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Wenn Madame Recamier in ihrem Hotel die höchste Pracht durch den feinsten Kunstgeschmack zu adeln wußte, und wenn die vornehmsten Personen aus aller Herren Ländern sich eingestanden, daß in den Schlössern und Palästen der meisten europäischen Herrscher sich wenige Räumlichkeiten finden dürften, die es mit der glänzenden und zugleich anheimelnden Zimmerreihe aufzunehmen vermöchten, die ihnen so gastlich von der schönsten Dame der französischen Hauptstadt geöffnet ward; wenn demnach bei dieser wunderbaren Frau Alles in Einklang war – ein leuchtendes Bild in goldenem Rahmen – so begreift es sich, daß jeden in Paris anlangenden Fremden, den Bildung und mitgebrachte Empfehlungen der höhern Gesellschaft zuwiesen, darnach verlangte, die Göttin der Anmuth in dem von ihr geschaffenen Tempel zu bewundern. Um nun der großen Beeiferung so viel wie möglich zu genügen, hatte Madame Recamier ihre bestimmten Empfangsabende, sah überdies fast jeden Mittag einen größern Kreis von Gästen um sich und gab endlich während der Winterzeit alle vierzehn Tage einen glänzenden Ball, wo man leider nie viel tanzen konnte, weil die immerhin beträchtlichen Räumlichkeiten für den übermäßigen Andrang nicht ausreichten.
Der Kapellmeister Reichardt, der während seines Pariser Aufenthaltes in den Jahren 1802 und 1803 wegen seiner sehr verbreiteten Compositionen eine äußerst schmeichelhafte Aufnahme fand – wie denn die Franzosen bis zum Kriege von 1870 den Deutschen die liebenswürdigste Gastfreundschaft bewiesen – der Kapellmeister Reichardt war auch zu einem Balle bei Madame Recamier geladen und verfehlte begreiflicher Weise nicht, sich rechtzeitig einzufinden. Als er in der Rue de la Chaussée-d'Antin anlangte, strahlte ihm der tiefe Vorhof des von ihm zu besuchenden Hauses – das Recamier'sche Hotel lag entre cour et jardin – von vielen Lampen erleuchtet, taghell entgegen. Auf dem Flur, den Treppen und in den Vorzimmern ward das Auge durch das Grün zahlreicher Orangenbäume erfreut, während der Duft von Rosen, Myrthen, Oleandern und sonstigen wohlriechenden Blumen, die in Töpfen umherstanden, dem Geruchssinn wohlthat. Als der Kapellmeister Reichardt die innern Zimmer betrat, so fand er in den strahlenden Räumen sich schon hin- und herbewegende Gruppen, unter denen ihm viele schöne Frauen und vor allem die kostbarsten und theilweise sehr geschmackvolle Anzüge auffielen. Die Schönste unter den Schönen, die Geschmackvollste unter den Geschmackvollen war aber Madame Recamier. Und dabei entfaltete sie die nie ruhende Aufmerksamkeit einer liebenswürdigen Wirthin. Für jeden ihrer Gäste, sobald dieser in ihre Nähe zu gelangen vermochte, hatte sie ein holdseliges Lächeln und meist ein verbindliches Wort. Als der Strom der sich immer erneuernden Herren zu ihren Füßen seine Huldigungen ergossen hatte, und sie sich ein wenig freier bewegen konnte, faßte sie eine Dame unter den Arm und fragte: » Voulez-vous voir ma chambre à coucher?« Aber es lohnte sich auch, dies Schlafzimmer genauer zu betrachten. Es hatte Ansprüche darauf, die Göttin der Schönheit in ihrem vollen Reize zu empfangen. Vor allem zeigte es einen hohen, weiten Raum, in dem man von irdischem Drucke nichts spürte. Die Wände des Zimmers wurden von hohen und breiten Spiegeln gebildet, sämmtlich aus einem Stück, so daß man gleich bemerkte, hier herrsche nicht Prunk, sondern gediegene Pracht. Die Thüren waren von vielfarbigem Holze und sehr kunstvoll gearbeitet. Das Bettgestell von edler, antiker Form stand auf einer Erhöhung und war mit den allerfeinsten indischen Zeugen bekleidet, so daß es in seiner schneeigen Pracht wol würdig war, die schönste Frau in seinem Schooße aufzunehmen. Ueber dem Bettgestell wölbte sich eine Krone, die an der Decke des Zimmers befestigt war. Von der Krone fielen zu beiden Seiten köstliche, weiße, indische Vorhänge hernieder. Der Hintergrund dieses Götterbetts ward durch einen violetten, in reichen Falten von der Zimmerdecke herabfallenden Damastvorhang geschlossen. Dieser violette Damastvorhang hatte eine zwei Ellen breite Einfassung von goldfarbigem Atlas. Rings um das Bettgestell standen schöngeformte, antike Gefäße, so daß man mehr an einen Tempel, als an ein Zimmer erinnert ward. Im Hintergründe des Bettgestells brannten große, silberne Armleuchter, deren Wachskerzen in den Spiegelwänden magischen Widerschein hervorriefen.
Das Schlafzimmer der Madame Recamier trug an einer Wand, die nicht ganz von Spiegelglas gebildet ward, schöne Gemälde; ferner bemerkte man einen prachtvollen Marmorkamin, und sämmtliches im Zimmer aufgestellte Geräth zeigte die geschmackvollsten Formen.
Bei der Beschreibung der Pracht und des Kunstgeschmacks, die in dem Hause der Madame Recamier herrschten, hat man sich zu vergegenwärtigen, wie Frankreich ein sehr reiches Land ist, und wie der Sinn für schöne Formen seit Jahrhunderten dort gepflegt ward. Noch jetzt haben die Häuser der reichen und zugleich gebildeten Franzosen in Bezug auf den Gesammteindruck Vorzüge vor den prächtigsten Wohnungen in andern Ländern. Die um Paris herumliegenden Villen, die ja den deutschen Siegern vom Herbst des Jahres 1870 bis zum Frühling des Jahres 1871 offenstanden, erfüllten selbst die Söhne der reichsten und angesehensten Familien mit Staunen, und sie verhehlten sich nicht, die Häuser ihrer Eltern könnten mit diesen ebenso prächtigen, als geschmackvollen Landhäusern gar keinen Vergleich aushalten.
Wir mußten diese Bemerkung hier einschieben, um dem Verdachte zu begegnen, als ob wir uns bei der Schilderung des Hotels der Madame Recamier zu Märchen aus Tausend und Einer Nacht verirrten. Weit entfernt, uns einer Ausschmückung schuldig zu machen, gaben wir einfach eine Nachzeichnung der damaligen Wirklichkeit.
Aus dem Schlafzimmer der Madame Recamier gelangte man in ihr Badezimmer. Auch hier herrschte märchenhafter Glanz und feinster Geschmack.
Im Salon begegnete der Kapellmeister Reichardt dem vollzählig erschienenen diplomatischen Corps und einer großen Menge von Fremden, unter denen sich viele Berühmtheiten befanden. In einer Française, die getanzt wurde, bemerkte Reichardt den alten Herrn Vestris, den berühmten Ahnherrn einer berühmten Tänzer-Familie. Auch Madame Recamier und die schöne Madame Regnault de St. Jean-d'Angely nahmen Theil am Tanze. Madame Recamier, eine sehr anmuthige Tänzerin, war am heutigen Abende von geringerer Wirkung, da sie sich in ihrem Kleide mit langer Schleppe nicht frei bewegen konnte. Sie erklärte wiederholt, daß sie durchaus nicht tanzen gewollt und nur dem wiederholten Andrängen nachgegeben habe. Reichardt, der sich auf einen Stuhl niedergelassen hatte, um den Anblick der schönen Tänzerin recht in Ruhe genießen zu können, bemerkte gegen eine neben ihm sitzende Dame, wie bedauerlich es sei, daß ihre reizende Wirthin durch die lange Schleppe so sehr in ihren Bewegungen gehindert werde. Die Dame, an die der Kapellmeister Reichardt sich mit dieser Bemerkung wandte, hatte seit der so vieles Neue bringenden Revolution offenbar dem alten Grundsatze den Laufpaß ertheilt, daß man den Gastgeber und die Gastgeberin während voller acht Tage mit böser Nachrede verschonen müsse. Dieser, im Allgemeinen so kurze, aber für eine böse Zunge unendlich lange, Zeitraum ward von der, neben dem Kapellmeister sitzenden Dame nicht eingehalten. Sie erzählte ihm nämlich voller Behagen, wie sie sich erst kürzlich mit Madame Recamier auf einem Balle befunden, wo Letztere in einem langen Sammetkleide angelangt sei. Auch damals hätte sie die Versicherung gegeben, daß sie durchaus nicht tanzen wolle. Als man aber lebhaft in sie gedrungen sei, habe sie das schwere Gewand abgelegt und darunter ein Creppkleid gezeigt, das für den Tanz außerordentlich geeignet gewesen. »Sie wollte also damals tanzen,« sprach die sich ereifernde, weil durchaus nicht mehr zum Tanze aufgeforderte Dame, »und heute hat sie von vornherein dieselbe Absicht gehabt.«
Der Kapellmeister Reichardt hatte sich zu lange unter den Menschen bewegt, um irgendwie darüber erstaunt zu sein, daß die neben ihm sitzende Dame, während sie die von zahlreichen Dienern umhergereichten Süßigkeiten sich trefflich schmecken ließ, über die Gastgeberin ihre Galle zu ergießen keinen Anstand nahm. Auch schenkte er der eifrig auf ihn einredenden Dame ein sehr unaufmerksames Ohr, da er ganz Auge war. Bewegte sich doch unweit von ihm Madame Recamier in den anmuthigen Verschlingungen einer Française. Reichardt war ja Künstler, hatte demnach für das Schöne und Anmuthige ein weitgeöffnetes Auge. Vor Allem fiel ihm an Madame Recamier die wundervolle Weiße ihrer Haut auf, die Alabaster, Marmor, Milch, Schnee, kurz, das Weißeste, womit man sie vergleichen mochte, weit hinter sich ließ und einzig in ihrer Art war. Madame Recamier, in weißen Atlas und feine, indische Zeuge gekleidet, trug sich nach damaliger Sitte sehr bloß, so daß man ihren herrlichen Nacken bewundern konnte. Vor Allem ward Reichardt von ihren Mienen angezogen, die einen unbeschreiblich reinen, kindlich-naiven und dabei schelmischen Ausdruck trugen. Ihre wundervollen Augen, die sie oft in die Höhe schlug, erweckten ein Heer süßer Gedanken, und wenn ihr lieblicher Mund, der halb geöffnet war und die schönsten Zähne durchblitzen ließ, irgend einen Wunsch ausgesprochen hätte, der durch ihre Gunst Beglückte würde für dessen Verwirklichung gern tausend Tode geduldet haben. Das reiche, braune Haar fiel in vollen Locken auf ihre wundervoll geformten Schultern, deren Alabasterweiß durch den dunklen, seidenartigen Vorhang hindurchschimmerte. Ein schwarzes Sammetband hielt das Haar auf dem Hinterhaupte zusammen, von wo es sich rings um den Kopf ergoß. Die eine Hälfte der Stirn war fast bis an's Auge von dem herabrollenden Haare bedeckt, was ebenfalls sehr günstig wirkte, da dadurch die andere Hälfte noch weißer und strahlender erschien, als die Natur sie schon gemacht hatte.
Reichardt sah hier den höchsten Ausdruck französischer Schönheit vor sich, während ihm zu Hause in Berlin seine verehrte Königin als das lieblichste deutsche Frauenbild erschien. Die Königin Louise war auch bei ihren weiblichen Unterthanen so beliebt, daß Reichardt dies Bekenntniß offen gegen seine Ehehälfte ablegen konnte, ohne wegen mangelnder Galanterie ausgezankt zu werden. Die deutsche, wie die französische größte Schönheit entwaffnete durch unbeschreibliche Milde den sonst so regen Neid der minder bedachten Frauenwelt.
Der Kapellmeister Reichardt, der begreiflicher Weise der zu den Tänzen aufgespielten Musik seine besondere Aufmerksamkeit schenkte, konnte mit dieser im Ganzen und Großen durchaus zufrieden sein. Die Musik ward von einem Mohren geleitet, und zwar, wie Reichardt bemerkt, »außerordentlich hübsch.« Der Mohr stand auf einer Erhöhung und lenkte mit seiner Violine das Orchester, das ungefähr zwölf Mann stark war. Er gab mit sanften Leibesbewegungen den Takt an, so daß Reichardt hier ein anziehendes Schauspiel auf dunklem Hintergrunde hatte, das zu dem vielen Fesselnden und Fremdartigen, was der Ball der Madame Recamier darbot, ein Bild aus Afrika gesellte. Durch die ausländischen Gewächse, die er auf der Treppe und in den Vorzimmern angetroffen hatte, war er ja schon auf Exotisches vorbereitet worden.
Dieser schwarze Vorspieler fehlte um jene Zeit in Paris auf keinem Balle, der Anspruch darauf machte, allen Ansprüchen des damals sich fabelhaft steigernden Luxus Genüge zu leisten. Er ward für wenige Stunden in der Nacht – die Bälle begannen meist erst nach dem Theater – mit zwölf Louisd'or bezahlt, so daß sich hiernach die Kosten eines einzigen solchen Festes berechnen lassen.
Außer einer Unzahl von meist jungen Generalen sah Reichardt auf dem Balle der Madame Recamier viele Berühmtheiten, von denen er mehrere persönlich kannte, mithin sich mit ihnen im Gespräche ergehen konnte. Da war Camille Jordan, der Maler Gerard, der General Valence, kurz, Ruhm und Schönheit fesselten das Auge um die Wette.
Gegen zwei Uhr in der Nacht öffneten sich die weiten Flügelthüren, die von dem Tanzsaale in den Eßsaal führten. Man erblickte eine lange Tafel, die von künstlerisch gearbeitetem Silberzeug, von Krystall und Porzellan funkelte und glitzerte. In den Krystallschaalen schimmerten die saftigsten und einladendsten Früchte, die für schweres Geld die Pariser Treibhäuser geliefert hatten. Das Souper war in vollkommenem Einklange mit dem ganzen fürstlichen Haushalte. Reichardt fand Alles so reichlich, daß er behauptet, es hätten »einige hundert Personen damit auch zum Diner bewirthet werden können.«
Der Kapellmeister, dessen Compositionen damals häufig zu Gehör gebracht wurden, und der deshalb mit unter die berühmten Fremden gerechnet ward, Reichardt hatte am heutigen Abende auf's Neue Gelegenheit, sich zu überzeugen, wie die schönsten und gefeiertsten Damen in Frankreich beeifert sind, den Celebritäten der Kunst und Wissenschaft sich dienstbar zu erweisen. So schwebte Madame Recamier in ihrem weißen Atlaskleide mit langer Schleppe auf ihn zu, in der Rechten ein Glas des köstlichsten Weins, in der Linken einen petit pot de crême haltend und ihm mit der Miene einer Göttin gleichzeitig Nektar und Ambrosia darbietend. Zum Glück war Herr Reichardt ein Mann von Geist und Lebensart, so daß er der ausgezeichneten Artigkeit durch Wort und Geberde einigermaßen gerecht ward.
Der Kapellmeister Reichardt verließ den Ball bei Madame Recamier mit der Ueberzeugung, daß so viel Sinnberückendes und zugleich dem feinsten Kunstgeschmacke Genüge Thuendes einzig in Paris angetroffen werde, wo die Anmuth des Verkehrs, die unerschöpfliche Lebenslust und der Reichthum der aufzuwendenden Mittel einen bezaubernden Dreiklang bildeten, wie man ihm nirgends anderswo begegne. Seit der, ihm von der holden Gastgeberin bewiesenen, großen Aufmerksamkeit, verband er mit der Bewunderung ihrer Reize die Anerkennung ihres liebenswürdigen Naturells und verließ äußerst befriedigt einen Ball, mit dem sich nur wenige gesellschaftliche Vereinigungen Europa's zu messen vermochten.