie überzeugt, daß es unmöglich ist, die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu messen und zu begrenzen. Die Umwandlungen sind wunderbar, die er in einer durch wahrhafte Frömmigkeit wiedergeborenen Seele zu erzeugen vermag. Ich zähle die Tage, die Sie noch von jener Wiedergeburt trennen, die Ihre besten Freunde für Sie ersehnen.

Gestatten Sie mir, Ihnen einige Bücher in's Gedächtniß zurückzurufen, die ich das Glück hatte Ihnen leihen zu dürfen. Lesen Sie doch jeden Morgen wenigstens einige Seiten darin! Ich sprach Ihnen auch, wenn ich nicht irre, von einem Buche der Frau von La Ballière, das den Titel führt: »Betrachtungen über die Barmherzigkeit Gottes.« – – Ihre Seele, die sicher von der Gnade berührt ward, schwingt sich, wie Sie mir zu meiner Freude versicherten, häufig zu Gott empor. O, daß Ihnen dies immer mehr und mehr zur Gewohnheit würde! Unsere Gedanken begegnen sich schon auf diesem Wege, und ich hoffe, sie werden es immer mehr thun. Mein dringendster Wunsch, den Sie mir verzeihen wollen, ist der: Sie möchten immer mehr und mehr Ihrer Gesellschaften überdrüssig werden, sowie derjenigen Personen, die man dort vorzugsweise die Liebenswürdigen nennt.

Ich bin nicht ohne Sorge über die Einwirkung so vieler Nichtigkeiten, die Sie täglich umgeben. Sie taugen an und für sich nichts, und sind so tief unter Ihrem Werthe. – – – – Ach, ich beschwöre Sie im Namen der innigen Theilnahme, die ich für Sie hege, im Namen meiner so traurigen persönlichen Erfahrungen, halten Sie nicht inne auf dem guten Wege, den Sie schon zu betreten anfingen! Lassen Sie das Ziel, das Sie sich vorsteckten, nicht aus dem Auge! Sie würden, thäten Sie es, eines Tages trostlos sein. – – – – Ich hoffe, daß Sie Ihres Versprechens eingedenk sein werden, an jedem Tage wenigstens während einer halben Stunde in guten Büchern zu lesen. Aber auch dem Gebete müssen Sie einige Augenblicke schenken. Ist dies zu viel verlangt für das höchste, ja, für das einzige Lebensinteresse?«

Aus einem Briefe des edlen Mathieu von Montmorency, der im Jahre 1810 geschrieben ist, mithin zu einer Zeit, wo bereits zwei Katastrophen das Leben der Madame Recamier erschüttert hatten, aus diesem Briefe ersehen wir, wie die Gnade trotz der Nachhülfe des Schicksals bei der schönen Weltdame noch nicht völlig zum Durchbruch gekommen war. Sie schwankte offenbar noch zwischen Welt und Gott. Die ernste Stimme ihres tugendhaften Freundes läßt sich nun so vernehmen: »Ich ahne einige von den Ursachen, weshalb Ihr Gemüth jetzt von Schwermuth erfüllt ist. Fürchte ich auch einerseits die Geständnisse, die Sie mir machen werden, so wünsche ich doch anderseits, Sie möchten darin fortfahren. Indeß darf ich Ihnen nicht verhehlen, daß ich streng sein werde in Betreff jener jämmerlichen Zerstreuungen, die nicht den Namen von Tröstungen verdienen, die eine Art von Spiel sind, wo man nirgends einem ernsthaften Wollen begegnet. Was ich aber am meisten fürchte, und was ich Sie inständigst bitte mit aller Macht Ihres Verstandes und mit aller Kraft Ihres Herzens von sich fern zu halten, das ist die Muthlosigkeit, die jedes gute Wollen und jede edelmüthige Entschließung schon im Keime erstickt. Der göttliche Meister, dem wir dienen, gestattet uns nicht zu verzweifeln, wenn wir nur ernsthaft entschlossen sind, seiner Fahne zu folgen. Er wird uns nicht verlassen, er wird uns helfen, alle Hindernisse zu besiegen, wenn wir treulich zu ihm unsre Zuflucht nehmen. O, verschmähen Sie nicht diesen einzig möglichen Weg des Heils!«

Der treue Wächter ihrer Seele schließt seinen Brief ebenso herzlich, wie eindringlich:

»Glauben Sie, meine liebenswürdige Freundin, daß ich den aufrichtigen und beharrlichen Wunsch hege, Sie wahrhaft glücklich zu sehen. Gestatten Sie mir, als Hüter Ihres bessern Selbst gegen alles unerbittlich zu sein, was nicht zu Ihrem Heile gereicht.«

So schenkte der Himmel der schönen, von allen Verlockungen der Welt umgebenen und an der starken Liebe zu einem verehrten Gatten keinen Halt findenden Madame Recamier in Mathieu von Montmorency einen Freund, der als ihr Schutzgeist sie durch alle Gefahren glücklich geleitete. Wenn der Sproß der glänzendsten Familie Frankreichs bei seiner Rückkehr aus freiwilliger Verbannung nicht für die goldenen Lilien der Bourbonen wirken konnte, weil damals der Stern Bonaparte's noch zu hell strahlte, so wollte er dafür eine Lilie hüten, zart und hold, wie sein Auge nie eine schönere sah. Und mochte an ihrem herrlichen Anblicke sich immerhin die Welt laben, ihr süßer Duft sollte sich nicht über die Erde verbreiten, sondern als Opferdampf aufsteigen zu dem Throne des Weltenrichters.

Was der edle Freund erstrebte, gelang ihm vollkommen. Die schneeweiße Lilie schloß ihre makellosen Blätter, um sie im Jenseits noch Herrlicher zu entfalten.


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