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Wenn die Vorsehung, um der Madame Recamier bei dem Verluste ihrer besten Freundin eine Stütze zu bieten, es dem treuen Ballanche ermöglicht hatte, seinen Wohnsitz für immer in Paris zu nehmen, so führte sie ihr, bevor ein neuer Sturm über das Gebäude ihres Glückes dahinbrauste, den dritten wahrhaften Freund zu; wir meinen Chateaubriand. An dem Schmerzensbette der Frau von Staël waren sich die Beiden zuerst flüchtig begegnet, um seit dem Jahre 1818 häufiger und immer häufiger zusammenzukommen. Madame Recamier fühlte bei der Begeisterung, die alle Französinnen dem Genie entgegenbringen, sich mächtig hingezogen zu dem berühmten Schriftsteller. Sein Name war ihr ehrwürdig; denn die Wiederaufrichtung des Christenthums in Frankreich dankte man ja vorzüglich einem Werke, das seinen noch jungen Namen zu einem europäischen machte und in Tausende von betrübten und verwirrten Gemüthern Trost und Beruhigung brachte. Hätte Chateaubriand nichts geschrieben, als seinen Geist des Christenthums, er würde sich die Verehrung der Madame Recamier für immer erworben haben. Aber zu der Verehrung für den frommen und hochbegabten Schriftsteller gesellte sich bei ihr die Bewunderung des ritterlichen, unerschrockenen Mannes. Hatte er doch dem ersten Consul nach der Hinrichtung des Herzogs von Enghien, indem er aus dem Staatsdienste schied, seinen Unwillen so deutlich ausgesprochen, wie man es in jener, schon der vollsten Knechtschaft zusteuernden Zeit noch thun durfte; er, der Einzige in dem großen Frankreich. Es war demnach kein Wunder, daß Herr von Chateaubriand, umstrahlt von dem zwiefachen Ruhme des Schriftstellers und des ritterlichen Mannes, durch sein bloßes Erscheinen den Sinn der Madame Recamier gefangen nahm. Nun aber trat bei Chateaubriand zu dem Nimbus, der sein Haupt umgab, das feinste Benehmen und die gewählteste Unterhaltung hinzu. Dabei war er, den die bewundernde Frauenwelt durch ihre unaufhörlichen Huldigungen etwas eitel und hochfahrend gemacht hatte, so daß er, ohne sich dabei im Mindesten gegen den guten Ton zu versündigen, alles rings um sich beherrschte, dabei war er gegen Madame Recamier von einer zärtlichen Unterwürfigkeit, wie er sie bis dahin noch keinem weiblichen Wesen bezeigt hatte. So machte er immer größere und größere Fortschritte in der Gunst der Madame Recamier, und es schien Vielen, als ob der edle Mathieu von Montmorency und der treue Ballanche auf die zweite und dritte Stelle in ihrem Herzen zurückgedrängt würden, um dem berühmten, nach Jahren der Bekanntschaft um vieles jüngern, Freunde den ersten Platz zu lassen. Mathieu von Montmorency und Ballanche hegten für Madame Recamier eine zu wahre und tiefe Zuneigung, um sich nicht darüber zu freuen, wenn ihr wirklich der köstliche Gewinn eines dritten wahrhaften Freundes zu Theil geworden sein sollte. Aber sie hegten auch die Besorgniß, daß der durch die laute Tuba des Ruhms und die vieljährige, süße Schmeichelrede der ihn bewundernden Frauenwelt aus seinem Gleichgewichte gebrachte und deshalb häufig ungleiche Chateaubriand die Harmonie stören werde, die in dem Leben der Madame Recamier bisher gewaltet hatte. Waren sie nur darüber beruhigt, daß Chateaubriand ihre Freundin niemals durch herrische Laune kränken werde, so gönnten sie der vergötterten Frau gern den hellen Glanz, der durch den berühmten Schriftsteller ihrem eigenen Schimmer hinzugefügt ward, so gönnten sie ihm gern den ersten Platz in dem edelsten Herzen, nur daß dieses Herz niemals durch ihn verwundet werde. Und weil Mathieu von Montmorency sich über diesen Punkt nicht beruhigt fühlte, so erhob er, von dem Rechte der Freundschaft Gebrauch machend, seine Warnungsstimme gegen Madame Recamier, daß sie ihre Ansichten und ihren Willen nicht blind dem Manne gefangen gebe, der so schön über den Geist des Christenthums geschrieben und doch von der Demuth so wenig abbekommen hatte. Diese Vorstellungen nun, die aus reinster Absicht geflossen und gegenüber dem Charakter Chateaubriands, der mit großem Edelmuthe viel Eigenwillen und Herrschsucht verband, durchaus nicht überflüssig waren, diese Vorstellungen nun bewirkten – glücklicher Weise bald vorübergehend – eine Verstimmung zwischen Madame Recamier und Mathieu von Montmorency. Aus einem Briefe, den er ihr einst an einem Montage um Mitternacht schrieb, entnehmen wir, daß sich zwischen ihm und der geliebten Freundin ein kleines Gewölk gebildet hatte, vermöge dessen sie sich nicht mehr ganz klar in die Augen und in das Herz zu schauen vermochten. Mathieu von Montmorency schreibt nun:
»Ich habe in großer Bewegung Ihr Billet geöffnet, das doch besser ist, als jenes unbegreifliche Schweigen, als diese plötzliche Kälte, die ich mir nicht zu erklären und für die ich keine Bezeichnung zu finden vermochte. Warum soll ich Ihnen schildern, was ich bei jenem unglücklichen Mißverständnisse gelitten habe? Ich glaube, daß es ein ganz richtiges Gefühl war, welches mich abhielt, eine Erklärung zu fordern und mich zu beklagen. Und doch, ein wie großes Recht hatte ich nicht, die ersten Früchte jenes bösen Etwas, das ich nicht näher bezeichnen will, zu verabscheuen?«
Aus diesem Briefe des edlen Mathieu geht deutlich hervor, daß, mochte er auch viele Jahre hindurch gekämpft haben, um jede Selbstsucht in seinem Herzen zu ertödten, ihm dies doch nicht ganz gelungen war, wie solches überhaupt keinem, selbst nicht dem besten, Menschen je gelingen wird. Gewiß gönnte er in seinen guten Stunden – und die minder guten waren bei ihm sehr selten – der Madame Recamier den neuen Glanz, der sich durch die Huldigungen Chateaubriand's über sie ergoß; aber er behielt doch immer zu viel Eigenliebe, um sich nicht ein wenig gekränkt zu fühlen, daß seine alte, bewährte Freundschaft gegen eine verhältnißmäßig noch so junge zurückstehen sollte. Da mochte er häufig ernste und tadelnde Blicke auf Madame Recamier gerichtet haben, und sie, die nur an Verehrung und Weihrauch Gewöhnte, hatte diese kalten und anklagenden Mienen zuerst wol mit Schrecken, und dann, da sie sich eigentlich keiner Schuld bewußt war, mit Unwillen hingenommen. Das, wie wir schon sagten, glücklicherweise nur vorübergehend getrübte Verhältniß der beiden, seit so vielen Jahren sich zärtlich liebenden Seelen geht aus folgenden Zeilen Mathieu's hervor:
»Diese Blicke am gestrigen Abende waren sicher unbeabsichtigte; sie entschlüpften einem beunruhigten Herzen, das sich in's Auge drängte; sie hatten zur Ursache die stete Beschäftigung mit Ihrem Glücke. Ich bitte um Verzeihung wegen dieser Blicke, die, wie Sie mir früher in gütiger Beachtung versicherten, Ihnen solche Besorgniß einflößen, und von denen ich nur zu gut weiß, daß ich eigentlich kein Recht dazu habe. Und doch, ich irre mich. Ich habe das Bewußtsein dieser Berechtigung im Namen der reinsten aller Empfindungen, im Namen einer Freundschaft, die ebenso beständig wie tief ist, und die nichts erstrebt, als Ihr Glück hienieden und im Jenseits. Diese reine und durch nichts zu trübende Empfindung wiegt vielleicht alle stolzen Gebilde auf, die für den Augenblick Ihren Sinn gefangen nehmen.«
Daß Madame Recamier auf die häufig tadelnden Blicke Mathieu's zuletzt mit stolzer Zurückhaltung geantwortet hatte, erhellt deutlich aus folgenden Zeilen in diesem so ernsten Briefe ihres ältesten wahrhaften Freundes:
»Ich war heute förmlich verlegen, ja, voller Scham, nicht minder in Hinsicht auf die Andern, als auf mich selber, über die so plötzliche Veränderung in Ihrem Benehmen. O, Madame, welche reißenden Fortschritte hat in wenigen Wochen dies unsichere Gefühl gemacht, das Sie Ihre treusten Freunde fürchten läßt! Erzittern Sie nicht, wenn Sie sich diesen Gedanken ganz klar machen? O, wenden Sie sich – es ist noch Zeit – wenden Sie sich zu Dem zurück, der, wenn wir eigenen guten Willen hinzubringen, die Stärke verleiht, alles zu heilen und wieder gutzumachen! Gott und ein edelmüthiges Herz im Bunde vermögen alles. Ich flehe zu Gott aus dem Grunde meiner Seele, Sie aufrechtzuerhalten, Sie zu erleuchten und durch seine mächtige Hülfe es zu verhindern, daß Sie nicht mit eigenen Händen ein unglückliches Band schürzen, unter dem Andere ebenso leiden würden, wie Sie selber.«
Doch die Mißstimmung zwischen Madame Recamier und Mathieu von Montmorency ging, wie wir wiederholt zu versichern uns beeilten, glücklicher Weise schnell vorüber, und die treue Freundschaft und die altbewährte Zuneigung traten in ihre früheren Rechte. Es bleibt aber immer traurig und weist auf die Unbeständigkeit aller irdischen Verhältnisse hin – wir meinen hier weniger die schnell vorübergehenden Menschen, als die sich so leicht verändernden Herzen – es macht tiefbetrübt, daß zwischen so edlen und lautern Wesen, wie Madame Recamier und Mathieu von Montmorency, eine Mißstimmung überhaupt eintreten konnte. So bleibt auf Erden zuletzt nichts fest, als unser Verhältniß zu Gott, weil er sich in uns nicht irren kann, und wir nicht in ihm. Von seiner Allliebe giebt er uns tägliche Proben, und vermöge seiner Allwissenheit kennt er die geheimsten Falten unsers Herzens.
Daß zwischen Madame Recamier und Mathieu von Montmorency das alte, treue Verhältniß sich wiederhergestellt hatte, und zwar vorzüglich auch dadurch, daß keiner der beiden Theile in falschem Stolze vor einem Bekenntnisse seiner Schuld zurückwich, ersehen wir aus einem später geschriebenen Briefe des edlen Vicomte, der im Auszuge so lautet:
»Wenn man sich je aufgefordert fühlt, sein Unrecht wieder gutzumachen und seine Vorwürfe zurückzunehmen, so geschieht es vorzüglich in solchem Augenblicke, wo man einen die vortrefflichsten Gesinnungen kundgebenden Brief erhält, wie den von Ihnen geschriebenen, meine liebenswürdige Freundin. Mein Brief war kaum abgegangen, als ich Ihre zierliche Handschrift erblickte. Zuerst fühlte ich etwas, wie einen Gewissensbiß, sich in mir regen. Dies Gefühl bemächtigte sich zuletzt meiner ganzen Seele, als ich die rührenden Bekenntnisse Ihrer Freundschaft las, als ich mich freute über den Sieg Ihrer Vernunft und mich betrübte über Ihre schwermüthigen Gedanken. Doch habe ich nicht den Muth, Ihnen wegen Ihrer trüben Stimmung Vorwürfe zu machen, da sie ja dazu beiträgt, daß Sie unser kleines Thal Im Herbste des Jahres 1818 mietheten Madame Recamier und Mathieu von Montmorency ein reizend gelegenes Landhaus, » Vallée-aux-Loups« genannt, zu gleichen Theilen. Dort gefiel es ihnen und ihren beiderseitigen Familien so gut, daß im Sommer 1819 dieselbe reizende Einsiedelei wieder bezogen wurde. liebgewannen, und da sie mir den süßen Vorzug gewährt, um Sie weilen und Sie trösten zu dürfen. Meine Freundschaft ist stolz auf diesen Vorzug, und es treibt mich, ihn so schnell wie möglich geltend zu machen. Am heutigen Morgen theilte ich Ihnen mit, daß ich mich am Montag dorthin, wo Sie weilen würden, zu begeben gedächte; ich bin nun beglückt, daß es in unserm Thale der Fall sein soll. Ich bitte Sie noch einmal, mir den Brief von heute früh zu verzeihen. Gab ich doch in ihm nur der Stimme der Selbstsucht und der Eifersucht Gehör, die Sie indeß der Freundschaft verzeihen werden. Leben Sie wohl. Ich lege Ihnen Tausende von Huldigungen zu Füßen. Auch vergesse ich nicht, Amalie zu grüßen, die wol Ihre Einsamkeit theilen wird. Beharren Sie auf Ihren edelmüthigen Entschlüssen und wenden Sie sich einzig an Den, der die Macht besitzt, sie zu befestigen und zu belohnen.«
Durch gegenseitige Offenheit stellte sich das alte, traute Verhältniß zwischen Madame Recamier und Mathieu von Montmorency vollkommen wieder her. Mit Ballanche, der innerlich auch wol über die stets um sich greifende Herrschaft Chateaubriands geseufzt hatte, war es zu einer Trübung des Verhältnisses gar nicht gekommen, da er nicht, wie Mathieu, den Muth besessen hatte, sich zu beklagen und der verehrten Freundin Vorwürfe zu machen. Die drei edlen Männer, die derselben Frau eine begeisterte Freundschaft widmeten, vertrugen sich im Ganzen recht gut, wenngleich ihre Charaktere äußerst verschieden waren.
So brachte der dritte wahrhafte Freund zuerst etwas Sturm in die Häuslichkeit der Madame Recamier, aber auf die Länge gesellte er doch zu dem Glanze des Ruhms die Wärme des treuesten Herzens, weshalb das Hinzutreten dieser, äußerlich und innerlich vornehmen, Erscheinung durchaus als Gewinn bezeichnet werden darf für die seltene Frau, der er anhing, und für den ausgewählten Kreis, den sie um sich versammelte.