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Die zweite Katastrophe im Leben der Madame Recamier.

Als Madame Recamier eines Nachmittags sich sorglos in den geschmackvollen Räumen ihrer prächtigen Wohnung aufhielt – es war im Herbste des Jahres 1806 – trat ihr Mann zu einer für ihn ungewöhnlichen Zeit bei ihr ein, und zwar mit einem ganz zerstörten Gesichte, dem Verkünder trüber Botschaft. Denn, wenn Herr Recamier, dessen Antlitz sonst stets einem unbewölkten Himmel glich, und der das heitere, sorglose Temperament des Südfranzosen, fast bis zum Leichtsinn gesteigert, als Pathengeschenk empfangen hatte, wenn Herr Recamier wie niedergeschmettert aussah, so mußte ihm Schreckliches begegnet sein. Er ließ sich ganz erschöpft in einen Lehnstuhl fallen und erklärte dann seiner, ihn ängstlich anblickenden, Gattin den Grund seiner Niedergeschlagenheit. Durch den unsichern politischen und finanziellen Zustand Spaniens – Herr Recamier unterhielt mit diesem Lande die ausgedehntesten Verbindungen – sei er seit einigen Wochen in immer größere und größere Verlegenheit gerathen, so daß sein anscheinend noch mächtiges Haus schwanke und wanke. Sein Sturz lasse sich aufs Leichteste verhüten, wenn die Bank von Frankreich durch die Regierung ermächtigt werde, ihm eine Million vorzustrecken, wofür er die beste Bürgschaft zu geben im Stande sei. Wenn bis zum Montag die Regierung, die erwünschte Ermächtigung nicht ertheile, so müsse er seine Zahlungen einstellen. Madame Recamier, die ihren Mann bis dahin stets nur heiter und sorglos gekannt hatte, und die von des Lebens Angst und Qual, soweit sie aus Mangel an Geld und Gut hervorgehen, bisher nichts wußte, saß wie vernichtet da, während ihr die Möglichkeit einer Katastrophe entrollt wurde. Sie hatte von einem drohenden Unheile so gar keine Ahnung gehabt, daß für den folgenden Tag zahlreiche Einladungen zu einem glänzenden Diner ergangen waren. Herr Recamier erklärte nun, daß es ihm unmöglich sein werde, diesem Diner beizuwohnen. Er werde sich bis zum Montag auf's Land begeben und dort den Bescheid der Regierung abwarten, in deren Händen jetzt sein Geschick liege. Als Madame Recamier bat, ihm auf's Land folgen und die Einladungen rückgängig machen zu dürfen, ersuchte er sie auf's Dringendste, dies nicht zu thun. Es komme alles darauf an, daß das Gerücht von dem schwankenden Zustande seines Hauses sich nicht vorschnell verbreite. Sobald die Regierung sich zur Hülfe bereit erkläre, könne er allen Schwierigkeiten begegnen.

Madame Recamier mußte sich demnach entschließen, am Sonntag eine glänzende Gesellschaft bei sich zu empfangen und die gewohnten Huldigungen mit jener Anmuth entgegenzunehmen, die alle ihre Worte und Bewegungen begleitete. Sie führte ihre furchtbar anstrengende Aufgabe – hatte sie doch während der Nacht kein Auge geschlossen und befand sie sich doch in einem fieberhaften Zustande – sie genügte den Pflichten einer liebenswürdigen Wirthin bis an's Ende, aber dann brach sie auch zusammen. Es waren ähnliche Qualen, wie an jenem Abende im Théâtre-Français, wo ihren Vater am folgenden Tage der Tod bedrohte, und wo die Schwester des ersten Consuls, die schöne, aber nicht allzu gefühlvolle Pauline, ihr zumuthete, sich mit dem Aussehn eines hübschen Schauspielers zu beschäftigen. Damals hatte der erste Consul das Leben ihres Vaters in der Hand gehabt, und er war allerdings gnädig gegen ihn gewesen. Jetzt hatte der unterdeß Kaiser gewordene Bonaparte den Wohlstand und die Ehre ihres Mannes in der Hand; er brauchte nur seine Rechte auszustrecken, und dem Bedrängten ward geholfen, ohne daß der Staat Schaden erlitt. Im Gegentheil wäre es klug und gut gehandelt gewesen, wenn man von Seiten der Regierung dem Hause Recamier geholfen hätte. Wie im Jahre 1857 der Staat Dänemark voll Einsicht handelte, als er der Firma Pontoppidan aufhalf, weil der Sturz dieses großen und höchst ehrenwerthen Hamburger Hauses den Fall Hunderter von kleineren Häusern im scandinavischen Norden nach sich gezogen hätte, ebenso würde der Staat Frankreich das Interesse zahlreicher französischen Firmen wahrgenommen haben, wenn von ihm die stattliche Säule »Recamier« gestützt worden wäre, da diese bei ihrem Falle so vielen fremden Wohlstand mitbegrub. Doch jetzt war der Augenblick gekommen, wo der rachsüchtige Corse es Madame Recamier büßen lassen konnte, daß sie ihm gegenüber eine stolze Unabhängigkeit behaupten gewollt. Die Bank von Frankreich ward von Seiten der Regierung nicht ermächtigt, dem Hause Recamier auf sichre Bürgschaft hin eine Million vorzustrecken, und so mußte dieses seine Zahlungen einstellen.

Das Aufsehen, das der Fall des mächtigen Hauses hervorbrachte, war ungeheuer. Man hielt seinen Bestand für so gesichert, daß auch nicht die leiseste Ahnung auf diese Katastrophe vorbereitet hatte. War der Schlag für die durch das Glück verwöhnte Madame Recamier ein sehr harter, so gewährte das Benehmen der Pariser Gesellschaft ihr doch einen großen Trost. Jetzt bewies man ihr, wie bis dahin vor allem ihrer Person, und nicht ihrem Glücke, gehuldigt worden. Die ganze Pariser Gesellschaft drängte sich zum Hotel der Madame Recamier. Die heranrollenden Wagen reihten sich während der zum Morgenbesuche festgesetzten Stunden dicht an einander. Hunderte von Fußgängern schrieben sich ein in das ihnen vom Portier dargereichte Buch, und Visitenkarten mit den glänzendsten Namen thürmten sich auf den Tischen des Vorzimmers.

Madame Recamier ertrug ihr Unglück mit der Standhaftigkeit einer edlen Seele. Alle ihre Diamanten und ihr Silberzeug ließ sie verkaufen, die glänzenden Räume ihres Hotels wurden zum Vermiethen ausgeboten, und sie selbst behielt für sich nur einen kleinen Salon zur ebenen Erde, dessen Fenster auf den Garten gingen.

Wenn die Pariser Gesellschaft der Madame Recamier ihre achtungsvollste Sympathie in ihrem Unglück bezeugte, so spendeten ihre näheren Freunde ihr den zärtlichsten Trost, und ihre Thränen spiegelten sich in dem Naß manches gefühlvollen Auges. Frau von Staël, die eine fast schwärmerische Freundschaft mit Madame Recamier verband, und die wegen ihres Freisinns aus Paris und dessen Umgebung durch den Kaiser war verbannt worden, schrieb aus Genf den 17. November 1806 die herzlichsten, teilnehmendsten Zeilen. Der Eingang ihres Briefes lautet:

»Ach, meine theure Julie, welchen Schmerz empfand ich, als die entsetzliche Nachricht zu mir gelangte! Wie doppelt schmerzlich traf mich jetzt meine Verbannung, da sie mir nicht gestattet, zu Ihnen zu eilen und Sie an mein mitzuckendes Herz zu pressen!

Sie haben alles verloren, was zur Leichtigkeit, was zur Annehmlichkeit des Lebens gehört; aber, wenn es möglich war, noch mehr geliebt zu werden, als bisher, den Menschen noch größeres Interesse einzuflößen, so ist es Ihnen begegnet. Ich werde sogleich an Herrn Recamier schreiben, den ich beklage und hochschätze.«

Frau von Staël beschwört dann ihre Freundin, während des Winters einige Monate bei ihr in einem kleineren Kreise zu verleben, der sie mit aller Liebe umringen werde. » Où vous seriez passionnément soignée.« Die Freundschaftsversicherungen dieser glühenden Seele tragen immer einen vulcanischen Charakter. Uebrigens verkennt sie nicht, daß Madame Recamier auch in Paris Wesen besitze, die ihr einen leidenschaftlichen Cultus weihen. Sie will dann mit ihrer Freundin, falls diese nicht zu ihr kommen könne, an einem dritten Orte zusammentreffen. Voll schmerzlicher Bitterkeit erinnert sie daran, daß es, gemäß ihrem Verbannungsdecrete, ihr vorgeschrieben sei, sich der Hauptstadt nicht bis auf vierzig Meilen zu nähern. Aber sie beschwört Madame Recamier um eine Zusammenkunft außerhalb dieses verbotenen Umkreises. Sie erklärt sehr entschieden, sie müsse ihre Freundin durchaus umarmen und ihr versichern, daß sie für keine Frau, die sie je gekannt, ein solches Freundschaftsgefühl empfunden, wie für Madame Recamier. Frau von Staël fährt dann so fort in dem feurigen Ergusse ihrer leidenschaftlichen Zuneigung:

»Ich weiß nichts, was ich Ihnen als Trost sagen könnte, außer daß Sie mehr geliebt und geachtet sein werden, als je, und daß die bewundernswürdigen Züge Ihres Edelmuths und Ihrer Wohlthätigkeit gegen Ihren Willen durch dies Unglück zur allgemeinen Kunde gelangen, was sonst wol niemals geschehen wäre.

Sicher haben Sie, wenn man Ihre gegenwärtige Lage mit der früheren vergleicht, für ein flüchtiges Auge Einbuße erlitten. Doch, wenn es mir möglich wäre, Jemanden zu beneiden, den ich liebe, so würde ich alles darum geben, um an Ihrer Stelle zu sein. Eine Schönheit, die in Europa nicht ihresgleichen findet, ein Ruf ohne den leisesten Makel, ein stolzer und edelmüthiger Charakter, welch' reiches Glück noch in diesem armseligen Leben, durch das man meist so entblößt dahinwandelt! O, theure Julie, daß unsre Freundschaft noch enger werde! Von jetzt an seien es nicht mehr edelmüthige Dienstleistungen, die alle von Ihnen kamen, sondern eine ununterbrochene Mittheilung finde statt, ein gegenseitiges Bedürfniß, sich die geheimsten Gedanken mitzutheilen, kurz ein und dasselbe Leben! Sie sind es, theure Julie, die meine Rückkunft nach Paris bewirken werden, denn Sie bleiben immerdar eine vielgeltende Persönlichkeit. Wir müssen uns dann jeden Tag sehen, und da Sie jünger sind, als ich, so werden Sie mir die Augen zudrücken, und meine Kinder werden Ihre Freunde sein. Meine Tochter hat diesen Morgen geweint, als sie mich weinen sah und Ihrer Thränen gedachte. O, theure Julie, der Glanz, der Sie umringte, wir haben uns an ihm gesonnt, Ihr Besitzthum war das unsrige, und ich fühle mich arm, da Sie nicht mehr reich sind. – Glauben Sie mir, das Glück wird Denen nicht treulos, die eine solche Liebe einzuflößen verstehen, wie Sie. Benjamin Constant will Ihnen schreiben; er ist sehr bewegt. Mathieu von Montmorency hat mir einen rührenden Brief in Betreff Ihrer geschrieben. O, theure Freundin, bewahren Sie ein gefaßtes Herz inmitten Ihrer Schmerzen! Weder der Tod, noch die Gleichgültigkeit Ihrer Freunde bedrohen Sie, und dies sind ja Wunden, die ewig bluten. Leben Sie wohl, theurer Engel.«

Und nun fügt Frau von Staël noch die wenigen Worte hinzu, in denen sie so beredt ausspricht, daß das schöne Antlitz ihrer Freundin durch die edle Gefaßtheit, mit der sie ihr Unglück trage, einen Heiligenschein bekam, wodurch dasselbe ihr verehrungswürdig geworden. Frau von Staël schließt ihren Brief: » J'embrasse avec respect votre visage charmant.«

Junot, den ebenfalls eine leidenschaftliche Freundschaft mit Madame Recamier verknüpfte, kam auf einige Tage nach Paris, als gerade die Katastrophe erfolgt und in der Hauptstadt von nichts die Rede war, als von dem schweren Schlage, der die schöne Frau betroffen, und von der Würde, mit der sie ein Unglück trage, auf das sie nicht im Mindesten vorbereitet gewesen. Er begab sich von Paris in's Feldlager; zum Kaiser, der in Preußen zwei ebenso schöne Frauenaugen weinen machte, wie in Paris. Junot sprach zu Napoleon mit großer Erregtheit von dem Unglücke, das seine verehrte Freundin betroffen, und von dem Antheile, den ganz Paris daran nehme. Doch der Kaiser war nicht geneigt, hiervon mehr zu hören, sondern, Junot ungestüm unterbrechend, rief er aus: »Einer Marschallin von Frankreich, deren Mann vor dem Feinde gefallen, würde nicht gleiches Beileid bewiesen worden sein, wie Ihrer Madame Recamier.«

Auch Bernadotte schrieb aus dem Feldlager in Deutschland einen Brief an die von ihm so verehrte und jetzt vom Unglück betroffene Frau. Er entschuldigt sich, daß er nicht eher geschrieben habe. Doch wisse er sich von aller Schuld frei, da er durch eine Kugel am Kopfe verwundet und während eines ganzen Monats bettlägerig gewesen sei. Er erzählt dann, wie er am Tage vor der Schlacht von Auerstädt das Unglück erfahren habe, das über Madame Recamier hereingebrochen sei. Am Feuer der Biwacht habe er ihr einen Brief geschrieben, worin er die ob ihrer peinlichen Lage empfundene Bekümmerniß zu schildern versucht. Er hoffe, daß jener Brief, den er der Feldpost dringend empfohlen habe, ihr zugestellt worden sei. (Seine Annahme traf nicht zu.) Der Brief, in dem er die Schuld anscheinender Theilnahmlosigkeit von sich abwälzt, schließt mit folgenden Worten:

»Wenn Freundschaft, Zärtlichkeit und echte Empfindung eine liebende Seele erfüllen, so muß alles, was sie ausdrückt, hiervon die Spur an sich tragen. Ich habe nie aufgehört, seitdem ich das Glück hatte, Sie kennen zu lernen, für Sie die zärtlichsten Wünsche zu hegen. Obgleich es nun meine Bestimmung ist, Sie ewig zu lieben, so wagte ich doch nicht, Sie durch meine Briefe zu belästigen. Leben Sie wohl, und falls Sie sich zuweilen mit mir beschäftigen, so vergegenwärtigen Sie sich, daß Sie der Hauptgegenstand meiner Gedanken sind, und daß nichts an die Ihnen von mir geweihten zärtlichen und süßen Gefühle heranreicht.

Bernadotte.«

Waren die letzten Monate des Jahres 1806 der Madame Recamier durch den Verlust ihres glänzenden Reichthums zu sehr trüben geworden, so schlug der erste Monat des Jahres 1807 ihrem Herzen eine noch viel tiefere Wunde. Denn sie verlor am 20. Januar 1807 ihre Mutter, die sie abgöttisch liebte. Madame Bernard war schon seit einem Jahre leidend gewesen, obgleich sie ihren Zustand vor ihrer Tochter und ihrem Gatten so viel wie möglich verborgen hielt. Als nun ein jäher Schlag das anscheinend so feste Haus ihres Schwiegersohns zu Boden warf, und für ihre angebetete Tochter sich jene glänzende Sonne zu neigen schien, neben welcher die Kaiserin Josephine und sämmtliche Prinzessinnen nur in schwachem Lichte strahlten, da zerstörte der Gram die geringe Lebenskraft, die ihr die schleichende Krankheit noch gelassen hatte. Auch der Tod der Mutter kam für Madame Recamier fast ebenso unerwartet, als der Verlust ihres Vermögens. Denn die zärtliche Mutter, um ihr ohnehin unglückliches Kind nicht noch mehr zu betrüben, hatte sich mit dem Aufgebote ihrer letzten Kraft jeden Morgen dem Bette entrissen und sich schöngekleidet auf eine Chaise longue tragen lassen, wo sie ihre Tochter und auch andere Besuche empfing, mit großer Seelenstärke am Gespräche theilnehmend und nur Klagen ausstoßend, wenn sie mit ihrer treuen Dienerin allein war. So traf auch der Tod der Mutter die arme Madame Recamier fast vernichtend, und sie wäre von dem einen, wie dem andern Schlage zu Boden geworfen worden, hätte nicht während der Jahre eines ununterbrochenen Freudetaumels Mathieu von Montmorency als ein treuer Eckard sie davor bewahrt, der wilden Jagd der Weltlust zur Beute zu fallen. Als ein frommer Pilgrim zum Jenseits hatte er ihr den Stab der Religion hingehalten, wenn sie in's Schwanken gerieth, und an diesem richtete sie sich jetzt auf, als die Trostlosigkeit des Diesseits ihr entgegenstarrte.


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