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Die politischen Verhandlungen der Madame Recamier mit Benjamin Constant.

Mochte Madame Recamier den Salon mit dem Conferenzzimmer auch höchst ungern vertauschen, so mußte sie sich doch zuweilen im Interesse ihrer Freunde zu politischen Verhandlungen entschließen. Wozu sie sich für ihren eigenen Vortheil kaum verstanden hätte, das lehnte sie, die auf dem Altäre der Freundschaft ein stets loderndes Feuer unterhielt, zu Gunsten Derjenigen nicht ab, die ihrem Herzen theuer waren, und denen sie jeden Dienst, jedes Opfer zu schulden glaubte. So entschloß sie sich denn auch, um der Königin Caroline von Neapel gefällig zu sein, zu politischen Verhandlungen mit Benjamin Constant.

Wir müssen, um die Verhandlungen der Madame Recamier mit Benjamin Constant ganz verständlich zu machen, auf die damalige Lage der Königin Caroline, die ja die (Seele der neapolitanischen Regierung war, etwas genauer eingehen.

Bekanntlich gab sich Ludwig XVIII. die größte Mühe, Murat vom Throne zu stoßen und statt seiner den König Ferdinand wiedereinzusetzen, der ja ebenfalls ein Bourbon war. Talleyrand hatte das Zauberwort »Legitimität« erfunden, weil er dadurch den Herrscher, dem er augenblicklich diente, unendlich hob. Murat war nun kein legitimer König, deshalb mußte er nach Talleyrand von einem Throne herabsteigen, den er niemals hätte einnehmen sollen. Da der Kaiser Alexander I. von Rußland auf dem Wiener Congresse den größten Einfluß hatte, so machte sich Talleyrand an den bei seinem weichen Gemüthe allerdings leicht zu bestimmenden Selbstherrscher, damit er sich gegen Murat erklären möge. Doch diesmal mußte Talleyrand von seinem Vorhaben abstehen. Der Kaiser Alexander war überhaupt den Bourbonen nicht gewogen und hegte vermöge seines humanen Sinns einen wahren Abscheu vor dem Könige Ferdinand, der, als er mit Hülfe der Engländer von Sicilien wieder in Neapel gelandet war, so unmenschlich gewüthet hatte, daß seine Unterthanen ihm im Stillen zuriefen, was einst mit lauter Stimme Cäsar dem blutigen Sulla: » Surge tandem carnifex!« Für einen König also, der ein Henker seiner Unterthanen gewesen, konnte bei dem milden Alexander kein Interesse erweckt werden. Nichtsdestoweniger hielt es die Gemahlin Murat's durch die Klugheit geboten, dem Wühlen Talleyrand's nicht thatlos zuzusehen, sondern ihm entgegen zu arbeiten. Sie wandte sich deshalb brieflich an Madame Recamier mit dem Ersuchen, ihr einen begabten Publicisten zu bezeichnen, der in einer gediegenen Staatsschrift die Rechte des Königs Joachim an den Thron von Neapel nachzuweisen habe, damit das durch Talleyrand beunruhigte Gewissen des Wiener Congresses sich nicht zu Schritten verleiten lasse, die ihrem Gemahle und dessen Dynastie gefährlich werden könnten. Diesen Publicisten brauchte Madame Recamier nicht weit zu suchen. Es war Benjamin Constant, den sie durch Frau von Staël hatte kennen lernen, und mit dem sie seit ungefähr zehn Jahren einen höflichen, wenn auch nicht gerade herzlichen Verkehr unterhielt. Sie schlug ihn deshalb der Königin von Neapel vor, und diese erklärte sich mit der Wahl vollkommen einverstanden. Demnach ersuchte Madame Recamier Benjamin Constant in einigen verbindlichen Zeilen, sich zu ihr verfügen zu wollen.

Um das Verhältniß Benjamin Constant's zu Madame Recamier vor seinem Erscheinen bei ihr etwas genauer festzustellen, wollen wir doch erwähnen, daß sie schon Briefe mit einander gewechselt hatten. So schrieb ihr Benjamin Constant am 18. Februar 1810, daß er nahe daran sei, gläubig zu werden. Wahrscheinlich hatte Madame Recamier, durch Wort und That stets bemüht, Jedem in ihrer nähern oder fernern Umgebung von Nutzen zu sein, ihm mit liebenswürdiger Offenheit ausgesprochen, wie sie fürchte, daß er bei seinem Skepticismus niemals den innern Schwerpunkt finden werde. Als Benjamin Constant der Madame Recamier schrieb, daß er den philosophischen Standpunkt gegen den gläubigen zu vertauschen gedenke, da war es ihm mit dieser Aeußerung durchaus nicht ernst. Wie er sich über alle Welt lustig machte, so kam er auch zuletzt an sich selber. Daß er diese Aeußerung mehr im Scherz gemacht hatte, geht deutlich aus den unmittelbar darauf folgenden Worten hervor, wo er bemerkt, wie er dem Glauben viel näher sei, als Madame Recamier, und dies sei ganz natürlich. Denn bei ihr hätten zu viele Personen ein Interesse daran, daß sie nicht gläubig werde.

Er wollte offenbar damit sagen, daß die große Welt es schmerzlich beklagen werde, falls Madame Recamier den Salon gegen Conventikel zu vertauschen gedächte.

Daß Benjamin Constant von der charakterfesten Julie, die schwankende Männer nicht liebte, in einer gewissen Entfernung gehalten wurde, geht aus dem Ende des oben von uns angeführten Briefes hervor. Dort heißt es nämlich:

»In der letzten Zeit meines Pariser Aufenthaltes haben Sie mich sehr fremd behandelt. Dies ist unrecht, denn ich gehöre vielleicht zu Ihren uneigennützigsten Freunden.«

Nun kommt wieder die Spottlust Benjamin Constants zum Vorschein, und obgleich er sich die größte Mühe giebt, ernsthaft zu scheinen, so wird Madame Recamier bei ihrem Scharfsinn doch sofort den Schalk herausgefühlt haben. Er fährt nämlich so fort: »Ich hege den lebhaftesten Wunsch, Sie glücklich zu sehen, und folge Ihnen mit ängstlichem Auge und bebendem Herzen, wenn ich Sie, wie es bis jetzt noch der Fall ist, so zwischen Himmel und Erde schweben sehe. Ich glaube, daß der Himmel auf die Länge den Sieg davon trägt, und da ich leider nichts dabei zu gewinnen habe, falls Sie weltlich gesinnt blieben, so bin ich für den Himmel. Leben Sie wohl, Madame. Tausend Wünsche und Huldigungen.

Benjamin Constant.«

Diesen Mann nun, dessen heller Verstand ihr gefiel, während sein schwankender Charakter ihr mißfiel, hatte Madame Recamier zu sich beschieden, um mit ihm über die neapolitanische Staatsschrift zu verhandeln. Benjamin Constant stellte sich, wie leicht zu begreifen, bei einer Frau, deren Wünsche für ihn Befehle waren, pünktlich zur festgesetzten Zeit ein und verhandelte mit ihr das nicht leichte Thema während voller zwei Stunden. Er hörte mit steigender Bewunderung der Madame Recamier zu, wie sie die Angelegenheit ihm so klar auseinandersetzte. Sie, die ihm bisher als eine zwar höchst anmuthige, liebenswürdige und geistvolle, aber nicht gerade für ernstere Sachen Sinn habende Frau erschienen war, offenbarte ihm jetzt einen staatsklugen Verstand, der mit allen Wirren der europäischen Politik genau Bescheid und sehr geschickt anzugeben wußte, welche Gesichtspunkte für den König Joachim geltend zu machen seien. So gesellte sich bei Benjamin Constant zu der Bewunderung für ihre körperlichen Reize die Hochachtung für diesen männlichen Verstand in dem zartesten Frauenkopfe, und er ging von ihr, nicht wie ein kalter Publicist, sondern wie ein glühend Verliebter. Da Benjamin Constant, während er an seiner Staatsschrift für den König Joachim arbeitete, sich über manche Punkte bei Madame Recamier Belehrung holen mußte, so erlangte er dadurch das Recht, sie häufig allein zu sprechen. Für seine Seelenruhe war dies nicht gerade günstig; denn so viel Klugheit und Anmuth vereinigt schlug ihn vollständig in Bande, und sein ganzes Dichten und Trachten galt einer Frau, die in demselben Augenblicke nicht mehr an ihn dachte, wo er von ihr ging. Sie ahnte nicht einmal seinen innern Zustand, da sie an die bewundernden Blicke zu sehr gewöhnt war, um dieselben bei dem ihr so gleichgültigen Publicisten weiter zu beachten.

Benjamin Constant ward nun, obgleich er in Wahrheit ernstlich verliebt war, durch sein echt französisches Naturell vor einem gänzlichen Aufgehen in dies Gefühl bewahrt; das heißt, er behielt hinlänglich klare Verstandeskraft, um die ihm übertragene Staatsschrift aufs Tüchtigste auszuarbeiten, so daß sie ihm alle Ehre machte und seinen schon errungenen Ruf nicht gefährdete. Man war in Neapel mit der Arbeit sehr wohl zufrieden und ließ ihm deshalb als Belohnung für seine Anstrengungen 20,000 Franken und einen Orden anbieten. Ueberdies ward er mit verbindlichen Worten aufgefordert, sich nach Wien zu begeben und dort mit beredtem Munde eine Sache zu verteidigen, für die er bereits mit so gewandter Feder gestritten habe. Doch müsse aus den triftigsten Gründen seine Sendung eine geheime bleiben. In dem Umstande, daß Benjamin Constant mit der ihm gewordenen Anerkennung nicht zufrieden war, bewährte sich aufs Neue die das gallische Element kennzeichnende Ueberhebung. Denn der anmaßende Publicist stellte an Madame Recamier die Zumuthung, sie solle bei der Königin von Neapel einen officiellen Charakter für seine Sendung nach Wien beanspruchen. Mochte die um Vermittelung Angegangene die Unzuträglichkeit eines solchen Verlangens auch einsehen, ihre Gefälligkeit war eine zu große, als daß sie die erbetene Befürwortung verweigert hätte. Doch die Königin von Neapel verstand sich auf das Herrscheramt zu gut, als daß sie, trotz ihrem Wunsche, alles, was nur in ihrer Macht lag, der Madame Recamier zu Gefallen zu thun, als daß sie bereit gewesen wäre, Benjamin Constant mit einem officiellen Charakter nach Wien zu entsenden. Sie gab in einem Briefe an Madame Recamier für ihre Weigerung folgende sehr vernünftige Gründe an:

»Man kann für den Verfasser der Staatsschrift nicht alles thun, was Sie wünschen. Wenn wir nur ein Viertelstündchen mit einander plauderten, so würde ich Sie ganz für meine Ansicht gewonnen haben. Aber, sobald Sie nur einen Augenblick ruhig nachdenken, so haben Sie zu viel Geist, zu viel Einsicht, Ihr Kopf ist zu trefflich organisirt, um nicht das Gewicht der Gründe zu würdigen, die sich dem von Ihnen befürworteten Schritte entgegenstellen. Zuerst liefen wir Gefahr, unsre mit der Leitung dieser Angelegenheit betrauten Gesandten zu verletzen; dann würde das ganze neapolitanische Volk es als einen Schimpf betrachten, daß man in einer so wichtigen Sache zu einem Fremden seine Zuflucht nähme; endlich gäbe man dem Könige von Frankreich eine Berechtigung, sich darüber zu beklagen, daß wir von hier aus Männer, die sich früher bemerkbar machten, und die er ein Interesse hat im Schatten zu lassen, in eine hohe Stellung brächten und das hellste Licht auf sie lenkten; er würde diesen Vorwand ergreifen, um noch gehässiger gegen uns vorzugehen, und das in einem Augenblicke, wo wir durchaus Ruhe nöthig haben.

Ich hoffe, daß Benjamin Constant sich mit den ihm gemachten Vorschlägen zufrieden erklären, und daß er sich nach Wien begeben wird, um dort unsre Sache zu vertheidigen. So werden wir Ihnen die Anhänglichkeit eines Mannes verdanken, dessen große Befähigung uns sehr nützlich werden kann.«

Doch Benjamin Constant wollte in seiner Eitelkeit durchaus mit dem Charakter eines Gesandten auf dem Wiener Congresse erscheinen, und deshalb schlug er das reiche, für ihn bestimmte, Honorar und den ihm angebotenen Orden voll beleidigten Selbstgefühls aus, so daß Madame Recamier bei'm Ausgange der Verhandlungen die größte Mühe hatte, ihn zu trösten und zu beruhigen. Sie war zu einsichtig, um die abweisenden Gründe der Königin von Neapel nicht vollständig gebilligt zu haben.

Daß Benjamin Constant durchaus kein Charakter war, bewies er bei der Rückkehr Napoleon's von Elba. Als der Imperator sich der Hauptstadt näherte, und man eine Wiederaufrichtung seines absoluten Regiments zu befürchten hatte, da erhob Benjamin Constant am 19. März im Journal des Débats einen berühmt oder vielmehr berüchtigt gewordenen Protest; denn sein nachgebendes Benehmen widersprach ja so kläglich seinen herausfordernden Worten. Daß Benjamin Constant würdig und altrömisch zu sprechen wußte (mit dem »Handeln« stand es freilich ganz anders), erhellt aus folgenden Sätzen dieses Protestes, der in Europa einen Widerhall fand:

»Ich habe mich überzeugt, daß die Freiheit unter der Monarchie sehr wohl gedeihen kann; ich sah, wie König und Volk ein inniges Bündniß schlossen. Ich werde nicht, wie ein elender Ueberläufer, mich von der einen Regierung gleich zu der andern hinwenden; ich werde keinen verächtlichen Abfall mit geschickten Redensarten bemänteln – – –.«

Doch genug, und aber genug an diesem klingenden Erz und dieser tönenden Schelle! Benjamin Constant, der sich so feierlich dagegen verwahrt hatte, daß er je ein Ueberläufer werden könne, gab der an ihn ergangenen Einladung Napoleon's Gehör, verfügte sich in die Tuilerien, wo er sich dem ehernen Manne gegenüber wie Wachs zeigte und verließ als Beamter des Kaisers, nämlich als Staatsrath, das Schloß. Benjamin Constant erinnert in seiner Charakterlosigkeit an Johannes von Müller. Doch muß zur Entschuldigung dieser beiden schwachen, wenngleich höchst talentvollen Männer angeführt werden, daß Napoleon, wenn er es darauf anlegte, zu bezaubern verstand, wie Wenige, und daß es dann schwer, ja unmöglich siel, ihm gegenüber seine Ansicht aufrecht zu erhalten. Wußte er doch auch Pius VII. in einer Unterredung so zu umgarnen, daß dieser die wichtigsten Rechte der Kirche zu Gunsten der kaiserlichen Regierung bereits aufgegeben hatte. Erst, als Pius VII. wieder allein war und mit seinen geistlichen Berathern die gemachten Zugeständnisse besprach, erkannte er voller Schrecken, daß er auf jede Selbstständigkeit des Papstthums vollständig Verzicht geleistet. Darauf nahm Pius VII. in einem zerknirschten Briefe an den Kaiser alles zurück, was er, solange derselbe ihn mit seinem Zauber umstrickte, zwar zögernd, aber allmälig mehr und mehr jede Kraft zum Widerstande verlierend, zugestanden hatte. Den glänzendsten Beweis aber, was Napoleon über die Menschen vermochte, bewies er in seinem Triumphe über den charaktervollen Carnot. Gelang es ihm doch, diesen echten Republikaner so zu beschwatzen, daß derselbe, um dem Kaiser die von ihm begehrte Bürgschaft der Treue zu geben, sich zu dem ihm so schwer fallenden Schritte entschloß und den Grafentitel annahm.

Wenn demnach die Eiche »Carnot« sich beugte, so konnte man von der schwankenden Weide, die sich »Benjamin Constant« nannte, keine feste Haltung erwarten. Seine Schwäche kennend, hätte er aus Paris fliehen und sich dem Wirbelwinde Napoleonischer Beredtsamkeit nicht Preis geben sollen.

Wäre Benjamin Constant den wohlmeinenden Rathschlägen der Madame Recamier gefolgt und in geheimer Botschaft nach Wien gegangen, so würde er bei der Rückkehr Napoleon's von Elba nicht in Paris gewesen sein, und ihm wäre, um uns einen Gedanken Chateaubriand's anzueignen, erspart geblieben, voller Zagen an die Stimme der Nachwelt denken zu müssen. Madame Recamier dagegen, von zartester Weiblichkeit, und doch, wenn es sein mußte, von ehernem Beharren, niemals prahlend, aber auch niemals ein schwächliches Zugeständniß machend, brauchte Klio nicht zu fürchten; denn diese sieht mit wohlgefälligem Auge auf Solche, die zur Schönheit und Anmuth auch Stärke gesellen.


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