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Der Proceß, womit Moreau heimgesucht ward, bestärkte Madame Recamier und deren gesammte Familie in ihrer Abneigung gegen den ersten Consul und spätern Kaiser. Die Erschießung des Herzogs von Enghien, die Verhaftung des Herrn Bernard und die abscheuliche Behandlung eines von Madame Recamier sehr geschätzten Schriftstellers hatten die Kluft zwischen den Tuilerien und dem Hotel der Rue de la Chaussée-d'Antin immer mehr und mehr erweitert. Namentlich hatte die rohe Ergreifung und Hinwegführung des Herrn Dupaty die Familie der Madame Recamier darüber belehrt, daß Bonaparte sich an Recht und Gesetz keinen Augenblick kehre, sobald er gegen Jemanden von Haß und Zorn erfüllt sei. Es war dem ersten Consul hinterbracht worden, daß Herr Dupaty sich in einem Vaudeville über den, von ihm errichteten, neuen Hofstaat lustig gemacht habe. Ohne weitere Untersuchung, ob diese Angeberei auf Wahrheit beruhe, ohne Prüfung, ob er das Recht habe, die heitere Laune eines Dichters polizeilich bestrafen zu lassen, gab Bonaparte in Betreff des Herrn Dupaty die rücksichtslosesten Befehle. Der junge Dichter ward während der Nacht aus seinem Bette gerissen und nach Brest auf ein Schiff gebracht, von wo er auf eine jener Inseln geschafft werden sollte, deren mörderisches Klima Napoleon I. und Napoleon III. für ihre Feinde so geschickt auszusuchen verstanden. Dupaty wäre verloren gewesen, wenn Madame Recamier, eine unermüdliche Helferin, sich nicht seiner erbarmt hätte. Jetzt benutzte sie die ihr sonst so lästigen Huldigungen Lucian Bonaparte's, um durch ihn, der den jungen Dichter in ihrem Salon hatte kennen und schätzen lernen, bei dem ersten Consul auf ein milderes Verfahren hinzuarbeiten. Lucian, dem Gebote seiner Herrin gehorchend, stellte seinem Bruder nun vor, daß es dem verhafteten Schriftsteller nicht in den Sinn gekommen sei, sich über den Consular-Hofstaat lustig zu machen. Da Bonaparte dem jungen Dichter sonst weiter nicht zürnte, so befahl er dessen Freilassung.
Aus einer sehr richtigen Politik dachten demnach Madame Recamier und deren Familie in Bezug auf Bonaparte, daß es sich empfehle, ihm so fern wie möglich zu bleiben. Der lateinische Spruch, daß man, fern von Jupiter, auch fern vom Blitze sei, fand hier gewiß seine richtige Anwendung. Es wirkte demnach förmlich erschreckend auf Madame Recamier, als ihr erst in feinerer Andeutung und dann in bestimmter Aufforderung eröffnet ward, sie möge sich um einen Platz am kaiserlichen Hofe bewerben.
Hören wir, wie Madame Recamier aus der reizendsten Villeggiatur durch Fouché aufgeschreckt ward!
Das Leben auf dem Schlosse zu Clichy war während des Sommers von 1805 ganz besonders glänzend. Eine Schaar von Anbetern, die den verschiedensten Ländern angehörte, umringte die schöne Wirthin. Unter den vielen Gästen nun, die Madame Recamier empfing, waren doch einige, die sie lieber nicht gesehen hätte, die sie aber aus Rücksicht auf den argwöhnischen Napoleon um sich dulden mußte. So erschien auch Fouché sehr häufig in Clichy. Viele meinten nun, er komme vorzüglich deshalb, um seinem Herrn und Meister genauen Bericht abzustatten, wer dort gewesen sei, und wer am eifrigsten jener schönen Frau gehuldigt habe, die neben dem Despoten in den Tuilerien eine zu selbstständige Stellung behauptete. Bei Napoleon galt nun der Grundsatz: Biegen oder Brechen. Wer sich ihm nicht beugte, den zerbrach er.
Es war in Clichy mit der Ungezwungenheit jedesmal vorbei, sobald das unheimliche Gesicht des Polizeiministers plötzlich auftauchte. Da nun Madame Recamier ihn um sich dulden mußte, so machte sie sein häufiges Erscheinen insofern nutzbar für sich, als sie bei ihm die Fürsprecherin für unschuldig Eingekerkerte ward, die eine argwöhnische Polizei rücksichtslos hinter Schloß und Riegel hielt. Die Verwandten dieser Unglücklichen waren nun zu der wegen ihrer Herzensgüte nicht minder, als wegen ihrer Schönheit berühmten Frau geeilt, um durch sie, die ja so vieles vermochte, eine Freilassung zu bewirken.
Fouché, dem es bei den zahlreichen Gästen, die er stets in Clichy anwesend fand, fast unmöglich fiel, mit Madame Recamier allein zu sein, ersuchte sie eines Tages, ihm ein Gespräch unter vier Augen zu bewilligen. Madame Recamier, die es durchaus nicht anziehend fand, diesen zwei Falkenaugen allein preisgegeben zu sein, fügte sich doch in den Zwang der Umstände. Sie lud deshalb Fouché für einen der nächsten Tage zum Frühstück und bemerkte, daß sie dann hoffe, vor dem Eintreffen der übrigen Gäste einige Augenblicke für ihn frei zu haben. Fouché stellte sich an dem bezeichneten Tage sehr pünktlich ein, und kaum befand er sich allein mit Madame Recamier, so war er mit der ihm eigenen Gewandtheit augenblicklich bei seinem Gegenstande. Da er über ein ganzes Register der verschiedensten Töne und der verschiedensten Mienen gebot, so begann er als ein zärtlich-wohlwollender Freund, und es war eigentlich erstaunlich, daß er nicht auch Thränen vergoß, die bei den Franzosen so leicht fließen. Er sprach von seinem lebhaften Bedauern, daß die Entfernung zwischen ihr und dem Kaiser eine immer größere zu werden drohe. Seit der Verhaftung des Herrn Bernard mache sich in dem Salon der Madame Recamier eine Opposition bemerklich, die ein immer deutlicheres Gepräge annehme. Diese Opposition sei eine durchaus ungerechte, denn der erste Consul habe sich gegen Herrn Bernard äußerst nachsichtig gezeigt.
In dieser letzten Behauptung hatte Fouché durchaus recht. Der erste Consul war gegen den Herrn Bernard in der That von erstaunlicher Milde gewesen. Es ist so gut als gewiß, daß man ohne die Rücksicht auf seine schöne und durch ihre Verbindungen so einflußreiche Tochter ihn unbedenklich erschossen hätte. War dies doch dem Herzoge von Enghien auf unbestimmte Anschuldigungen hin geschehen, während man gegen Herrn Bernard sehr greifbare Beweise in Händen hatte.
Fouché bemerkte dann weiter, daß der Kaiser sich durch das Benehmen der Madame Recamier sehr verletzt fühle. Er erinnerte hierauf an die Herzogin von Chevreuse, eine ebenfalls glänzende und gefeierte Dame des damaligen Frankreichs. Die Herzogin hatte sich dem neuerstandenen Kaiserreiche gegenüber sehr ablehnend gezeigt und dadurch den Zorn Napoleon's wachgerufen. Der Kaiser nun, der Gesandte, Könige, ja, den Papst anfuhr und nichts schonte, was man sonst zu schonen pflegt, der Kaiser war gewiß nicht geneigt, einer Dame, die er als seine Unterthanin betrachtete, ein hochmüthiges Air zu gestatten. Demnach erinnerte er die Herzogin von Chevreuse, eine geborene de Luynes, spöttisch daran, auf welche Weise der Reichthum ihrer Familie erworben worden sei, und wie derselbe sehr leicht wieder verloren gehen könne.
Nun, die de Luynes stammten von einer florentinischen Kaufmannsfamilie, den Alberti's, ab, die während des Mittelalters in Südfrankreich ein Comptoir errichtet und dort mit dem Handelsgeschicke ihrer Vaterstadt große Schätze erworben hatten.
Fouché fuhr dann in seiner eindringlichen, aber wenig eindringenden Rede so fort:
»Nun, die Familie de Luynes und die Montmorency's, ihre nahen Verwandten, sind zu guter Letzt noch sehr glücklich gewesen, daß die Herzogin von Chevreuse die Stelle einer Palastdame bei der Kaiserin erhielt. Der Kaiser hat seit dem schon so entfernt liegenden Tage, wo er Ihnen begegnete, Sie niemals vergessen, noch aus den Augen verloren. Seien Sie klug und reizen Sie ihn nicht!«
Fouché zielte bei dieser letzten Aeußerung offenbar auf ihre Freundschaft mit Frau von Staël, deren liberale Denkungsart dem Kaiser ja ein Gräuel war, und die er deshalb aus Paris verbannt hatte.
Madame Recamier, durch diese ganze Unterredung peinlich berührt, dankte dem Minister für das Interesse, das er ihr bezeuge, und versicherte, wie die Politik ihr gänzlich fern liege. Dann sprach sie mit bewegter Stimme und in stolzerer Haltung:
»Niemals wird es mir möglich sein, meine Freunde, wenn sie im Unglück sind, zu verlassen und ihnen treulos den Rücken zu kehren.«
Fouché ließ nunmehr das Gespräch über den Kaiser und den kaiserlichen Hof fallen, was für Madame Recamier eine große Erleichterung war. Als er aber wenige Tage darauf wiederum im Parke von Clichy neben ihr wandelte, und die übrige Gesellschaft sich nach allen Seiten hin zerstreut hatte, so fragte er sie plötzlich:
»Werden Sie errathen, mit wem ich von Ihnen am gestrigen Abende während einer ganzen Stunde gesprochen habe?«
Madame Recamier sah Fouché erschreckt an, da sie ahnte, daß er auf ein Gespräch zurückkommen werde, das dem gefährlichen Manne gegenüber von ihrer Seite mit größter Vorsicht zu führen war. Fouché, der von Madame Recamier nicht sogleich eine Antwort erhielt, beantwortete seine Frage selbst, und zwar mit feierlichster Betonung. Er, der aus dem Tyrannenhasse der Bergpartei in den Knechtschaftssumpf der Kaiserzeit hineingefallen, er bildete sich ein, Madame Recamier werde vor Entzücken außer sich gerathen, daß der Herr der Welt, wie ihn seine damaligen Schmeichler nannten, eine ganze Stunde von ihr gesprochen habe. Demnach ließ er die Worte: »Mit dem Kaiser«, so langsam und feierlich dahintönen, als erklänge darin für Madame Recamier der Ruf des Ostermorgens.
»Aber er kennt mich ja kaum,« antwortete die schöne Julie.
»Seit dem Tage, wo er Ihnen begegnete, hat der Kaiser Sie niemals vergessen, und obgleich er es beklagt, daß Sie sich unter seine Feinde reihen, macht er doch nicht Ihre persönlichen Gefühle verantwortlich, wol aber Ihre Freunde.«
Fouché forderte jetzt Madame Recamier auf, ihm ihre wahrhaften Gefühle für den Kaiser zu enthüllen. Dies nun that sie mit jener Offenheit, die ihrer edlen und muthigen Natur ein Bedürfniß war. Sie sagte, sie habe sich Anfangs durch den Ruhm des Generals Bonaparte mächtig angezogen gefühlt. Ihre Bewunderung sei gestiegen, als sein Genie auch in der Regierung geleuchtet und er dem Lande große Dienste geleistet habe. Als sie ihm später in der Gesellschaft begegnet sei, so habe die Anmuth und Anspruchslosigkeit seines Benehmens ihrer Bewunderung für ihn einen wärmeren Ton gegeben. Doch alle diese Gefühle seien in ihr erstorben, seit die Hinrichtung des Herzogs von Enghien, die Verbannung der Frau von Staël und der Proceß Moreau's sie mit Schmerz und Grauen erfüllt hätten.
Fouché hörte sie ruhig an, begriff aber so wenig, was einer stolzen, freiheitlichen Seele möglich ist, und was nicht, daß er, trotz ihrer offen ausgesprochenen Abneigung gegen seinen Herrn und Meister, sie aufforderte, sich um einen Platz im kaiserlichen Hofstaate zu bewerben. Daß sie willkommen geheißen werde, dafür stehe er ein.
Madame Recamier hatte diesem Vorschlage die triftigsten Gründe entgegen zu setzen. Sie verstand sich aus Klugheit dazu, obgleich ihr die Worte sehr schwer fielen, das Anerbieten ein für sie schmeichelhaftes zu nennen. Dann aber trat ihre, Wahrheit heischende Natur wieder in ihre vollsten Rechte. Sie bemerkte, wie die Einfachheit ihrer Neigungen sie dem Hofleben durchaus fern halte; auch würde eine angeborene Schüchternheit, die durch ihr häufiges Erscheinen in der großen Welt sich keineswegs verloren habe, ihr verbieten, auf den gemachten Antrag einzugehen. Dann käme als weiterer Hinderungsgrund ihre Liebe zur Unabhängigkeit; auch die Pflichten gegen ihren Gatten machten es ihr unmöglich. Der Mann, dessen Namen sie trage, sei durch seine Verbindungen genöthigt, stets viele Gäste zu empfangen, für die sie als Frau vom Hause alle möglichen Aufmerksamkeiten haben müsse. Dies nun lasse sich mit dem Dienste am Hofe schwerlich vereinigen.
Fouché lächelte und bemerkte, daß der Hofdienst ihr sehr viel freie Zeit lassen werde. Da er aber gewahr ward, daß Madame Recamier in ihrer Ablehnung beharrlich blieb, so spielte der Menschenkenner einen Trumpf aus, der allerdings einem edlen Gemüthe gegenüber den Gewinn der Partie sicherte. Er eröffnete ihr nämlich die Aussicht auf Dienste, die sie in noch weit reicherem Maße, als bisher, der Menschheit werde leisten können, wenn sie am Hofe jenen Einfluß erlange, den sie bei irgend gutem Willen so leicht zu erlangen vermöge. Wie viele Ungerechtigkeiten sei sie zu verhindern im Stande, wenn sie gelernt habe, die reizbare Seele des Kaisers geschickt zu behandeln und ihm, wenn er schwanke, den richtigen Pfad zu zeigen.
Doch jede gute Wirkung, die diese Worte hätten hervorbringen können, schwächte Fouché dadurch, daß er eine wahrhaft edle Seele in ihrer tiefsten Tiefe nicht zu erfassen, sondern höchstens einzelne ihrer Aeußerungen zu beobachten im Stande war. So meinte er das Gewicht seiner Worte noch dadurch verstärken zu müssen, daß er ihr die Möglichkeit ausmalte, die Favoritin des Kaisers zu werden. Er erklärte es für eine unausbleibliche Folge, daß bei häufigem Zusammensein mit Napoleon die edle und uneigennützige Seele einer Frau, die überdies mit so seltenen Reizen geschmückt sei, wie Madame Recamier, daß eine solche Frau über den Geist des Kaisers große Gewalt erlangen müsse. Fouché schloß seine lange Rede mit folgenden Worten:
»Bis jetzt ist der Kaiser keiner Frau begegnet, die seiner würdig gewesen wäre. Niemand ahnt, welcher Liebe Napoleon fähig sein würde, wenn er sich an ein ganz reines Wesen anschlösse. Eine Frau, die er zugleich liebte und verehrte, würde auf seine Seele den mächtigsten Einfluß ausüben, und ihre segensvolle Wirksamkeit wäre ohne Grenzen.«
Hatte Madame Recamier ihre häufige Empörung bei den Liebesbetheurungen Lucian Bonaparte's niederkämpfen müssen, weil Rücksichten der Klugheit ihren Stolz entwaffneten, so hatte sie auch jetzt die schwere Aufgabe, den Widerwillen nicht sichtbar werden zu lassen, mit dem sie dem Versucher zuhörte. Sie bezeichnete demnach mit mühsam erzwungenem Lächeln die Eröffnungen des Polizeiministers als romantische Träumereien, während ihr ein viel stärkerer Ausdruck auf den Lippen schwebte. Aber kaum war sie von der Gegenwart des zudringlichen Fouché befreit, als sie zu Mathieu von Montmorency eilte, um ihrem edlen Freunde von dem Gehörten Mitteilung zu machen und ihre Besorgnisse gegen ihn auszusprechen. Mathieu von Montmorency hörte ihr mit bekümmerter Miene zu und empfahl ihr die größte Vorsicht. Von einem Manne, wie Fouché, lasse sich alles erwarten.
Es war dem glühenden Royalisten und stolzen Edelmanne stets ein verhaßter Anblick gewesen, wenn er Fouché in den Salon der Madame Recamier eintreten sah. Der Mann, der als wüthender Republikaner für den Tod Ludwig's XVI. gestimmt und jetzt von Napoleon den Titel eines Herzogs von Otranto angenommen hatte, um das widerwärtigste Polizeisystem auszubilden, dieser Dämon durfte seiner Ansicht nach nicht neben einem Engel des Lichts athmen, wie es seine Freundin war, und die deshalb von seinem unreinen Athem nicht einmal hätte gestreift werden sollen.
Einige Tage nach dieser Unterredung mit Fouché ward Madame Recamier in sehr verbindlicher Weise nach Neuilly eingeladen, wo damals die Gemahlin Murat's wohnte. Sie entsprach dieser Einladung bereitwillig, da unter den Schwestern Napoleon's Caroline ihr die angenehmste war. Caroline Murat, für den Augenblick kaiserliche Prinzessin, um später Königin von Neapel zu werden, zeigte sich an dem Tage, wo Madame Recamier sie besuchte, ganz besonders zärtlich gegen sie und ließ sich von ihr das Versprechen geben, übermorgen zum Frühstück wiederkommen zu wollen. Als Madame Recamier zur festgesetzten Zeit in Neuilly anlangte, so fand sie schon Fouché vor, was natürlich ihr Vergnügen wesentlich beeinträchtigte. Die Prinzessin Caroline selbst, wie gesagt, war ihr sehr angenehm; denn diese verstand bei scharfem Verstande sehr liebenswürdig zu sein, sobald sie es der Mühe für werth hielt. Und der Madame Recamier, gegenüber hielt sie es stets der Mühe für werth, sich liebenswürdig zu zeigen.
Nach dem Dejeuner machte die Prinzessin Caroline den Vorschlag, sich nach einer Insel rudern zu lassen; dort fänden sie köstliche Frische neben willkommener Einsamkeit. Madame Recamier ging gern auf diesen Vorschlag ein, hoffend, daß Fouché, dem sie durchaus keine idyllische Neigungen zutraute, nicht von der Partie sein werde. Doch wich und wankte der Polizeiminister nicht und handelte, ohne sie vielleicht zu kennen, nach den Schiller'schen Versen:
»Ich sei, gewährt mir die Bitte,
In eurem Bunde der Dritte.«
Kaum waren sie auf der Insel angelangt, so ging Fouché sogleich zu dem Gegenstande über, der ihn seit einiger Zeit so ganz beherrschte. Er machte der Prinzessin Caroline eilige Mittheilung von seinem wiederholten Andrängen, Madame Recamier zur Annahme eines Platzes am Hofe zu bestimmen. Bis jetzt seien alle seine Vorstellungen fruchtlos geblieben. Er hoffe nun von dem Zurathen der Prinzessin, deren Urtheil ja für Madame Recamier Gewicht habe, die Wendung zum Bessern. Bisher sei die schönste Frau von Paris auch leider die eigensinnigste gewesen. Die Prinzessin Caroline stimmte der Ansicht Fouché's durchaus bei, daß so viel Anmuth und Liebenswürdigkeit sich dem Schmucke des neuen Kaiserthums nicht entziehen dürfe. Doch da ihr Bruder ihr ebenfalls eine Hofhaltung bewilligt habe, so dürfe Madame Recamier nirgends anderswo mit ihrem lieblichen Glanze leuchten, als in ihrer Nähe. Sie müsse durchaus bei ihr Palastdame werden. Dann entwickelte sie mit der ihr eigenthümlichen Lebhaftigkeit, wie ihr Hofstaat mit dem kaiserlichen ganz auf denselben Fuß gestellt sei, wie mithin Madame Recamier bei ihr an Rang und Ansehn keine Einbuße erleide.
Nach diesen, mit innigem Tone und zärtlichster Miene gesprochenen Worten überflog ein Zug von Spott das Antlitz der Prinzessin Caroline. Dies war weiter nicht auffallend, da sie auf die Kaiserin Josephine zu sprechen kam, und Schwägerinnen meist so mit einander zu verkehren pflegen, daß, sind sie zusammen, sie sich gegenseitig Nadelstiche versetzen, während sie, sind sie getrennt, eine Jede an der Andern kein gutes Haar läßt. Die Prinzessin Caroline bemerkte, daß Madame Recamier in den Tuilerien über glühende Asche gegangen wäre; denn die Eifersucht der Kaiserin Josephine würde einer so glänzenden und schönen Palastdame viele heimliche Kränkungen bereitet haben. Madame Recamier nun, unerschütterlich in ihrem Entschlusse, keine Hofstellung anzunehmen, verpflichtete sich durch kein Wort, war aber der liebenswürdigen, warmblütigen Prinzessin gegenüber von weniger zurückhaltendem Wesen, als während ihrer, denselben Gegenstand betreffenden, Unterhaltungen mit Fouché. Da nun die Prinzessin Caroline sich nicht vollständig abgewiesen sah, so wollte sie die, wie es ihr schien, nur blos noch unschlüssige Madame Recamier mit echt weiblicher Schlauheit in ein Netz verstricken, aus dem sie nicht wieder heraus könne. Beim Abschiede sagte sie demnach, wie sie sich besinne, daß Madame Recamier eine große Bewunderung für Talma hege; aus diesem Grunde stelle sie ihre Loge im Théâtre-Français ganz zu ihrer Verfügung. Als Madame Recamier schwankte, ob sie annehmen solle, oder nicht – hatte sie doch selbst einen Platz im Theater – so fügte die Prinzessin dringend und verbindlich hinzu:
»Meine Loge liegt sehr günstig. Ihnen entgeht, da Sie die Schauspieler so nahe vor sich haben, nichts vom Mienenspiel, und dies ist ja gerade bei Talma meisterhaft.«
Am andern Tage setzte Herr von Longchamps die Verwaltung des Théâtre-Français auf Befehl Ihrer Kaiserlichen Hoheit der Prinzessin Caroline in Kenntniß, daß ihre Loge der Madame Recamier, sowie Denjenigen, die mit ihr erscheinen, oder auf sie Bezug nehmen würden, ein- für allemal geöffnet sein solle. Wie die Prinzessin Caroline hoffte, daß Madame Recamier sich durch die ihr übertragenen Rechte bewegen lassen werde, auch die damit verbundenen Pflichten zu übernehmen, geht aus dem Schlusse dieses, der Verwaltung des Théâtre-Français und ihr gleichzeitig übersandten, Circulars hervor. Es heißt dort nämlich:
» Ceux même de la maison des princesses, qui n'y seraient pas admis ou appelés par Madame Recamier, cessent de ce moment d'avoir le droit de s'y présenter.
Le secrétaire des commandements de la
princesse Caroline
Ch. De Longchamps.«
Madame Recamier hatte zu viel Takt, um nicht einzusehen, daß die schroffe Abweisung sehr großer Artigkeit an Grobheit grenze. Sie benutzte deshalb zweimal die ihr so huldvoll zur Verfügung gestellte Loge. Der Zufall wollte es, daß an den beiden Abenden, wo Madame Recamier in der Loge der Prinzessin Caroline erschien, auch der Kaiser zugegen war. Der Kaiser hatte stets sein Opernglas auf die schöne Frau gerichtet, die, da die Logen einander gegenüberlagen, sich seiner Betrachtung so günstig darbot. Die Umgebung des Hofes flüsterte sich zu, wie der Madame Recamier die höchsten Ehren bevorständen. Sie selbst litt unter dem unermüdlichen Blicke des kaiserlichen Auges.
Bald nach diesem Theaterabend erschien Fouché mit strahlenden Mienen in Clichy. Je vergnügter der Polizeiminister aussah, desto bänglicher ward immer der Madame Recamier zu Muthe. Bald wußte er es so einzurichten, daß die schöne Herrin des Hauses einen Augenblick in seiner Nähe weilte, während die übrigen Personen der Gesellschaft etwas entfernt standen. Schnell flüsterte er ihr mit siegesgewissem Tone die sie äußerst erschreckenden Worte zu:
»Jetzt werden Sie mir keinen Widerstand mehr entgegensetzen. Denn nicht ich bin es, der Ihnen einen Platz als Palastdame anträgt, sondern der Kaiser selber. Ich bin befehligt, Ihnen diese ehrenvolle Stellung in seinem Namen anzubieten.«
Hierauf mischte sich Fouché unter die übrigen Gäste, damit Madame Recamier Zeit habe, sich von diesem außerordentlichen Glücke zu erholen. Daß sein, im Namen des Kaisers gemachtes, Anerbieten abgewiesen werden könne, hielt er für rein unmöglich.
Madame Recamier, die bis dahin ihren Mann von den Vorschlägen Fouché's nicht in Kenntniß gesetzt hatte, um ihn nicht unnöthiger Weise zu beunruhigen – von dem Uebelwollen der kaiserlichen, sich rücksichtslos in alles einmischenden Regierung konnte einem großen Bankiergeschäfte vielfaches Ungemach erwachsen – Madame Recamier glaubte jetzt nicht länger schweigen zu dürfen, und erbat sich die Ansicht ihres Eheherrn. Nachdem, sie ihm den Fall kurz und klar auseinandergesetzt hatte, stellte Herr Recamier ihr frei, nach bestem Ermessen zu handeln.
Nach diesen beruhigenden Worten ihres Gatten, ging Madame Recamier der Unterredung mit Fouché etwas weniger zaghaft entgegen. So schonend, wie irgend möglich, theilte sie ihm mit, wie die zwingendsten Gründe sie abhielten, die Stelle einer Palastdame anzunehmen. Jetzt war es mit der Fassung Fouché's vorbei, und seine Tigernatur kam zum Vorschein. Da er an der vornehmen, fast verächtlichen Zurückhaltung Mathieu's von Montmorency längst gemerkt hatte, welch' eine verhaßte Erscheinung er diesem stolzen und würdigen Edelmanne sei, so schob er auf diesen besonders die Schuld, daß Madame Recamier sich zu der Ablehnung einer so großen, ihr zugedachten, Ehre erkühnt habe. Mit zornsprühenden Augen und bebender Lippe versicherte er, daß Alle, die an der Beleidigung des Kaisers Theil genommen hätten, es schwer büßen sollten. Darauf stieß er noch einige wüthende Aeußerungen über die Adelskaste, für welche der Kaiser eine verhängnißvolle Nachsicht habe, zornbebend hervor, und verließ dann Clichy, um dort nie wieder zu erscheinen.
Der schönen Julie war während dieser Unterredung zu Muthe gewesen, als ob sie sich allein mit einem Panther befinde, der sie jeden Augenblick zerfleischen könne.
Nun, Fouché und Napoleon fanden nur zu bald Gelegenheit, Madame Recamier ihre stolze Abweisung büßen zu lassen.