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Da während der kurzen Friedenszeit, die im ersten Lustrum des neunzehnten Jahrhunderts zwischen England und Frankreich bestand, die reiselustigen Söhne Albions zahlreich in Paris erschienen, und die Angesehenen unter ihnen sämmtlich beeifert waren, im Salon der Madame Recamier Zugang zu finden, so hatte die schöne Frau, wie fast zu allen vornehmen Familien der Hauptnationen Europa's, so auch zu denen des benachbarten Inselreiches mannigfache Beziehungen. Es hatte deshalb nichts Auffallendes, daß, reich, jung und gesund, wie sie war, das Verlangen sich bei ihr einstellte, nach England einen Ausflug zu machen. Da Herr Recamier den Wünschen seiner Frau stets das aufmerksamste Ohr lieh, so schiffte sie, in Begleitung ihrer Mutter und mit Geld und Dienerschaft reichlich versehen, über den Canal, wo ihrer neue Triumphe harrten. Denn der Ruf ihrer Schönheit war ihr vorangeeilt, und die Engländer sind, trotz ihrer frostigen äußern Erscheinung, in den Kundgebungen ihrer Bewunderung wie ein Ungewitter unter den Tropen. Außer den vielen Engländern, die in dem Salon der Madame Recamier Zugang gefunden und die von der schönen und liebenswürdigen Frau eine begeisterte Schilderung hatten nach Hause gelangen lassen, empfahlen sie Briefe des Herzogs von Guignes, der sie überaus schätzte, und der als früherer Gesandter Ludwig's XVI. in der besten Gesellschaft Londons noch zahlreiche Anknüpfungspunkte besaß, so daß er selbst einer minder gefeierten Dame hätte Eingang verschaffen können.
Glänzte Madame Recamier in der Londoner Gesellschaft durch Anmuth des Benehmens und geschmackvollen Anzug, wie er bis dahin nur selten gesehen worden, so begegnete sie doch dort auch Schönheiten, die einen Vergleich mit ihr nicht zu scheuen brauchten. Indeß galt dies nur von Gestalt und Gesichtszügen; in Bezug auf Grazie standen sie hinter Madame Recamier alle entschieden zurück. Die schönsten Damen der Londoner Gesellschaft waren die Herzogin von Devonshire und die Lady Elisabeth Forster. Beide größte Londoner Schönheiten befreundeten sich innig mit Madame Recamier. Der Neid wohnt nur in niedern Regionen. Zu den englischen Herren, die der Madame Recamier die eifrigsten Huldigungen darbrachten, gehörte der Marquis von Douglas, späterer Herzog von Hamilton. Auch der Prinz von Wales, dieser große Freund des schönen Geschlechts, suchte sich der reizenden Französin so viel wie möglich zu nähern. Doch ist wol anzunehmen, daß Madame Recamier, die mit unendlicher Feinheit des Gefühls sogleich erkannte, ob edle Männer oder Wüstlinge sich ihr näherten, den englischen Thronerben sich fern gehalten haben wird. Die in London anwesenden Franzosen fühlten sich durch die großen Erfolge ihrer schönen Landsmännin natürlich ungemein geschmeichelt und verfehlten nicht, die Schaar um den Triumphwagen der Madame Recamier zu vergrößern. Die damals in der Verbannung sich befindenden Orleans'schen Prinzen, der spätere Ludwig Philipp an der Spitze, sowie seine beiden jüngern Brüder, der Graf von Beaujolais und der Herzog von Montpensier, nahten sich der schönen Frau und huldigten ihr. Die englischen Zeitungen brachten während der ganzen Zeit, daß Madame Recamier in London verweilte, die eingehendsten Schilderungen von ihrem Thun und Treiben. Natürlich wurden die Engländer in ihrem zu lebhaften Enthusiasmus der Madame Recamier häufig lästig, wie denn ja auch Mitglieder des starken Geschlechts, zum Beispiel der alte Blücher, von dieser zufahrenden Art und Weise zu leiden hatten. Daß Madame Recamier auch ganz London sich zu Füßen sah, wie schon seit Jahren Paris, das sonst bei seiner Veränderungssucht nicht gern über einen Winter hinaus derselben Person zu huldigen pflegt, über ihre großen Erfolge in London belehrt uns ein Schreiben des Generals Bernadotte, das hier seinem Wortlaute nach folgt:
»Ich habe bisher auf Ihren Brief nicht geantwortet, Madame, weil ich immer darauf rechnete, Ihnen die Ernennung des französischen Gesandten für den Hof von Saint-James melden zu können. Gerüchte, die bisher einige Begründung zu haben schienen, nannten den Minister Berthier. Jetzt ist nicht mehr von ihm die Rede, und die öffentliche Meinung beschäftigt sich mit Ernennungen, die für die Annäherung der beiden Nationen sich wirksamer erweisen dürften.
Die englischen Zeitungen, indem sie meine Besorgniß über Ihre Gesundheit minderten, haben mir auch von den Gefahren erzählt, denen Sie ausgesetzt waren. Zuerst mußte ich natürlich das Londoner Volk wegen seiner zu großen Beeiferung tadeln; aber ich gestehe es, daß ich nicht umhin konnte, ihm bald meine Verzeihung angedeihen zu lassen. Bin ich doch selbst dabei betheiligt, wenn ich Personen entschuldige, die sich herandrängen, um die Reize Ihres himmlischen Antlitzes zu bewundern.
Inmitten der Huldigungen, die Sie umringen, und die Sie in jeder Hinsicht durchaus verdienen, haben Sie vielleicht die Gnade, sich zu erinnern, daß unter allen lebenden Wesen Ihnen am meisten zugethan ist
Bernadotte.«
Nachdem Madame Recamier die Huldigungen der englischen Hauptstadt entgegengenommen hatte (Chateaubriand besuchte später die Stätten, wo » la plus belle des Françaises« umhergewandelt), kehrte sie über Holland, dessen Merkwürdigkeiten sie genau besichtigte, in das ihr ungeduldig entgegenharrende Paris zurück, wo sich wieder Triumphe an Triumphe reihten. Ein Glück, daß der fromme Mathieu von Montmorency ihr zur Seite wandelte, um sie vor Ueberhebung zu bewahren.