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Der Tod der Frau von Staël-Holstein.

Seitdem Madame Recamier und Frau von Staël! sich im Juni 1814 nach langer und schmerzlicher Trennung in Paris wieder begrüßt hatten, waren sie in stetem lebhaften Verkehr gewesen, da die zwischen Frauen nicht häufige Freundschaft hier eine ihrer seltenen und zugleich schönsten Blüthen trieb. Wir besinnen uns nicht, in der deutschen Frauenwelt, als Töchter, Gattinnen und Mütter hinter dem weiblichen Elemente keines Volkes zurückstehend, ja, den meisten Nationen voranleuchtend, wir besinnen uns nicht, einer ähnlichen Freundschaft zwischen zwei berühmten Frauen Deutschlands begegnet zu sein, wie sie uns hier Frankreich darbietet, dem man sonst wahre Innerlichkeit abzusprechen geneigt ist.

Madame Recamier hatte beiden ersten Zusammenkünften mit der geliebten Freundin sich über deren Gesundheit zu täuschen vermocht, da das flammende Auge und die sprühende Unterhaltung der Frau von Staël an ein inneres Feuer glauben ließ, das noch für viele Jahre dem Körper Lebenswärme zu spenden vermöge. Doch das Feuer wohnte bei Frau von Staël nur noch im Geiste; die Lebensflamme ihres Körpers erlosch mehr und mehr, und sie sollte noch vor ihrem großen Feinde, dem auf Sanct Helena horstenden Adler, sich aufschwingen zum heitern Olympus.

Frau von Staël, die bei ihrem leidenschaftlichen Naturell und ihrer verzehrenden Thätigkeit einen Körper von Eisen hätte haben müssen, um es bis zu einem hohen Alter zu bringen, war überdies in dem letzten Jahrzehnte ihres Lebens vielfacher Seelenqual ausgesetzt gewesen. Die Verbannung von Paris hatte sie namenlos unglücklich gemacht; denn wie in der schmetternden Freudigkeit der Lerche es zu uns tönt: »Ich muß nun einmal singen!« – so konnte Frau von Staël, die den reichen Strom ihrer Gedanken nicht einzudämmen vermochte, sondern denselben dahinwallen lassen mußte zur Befruchtung für alle empfänglichen Geister, so konnte Frau von Staël von sich sagen: »Ich muß nun einmal sprechen.« Fortwährendes Sprechen nun verträgt einzig der Franzose, der eigentlich nie alt wird und ein wunderbares Organ für die Conversation, sowol um sie zu führen, wie sie anzuhören, vor der übrigen Menschheit voraushat. Die Deutschen und Engländer, bei denen Frau von Staël ihre oratorischen Meisterstücke zum Besten gab, bewunderten sie zuerst aufrichtig, aber wurden dann zuletzt abgespannt und sehnten sich nach Ruhe. Es fehlte demnach auf die Länge für Frau von Staël in der Fremde an einem Publikum, das an diesem nimmer rastenden Springquell und diesen stets leuchtenden Feuergarben Freude gehabt hätte. Für die Deutschen und Engländer wäre es ausreichend gewesen, wenn Frau von Staël sich ihnen einmal in der Woche gezeigt hätte. Dies hätte sie erfrischt, belebt und für die übrigen sechs Tage in Athem erhalten. Aber an jedem Abende einer außerordentlichen Vorstellung beizuwohnen, wo sie doch auch mitspielen mußten, wenngleich Frau von Staël für sich stets die Hauptrolle behielt, das war für deutsche Gemüthlichkeit und englisches Phlegma des Guten zu viel; selbst Goethe hielt es zuletzt nicht aus. Einzig Lord Byron, von ebenso vulcanischer Anlage, wie Frau von Staël, wäre diesem, alle Lebenskraft aufsaugenden, Treiben gewachsen gewesen, freilich aber auch nur für einen beschränkten Zeitraum. Also nur die Pariser, auf die weit mehr, wie auf die Berliner, das Sprüchwort paßt, daß, wenn man sie morde, man ihre Zunge besonders todtschlagen müsse, nur die Pariser standen mit Frau von Staël auf gleicher Höhe der Sprechfertigkeit. Deshalb drängte sie unaufhörlich zur Rückkehr dorthin; aber unerbittlich verschloß ihr Napoleon die Thore seiner Hauptstadt. Wenn er Denen, die sich für die berühmte Schriftstellerin bei ihm verwandten, lächelnd antwortete: »Ich überlasse der Frau von Staël den Erdkreis und bitte sie, mir nur Paris zu gönnen«, so war dies grausamer Hohn. Frau von Staël, fern von Paris, glich dem Fische im Wüstensande. Zehrte es demnach an ihrem Leben, daß sie sich Jahre hindurch nicht in ihrem Elemente bewegen konnte, so kamen noch andere Qualen hinzu. Sie hatte zum zweiten Male geheirathet, und zwar einen Gatten von dem bedenklichsten Gesundheitszustände. Da er bedeutend jünger war, als Frau von Staël, so hatte sie anfänglich mit gutem Grunde seinen Anträgen widerstanden. Freilich besaß er vieles, was eine poetische Frau mächtig anziehen mußte. Er war von auffallender Schönheit, von edlem Charakter und sehr sympathischem Wesen. Als nun Frau von Staël ihm auseinandersetzte, weshalb sie es für ein Gebot der Weisheit halte, auf seinen Antrag nicht einzugehen, möge er ihr immerhin nicht gleichgültig sein, da richtete er sein schwärmerisches Auge, das, wie bei allen Schwindsüchtigen, einen wunderbaren Glanz ausstrahlte, auf die ihm nur noch schwach Widerstrebende, und sprach mit sanfter, melodischer Stimme: »Madame, ich werde Sie bis zu dem Grade lieben, daß für Sie keine Möglichkeit bleibt, als mich wieder zu lieben.« Und der schöne, schwärmerische Herr von Rocca siegte zuletzt. Frau von Staël erklärte sich zu einer Ehe bereit, aber zu einer geheimen. Sie wollte den berühmten Namen, den sie sich erworben hatte, nicht gegen einen andern vertauschen. Die Verheirathung fand im Jahre 1811 Statt, und seitdem folgte Herr von Rocca dem ruhelosen Treiben seiner berühmten Gemahlin. Für einen Schwindsüchtigen hätte nichts erdacht werden können, was ihn schneller zur Grube führen mußte, als das Zusammenleben mit Frau von Staël. Wer sein Dasein mit dem ihrigen vereint hatte, mußte eine fortwährende Menschenanhäufung von früh bis spät um sich dulden. Bekanntlich athmet man nun nirgends ungesundere Luft, als wo viele Personen in einem abgeschlossenen Raume vereinigt sind. So ward die Lunge des Herrn von Rocca immer kränker und kränker. Dabei hatte unglücklicher Weise die sonst sehr liebenswürdige Tochter der Frau von Staël, Albertine, das Unstäte der Mutter geerbt, so daß Herr von Rocca, dem Ruhe vor allem Noth that, von zwei Frauenzimmern umgeben war, die in ihrer Person das schwierige Problem des Perpetuum mobile glücklich gelöst hatten. In den Gesellschaften zu Stockholm sah man mit lebhaftem Bedauern, wie dem Fräulein Albertine von Staël alle Augenblicke der leichte Florshawl, der ihre Schultern einhüllte, bei ihren hastigen Bewegungen zur Erde glitt, auf dem glatten Fußboden, gleich einer Schlange, dahinschlüpfte, und wie der arme, brustkranke Herr von Rocca sich unablässig bückte, um ihn mit einer unermüdlichen Geduld wieder aufzuheben. Auch in Paris fehlte es für Herrn von Rocca nicht an Qual. Abends mußte er stets in den Salon, und Morgens rollte Frau von Staël ruhelos mit ihm von einem großen Hause zum andern, da sie unzählige Besuche zu machen und zu erwidern hatte. Er ward von den Bedienten fast stets die Treppen hinaufgetragen, da er sie selbst nicht mehr zu steigen vermochte. Frau von Staël, andre Menschen nach sich beurtheilend, meinte, daß lebhafte Unterhaltung mit geistvollen Persönlichkeiten ihm am besten über sein Körperleiden hinweghelfen würde. So war es kein Wunder, daß Herr von Rocca endlich zusammenbrach und trotz heldenmüthigster Anstrengungen Frau von Staël nicht mehr auf ihren ruhelosen Wanderungen begleiten konnte. Nunmehr sah sie ihren Irrthum ein und klagte sich in ihrer leidenschaftlichen Weise an, für den bedenklichen Zustand ihres Gatten wie blind gewesen zu sein. Jetzt kam ihre edelmüthige Natur zum vollsten. Durchbruch, und sie schwankte keinen Augenblick, das ihr fast unentbehrliche Paris zu verlassen und für ihren brustkranken Gatten die mildere Luft Italiens aufzusuchen. Hier hatte sie die letzte große Freude ihres Lebens. In Pisa nämlich trat ihre Tochter Albertine an den Altar, und zwar mit einem der edelsten Franzosen, dem Herzoge von Broglie. Sie schrieb über dies, für ihren Mutterstolz so erfreuliche, Ereigniß, als nur noch kurze Zeit an seiner Erfüllung fehlte, an Madame Recamier, mit der sie einen ununterbrochenen Briefwechsel unterhielt, folgende Zeilen:

»Wie sehr, meine Theure und Schöne, hat mich der Brief erfreut, den mir mein Sohn von Ihnen mitbrachte, noch mehr aber derjenige, den ich heute Morgen empfing! Was es unmöglich macht, Sie nicht zu lieben, das ist dieser Quell der Freundschaft, der gerade in der Wüste sein köstliches Wasser versendet, das heißt, wenn Ihre Freunde Ihrer noch mehr bedürfen, als es sonst schon der Fall ist. Mein Sohn und Herr von Broglie sind angelangt und nächsten Dienstag wird die zwiefache katholische und protestantische Ceremonie auf italienisch und englisch vor sich gehen.

Mein Herz klopft diesem feierlichen Acte entgegen; Albertine ist durchaus glücklich, und er scheint sie jeden Tag lieber zu gewinnen; meine Achtung vor seinem Charakter ist in steter Steigerung begriffen.

Am Dienstag, wenn die Ceremonie beendet ist, werde ich Ihnen sofort schreiben. Kann wol irgend ein mächtiges Gefühl mich beherrschen, ohne daß Sie dabei gegenwärtig wären?«

Getreu ihrem Versprechen, schrieb Frau von Staël an dem Tage, wo ihre Tochter Albertine Herzogin von Broglie geworden, an Madame Recamier einen längern Brief, aus dem wir folgende Stellen mittheilen:

»Die Hochzeit ist aufs Glücklichste vor sich gegangen, theure Julie. Keine Aufregung im Leben läßt sich mit dieser vergleichen, zumal bei der erhebenden englischen Liturgie.

Aber, was noch mehr gilt, als diese Eindrücke, ist, daß kein Augenblick vergeht, wo ich mich nicht mehr zu Herrn von Broglie hingezogen fühle. Sein ganzes Benehmen ist von der ausgesuchtesten Zartheit, und dabei voll echter Empfindung. Sein Charakter ist tugendhaft, und ich danke inbrünstig Gott und meinem Vater, der von dem gütigen Schöpfer für meine Tochter einen Freund erflehte, der ihre Achtung und Zuneigung so durchaus verdient.«

Nach den glücklichen Briefen, die Frau von Staël aus Italien geschrieben hatte, war Madame Recamier durchaus nicht darauf vorbereitet, sie körperlich so sehr verändert zu finden. Die sonst in steter Bewegung begriffene Frau schleppte sich nämlich nur mühsam dahin und erschien ebenso leidend, wie Herr von Rocca. Der Schlaf floh sie fast ganz, und zur Betäubung ihrer Schmerzen mußte Opium in immer sich steigernder Menge verwandt werden.

Madame Recamier empfand ein tiefes Wehe, als sie die theure Freundin körperlich so gebrochen sah, wenngleich in ihrem schönen Auge noch die Gluth ihres edlen Herzens flammte. Zu gleicher Zeit hatte Madame Recamier für ihre Base, die Baronin von Dalmassy, zu zittern, die ebenfalls bedenklich erkrankt war, und deren Pflege sie übernommen hatte. Ihre Verwandte sollte nun durchaus Landluft genießen, während Frau von Staël, von den berühmtesten Pariser Aerzten behandelt, sich nicht aus der Hauptstadt entfernen durfte. In dieser verzweiflungsvollen Lage, wo Madame Recamier die gegen ihre Base übernommenen Pflichten gewissenhaft durchführen und doch ihre theure Freundin nicht verlassen wollte, mußte sie nach irgend einem Ausweg suchen. Sie miethete deshalb den zu Montrouge gelegenen Pavillon von La Balliere. Dort konnte ihre Base die Landluft genießen, und sie ward nicht verhindert, Frau von Staël täglich zu besuchen.

Am vierzehnten Juli Mittags kamen der Herzog von Laval und die Herzogin von Luynes mit sehr bleichem Antlitze und zu ungewöhnlicher Zeit nach dem Pavillon von La Ballière. Madame Recamier blickte sie in schmerzlicher Bangigkeit an, wagte aber nicht zu fragen; denn es war klar, daß sie traurige Botschaft zu bestellen hatten. Da das verhängnißvolle Wort nicht über die Lippen wollte, so händigte der Herzog von Laval der Madame Recamier ein Billet ein, das ihm sein Vetter, Mathieu von Montmorency, übersandt hatte, und das folgende Zeilen enthielt:

»Mein Herr, ich bin beauftragt, Ihnen eine tiefschmerzliche Mittheilung zu machen. Ihre berühmte und unsterbliche Freundin entschlummerte heute Morgen gegen fünf Uhr. Wenn Sie zu uns kommen, finden Sie ein Haus voller Trauer und Trostlosigkeit.

Schlegel.«

Der edle Mathieu hatte sogleich an den Schmerz gedacht, den Madame Recamier bei der erschütternden Nachricht von dem Tode ihrer gemeinsamen Freundin empfinden werde. Deshalb sagt er in dem Billet, mit dem er die ihm von Friedrich Wilhelm Schlegel zugegangenen und an seinen Vetter Adrien weiter beförderten Zeilen begleitet:

»Ich bin wie vernichtet! Ich bedarf der unbedingtesten Ruhe; ich will nur Dich sehen und mit Dir von Madame Recamier sprechen.«

Mathieu kannte das gefühlvolle Herz seiner Freundin zu gut, um nicht ihren Schmerz in seinem vollsten Umfange zu begreifen. Deshalb begab er sich, nachdem er durch Gebet und Sammlung den eignen heftigen Schmerz zur milden Wehmuth verklärt hatte, zu der so schwergetroffenen Freundin, die noch nicht, gleich ihm, unter der vollsten Wirkung der Gnade stand. Aber bei ihrer echten Religiosität lauschte sie gern den zum Himmel weisenden Tröstungen des edlen Mathieu.

Auch Ballanche war für Madame Recamier von großem Tröste. Wir haben bereits erzählt, daß die gütige Vorsehung, als sie der Madame Recamier den Verlust ihrer besten Freundin nicht ersparen konnte, schon ein Heilmittel für die zu schlagende Wunde bereit hielt, indem sie ihrem zweiten wahrhaften Freunde es ermöglichte, seinen Wohnsitz für immer in Paris zu nehmen.

So breitete der Tod der Frau von Staël über das Leben der Madame Recamier für längere Zeit einen Trauerschleier, hatte aber doch auch die segensreiche Wirkung, daß der Sinn der Letztern sich mehr und mehr dorthin wandte, wo allein wahres Glück wohnt, und wohin alle edleren Naturen mit jedem verrinnenden Jahre fester den Blick richten.


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