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Es war ein sehr begreiflicher Wunsch des Herrn Recamier, der die schöne Julie nicht geheirathet hatte, um sich selbstsüchtig ihres Besitzes allein zu freuen, sondern der von dem richtigen Gefühle beseelt ward, daß eine so schöne Menschenblume, gleich der Königin der Nacht, von Allen bewundert, aber von Niemandem gepflückt werden dürfe, es war nur natürlich, daß Herr Recamier wünschte, dies Meisterwerk der Natur durch die Kunst der Nachwelt erhalten zu sehen. Es wurden deshalb mit dem berühmten Maler David Unterhandlungen angeknüpft, damit er die Schönheit der Madame Recamier auf der Leinwand verewige. Man mußte mit dem stolzen Republikaner, der es vorzugsweise liebte, durch seinen Pinsel große Ereignisse der Geschichte lebensvoll erstehen zu lassen, man mußte mit einem so berühmten und selbstbewußten Manne sehr vorsichtig verfahren, wenn man ihn bestimmen wollte, sein großes Talent einer einzelnen Person zu weihen, während er wahrscheinlich dafür hielt, nur eine Staatsaction sei ein seines Pinsels würdiger Vorwurf. Doch der Ruf der Madame Recamier war ein so bedeutender, daß er den Stolz des starren Republikaners bezwang. Er erklärte sich deshalb bereit, die schöne Frau zu malen. Daß er sich wirklich an's Werk machte, davon zeugt ein Entwurf, den man noch heute in der Gallerie des Louvre antrifft. Wenn David das Bild nicht vollendete, so lag dies daran, daß er fühlte, er werde dem Liebreiz der Madame Recamier nicht gerecht werden können. Dies wäre eine Aufgabe für Raphael gewesen. David versuchte sich an der holden Schönheit Juliens; doch sank dem sonst nicht leicht Entmuthigten der Pinsel aus der Hand.
Daß der rauhe Mann der Madame Recamier gegenüber mild und fast unterwürfig ward, ersehen wir aus einem längern Briefe, in dem er sich wegen seines zögernden Schaffens entschuldigte, und aus dem wir die bezeichnendsten Stellen hier wiedergeben:
»Wie kannte ich Sie genau, Madame, als ich Ihnen unaufhörlich wiederholte, daß Sie gut seien! Wer mehr als ich hat die glückliche Einwirkung Ihrer unermüdlichen Güte an sich zu erfahren Gelegenheit gehabt? Indeß muß dieser Güte eine Grenze gesetzt werden, und ich selbst bin es, der Sie darum angeht.«
Nachdem David dem edlen Charakter der Madame Recamier gehuldigt, wie es Jeder that, der mit richtigem und unbefangenem Urtheile an diese holde Frauenblüthe herantrat, nachdem er also dargethan, wie die Neigung, ihren Liebreiz für die Mitwelt zu vervielfältigen und der Nachwelt zu erhalten, bei ihm gewiß vorhanden sei, entwickelt er die Gründe, weshalb er von Zeit zu Zeit in seiner Aufgabe ermatte und an ihrem Bilde nicht weiter arbeite. Vor allem verzweifelte er daran, den Augapfel der Madame Recamier, der von ganz eigenartigem Reize war, auch nur annähernd auf der Leinwand wiederzugeben. Wo die Natur in ihrer vollsten Schöpferlaune schuf, da erlahmt die Kunst in ihrer Nachahmung. Der sonst so spröde, aber durch die, Alle in Fesseln schlagende, Frau ebenfalls gebändigte Republikaner nennt Madame Recamier im weitern Verlaufe seines Briefes » belle et bonne Dame.« Er schließt, zwar kühl im Vergleich zu den feurigen Huldigungen, die der schönen Frau von Andern dargebracht wurden, aber in Anbetreff seiner sonstigen herben Ausdrucksweise doch äußerst verbindlich mit » Salut et admiration.« Wer konnte sich der Madame Recamier nahen und nicht bewundern?
Daß nichts, woran sich der Pinsel David's versucht hatte, schlecht sein konnte, versteht sich von selbst. Er war nur zur vollständigen Wiedergabe so seltenen Liebreizes nicht ganz befähigt. Wir sagten schon, daß Raphael dies einzig vermocht hätte. Titian würde den wundervollen Fleischton prächtig getroffen haben, aber gegenüber der Lieblichkeit der Züge ebenfalls erlahmt sein. Daß nun David, der großer Bescheidenheit sich nicht gerade rühmen konnte, hier einmal an der Grenze seines Könnens sich angelangt sah, gereicht ihm zur Ehre. David brachte es nicht über den Entwurf, trennte sich aber nie von ihm, weil derselbe ihm eine liebe Erinnerung war an eine so schöne und gute Frau, die er stets hochhielt. Nach seinem Tode ward dieser Entwurf von seinen Erben verkauft. Herr Lenormant, der die Adoptiv-Tochter der Madame Recamier geheirathet hatte, erstand den Entwurf für 6000 Franken. Doch bedauerte der Staat, diese Skizze des großen Künstlers nicht seiner Gemäldesammlung eingereiht zu haben, und Herr Lenormant überließ, nachdem man sich mit einer hierauf bezüglichen Bitte an ihn gewandt, den Entwurf für die von ihm gezahlte Summe an das Museum des Louvre.
Madame Recamier ward demnach nicht von David, sondern von Gerard gemalt, der gleichfalls ein hervorragender Künstler war. Erreichte er David nicht als historischer Maler, so übertraf er ihn doch im Porträt. Während nun Gerard an dem Bilde der Madame Recamier malte, waren vielfach die Bewunderer der schönen Frau in seinem Atelier erschienen, um sich an dem Fortgange des Werkes zu erfreuen. Madame Recamier hatte bei ihrem feinen Aufmerken schon seit einigen Tagen mit sich steigernder Angst die innere Ungeduld des Herrn Gerard wahrgenommen, die sich zwar nicht den mehr sie, als den Künstler betrachtenden Herren verrieth, die aber ihr nicht verborgen blieb. Als nun Christian von Lamoignon, der Madame Recamier genau kannte und häufig in ihrem Salon erschien, eines Abends gegen sie die Absicht aussprach, ihr Bild in dem Atelier Gerardos bewundern zu wollen, so fürchtete sie das Schlimmste von dem Zorne des reizbaren Künstlers. Um nun den von ihr sehr geschätzten Mann keiner unangenehmen Scene auszusetzen, so theilte sie ihm ihre Besorgnisse mit. Doch Herr von Lamoignon war sehr sicher und antwortete: »O, das könnte wol jedem Andern begegnen, aber nicht mir. Gerard ist stets sehr artig gegen mich gewesen, und ich gehöre zu seinen Freunden. Ich bin überzeugt, daß es ihm Freude macht, wenn ich komme.«
Madame Recamier glaubte dies nun allerdings nicht; doch hätte sie es nicht taktvoll gefunden, eine bloße Ahnung ihrerseits der sichern Ueberzeugung des Herrn von Lamoignon entgegenzustellen. Indeß blieb ihr die Unruhe, wenn sie dieselbe auch weiter nicht äußerte.
Als Madame Recamier am folgenden Tage einige Zeit in dem Atelier des Herrn Gerard gesessen hatte, hörte sie leise an die Thür klopfen. Sogleich verfinsterte sich die Stirn des Künstlers. Da er gar nicht »Herein!« rief, so erkühnte sie sich endlich zu der schüchternen Bemerkung: »Ich glaube, Herr Gerard, daß es geklopft hat.« Keine Antwort. Ihre Verlegenheit wird immer größer. Da nun ihr Freund sich am gestrigen Abende gerühmt hatte, daß er und Herr Gerard auf gutem Fuße ständen, so glaubte sie den aufsteigenden Zorn des Künstlers zu entwaffnen, wenn sie hinzufügte: »Es ist wahrscheinlich Herr von Lamoignon, der die Absicht äußerte, Ihr Talent zu bewundern.« Wiederum keine Antwort von Seiten des Künstlers, dessen Gesicht immer mehr einem ausbrechenden Gewitter gleicht. Jetzt läßt sich schüchtern eine Stimme vernehmen: »Ich bin es, Herr Gerard, Christian von Lamoignon, der um die Gunst bittet, eintreten zu dürfen.« Gerard stürzt nunmehr wüthend zur Thür, seine Palette so bedrohlich haltend, als wolle er sie stracks in das Gesicht des Eintretenden schleudern und ihn auf diese Weise am Weiterschreiten verhindern. »Treten Sie nur ein,« ruft Gerard dem sich in der Schwelle der Thür zeigenden Herrn von Lamoignon zu, »treten Sie nur ein, aber gleich darauf werde ich mein Bild zerstückeln.« Herr von Lamoignon bekämpfte schnell den Zorn, den dieser unartige Empfang in seinem Innern aufsteigen ließ, wenigstens merkte man seinem Aeußern nicht das Geringste an. Sich artig gegen den wüthenden Künstler verneigend, sprach er: »Ich würde in Verzweiflung sein, Herr Gerard, wenn ich die Nachwelt eines Ihrer Meisterwerke beraubte.« Dann der Madame Recamier eine tiefe Verbeugung machend, verschwand er in der sich ungestüm hinter ihm schließenden Thür.
Das berühmte Bild von Gerard gelangte später in den Besitz des Prinzen August von Preußen und befand sich während mehrerer Jahrzehnte in Berlin. Bei dem Ableben des Prinzen gelangte es gemäß testamentarischer Verfügung nach Frankreich zurück. Giebt es die Lieblichkeit der Madame Recamier nicht voll und ganz wieder, so ist es doch ein Werk, das allein im Stande wäre, den Namen Gerard's vor Vergessenheit zu bewahren.