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Längeres Verweilen der Madame Recamier in Lyon.

In Lyon fand Madame Recamier zunächst die Familie ihres Gatten, die in zahlreichen Mitgliedern vertreten und sehr angesehen war. Vor allem fühlte sie sich zu Madame Delphin, der jüngern Schwester ihres Gatten, hingezogen, einer Frau von mildestem Herzen und unermüdlichem Wohlthun. Die beiden Schwägerinnen kannten sich schon ziemlich genau, da Madame Recamier bei ihren Reisen nach Coppet und Aix stets einige Tage in Lyon verweilt hatte, um mit der von ihr so geschätzten Verwandten eines trauteren Umgangs zu pflegen. Herr Delphin war ebenfalls eine höchst würdige Persönlichkeit, und das Haus dieses vortrefflichen Ehepaars sah in seinen gastlichen Räumen die gebildeten Mittelclassen Lyon's. Da Madame Recamier aber vorzugsweise mit der haute volée verkehrt hatte, so fand sie auch zu diesen, ihr mehr gewohnten, Kreisen einen sofortigen Zugang durch Frau von Sermésy. Uebrigens bedurfte eine so gefeierte und glänzende Erscheinung, wie Madame Recamier, kaum einer Einführung, da die Thüren jedes Salons sich dieser Königin der Gesellschaft von selber öffneten. Frau von Sermésy war eine Nichte des Herrn Simonard, der ja als Busenfreund des Herrn Bernard mit diesem in einem Hause wohnte und die schöne Julie als seine Tochter ansah. Es bestand demnach zwischen Madame Recamier und Frau von Sermésy gleichsam auch ein Verwandtschaftsverhältniß. Sie ward nun von der Nichte des Herrn Simonard, wie es nicht anders zu erwarten stand, mit der größten Herzlichkeit empfangen. In dem Salon der Frau von Sermésy vereinigte sich damals alles, was die zweite Stadt Frankreichs an Celebritäten der Kunst und Literatur enthielt, und Madame Recamier traf es insofern günstig, als Lyon zur Zeit ihres dortigen Aufenthalts besonders reich war an glänzenden Geistern, mit denen verkehren zu dürfen Ehre und Genuß brachte. Ein häufiger Gast in dem Salon der Frau von Sermésy war Camille Jordan. Er kannte Madame Recamier von Jugend auf, weshalb die Bemerkung eigentlich überflüssig ist, daß er mit ganzem Herzen ihr anhing. Sie würden übrigens, auch ohne eine schon bestehende Freundschaft, sich schnell einander genähert haben, einmal wegen der sich gegenseitig anziehenden Liebenswürdigkeit ihrer Natur, und dann, weil Beide mit einer und derselben Person innig vertraut waren. Mathieu von Montmorency stand nämlich auch zu Camille Jordan in den herzlichsten Beziehungen. Beide Männer waren einig in ihrem Hasse gegen den kaiserlichen Despotismus und in ihrem Wunsche, daß Frankreich sich gesicherter constitutionellen Verhältnisse bald erfreuen möge. Auf religiösem Gebiete fehlte freilich die Uebereinstimmung, indem Camille Jordan Deist, Mathieu von Montmorency ein gläubiger Katholik war, der keinen Buchstaben der Offenbarung bezweifelte. Da aber Beide denselben edlen Charakter hatten, so stritten sie wol aufs Lebhafteste über die Punkte, wo eine Uebereinstimmung nicht erzielt' werden konnte, doch vereinigten sie sich stets wieder in den gleichen Wallungen für Völkerglück und Menschenwürde. Camille Jordan hatte eine reiche und hübsche Lyoneserin geheirathet, so daß er in den angenehmsten Verhältnissen lebte. Seine Unterhaltung sprühte von Geist und Feuer. Obgleich er stets in feinen und gewählten Kreisen verkehrt hatte, so fehlte doch etwas, um sein gesellschaftliches Auftreten ein untadelhaftes nennen zu können. Aber der Adel seiner innern Natur, die strömende Beredsamkeit seiner Lippen, und die Wärme und Innigkeit seines Verkehrs machten ihn weit anziehender, als wenn er von vollendeter Glätte gewesen wäre. An der Glätte stößt man sich allerdings nicht, aber sie wirkt doch oft erkältend.

Zu den Frauen, mit denen Madame Recamier am häufigsten während ihres Aufenthaltes in Lyon verkehrte, gehörte in erster Reihe die Herzogin von Chevreuse, die mit ihr gleiches Schicksal hatte, nämlich verbannt zu sein. Auch sie wurde vom Kaiser gehaßt, weil sie bei edlem Stolze ihren Nacken nicht beugen wollte. Doch hatte sie trotz starker aristokratischer Vorurtheile sich nachgiebiger gezeigt, als Madame Recamier, indem sie sich zu der von Letzterer verschmähten Stelle am kaiserlichen Hofe bequemte. Freilich war ihr dieser Entschluß sehr schwer gefallen. Indeß die dringenden Vorstellungen ihrer Verwandten, die Rücksicht auf ein großes Vermögen, das, falls sie standhaft blieb in ihrer Zurückhaltung, von der despotischen Regierung mit Confiscation bedroht wurde, die zwingendste Nothwendigkeit hatte die stolze Aristokratin vermocht, Hofdienste bei Personen zu thun, die sie weit unter ihrem Range glaubte. Sie betrat, demnach die Tuilerien sehr widerwillig und gab sich nur geringe Mühe, ihre Gefühle zu verhehlen. Die, wenn auch nicht regelmäßig schöne, doch höchst elegante und verführerische Frau soll zuerst auf Napoleon einen sehr günstigen Eindruck gemacht haben. Es reizte ihn wol, bei der allgemeinen knechtischen Unterwerfung etwas Selbstbewußtsein in einer schönen Frau anzutreffen. Er zweifelte durchaus nicht, daß sie nach kurzer Zeit sich seinem eisernen Willen ebenso beugen werde, wie Männer, die früher für Freiheit und Gleichheit geschwärmt hatten. Doch bei der stolzen Herzogin fand er einen unbesieglichen Widerstand. Sie nannte ihn »Sire«, weil sie nicht anders konnte, und verneigte sich vor ihm so tief, wie sie mußte; aber auf ihrer Stirne thronte Stolz, und um ihren Mund zuckte Geringschätzung. Der tiefe Menschenkenner täuschte sich bald nicht mehr darüber, daß er in dieser Frau eine Feindin am Hofe hatte. Damit sie nun die übrigen Personen seiner Umgebung, deren Unterwerfung vollkommen geglückt schien, nicht anstecken möge mit ihrem rebellischen Herzen, so suchte er sie auf schickliche Weise wieder aus den Tuilerien zu entfernen. Als demnach die königliche Familie von Spanien ihren Thron verloren hatte und in Frankreich sich niederlassen mußte, so sollte die Herzogin von Chevreuse bei den, allerdings sehr unfreiwilligen, Gästen des Kaisers ein Hofamt übernehmen. Doch da konnte die stolze Aristokratin ihrer Empörung nicht länger gebieten. Sie erklärte mit stolzer Haltung und verachtungsvoller Geberde, daß, wenn sie sich habe entschließen müssen, in einen Kerker zu gehen, sie doch kein Talent besitze, einen Kerker zu hüten. Das war mehr, als Napoleon ertragen konnte. Er beantwortete diese stolze Erklärung mit einer ewigen Verbannung aus Paris.

Die Herzogin von Chevreuse war insofern viel unglücklicher, als Madame Recamier, da sie mit Frau von Staël die leidenschaftliche Vorliebe für Paris gemein hatte, und die Welt außerhalb der französischen Hauptstadt in ihren Augen einer Wüste glich. So welkte sie dahin und starb auch an einer Sehnsucht, die sie nicht befriedigen durfte. Schon seit vier Jahren zog sie überall in Frankreich umher, und überall fühlte sie sich namenlos unglücklich, obgleich sie sonst alles hatte, was das Leben angenehm machen konnte. Die Normandie mit ihren prächtigen Wiesen und Wäldern, die Touraine in ihrer lachenden Schönheit, das Dauphiné mit der Erhabenheit seiner Gebirge war für sie traurig und eintönig gewesen. Das Grau ihres Gemüthes färbte alles grau um sie her. Jetzt wohnte sie seit längerer Zeit in Lyon, und derselbe Gasthof, das Hôtel de l'Europe, umschloß zwei der elegantesten europäischen Frauen, auf denen beiden der Zorn des Kaisers schwer lastete. Das unritterliche Benehmen Napoleon's gegen edle und holde Frauen ist einer der ungünstigsten Züge in seinem sonst großartigen Bilde, das trotz alledem und alledem einen dämonischen Reiz ausübt. Den Thränen, die er zwei schöne Frauen in Lyon vergießen ließ, antwortete ein seufzendes Echo aus Coppet, wo Frau von Staël sich in Sehnsucht nach Paris verzehrte. Die schönen Augen der Königin Louise, denen er ebenfalls so viele Thränen entpreßte, waren bereits im Tode gebrochen. Ihr sollte zunächst die Herzogin von Chevreuse in's Grab folgen. Denn die Auszehrung zerstörte langsam, aber sicher, die Kraft des Körpers, wenn sie auch vorläufig über die Grazie des Wesens noch keine Gewalt hatte.

Madame Recamier und die Herzogin von Chevreuse kannten sich schon seit längerer Zeit; doch bildete sich erst in Lyon ihr Verhältniß zur Freundschaft aus. Wenn Beide einmal sich während des Tages nicht sahen, so wechselten sie Briefe und sandten sich Blumen, oder hatten sonst kleine Aufmerksamkeiten für einander. So schrieb einst die Herzogin von Chevreuse an Madame Recamier, die gemäß ihrer liebenden Natur, obgleich selbst unpäßlich, der leidenden Freundin eine kleine Ueberraschung bereitet hatte, folgende Zeilen:

»Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für Ihre liebenswürdige Aufmerksamkeit. Während einer ganzen Viertelstunde habe ich unablässig Ihr reizendes Körbchen betrachtet. Es war ein mich nicht täuschendes Vorgefühl, das mich die Lilien so lieben ließ. Sie sollten mir eines Tages eine Krone davon schenken. Dies steigert natürlich noch meine Leidenschaft für die königliche Blume. Die italienischen Verse, die Ihre Gabe begleiteten, und die ich mit Vergnügen las, erinnerten mich an eine Vorstellung im Theater, wo Sie mir dieselben Verse mit Ihrer süßen, melodischen Stimme recitirten. Dies kleine Geschenk ist voll jener Grazie, die alle je von Ihrer Hand berührten Dinge auszeichnet; ich bin entzückt davon.

Louise sagt mir, daß Sie leidend sind. Ich möchte alles thun, um Sie wiederherzustellen und der Krankheit zu gebieten, daß sie Ihnen nie wieder zu nahen wage. Ich würde gern für Sie eine wohlthätige Pflanze auf dem Gipfel eines Berges suchen, und müßte ich mitten im Fieber mich von meinem Lager erheben. Glauben Sie an meine Liebe! Ich habe niemals etwas dringender gewünscht, als Ihnen diese Gewißheit zu erwecken.«

Wir entnehmen diesem Briefe noch, daß Madame Recamier der Schwiegermutter der Herzogin von Chevreuse eine Tasse geschenkt hatte, die Letztere als reizend bezeichnet. War das der Herzogin von Chevreuse bescheerte Körbchen von italienischen Versen begleitet gewesen, so trug die der Herzogin von Luynes übersandte Tasse eine englische Zueignung. Es war dies eine feine Aufmerksamkeit, da die Herzogin von Luynes für die englische Sprache eine große Vorliebe hatte und bei rauher Hülle einen edlen Kern barg.

Die Herzogin von Luynes vergötterte ihre Schwiegertochter, hatte dieselbe während der Jahre ihrer Verbannung keinen Augenblick verlassen und pflegte sie jetzt bei zunehmender Kränklichkeit mit liebevollster Hingebung. Wenn Madame Recamier, die so viel Merkwürdiges erlebte, sich einmal über das seltene Schauspiel zu wundern hatte, daß eine Schwiegermutter ihre Schwiegertochter leidenschaftlich liebte – gemeiniglich findet ganz das Gegentheil statt – so war bei der Herzogin von Luynes noch vieles Andere, was mit Recht in Erstaunen setzte. So kleidete sie sich höchst abenteuerlich – häufig trug sie sich als Mann – und war stets im schneidendsten Gegensätze zu der jedesmaligen Mode. Ihre Züge waren unregelmäßig, fast männlich, und ihre Sprache hatte einen rauhen Klang. Da sie eine Frau von sehr scharfem Verstände war, so spottete sie über ihre äußere Erscheinung dermaßen, daß sie den Andern nichts zu thun übrig ließ. Sie scheint in vielen Zügen der originellen Mutter des Regenten, jener drolligen pfälzischen Prinzessin, geglichen zu haben, die bei all ihrer Derbheit ihrem stolzen Schwager, dem so gut repräsentirenden Ludwig XIV., Respect einzuflößen und bei einer Anspielung auf ihre großen Hände sehr treffend zu antworten wußte.

Unter dem vielen Originellen, was die Madame Recamier mit der Herzogin von Luynes erlebte, war das Benehmen der Letztern, als Beide zusammen die Buchdruckerei des Herrn Ballanche besuchten, sicher das nicht am wenigsten Auffallende. Nachdem die Herzogin von Luynes, geführt von Herrn Ballanche, sich alle Einzelheiten der großen Anstalt genau angesehen und sich mit erstaunlicher Sachkenntniß über Dinge ausgesprochen hatte, von denen man berechtigt war anzunehmen, daß sie ihr ganz fremd seien, trat sie plötzlich vor ein leeres Pult, an dem für den Augenblick kein Setzer arbeitete. Die Aermel ihres Kleides schnell zurückstreifend, machte sie sich an's Werk und setzte eine ganze Seite nicht minder leicht, als richtig. Ja, sogar ein gewisses Wiegen des Oberkörpers, wie es den Setzern der damaligen Zeit eigenthümlich war, ward von der arbeitenden Herzogin in Anwendung gebracht. Es bedarf keiner Versicherung, daß sämmtliche Setzer die originelle Herzogin halb erstaunt, halb bewundernd anblickten. Ihr war das Eine so gleichgültig, wie das Andere. Sie that alles, was ihr gefiel, sobald sie Keinen dadurch verletzte.

Aus den mannigfachen anziehenden und theilweise bedeutenden Bekanntschaften, die Madame Recamier in Lyon machte – trat doch auch der jetzt einzuführende Ballanche in ihren Freundeskreis – geht hervor, daß ihre Verbannung durchaus nicht arm war an wohlthuenden Eindrücken. Wir müssen demnach uns ihre Verwöhnung durch großartige, ja, einzige Verhältnisse gegenwärtig halten, um es entschuldbar zu finden, wenn trotzdem häufig ihr Sinn von Schwermuth umnachtet ward.


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