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Das Aufrichtende und Tröstende der Arbeit.

Ueber Madame Recamier war, seit Frau von Staël von hinnen geschieden, um im Jenseits die hier auf Erden stets vermißte Ruhe zu finden, über Madame Recamier war seit dem 14. Juli 1817 tiefe Traurigkeit gekommen, die in Schwermuth auszuarten drohte. Die Nichtigkeit des Lebens, die dem edlen Mathieu von Montmorency zum Bewußtsein gelangte, als das Haupt seines geliebten und verehrten Bruders unter der Guillotine gefallen, diese Unbeständigkeit jedes irdischen Verhältnisses, das schnelle Abblühen der Schönheit und des Talents, nachdem man an dem Aufblühen kaum seine Freude gehabt, mit einem Worte, das Trostlose des ganzen Daseins war seit dem Verluste ihrer besten Freundin der Madame Recamier so recht deutlich geworden und verhüllte ihr die ganze Schöpfung mit einem Trauerflore. Sie befand sich in jener Aschermittwoch – Stimmung, die von einer begabten deutschen Schriftstellerin, gegen welche seit ihrem Uebertritte zum Katholicismus die Kritik nicht immer gerecht gewesen, die von der Gräfin Hahn-Hahn in folgenden Versen geschildert wird:

»Wohin die Hände greifen,
Sie fassen Asche an,
Und wenn sie Rosen streifen,
Ein Dorn ist sicher d'ran.«

Aus dieser herabgedrückten Stimmung rettete der treue Ballanche seine verehrte Freundin, indem er sie zu dem Segen und dem Tröste der Arbeit emporrief. Jener so tiefe und wahre Satz Herders, wie Gott stets der Allgütige sei, und wie in dem Fluche, womit er den Menschen aus dem Paradiese getrieben, daß derselbe im Schweiße seines Angesichts sein Brod essen solle, der größte Segen ausgesprochen worden, jener Satz leuchtete dem fleißigen, auf der Bahn der Erkenntniß trotz schwachen Körpers unermüdlich weiterschreitenden Ballanche so unbedingt ein, daß er beschloß, die Wohlthat der Arbeit vor allem der Madame Recamier zu Gute kommen zu lassen. Obgleich er seit seiner Uebersiedelung nach Paris jeden Mittag bei ihr speiste und die Abende stets bei ihr zubrachte, so beschäftigte sie ihn doch noch unablässig, wenn er für sich allein war, und fast jeden Tag schrieb er ihr einen kürzern oder längern Brief. In diesen seinen häufigen Zuschriften suchte er ihre Schwermuth zu bekämpfen und sie zu einer Uebersetzung aus dem Italienischen zu veranlassen, damit durch Arbeit und durch das Verweilen im Reiche der Harmonie stille Freudigkeit in ihre Brust zurückkehre. Aus seinen vielen, dem Jahre 1818 entstammenden, Briefen wollen wir diejenigen Stellen anführen, wo er seine Freundin durch Arbeit von ihrem Trübsinn zu heilen sucht. So spricht er in einem Briefe, der kein Datum, sondern einen Wochentag, und zwar den Donnerstag, an seiner Spitze trägt, voll tröstender Zuversicht:

»Ja, ich hoffe für Sie noch auf schöne Tage, aber nicht auf solche, die Sie zu vermissen schienen, sondern auf Tage der Ruhe, der Sammlung, auf Tage stiller und süßer Beschäftigung.«

Aus diesen Zeilen erhellt, daß Ballanche mit Mathieu von Montmorency die Furcht theilt, Madame Recamier möge an dem Glanze der Welt noch allzu großes Gefallen finden. Dann fährt er fort, sie auf die reinsten Genüsse hinweisend:

»Die Poesie und die Musik werden die Muße ausfüllen, die Sie sich glücklich zu schaffen wußten. Der Ruf wird lernen, von Ihnen ganz neue Dinge zu melden. Sie werden den Theil Ihres Innern offenbaren, der bis dahin den Augen der Welt verborgen blieb.«

Und nun geht Ballanche zu einem Gedanken über, der so recht klar darthut, wie richtig er die edle Natur der Madame Recamier begriffen hat. Bei ihrer Selbstlosigkeit und Bescheidenheit war die ihr erweckte Aussicht, von der Welt wegen poetischer Leistungen bewundert zu werden, für sie weit weniger lockend, als das süße Bewußtsein, den Ruhm ihrer Freunde erhöht zu haben. Deshalb geht Ballanche zu dem Gedanken über, wie einzig unter der Sonne ihrer Huld in seinem kleinen Dichtergarten duftige Blumen emporsprießen werden. Er sagt in Betreff dieses Punktes:

»Vielleicht bringen Sie auch bei mir Keime zur Reife, die verborgen schliefen und des von Ihnen ausströmenden Lichtes harrten, um zum Leben zu erwachen.«

Und jetzt kommt die schöne, selbstlose Natur des herrlichen Ballanche, die ihn seiner edlen Freundin so ähnlich macht, zur erfreulichsten Erscheinung. Er bekennt, wie Ruf und Ruhm vorzüglich dann für ihn Werth haben werden, wenn sie mit ihrem Namen in Verbindung stehen. Sein Bekenntniß lautet:

»Wie würde mich der Gedanke beseligen, meinen Namen der Zukunft zu vererben, wenn ich Ihnen dies stolze Glück zu verdanken hätte! Ich bin überzeugt, daß, wenn irgend ein Stoff für ein Meisterwerk im tiefsten Grunde meiner Natur sich vorfindet, daß Sie allein im Stande sind, ihn an das Tageslicht emporzuziehen. Ich bedarf, wie Sie, der Ruhe und Sammlung. Sie sind es, die mir dies alles verschaffen werden.«

Ballanche, der, gleich Uhland, die Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit selbst war, begegnet sich mit dem schwäbischen Dichter in dem Ausspruche, daß jedes Herrlichste und Schönste, das ein Mann geschaffen, unter dem verklärenden Liebesblicke einer Frau entstanden sei. Uhland sagt dies in Versen, Ballanche in Prosa. Die Uhland'schen, von uns in's Auge gefaßten, Verse lauten:

»In meiner Seele Tiefen,
O, sähest Du hinab,
Wo alle Lieder schliefen,
Die je ein Gott mir gab:
Da würdest Du erkennen,
Ob Echtes ich erstrebt,
Und mag's auch Dich nicht nennen,
Ist doch von Dir belebt.«

Für Ballanche war nun Madame Recamier die Fee, die seine begabtesten Geisteskinder aus der Taufe hob. Seine diesen Gedanken umschreibenden Worte lauten:

»Ihre Gegenwart ist voller Reiz; die süßen Ausstrahlungen Ihrer Seele sind für mich von mächtiger Anregung; Sie bergen in sich ein Schatzkästlein von Poesie, ja, Sie sind die Poesie selber. Ihre Bestimmung ist, zu begeistern, die meinige, begeistert zu werden.«

Dann geht Ballanche auf die Arbeit über, die Madame Recamier angreifen müsse, um von ihrem Trübsinn zu genesen. Er deutet diesen Gegenstand vorläufig bloß an, da er beabsichtigt, demselben einen besondern Brief zu widmen. Die kurze Andeutung lautet:

»Eine regelmäßige Beschäftigung wird Ihnen wohlthun; ihre krankhafte und brütende Einbildungskraft bedarf einer bestimmten Aufgabe.«

Hiermit thut er sich vorläufig genug, um sie dann mit der ängstlichen Sorge des Freundes zu beschwören, an ihre Gesundheit zu denken und sich zu schonen. Bei dieser Gelegenheit bricht seine innige Zuneigung, die an Verehrung grenzt, hell hervor. Er sagt:

»Wachen Sie vor allem über Ihre Gesundheit! Muthen Sie Ihren Nerven nicht zu viel zu! Sie sind ein Engel, der sich auf diese Erde verirrte, bewohnt von Unruhe und beherrscht von Lüge.

Ich werde Ihnen alle Tage schreiben, und Sie werden mir eine unendliche Freude bereiten, so oft Sie mir zu antworten geruhen. Da meine Ihnen geweihten Gefühle für Sie kein Geheimniß sind, so werde ich Ihnen nicht von mir sprechen, wol aber viel von Ihnen, weil ich wünsche, daß Sie sich endlich selbst kennen lernen. Ich muß die Schätze enthüllen, die Ihr Inneres birgt, und die Ihre Bescheidenheit kaum zu ahnen scheint.«

In einem folgenden Briefe geht Ballanche von bloßer Andeutung zu bestimmter Anweisung über. Er räth nämlich der Madame Recamier, den Petrarca zu übersetzen. Vielleicht war dieser Vorschlag nicht ganz glücklich. Denn das viele Künstliche und mannigfach Gespreizte in der Petrarca'schen Poesie konnte der Madame Recamier, die ganz holde Natur war, unmöglich zusagen. Beruhte die Behauptung Boileau's von dem überwiegenden Werthe eines formvollendeten Sonetts auf Wahrheit, so wäre Petrarca unbestritten einer der größten Dichter. Nun aber fällt die von Gervinus scharf, aber richtig hervorgehobene Verschiedenheit des Maßstabes in's Gewicht, den Germanen und Romanen an dichterische Erzeugnisse anzulegen gewohnt sind. Für die Romanen ist die Form, für die Germanen der Inhalt die Hauptsache. In den Augen eines Deutschen wiegt das einfachste Goethe'sche Lied ein ganzes Dutzend Petrarca'scher Sonette auf, in denen künstliche Gefühle zu Tode gehetzt werden. Da nun Madame Recamier in der Innigkeit ihres Wesens einen deutschen Zug hatte, so mußte, sollte sie die Uebersetzung mit Liebe beginnen und mit Begeisterung vollenden, so mußte für sie ein Dichter ausgesucht werden, der für die edelsten Gefühle ihres Herzens den schönsten, aber auch einfachsten Ausdruck besaß. Dies war nun bei Petrarca nicht der Fall. Doch möge Ballanche seine Vorschläge machen und ihre Zweckmäßigkeit begründen! Hatte er sich auch geirrt, so war er doch bei seiner gewissenhaften Natur sehr sorgsam zu Werke gegangen. Daß Madame Recamier ihre Bereitwilligkeit ausgesprochen hatte, sich einer ernsten Gedankenarbeit hinzugeben, ja, daß sie dieselbe schon theilweise begonnen haben mußte, sehen wir gleich aus dem Eingange des Briefes, wo Ballanche sich folgendermaßen ausläßt:

»Ich kann Sie gar nicht genug ermahnen, daß Sie auf jenen guten Entschlüssen beharren, die Sie in Betreff einer literarischen Arbeit gefaßt haben; nur möchte ich Sie dringend auffordern, sich von den Schwierigkeiten, die Sie bei Petrarca finden, nicht sogleich zurückschrecken zu lassen. Die zwei großen literarischen Denkmäler, die Italien besitzt, bleiben doch immer Dante und Petrarca. Ich wähle den Ausdruck: »Denkmäler«, vorzüglich deshalb, um damit anzudeuten, daß Beide Entzifferung und Erklärung nöthig machen. Es giebt da Sachen zu enthüllen, die nicht jedem profanen Auge offen liegen. Die Kenntniß der italienischen Sprache reicht aus, um Ariosto, Tasso, Metastasio zu verstehen; doch genügt dies nicht für Dante und Petrarca. Man findet bei diesen beiden Dichtern, außer der italienischen Sprache, eine andere poetische Sprache, deren Verständniß selbst den Italienern schwer fällt. Die Arbeit, der, wie ich wünsche, Sie sich für Petrarca unterziehen sollen, ist für Dante bereits geleistet worden. Doch noch Niemand hat gewagt, mit den Schwierigkeiten Petrarca's zu ringen. Diese Arbeit würde Ihnen zu hoher Ehre gereichen. Ich verlange noch mehr: ich möchte, daß Sie die für Petrarca nothwendige Einleitung schrieben. Für mich würde ich nur die Herausgabe beanspruchen. So bescheiden auch diese Mühwaltung im Grunde sein mag, sie würde mir doch zu großer Befriedigung gereichen, ganz abgerechnet den Ruhm, der für mich aus dieser Verbindung erwachsen müßte. Sie kennen sich selbst nicht; Niemand kennt die Tragweite seiner Fähigkeiten, bevor er dieselben erprobt hat.«

In einem dritten Briefe bekämpft Ballanche die geringe Meinung, die Madame Recamier von ihren Leistungen hat, jene übergroße Bescheidenheit, die sie so verlegen machte, als sie zum ersten Male mit Frau von Staël zusammen war. Ballanche, einer der wahrsten und aufrichtigsten Menschen, die es je gegeben, versichert der Madame Recamier, daß sie glänzend begabt sei. Er äußert sich über diesen Punkt, wie folgt:

»Wie können Sie erwarten, daß ich zu mir Zutrauen hegen soll, wenn Sie es zu sich selber so wenig haben? Ich betrachte Sie als in hervorragender Weise begabt und ausgestattet.«

Nun kommt Ballanche zu einer Schätzung seiner selbst, die in Bezug auf das Wesen des ihm verliehenen Talents durchaus richtig, in Bezug auf den Umfang seines Talents unrichtig ist, insofern er viel zu bescheiden von sich urtheilt. Ballanche gehört entschieden zu den verdientesten französischen Schriftstellern, zählt aber in seinem Vaterlande nur die sinnigen Naturen zu seinen Freunden, und ist in Deutschland fast ganz unbekannt. Und doch verdiente er gerade in Deutschland einen Kreis von Verehrern zu zählen, da die besten Seiten seines Wesens sich decken mit den hervortretenden Tugenden unsrer Nationalität. Der bescheidenen Selbstkritik des edlen Ballanche haben wir eine Stelle aus Lessing zu vergleichen. Wir meinen jene, wo Lessing sagt, daß er die Kritik nicht dürfe schmähen lassen, da er mehr Kritiker, als Dichter, sei. Doch hören wir, wie Ballanche über sich selber urtheilt. Der merkwürdiger Weise aller Eitelkeit baare Franzose sagt nämlich:

»Das Wesen meines Talents, ich weiß es nur zu gut, bietet gar keine Oberfläche dar. Andere bauen in die Höhe, z. B. einen Palast, und dieser wird von weitem gesehen; ich grabe einen Brunnen in die Tiefe, und Niemand bemerkt ihn, wenn er nicht dicht dabei steht.«

Hierauf, da er, mit Madame Recamier an Selbstentsagung wetteifernd, sich für ihr Talent weit mehr interessirt, als für das seinige, fährt er fort:

»Ihr Gebiet ist die Innigkeit des Gefühls; aber, glauben Sie mir, Sie haben außerdem zu Ihrer Verfügung den Geist der Musik, den Duft der Blumen, das Einlullende süßer Träume, das Vornehme der untadelhaftesten Eleganz. Sie sind eine bevorzugte Creatur; fassen Sie darum endlich Zutrauen zu sich; erheben Sie ein wenig Ihr holdes Antlitz, das Sie nie senken sollten, und fürchten Sie nicht, mit Ihrer kleinen Hand über die goldne Leier der Dichter dahinzugleiten!«

Ballanche ist unermüdlich, seine Freundin, die bei ihrer großen Bescheidenheit noch stets Einwände macht, wenn er ihre geistige Bedeutendheit hervorhebt, endlich von ihrem Werthe zu überzeugen. Er verhehlt sich nicht, daß er immer auf denselben Gegenstand zurückkommt; doch die steten Zweifel der Madame Recamier an ihrer Begabung zwingen ihn hierzu. So sagt er in einem Briefe, den er an einem Montage schrieb – an jedem Wochentage bewegte er die Feder im Dienste seiner Freundin, wie denn keine Frau so viele Briefe von berühmten Männern empfing, als Madame Recamier – in einem an einem Montag geschriebenen Briefe heißt es:

»Ich muß Ihnen wie ein von einer fixen Idee besessener Mensch vorkommen. Meine Briefe sagen Ihnen immer dasselbe. Aber Sie müssen auch gestehen, daß ich unendliche Mühe habe, Ihnen das Gefühl Ihrer Ueberlegenheit zu erwecken. Mein Glaube daran ist sehr lebhaft, und vor allem sehr begründet. Es giebt Frauen, die eine mächtige Einbildungskraft besitzen, andere haben das feinste Gefühl für das Schickliche, wiederum andere einen anmuthigen Geist; aber von allen, die bisher geschrieben haben, vereinigte keine diese verschiedenen Eigenschaften in einer Person. Bald fehlt die Vernunft; bald mangeln Umfang und Tiefe des moralischen Sinns; in Ihnen würde süße Träumerei, Anmuth und Geschmack Hand in Hand gehen; ich bin im Voraus entzückt über einen so vollkommenen Einklang. Ich wollte, daß tausend Andere einen greifbaren Beweis davon hätten, was mir so leicht ward herauszufühlen.«

Vielleicht, daß Madame Recamier auch Schriftstellerin geworden wäre, wenn Petrarca, den sie allerdings zu übersetzen anfing, ihrer ungekünstelten Natur mehr zugesagt hätte. Dann hätte sie vielleicht, wie Gries, neben vortrefflichen Uebersetzungen, auch eigene schöne Gedichte hervorgebracht. Doch ist ihre Nicht-Productivität kaum zu beklagen, da ihre poetische Einwirkung auf so viele hervorragende Geister ruhmvoller sein dürfte, als Selbstgeschaffenes, das doch über Mittelgut wahrscheinlich nicht hinausgeragt hätte. Die schönste und glänzendste Frau Frankreichs mußte überall die erste sein. Auf einem Felde, wo sie einen zweiten oder dritten Platz einnahm, durfte sie gar nicht erscheinen.

Jedenfalls hatte der Versuch, mit den Schwierigkeiten Petrarca's zu ringen, die glückliche Folge, daß Madame Recamier ihren trüben Gedanken ein wenig entrissen ward.

Die Arbeit ist bei großen Seelenschmerzen das sicherste Heilmittel.


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