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Die Beziehungen der Madame Recamier zu Frau von Krüdener.

Als die Baronin von Krüdener, voller Anmuth in der äußern Erscheinung, und mit einem Geiste begabt, der sich sowohl für die mehr schillernde Unterhaltung des Salons, als auch für das Eingehen in ernstere und tiefere Gegenstände vortrefflich eignete, als die Baronin von Krüdener, vermöge ihrer Geburt, ihrer Bildung und der gesellschaftlichen Stellung ihres Gemahls zum Erscheinen in den höchsten und auserwähltesten Kreisen berechtigt, als ein nordischer Stern von mildem, zartem Lichte neben dem hellern Glanze des schönsten westlichen Gestirns – wir meinen Julie Recamier – in Paris bemerkt und freundlich angeblickt wurde, da war es ganz natürlich, daß die livländische Lilie und die südfranzösische Centifolie einander beachteten und wegen ihrer Uebereinstimmung im Duftigen und Schönen sich einander näherten. Um ohne Bild zu sprechen, Frau von Krüdener und Madame Recamier waren sich Beide während ihrer Glanzzeit in den Pariser Salons begegnet und hatten gern mit einander verkehrt, ohne gerade eines engern Umgangs zu pflegen. Als nun Frau von Krüdener im Jahre 1815 auf Veranlassung des Kaisers Alexander, mit dem sie ein damals Beiden gemeinsamer Zug zum Mysticismus verknüpfte, in Paris für längere Zeit wieder erschien, so wünschte sie auch Madame Recamier aufs Neue zu sehen, deren soviel größere Schönheit und Anmuth sie früher ohne allen Neid betrachtet, ja, aufrichtig bewundert hatte. Es ist unter dem vielen Merkwürdigen und Einzigen, was in dem Leben der Madame Recamier vorkommt, als das nicht am wenigsten Erstaunliche hervorzuheben, daß sie bei ihrem großen Liebeszauber den Neid der Frauenwelt durch seltene Anspruchslosigkeit vollständig entwaffnete. Diese Entwaffnung des Frauenneides war ein größerer Triumph, als die Besiegung der Männerherzen.

Madame Recamier folgte der freundlichen Aufforderung der ihr in lieber Erinnerung gebliebenen Frau von Krüdener mit großer Bereitwilligkeit und erschien namentlich bei deren abendlichen Gebetversammlungen, über welche der Kaiser Alexander durch seine Anwesenheit ein glänzendes Licht verbreitete.

Frau von Krüdener bewohnte 1815 ein Hotel in der unmittelbaren Nähe des Kaisers Alexander, für dessen Aufnahme der Palast Elysée-Bourbon war hergerichtet worden. Der Kaiser brauche nur den Garten, der an seinen Palast stieß, zu durchschreiten, und gelangte dann zu der nordischen Prophetin, ohne durch profane Augen belästigt zu werden. Uebrigens waren die Einwirkungen der Frau von Krüdener auf den Kaiser durchaus wohlthätige. Durch ihre Gefühlsseligkeit wurde ja Niemandem geschadet. Das Krankhafte, was in ihrem Drange lag, sich die Geisterwelt zu erschließen und in den Himmel schon mit irdischem Auge hineinzublicken – in dem Zerschmelzen der Semele bei der Umarmung Jupiter's liegt ja die Warnung ausgesprochen, nicht mit dem zerbrechlichen Körper von Thon zu den Feuergluthen des Lichts hinstreben zu sollen – ihre Ueberschwänglichkeit mochte männlichen Naturen ein Lächeln entlocken, war aber nimmer dazu angethan, um ein herbes, verwerfendes Urtheil zu rechtfertigen. Wenn Gervinus in seiner Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts Frau von Krüdener sehr ungünstig beurtheilt, so kommt dies wol vorzüglich daher, weil bei dem Schwerfälligen und Wuchtigen, das den im Großen und Ganzen hochbedeutenden Mann kennzeichnet, ihm für das Duftige, Anmuthige, Aetherische jede Schätzung abging. Frau von Krüdener und Kaiser Alexander waren von jener seraphischen Beschaffenheit, die Jean Paul den Gebilden seiner Phantasie verleiht, und die, wenn man einmal Zeit und Schwung hat, der unholden Wirklichkeit zu enteilen, einen süß anmuthen und zum längern Verweilen Lust erwecken.

Gervinus scheint es der Frau von Krüdener besonders übelgenommen zu haben, daß sie behauptete, ihr liege ob, dem Kaiser Alexander, als dieser auf dem Wiener Congresse verweilte, Dinge von »ungeheurer Wichtigkeit« Um die Worte der Frau von Krüdener ganz genau zu wiederholen, so theilen wir aus ihrem Briefwechsel mit dem Fräulein Stourdza, der Hofdame der Kaiserin Elisabeth, die Stelle mit, die sich auf den Kaiser Alexander bezieht. Diese, lautet: »Sie wollen mir von den großen und tiefen Schönheiten in der Seele des Kaisers sprechen. Ich glaube bereits viel über ihn zu wissen. Ich weiß lange schon, daß der Herr, mein Gott, mir die Freude verschaffen wird, ihn zu sehen. Ich habe Unermeßliches ihm zu sagen, denn ich habe viel um seinetwillen empfunden; der Herr kann allein sein Herz darauf vorbereiten, es zu vernehmen.« mitzutheilen. Wir können in diesen Worten nicht so gar Schreckliches finden, und auch Andere werden es nicht, sobald sie sich vergegenwärtigen, was eigentlich damit gemeint war. Wenn Philosophen in einer eigens erfundenen Terminologie ein Wolkenkukuksheim zurechtbauen, aus dem man weder die Erde sieht, aber noch viel weniger in den Himmel schaut, und wenn sie uns zumuthen, derartige überflüssige Constructionen als »ungeheuer wichtig« zu betrachten, so fordern sie allerdings zum Spotte heraus, und man hat Recht, ihnen etwas mehr Bescheidenheit anzurathen. Frau von Krüdener hatte aber »ungeheuer Wichtiges« nicht aus sich herausgeheckt, sondern wollte nur die himmlischen Ermahnungen des Heilandes, die bis dahin in ihr Gegentheil verkehrt worden, zum richtigen Verständnisse und vor allem zur richtigen Anwendung bringen. Die Menschen sollten endlich die Bruderliebe verstehen und ausüben, die Christus ihnen für ihren Verkehr mit einander angerathen und an's Herz gelegt. Freilich, da er bei vielen Menschen kein Herz fand, so fiel der gute Samen auf dürren Boden, der keine Frucht ansetzte. Aber Kaiser Alexander hatte ein edles Herz, und wenn Frau von Krüdener sich diesen damals mächtigsten und mildesten Herrscher aussuchte, damit er als ein gekrönter Johannes die Lehren seines Herrn und Meisters verwirkliche und das »Kindlein, liebet euch untereinander!« für die Völker zur Richtschnur hinstelle, so zeigte sie in ihrer Wahl, daß sie das Richtige zu treffen wußte. War es dem russischen Kaiser nicht verliehen, auf das edle Wollen das kräftige Vollbringen folgen zu lassen, so kann man hierfür Frau von Krüdener nicht verantwortlich machen. Was sie selbst betrifft, so hat sie es bei schönen Worten nicht bewenden lassen, sondern sie war an ihrem Theile stets bereit, den Lehren des Heilandes praktisch Folge zu geben. Der Papst Pius IX., der sich, wie alle seine Vorgänger, den Statthalter Christi nennt und demnach die höchste Sanftmuth bewähren sollte, zeigte dem russischen Gesandten die Thür, als dieser einige Worte sprach, die nicht nach seinem Geschmacke waren. Fürwahr, eine seltsame Befolgung des biblischen Spruches, daß man seine linke Wange hinreichen soll, wenn man auf die rechte einen Schlag empfangen. Frau von Krüdener nahm die Empfehlung der Bruderliebe, die den eigentlichen Kern des Christenthums bildet, ganz wörtlich und behielt in ihrer schwesterlichen Fürsorge nicht den geringsten Schmuck des Lebens für sich zurück, wo unglückliche Mitmenschen an dem Nothwendigsten Mangel litten. Sie durfte den Communismus der Christenliebe predigen, weil sie nach ihren Worten handelte. Da ward sie den Obrigkeiten bald unbequem, ja, erschien gefährlich und ward demnach von der Polizei immer weiter und weiter geschoben. Die Schweiz und Deutschland wollten ihr den Aufenthalt nicht länger gestatten, und so mußte sie nach Livland zurückkehren, wo sie zum Glück ein Landgut hatte, von dem man sie nicht vertreiben konnte.

Als Frau von Krüdener im Jahre 1815 die französische Hauptstadt wieder betrat, besaß sie nicht mehr den Reiz der Jugend, wie im Jahre 1803, wo sie ebenfalls in Paris verweilte und ihren Roman »Valérie« veröffentlichte. Und auch damals war sie nur nach französischen Begriffen noch jung, da sie schon achtunddreißig Jahre zählte, von welchem Alter an die Deutschen die Matrone beginnen lassen. Die Franzosen nennen aber eine Dreißigerin, sobald sie hübsch aussieht und sich anmuthig bewegt, eine »ganz junge Frau«. Wenn demnach die Baronin von Krüdener im Jahre 1803 nach französischen Begriffen noch eine junge Frau war, so konnte doch im Jahre 1815 das galante Frankreich nicht verkennen, wie die schönen Tage von Aranjuez für sie vorüber seien. Aber Frau von Krüdener war sehr anmuthig geblieben, und ihre Stellungen und ihr Hinsinken im Gebet, sowie ihre Armbewegungen, kurz, alles, was der Franzose » attitude« nennt, hatte viel Anziehendes und Malerisches. Es ward demnach von der Pariser Gesellschaft als eine große Gunst betrachtet, bei der Frau von Krüdener der an jedem Abend abgehaltenen Andacht beiwohnen zu dürfen. Diese abendlichen Versammlungen hatten für die nach stets Neuem begierigen Pariser den Reiz des Nochnichtdagewesenen. Zuerst war es bei der Frau von Krüdener wie in der Kirche, und dann wie im Salon. Dies Letztere gefiel auf die Länge am meisten, obgleich man gegen die gebetliche Zuthat nichts einwendete, und dies umsoweniger, als sie den Kaiser Alexander herbeiführte.

Auch Benjamin Constant, für dessen Seelenheil Frau von Krüdener zärtliche Sorge trug, zeigte sich häufig bei den abendlichen Gebetübungen, obgleich er gemäß seiner skeptischen Natur die spätere weltliche Unterhaltung der vorangehenden religiösen bei weitem vorzog. Einst, als die gesammte Gesellschaft auf den Knieen lag, und Frau von Krüdener im Vordergrunde zum Schöpfer flehte, kam noch die Herzogin von Bourbon mit ihrem Gefolge hinzu und suchte nach einem Platze im Saale, wo sie ebenfalls zu Boden sinken konnte. Wahrscheinlich wollte sie in ihrer Nähe keine Person haben, deren Rang oder Religiosität nicht ihren Ansprüchen genügte. Die Prinzessin von Geblüt vergaß selbst vor Gott nicht ihre bevorzugte irdische Stellung. Da streifte ihr Blick Benjamin Constant, der ebenfalls auf den Knieen lag und sich die größte Mühe gab, andächtig zu erscheinen. Doch behielt er hinlängliche weltliche Aufmerksamkeit, um auf seine Nachbarschaft Acht zu geben. So entging ihm auch nicht der verachtungsvolle Blick der Herzogin von Bourbon, der zu sagen schien: »Was hat der Heuchler hier zu thun?« Sofort beugte sich Benjamin Constant noch viel tiefer in den Staub und schien in Andacht und Rührung aufgelöst.

Ganz, wie Benjamin Constant, hatten die Meisten, die sich in den andächtigen Versammlungen der Frau von Krüdener einfanden, irdische Nebenabsichten, ja, das Religiöse schrumpfte oft zu einem Nichts zusammen, so daß nur das Weltliche übrig blieb. Die Herren erschienen bei Frau von Krüdener, um der schönen und eleganten Madame Recamier in das holde Antlitz zu sehen, und für die Frauen war der schöne und elegante russische Kaiser der anziehende Magnet. Da, sobald die wundervolle Schönheit der Madame Recamier über der Versammlung leuchtete, es mit der Andacht fast ganz vorbei war, und die Augen sich nicht mehr nach oben, sondern nach der Seite richteten, wo die reizende Frau Platz genommen; da die dann entstehende Unaufmerksamkeit der Baronin von Krüdener nicht entging, so mußte sie daran denken, diesem Uebelstande abzuhelfen. Benjamin Constant, so ungern er sich auch dazu herbeiließ, mußte demnach der Madame Recamier ein Billet schreiben, in dem sie ersucht ward, »so wenig schön, wie möglich«, zu kommen. Die Franzosen vermögen, bei ihrer, für das Feine und Verbindliche wunderbar geformten, Sprache, dem an sich Unangenehmen jeden Stachel zu nehmen und dasselbe zuletzt als etwas Schmeichelhaftes erscheinen zu lassen. Im Grunde ward der Madame Recamier die Lehre gegeben, ja nicht zu viele Sorgfalt auf ihren Anzug zu verwenden. Doch wie kleidet Benjamin Constant dies ein? Hören wir und bestreiten wir nicht, daß nur ein Franzose einen so bedenklichen Auftrag mit so viel Grazie ausführen konnte! Benjamin Constant schreibt also:

» Je m'acquitte avec un peu d'embarras d'une Commission que Mme de Krüdener vient de me donner. Elle vous supplie de venir la moins belle que vous pourrez. Elle dit que vous éblouissez tout le monde, et que par là toutes les âmes sont troublées et toutes les attentions impossibles. Vous ne pouvez pas déposer votre charme, mais ne le rehaussez pas.«

Doch daß Frau von Krüdener viel zu klug war, um sich der mächtigen Anziehungskraft, die Madame Recamier ausübte, ganz zu berauben, ersehen wir aus einem spätern eigenhändigen Schreiben der Ersteren, in dem sie die Letztere ersucht, wegen des regnerischen Wetters am Dienstag lieber nicht kommen zu wollen, sondern statt dessen am Mittwoch. Sie schließt ihr Billet mit den Worten: »Ich werde hoffentlich das Glück haben, Sie, theurer Engel, morgen zu umarmen und gemüthlich mit Ihnen zu plaudern.«

Daß Frau von Krüdener Madame Recamier aufrichtig liebte und innig wünschte, daß der Glaube und die Gnade sich auf sie herabsenken möchten, davon giebt ein Brief Zeugniß, den sie ihr aus Bern den 12. November 1815 schrieb, und aus dem wir folgende Stellen hervorheben:

»Wie verlangt es mich, theure und liebenswürdige Freundin, von Ihnen zu hören! Wie bin ich mit Ihnen und Ihrem Glücke beschäftigt, das erst gesichert sein wird, wenn Sie sich gänzlich Gott anheimgeben.

Das ist es, was ich von dem Gotte der Barmherzigkeit erflehe, wenn ich, im Staube gebückt, ihn anrufe für das Heil Ihrer Seele. Schon hat er Ihr Herz durch die Gnade getroffen, und dies Herz, dem alle Lockungen und alle Güter der Welt nicht Genüge zu thun vermochten, hat auf seinen Ruf gehört. Nein, Sie werden nicht mehr schwanken, theure Freundin! – – – – – – – – – – –

Ich beschwöre Sie, daß Sie den mächtigen Bewegungen, die Sie in Ihrem Innern verspüren, auch fürder lauschen, daß Sie sich nicht von ihnen abziehen lassen. Eine unendliche Bitterkeit und Leere wären die Folge, wenn Sie sich gegen den Ruf der Gnade verstockten. Bitten Sie zu den Füßen des Heilandes um den Glauben an die göttliche Liebe, und es wird Ihnen zu Theil werden, was Sie erflehen! Wie unermeßlich ist die Liebe des Erlösers, der sein Leben dahingab, um uns die Bestrafung unsrer Sünden zu ersparen, die Jeder von uns nur zu sehr verdient hat.« – – – – – – – – – – – – –

Daß Benjamin Constant der Frau von Krüdener in Bezug auf echte Christlichkeit weit weniger Vertrauen einflößte, als Madame Recamier, geht aus folgenden Zeilen des eben erwähnten Briefes hervor:

»Wie steht es mit dem armen Benjamin? Als ich Paris verließ, schrieb ich ihm und legte auch für Sie, theure Freundin, einige Worte bei; sind sie Ihnen zugestellt worden? Was macht er denn jetzt? Haben Sie viel christliche Liebe für den beklagenswerthen Kranken und beten Sie für ihn!«

Dann schreibt Frau von Krüdener noch, wie sie hoffe, Madame Recamier in der Schweiz bald bei sich zu sehen. Sie bemerkt: »Die Alpen sind mehr werth, als sämmtliche Salons der Welt.«

Auch auf das Seelenheil der Madame Recamier wird noch am Schlusse des Briefes in folgenden Zeilen hingearbeitet:

»Ich höre mit großer Freude, daß Sie Frau von Lezay häufiger sprechen. Sie ist ein Engel und liebt Sie zärtlich. Von wie großem Nutzen kann dieselbe für Sie sein! Hat sie doch schon mächtige Schritte vorwärts gethan auf dem Wege des Heils.«

So waren die Beziehungen der Madame Recamier zu Frau von Krüdener durchaus wohlthätige, und die liebreichen Ermahnungen der frommen Livländerin fielen bei der Pariser Salondame sicher nicht auf steiniges Erdreich.


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