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Noch umtönt von den wunderlieblichen Melodien, mit denen »Figaro's Hochzeit« am 1. Januar 1879 im Hamburger Stadttheater mein Ohr bezauberte, setze ich mich gegen Mitternacht zum Schreibtische, um einige Worte als Vorrede zur zweiten Auflage einer Biographie zu schreiben, deren Heldin ebenfalls harmonisch und bezaubernd wirkte, so daß man von dem Umgange mit dieser auf den reinsten Ton gestimmten Frau ein ebensolches Entzücken mitfortnahm, wie von der Oper des unsterblichen Mozart. Ich meine Julie Recamier, die schon deshalb den Deutschen nicht ganz fremd sein sollte, weil ein tapferer preußischer Prinz sie als seine Gemahlin zu einer Adoptivtochter Deutschlands zu machen gedachte. Als das Leben der Julie Recamier im Jahre 1875 zum ersten Male in ausführlicher Schilderung durch mich den Deutschen dargeboten ward – in der Skizze war die schöne und geistig wie körperlich so anmuthige Frau wiederholt schon bei uns dargestellt worden – als ich einem durch die gereizte Stimmung Frankreichs ebenfalls gereizt werdenden Deutschland eine Französin in mancher Beziehung zur Nachahmung hinzustellen wagte, da lag die Gefahr nahe, daß die Erbitterung, die wegen der steten Provocationen von jenseits der Vogesen sich eines großen Theils unsrer Nation bemächtigt hatte, auf die Vergangenheit zurückwirken möge, und daß die schöne, kluge und gute Französin, die seit fast einem Menschenalter ihre wunderbaren Augen geschlossen hatte, unter der Mißgunst der Gegenwart, die alles Gallische traf, mitzuleiden haben werde. Zu meiner angenehmen Ueberraschung war Deutschland und die deutsche Kritik sehr galant gegen Julie Recamier. Man ließ die edle Französin nicht den Haß und die Verleumdungen entgelten, mit denen ihre Landsleute damals über alles Deutsche herzufallen gewohnt waren. Die Gunst, die sich die liebenswürdige und schöne Französin erwarb, kam auch etwas Demjenigen zu Gute, der sie den Deutschen in ausführlicher Schilderung dargeboten hatte. Uebrigens hätten mich über die Aufnahme meiner Heldin von Seiten des deutschen Volkes vielleicht zwei Umstände im Voraus zu beruhigen vermocht. Für eine so gute, kluge und schöne Frau gilt vor allem eine Behauptung, die von der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung, als sie meine »mecklenburgische Fürstentochter« sehr wohlwollend besprach, geäußert worden. In der Nummer 38, 1872 sagt ein Kritiker der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung Folgendes:
»Es kann wohl kaum eine dankbarere Aufgabe für einen Biographen geben, als das Leben von Fürstinnen, welche wie diese durch ihren edlen Charakter ebenso wie durch ihre wechselnden Schicksale so hervorragen, daß sie, um mit Götz von Berlichingen zu reden, noch ›in dem gesudeltsten Konterfey‹ die Verehrung der Menschen in Anspruch nehmen würden.«
Nun, auch Julie Recamier wüßte sich selbst in einem »gesudelten Konterfey« Zuneigung und Verehrung zu erwerben.
Ein zweiter Umstand, der mich über die Aufnahme der edlen Französin von Seiten des deutschen Volkes beruhigen durfte, war das Urtheil meines Verlegers, des geist- und gemüthvollen Gustav Heckenast. Er schrieb mir, daß er mein Manuscript von Anfang bis zu Ende mit gleichem Interesse gelesen und daß er für die ausgezeichnete Frau, die ich geschildert, die wärmste Theilnahme gefaßt habe. Zugleich äußerte er den Wunsch, daß ich dem Titel meines Werkes »Ein edles Frauenbild« hinzufügen möge. Ich erhob keinen Widerspruch gegen den Vorschlag eines Mannes, den ich wegen seines Geistes und Herzens liebte und verehrte und mit dem mich ein engeres Freundschaftsbündniß verknüpft haben würde, wenn ich seiner Einladung hätte Folge leisten und auf seinem ungarischen Gütchen Maroth, wo er dem von ihm entdeckten Rosegger und andern Celebritäten die zarteste Gastlichkeit erwies, einige Wochen hätte verleben können. Es wird mir ewig schmerzlich bleiben, daß ein ungünstiges Geschick es nicht gestattete, den mir so wohlwollenden Gustav Heckenast in der weiten Ebene Ungarns und die mir so innig zugethane Caroline Bauer am Zürcher See zu besuchen. Von beiden hervorragenden Persönlichkeiten wäre ich geistig bereichert und gemüthlich erhoben heimgekehrt.
Also die deutsche Presse hat meine Biographie »Julie Recamier« sehr wohlwollend aufgenommen. Ich brauche auf übelwollende Urtheile kaum zu entgegnen. Wenn eine östreichische Zeitung – ich glaube es war die Linzer – von dem frommen katholischen Hauche sprach, der meine ganze Darstellung durchwehe, und wenn eine norddeutsche Zeitung hierauf erwiedern zu müssen glaubte und hervorhob, daß ich ein guter Protestant sei, so möchte ich auf diese gegentheiligen Behauptungen mit dem Schiller'schen Satze antworten, daß ich mich zu keiner bestimmten Religion bekenne – aus Religion. Nicht dies oder jenes Dogma hat Werth für mich, sondern ich bemühe mich, soweit es meine schwache irdische Natur gestattet, die himmlischen Vorschriften der Bergpredigt im Leben zu verwirklichen.
Die Gazette de Lorraine, der ich übrigens zu danken habe für ihre eingehende und gütige Besprechung, sagt am Schlusse ihrer Kritik Folgendes:
» Son vrai rôle littéraire date de la Restauration, du moment où elle se retira à l'Abbaye-au-Bois. Son salon fut dès lors un centre littéraire. Bien des réputations viennent de là. Nous reprocherons à M. Brunier de n'en avoir pas parlé avec plus de détails. Il pouvait se servir ici de ce que Châteaubriand en a dit dans ses Mémoires d'outretombe, et Bondelet dans son Eloge de Madame Récamier.«
Ich würde diesen Tadel als einen durchaus berechtigten mit Demuth hinnehmen, wenn ich nicht dem Leben der Madame Recamier in der Abbaye-au-Bois, das wegen seines geistigen Reichthums und seiner religiösen Verklärung mich mehr fesselte, als der glänzende Abschnitt ihres weltlichen Daseins, bereits nahe getreten wäre und viele höchst anziehende Momente aus demselben bereits niedergeschrieben hätte. Doch zögerte ich stets, die letzte vollendende Hand an das bereits Entworfene zu legen, da ich eben nicht sicher war, ob das deutsche Volk der geistvollen Französin in ihrer stillen Wirksamkeit dasselbe Interesse werde zu schenken geneigt sein, wie es das Volk gethan hatte, dem sie angehörte. In Frankreich ist das Leben der Madame Recamier in vielen Tausenden von Exemplaren verbreitet. Es hieße die deutschen Verhältnisse verkennen, bei uns auch nur etwas Annäherndes vorauszusetzen. Sollte das Interesse für Julie Recamier auch in Deutschland sich so steigern, daß die Schilderung ihres Lebensabschnittes, der von der Abbaye-au-Bois umschrieben wird, Vielen willkommen wäre, so würde ich beglückt sein, das von mir mit Liebe und Sorgfalt Aufgezeichnete meinen Volksgenossen darbieten zu können.
Ich habe mit Absicht oben Julie Recamier eine »geistvolle Französin« genannt, weil ein geistvoller Berliner Kritiker ihr nicht das gleiche Prädicat gestatten wollte, das ihr und ihm unbedingt gebührt. Er hatte nämlich für die Westermann'schen Monatshefte mit Zugrundelegung meiner Biographie eine sehr gelungene Skizze der Julie Recamier entworfen und dabei die Bemerkung gemacht, daß es einen eigenthümlichen Eindruck hervorbringe, wie ich mir die äußerste Mühe gebe, meine Heldin auch in Bezug auf ihren Geist als hervorragend hinzustellen, wie mir dies aber nicht habe gelingen können, weil die Aufgabe menschliche Kraft übersteige. Von den vielen berühmten Personen, die über Julie Recamier berichtet hätten, sei auch kein einziges geistreiches Wort der von ihnen so geliebten und geschätzten Frau angeführt worden, weil eben nichts anzuführen gewesen sei. Hierauf möchte ich mir die Gegenbemerkung gestatten, daß für Julie Recamier vor allem das französische Sprüchwort streitet: Dis-moi qui tu hantes, et je te dirai qui tu es.« Wer durch seinen Umgang den geistvollsten Personen ein Labsal war, konnte nicht geistlos sein. Auch haben wir für den geistigen Werth der Madame Recamier das Urtheil des kindlich-reinen Ballanche, der keiner Unwahrheit, keiner Schmeichelei fähig war. Er nun vindicirt der Madame Recamier sogar vielen Geist.
Um endlich noch eines Tadels zu gedenken, den die »Neue Freie Presse« in der Nummer 3876 (11. Juni 1875) erhob, so möchte ich hiergegen einwenden, daß jener Bemängelung bereits in dem Wochenblatte »Ueber Land und Meer« indirect eine Widerlegung zu Theil ward. Die Neue Freie Presse sagt nun Folgendes:
»Julie Recamier war unzweifelhaft eine bedeutende Frau, nicht allein um ihrer unvergleichlichen Schönheit und ihres Verstandes, sondern mehr noch um der Zeit und der Verhältnisse willen, unter deren Einfluß sich ihr Leben gestaltete. Indessen gibt es eben in dieser Entwicklung Momente, über die der vorsichtige Biograph besser mit einer knappen thatsächlichen Mittheilung hinwegginge. Brunier nimmt aber auch hier in einer Weise Partei für seine Heldin, welche die Wirkung dieser Biographie benachtheiligt, insoweit dabei die persönlichen Eigenschaften der berühmten Frau in Betracht kommen. Um so interessanter und fesselnder wird indessen der Verfasser in seinen Schilderungen allemal dort, wo Julie Recamier's geschichtliche Bedeutung, die innige Complication mit ihren großen Zeitgenossen Gegenstand der Erörterung ist. Da gibt es nicht leicht eine hervorragende Persönlichkeit, welche die Schönheit und Liebenswürdigkeit der seltenen Frau nicht in ihren Bannkreis gezogen hätte. Die Staël, Talleyrand, Fouché, Bernadotte, Moreau, die Brüder Montmorency, Benjamin Constant, Chateaubriand, Balanche, Junot, Nesselrode, Murat, Talma, Canova, die Krüdener, Wellington, Königin Hortense – mit ihnen Allen ist Julie Recamier in mehr oder minder lebhafte Berührung gekommen. In ihren Salons wurde Weltgeschichte gemacht; alle Welt lag zu ihren Füßen – es muß wahrlich eine bedeutende Frau gewesen sein, die ein Napoleon gefürchtet und verbannt hat. Das vorliegende Werk reicht bis ins Jahr 1819, wo Julie Recamier sich in die Abbaye-au-Bois zurückzieht, um hier einer weniger geräuschvollen, aber darum nicht weniger einflußreichen Wirksamkeit zu leben.«
Was ich als Episode berichtete, nämlich daß Madame Recamier während ihres Aufenthaltes in Coppet den Prinzen August von Preußen kennen lernte, und daß ihr Herz, das ihrem so viel ältern Gatten stets nur eine töchterliche Zuneigung geweiht hatte, für den schönen und ritterlichen Mann in Liebe erglühte, ist von Adolf Brennecke in dem so weit verbreiteten Wochenblatte »Ueber Land und Meer« zum Gegenstande einer besonderen geschichtlichen Erzählung gemacht und von der deutschen Lesewelt mit großer Theilnahme und ohne sittliches Bedenken aufgenommen, worden. Es scheint demnach daß meine discretere Behandlung kaum einem Puritaner Anstoß geben dürfte.
Sonst wüßte ich nichts, was ich auf Auslassungen der deutschen Kritik noch zu antworten hätte. Es bleibt mir nur noch übrig, den deutschen Rittern vom Geiste zu danken, daß sie einer so schönen, klugen und edlen französischen Dame, die nahe daran war eine Deutsche zu werden, bereitwillig ihre Huldigungen darbrachten.
Möchte, wie ich in meiner Vorrede vom Jahre 1874 es aussprach, die edle und anmuthige Französin dazu beitragen, daß den mannigfachen Vorzügen gallischer Eigenart von den Deutschen eine immer bereitwilligere Anerkennung zu Theil werde! Die Gerechtigkeit gegen fremde Nationen war eine Forderung, die unsre classischen Dichter als ein absolutes Gebot hinstellten. Ein Kosmopolitismus, insofern er sich äußert in neidloser Anerkennung des Fernen und Fremden, ist der Vorzug jener höhern Bildung, die nationaler Beschränkung sich glücklich zu entziehen wußte. Möge sich Deutschland diesen Vorzug immerdar erhalten!
Hamburg, den 1. Januar 1879.
Ludwig Brunier.