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Die Villeggiatur der Madame Recamier in Albano.

Die Villa, die Canova in Albano zu bewohnen pflegte, war von bescheidenem Umfange und bescheidener Einrichtung, bot aber köstlich frische Luft und herrliche Aussichten dar, so daß Madame Recamier ihren, an dem Corso gelegenen, Palast gern dagegen vertauschte. Sie hatte das mit großer Herzlichkeit gestellte Anerbieten Canova's unter der Bedingung angenommen, daß, so oft er und sein Bruder nach Albano hinauskäme, sie an ihrem Tische speisten, und die Sorgen der Wirthschaft ihr allein überließen.

Wenn Madame Recamier in Rom auf den Corso sah, so hatte sie in Albano den Marktplatz vor sich und blickte auf eine Straße, die ziemlich steil zur Kirche emporführte. So oft Canova erschien, bewohnte er die vordere Seite der Villa, während Madame Recamier von den Fenstern ihres, nach hintenhinaus gelegenen, Zimmers auf die Campagna blickte. Ihr Zimmer lag im zweiten Stockwerk, so daß sie einen weiten Horizont beherrschte. Wenn sie auf den Balcon hinaustrat, der sich in beträchtlicher Länge vor ihrem Zimmer ausdehnte, so sah sie zur Linken auf wundervolle Baumgruppen in der Villa des Pompejus, und wenn sie den Blick weithinaus schweifen ließ, so glänzte ihr das silberne Meer entgegen. Bei so herrlicher Luft, die ihre Lunge erfrischte, und bei so köstlicher Landschaft, die ihr Auge entzückte, störte sie, die bis dahin meist in Räumen von fürstlicher Pracht und künstlerischer Ausstattung gewohnt hatte, die fast dürftige Ausmöblirung ihres Zimmers durchaus nicht. War sie doch mehr auf dem Balcon, als im Innern des Zimmers.

Schon früh am Morgen spazierte Madame Recamier in den dichten Baumgängen, die sich um den Albaner See herumziehen, und in denen es sich bei der Hitze des Hochsommers so gut wandelte. Sie bewunderte aus dem kühlen Schatten heraus die herrlichen und immer wechselnden Lichtwirkungen, die durch die Morgensonne auf dem Silber des Sees und in den grünen Baumkronen hervorgebracht wurden. Da Canova nur in Albano erschien, wenn die Hitze in Rom einen unerträglichen Grad erreicht hatte, so war Madame Recamier mit ihrer Pflegetochter meist allein, die als ein kluges und liebenswürdiges Kind ihr viele Freude machte. Am Sonntag genügte sie ihrem musikalischen Drange, indem sie, nach gemachter Bekanntschaft des Organisten, ganz wie früher in Châlons, die Orgel spielte. Durch ihr regelmäßiges Erscheinen in der Kirche, sowie ihre häufigen Spaziergänge, nicht minder durch ihr Bemerktwerden an der Seite Canova's war Madame Recamier bald dem ganzen Orte keine Fremde mehr. Um ihren Namen quälte man sich freilich nicht. Man kannte sie nur als » Signora francese.«

An einem Sonntag nun – man befand sich im September – stieg Madame Recamier nach der Vesper mit ihrer kleinen Nichte die steile Straße hinunter, die von der Kirche nach dem Marktplatze führt. Als sie das Ende der Straße erreicht hatte, bemerkte sie eine dichtgedrängte Menschengruppe, die vor einem Hause stand, auf das Alle hinstarrten. Daß es sich um kein fröhliches Ereigniß handelte, schloß Madame Recamier sogleich aus der fast unheimlichen Stille, die über dieser Menschengruppe schwebte. Wenn sonst nur drei Italiener sich zusammen befinden, so geht es lebhafter zu, als bei dreißig Deutschen oder Engländern. Madame Recamier fragte deshalb, als sie näher gekommen war, nicht ohne Herzklopfen, was es mit der großen und lautlosen Menge auf sich habe. Man antwortete ihr, daß in dem Hause, zu dem Alle emporblickten, sich ein junger Fischer befinde, der einen Briefwechsel mit den Engländern vermittelt habe und deshalb in der Frühe des morgenden Tages erschossen werden solle. Gerade, als die Leute aus dem Volke Madame Recamier von dem bevorstehenden Trauerspiele in Kenntniß setzten, kam ein Priester aus dem Gefängnisse, bleich und äußerst niedergeschlagen. Bei'm Aufblicken erkannte er sofort Madame Recamier, die ihm häufig Almosen für seine Armen eingehändigt hatte. Da er demnach über ihren milden Charakter nicht in Zweifel war und wußte, daß sie zu jedem Liebeswerke bereit sei, so stürzte er mit plötzlichem Entschlusse auf sie zu, ergriff ihre Hand und zog sie mit sich fort. Bevor noch Madame Recamier zur Besinnung gelangt war, befand sie sich in dem Kerker des unglücklichen Fischers, der morgen todtgeschossen werden sollte. Hier nun harrte ihrer ein erschütternder Anblick. Der zum Tode Bestimmte trug Fesseln an Händen und Füßen und befand sich in einem Zustande kaum zu schildernder Verzweiflung. Da er ein hübscher und kräftiger Jüngling war, so konnte man es nur natürlich finden, daß der Gedanke an den bevorstehenden Tod ihn mit Entsetzen erfüllte. Seine großen, dunklen Augen starrten in's Weite, seine Zähne klapperten, und der Angstschweiß perlte auf seiner Stirn. Bei dem Anblicke des unglücklichen Jünglings, der dem nahenden Tode so entsetzt entgegenstarrte, erfüllte schwesterliches Mitleid das Herz der edlen Französin. Ohne sich weiter über ihr Thun Rechenschaft zu geben, preßte sie ihn in ihre Arme – gehörte er doch schon mehr dem Jenseits als dem Diesseits an – und sprach zu ihm milde, tröstende Worte. Dann machte sich ihre mächtige Erregung in einem Thränenstrome Luft, und das Schluchzen verhinderte sie am Sprechen. Jetzt erhielt der Priester, der den Unglücklichen zum Tode hatte vorbereiten müssen, Gelegenheit, sich darüber zu erklären, was er von Madame Recamier erwarte. Indem er sich zu seinem Beichtkinde wandte, sagte er, wie die mit ihm eingetretene Signora eine Französin sei, die das beste und edelste Herz habe und gewiß alles aufbieten werde, um seine Rettung zu bewirken. Bei diesen Worten, die ihm die Hoffnung erweckten, daß er sein junges Leben noch nicht dahinzugeben brauche, verloren die Augen des unglücklichen Fischers ihren starren Blick, und seine Lippen murmelten: » Pietà! Pietà!« Der Priester beschwor ihn nun, Fassung zu gewinnen, ein wenig Nahrung zu sich zu nehmen und zu Gott zu flehen, daß er die Schritte segnen wolle, die seine großmüthige Beschützerin für ihn zu thun gedenke. Madame Recamier hatte bis jetzt kein Wort gesagt, daß sie der Annahme des Priesters gemäß handeln werde; doch ihr Blick voll himmlischen Erbarmens war beredter, als es ihr Mund hätte sein können.

Da die Hinrichtung für den folgenden Tag festgesetzt war, so galt es, keine Zeit zu verlieren. Madame Recamier eilte deshalb in ihre Wohnung, befahl ihre kleine Nichte der Obhut der Kammerfrau an und bestieg dann den Wagen, den der Priester in größtmöglicher Schnelligkeit aufgetrieben hatte. Der Priester segnete sie beim Einsteigen und wünschte ihrem edlen Vorhaben einen krönenden Erfolg. Madame Recamier, die stets das Bild des unglücklichen Fischers vor Augen hatte, war während der ganzen Fahrt in fieberhafter Aufregung und erlangte erst etwas Fassung, als sie in Rom einfuhr und sich gestand, daß sie mit bloßen Thränen bei den französischen Machthabern nichts werde ausrichten können, und daß eine kluge, der jedesmaligen Individualität angepaßte Rede die größte Wirkung verheiße. Zuerst fuhr sie beim General Miollis vor. Dieser war sehr artig, zeigte sich auch theilnehmend, erklärte aber, für den vorliegenden Fall keine Machtbefugnisse zu besitzen. Sie begab sich hierauf zu Herrn von Norvins, dem Haupte der römischen Polizei. Obgleich keineswegs siegesgewiß, betrat sie doch die Wohnung des Herrn von Norvins nicht ohne Hoffnung. War er doch in ihrem Salon zu Rom ihr allabendlicher Gast gewesen, und hatte sie ihn doch während des Miserere von Allegri so herzzerreißend schluchzen hören. Sie wußte demnach, daß sie mit einem gebildeten Manne zu thun haben werde, und nach seiner Erschütterung während des Gottesdienstes hoffte sie, bei ihm ein gefühlvolles Herz anzutreffen. Doch die Artigkeit und Verbindlichkeit schien der Herr von Norvins nur für fremde Wohnungen in Anwendung zu bringen; bei sich zu Hause verfügte er offenbar nicht darüber. Jedenfalls empfing er Madame Recamier nicht so, wie er es einer Dame von ihrer gesellschaftlichen Stellung gegenüber hätte thun müssen. Auch sein Erschüttertsein in der Kirche schien mehr aus der Betrachtung hervorgegangen zu sein, wie sehr er bei seiner Herzenshärtigkeit den Opfertod des Erlösers für seine dereinstige Seligkeit nöthig habe, als daß es der Ausbruch eines feierlichen Gelübdes gewesen wäre, gleich dem Heilande sich der sündigen Menschheit zu erbarmen. Als nämlich Madame Recamier ihm in der beredtesten Weise die Qualen des zum Tode verurtheilten Jünglings schilderte, verrieth keine Miene in seinem Antlitze, daß auch nur das leiseste Mitleid sich in seinem Herzen zu regen beginne. War sein Antlitz eiskalt, so klang seine Rede scharf, und sein ganzes Benehmen hatte etwas Verletzendes. Herr von Norvins war ein treuer Abklatsch seines hochfahrenden Herrn und Meisters. Er gab der ihm in holdester Frauenwürde gegenübersitzenden Madame Recamier zu bedenken, in welcher unsichern Stellung als Verbannte sie sich selber befinde; sie thue deshalb gut, sich ihre Lage recht deutlich zu machen. Vor allem möge sie nicht versuchen, den Lauf der kaiserlichen Gerechtigkeit hemmen zu wollen.

So mußte Madame Recamier am andern Morgen nach Albano zurückkehren, ohne für den unglücklichen Fischer eine Begnadigung erwirkt zu haben. Das verzweiflungsvolle Gesicht des dem Tode geweihten Jünglings schaute sie heute noch trauriger an, als gestern, wo sie mit etwas Hoffnung im Herzen sich auf den Weg nach Rom gemacht hatte. Sie fuhr demnach äußerst niedergeschlagen bei ihrer Villa vor, und der Anblick ihrer Adoptivtochter, die ihr jubelnd entgegenflog, entlockte ihr nur ein mattes, trauriges Lächeln. Da sie mit sich allein sein mußte, so trat sie auf ihren einsamen Balcon und blickte auf das ferne Meer, das so oft der unglückliche Jüngling mit dem Kiele seines Bootes durchschnitten hatte. Da hörte sie leise Schritte hinter sich. Beim Umdrehen gewahrte sie den Beichtvater des zum Tode Verurteilten, sehr bleich, aber gefaßter, als gestern. Er kam im Auftrage des jungen Fischers, der vor wenigen Augenblicken von einer Kugel in den Sand gestreckt worden. Der so früh in die Ewigkeit beförderte Jüngling sandte der Madame Recamier seinen Dank und seinen Segen. Seit sie, einem Engel gleich, ihn an ihr Herz gedrückt hatte, war ein wunderbarer Friede über ihn gekommen. Er hatte innig zu Gott beten und während der Nacht schlafen können. Als man ihn am Morgen nach der Richtstätte hinausgeführt, hatte er immer auf die Landstraße nach Rom geblickt, jeden Moment erwartend, daß der Wagen der französischen Signora sich zeigen und ihm durch sie seine Begnadigung werde verkündet werden. So hatte die Hoffnung auf irdische Hülfe für ihn erst in dem Augenblicke aufgehört, wo sich ihm die Wirklichkeit des überirdischen Heils zu enthüllen begann.

War es auch für Madame Recamier ein kleiner Trost, daß sie dem unglücklichen Jünglinge die Schrecklichkeit des Todes gemindert hatte, so schlug es doch ihrem Herzen eine Wunde, daß es ihr nicht vergönnt gewesen, ihm Rettung zu bringen. Die lachende Umgebung Albano's hüllte sich seitdem für sie in einen Trauerflor, und da unterdessen der October in's Land gekommen, wo der Aufenthalt in Rom für die Gesundheit nicht weiter bedrohlich war, so kehrte sie gern in die Stadt zurück, weil sie in ihrer stillen Villa mit einer Beharrlichkeit, die, wie sie merkte, für ihre Gesundheit schädlich ward, über ihrem Grame brütete.


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