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Lucian Bonaparte's Liebe zu Madame Recamier.

Das Schloß Clichy mit seinen weiten, prächtig ausgestatteten Räumen, sowie einem herrlichen Parke, der sich bis zur Seine erstreckte, war so recht für die fürstliche Gastfreundschaft geeignet, wie sie das Recamier'sche Ehepaar ausübte. Täglich ward hier offene Tafel gehalten, und zahlreiche Gäste fanden sich ein, sei es, daß sie aus Paris, sei es, daß sie aus den benachbarten Landhäusern und Schlössern herüberkamen. Demnach empfing auch das Recamier'sche Ehepaar viele Einladungen nach auswärts, obgleich sie im Ganzen vorzogen, Gäste bei sich zu sehen, da die Einrichtungen in Clichy so bequem und ihre Mittel so bedeutende waren, daß das Erscheinen von noch so zahlreichen Gästen ihnen niemals lästig ward. Ihr Kreis dehnte sich immer weiter und weiter aus. So machte Madame Recamier, als sie eine Einladung nach dem Schlosse Bagatelle angenommen hatte, die Bekanntschaft Lucian Bonapartes. Dieser Bruder des ersten Consuls, der ihm durch sein entschlossenes Benehmen am achtzehnten Brumaire sehr genützt hatte, zeigte sich von Madame Recamier ganz bezaubert. Als die Gesellschaft nach aufgehobener Mittagstafel einen längern Spaziergang machte, wich er nicht von ihrer Seite, und bei der Trennung am Abend bat er um die Erlaubniß, ihr in Clichy aufwarten zu dürfen. Da diese Bitte ihm, wie unzähligen Andern, freundlich gewährt ward, so stellte er sich schon am folgenden Tage ein. Hatte doch das Bild der Madame Recamier ihn bis in seine Träume begleitet.

Lucian erschien öfter und öfter bei Madame Recamier, die sich über seine feurigen Huldigungen zuerst weder verwunderte, noch erschreckte. War sie es doch gewohnt, daß ihrer Schönheit überall Rauchopfer brannten. Doch trug die Liebe, die sich Lucian's bemächtigt hatte, einen zu feurigen Charakter, als daß er sich mit bloßen Blicken, wie die übrigen huldigenden Herren, begnügt hätte. Bei der Kühnheit seiner Familie, an der es auch ihm wahrlich nicht gebrach, obgleich eigentliche Herrschsucht ihm fremd war, wagte er, an einer langsamen Belagerung keinen Geschmack findend, bald einen Sturm. Madame Recamier empfing demnach von Lucian Bonaparte den ersten Liebesbrief. Doch hatte Lucian noch Besinnung genug, bei der zarten und tugendhaften Frau, von der er durch keinen einzigen Blick ermuthigt worden, nicht allzu dreist vorzugehen. Er hüllte seine Bewerbung in ein literarisches Gewand, indem er den glühenden Romeo Italiens nachahmte und seinem Briefe eine Fassung gab, daß man ihn entweder für ein Kunstproduct, oder für eine Liebeserklärung halten konnte, jenachdem man ihn betheiligten oder unbetheiligten Herzens in die Hand nahm. Da nun Madame Recamier ganz unbetheiligten Herzens war, obgleich sie über die Liebesgluthen Lucian-Romeo's, der ja auch italienisches Blut in den Adern hatte, sich keineswegs täuschte, so betrachtete sie den empfangenen Brief als Kunstproduct. Getreu dieser Auffassung, händigte sie dem am Tage nach der Ueberreichung sehr schüchtern erschienenen Lucian den Brief in Gegenwart eines größern gesellschaftlichen Kreises wieder ein, indem sie ihm über sein literarisches Talent viel Verbindliches sagte.

Da die Familie Bonaparte in ihren sämmtlichen Mitgliedern die sentimentale Seite sehr wenig ausgebildet zeigt, so ist es sicher nicht ohne Interesse, Lucian einmal ausnahmsweise sich auf diesem Felde bewegen zu sehen. Wir geben deshalb von den schwärmerischen Liebesbriefen, Lucianas einige Proben. Daß Madame Recamier denselben Vornamen trug, wie die durch Shakespeare unsterblich gewordene Italienerin, traf sich sehr glücklich für den schwärmerischen Lucian. In seinem ersten Briefe heißt es nun:

»Romeo schreibt an seine Julie. Wenn Sie diese Zeilen zu lesen verweigerten, so wären Sie grausamer, als unsere Verwandten, deren vieljährige Streitigkeiten endlich zur Ruhe gelangten. Will's Gott, so erneuert sich der verhaßte Streit nun und nimmermehr.

Bis vor wenigen Tagen kannte ich Sie nur durch den Ruf. Ich hatte Sie einige Male in der Kirche und bei größern Feierlichkeiten gesehen. Daß Sie schön waren, wußte ich fortan. Vorher schon hatte ich aus dem Munde von Tausenden Ihren Charakter rühmen hören. Aber all' dieses Lob und der Anblick Ihrer Reize hatten wol einen starken Eindruck auf mich gemacht, aber mir nicht meine Besinnung geraubt. Warum hat der Friede, der mir gestattete, mich Ihnen zu nähern, mich so ganz zu Ihrem Sclaven gemacht! Der Friede kehrte bei unsern Familien ein, aber die Unruhe wohnt jetzt in meinem Herzen – – – –

Ich habe Sie seitdem wieder gesehen. Amor schien mir zu lächeln. Ich saß mit Ihnen auf einer Bank und durfte Sie allein sprechen. Ich glaubte, daß ein Liebesseufzer sich Ihrer Brust entrang. Eitele Täuschung! Bald überzeugte ich mich von meinem Irrthume. Die Gleichgültigkeit mit ruhigem Antlitze saß zwischen uns. Die Leidenschaft, die mich so ganz beherrschte, verrieth sich in meinen Reden, während Sie in Ihren Antworten, wenn auch liebenswürdig, doch kühl zu scherzen vermochten.

O Julie, das Leben ohne Liebe ist ein langer Schlummer. Die schönste aller Frauen muß ein gefühlvolles Herz haben. O des glücklichen Sterblichen, dem es vergönnt wäre, ein Freund Ihrer Seele zu sein!«

Wenn Madame Recamier bei der Rückgabe dieses Briefes dem Verfasser viel Schmeichelhaftes über seine schriftstellerische Befähigung sagte, so war dies ein von Seiten der Wahrhaftigkeit dem guten Tone nicht gerade gern gebrachtes Opfer. Aber sie glaubte, sich diesem verbindlichen Eingange nicht entziehen zu dürfen, da sie am Schlüsse ihrer Rede für Lucian eine ernste Ermahnung bereit hatte. Auf die großen Geschicke anspielend, die sich an der Bonaparte'schen Familie theils schon erfüllt hatten, theils derselben noch bevorzustehen schienen, gab sie dem, Shakespeare in's Handwerk pfuschenden Lucian zu bedenken, daß, da die Politik ihm die höchsten Ziele verheiße, er den bescheidneren Lorbeer des Dichters Andern überlassen möge. »Solchen, die mehr Beruf haben,« fügte sie im Geiste hinzu; doch kam über ihre Lippen einzig das Verbindliche. Indeß scheitert bekanntlich bei jedem Verliebten der bestgemeinte Rath, wenn er ihn von dem Gegenstände seiner Zuneigung zu entfernen beabsichtigt. Ueberdies war Lucian ja ein Bonaparte, und als solcher nicht geneigt, den Rücksichten heiliger Scheu ein Ohr zu leihen, sobald die Leidenschaft ihn nach einem Ziele hinriß. In seinem zweiten Schreiben warf er demnach alle poetische Verhüllung ab und bekannte seine Liebe in unverblümtester Weise. Jetzt handelte Madame Recamier, wie es einer in ihrer Tugend beleidigten Frau geziemte. Sie zeigte den Brief ihrem Manne und knüpfte an diesen Schritt die Bemerkung, ob er es nicht gerathen finde, dem stürmischen Liebhaber fortan die Thür zu verbieten. Doch Herr Recamier war nach längerm Nachsinnen anderer Meinung. Er dankte zunächst seiner Gattin für ihr Vertrauen und lobte ihr Benehmen ohne alle Einschränkung. Aber zugleich gab er zu bedenken, daß seine ganze Stellung gefährdet sein werde, falls sie sich ernstlich mit dem Bruder des ersten Consuls erzürnten. Alle Maßregeln Bonaparte's zeigten, daß er zur Tyrannei Hinneige und vor den äußersten Maßregeln nicht zurückschrecke, wo es gelte, seinem Hasse Genüge zu thun. Herr Recamier schloß seine Auseinandersetzung mit den Worten, daß er sich auf die Klugheit und den Takt seiner Frau blind verlasse, und daß diese schon wissen werde, den kühnen Lucian Bonaparte in die Schranken zurückzuweisen, ohne es indeß zu einem eigentlichen Bruch kommen zu lassen. Madame Recamier hatte demnach die peinliche Aufgabe, fast ein ganzes Jahr hindurch den liebeglühenden Romeo häufig um sich sehen zu müssen, ohne daß er ihr das geringste Interesse einflößte. Da der Grundzug in dem Charakter der Madame Recamier die echte französische Heiterkeit war, und Schwermuth sich erst bei ihr einstellte, als wiederholte Katastrophen ihren Frohsinn ertödtet hatten, so überließ sie, deren Herz ja völlig frei war, sich oft einem Ausbruche ausgelassener Munterkeit, wenn der zum Pathetischen hinneigende Lucian in seinen feierlichen Liebesbezeugungen ihr gar zu drollig erschien. Dann verlor er gänzlich die Fassung und wußte nichts zu erwidern. Aber zuweilen erwachte sein Stolz, daß eine Frau, der er sich so demüthig zu Füßen legte, ihn mit fast verächtlicher Gleichgültigkeit zu behandeln vermochte. Dann besann Lucian sich darauf, daß er der Bruder des ersten Consuls sei und als solcher durch seine Liebesanträge eigentlich Ehre erweise. Auch regte sich bei ihm dann und wann das corsikanische Blut der Bonapartes, was zu stürmischen Scenen führte, während welcher Madame Recamier erbebte, denen sie aber leider nicht dadurch ein Ende machen durfte, daß sie dem abgewiesenen und doch so beharrlichen Liebhaber die Thüre zeigte.

Natürlich bildete die glühende Liebe Lucian's für die schönste Frau Frankreichs in Paris das Tagesgespräch. Da seit dem achtzehnten Brumaire die Familie Bonaparte einen Schweif zahlreicher Schmeichler nach sich zog, so fehlte es auch dem begabtesten Bruder des ersten Consuls nicht an schmarotzenden Höflingen. Diese sahen nun ein, daß auf Lucian der bei Franzosen so gefährliche Schein der Lächerlichkeit fallen werde, wenn er sich mit seinen Bewerbungen bei Madame Recamier gar keines Erfolges rühmen könne. Da es ihnen auf eine Lüge nicht ankam, so verbreiteten sie geschickt, daß Madame Recamier die größte Gleichgültigkeit gegen Lucian zur Schau trage, um im Geheimen desto zärtlicher sein zu können. Doch fanden diese Verläumdungen bei den sonst gern das Schlimmste glaubenden Parisern nicht den geringsten Eingang. Die Tugend-Atmosphäre, die Madame Recamier umgab, war eine so lichte, daß keine Verläumdung sie zu schwärzen vermochte.

Als nun Lucian sich nach monatelangem unermüdlichen Werben überzeugt hatte, daß er bei Madame Recamier niemals Gehör finden werde, half ihm zuletzt sein Stolz, über seine Liebe den schweren Sieg zu erringen. Um nun aus einer im Ganzen für ihn beschämenden Periode jedes Zeugniß auszutilgen, so ließ er durch Herrn Sapey, auf dessen Schlosse er Madame Recamier hatte kennen lernen, so ließ er durch seinen Freund die von ihm geschriebenen Liebesbriefe zurückfordern. Doch Madame Recamier, die sonst jeden billigen Wunsch, der ihr von Seiten eines Nebenmenschen ausgesprochen ward, gern erfüllte, glaubte dieser, in eine Bitte gekleideten, Forderung nicht nachgeben zu dürfen. Waren doch auch zu ihrem Ohre die von Lucian's Schmeichlern verbreiteten Lügen gedrungen, als ob sie im Geheimen sich dem Bruder des ersten Consuls durchaus nicht spröde gezeigt habe. Sie glaubte es deshalb ihrem guten Namen schuldig zu sein, daß die Briefe Lucian's aufbewahrt würden, aus denen hervorging, wie er bis zum letzten Augenblicke darüber klagte, von ihr während seiner langen Bewerbung auch nicht das geringste Zeichen von Huld empfangen zu haben. Als Lucian Bonaparte durch Herrn Sapey vernahm, daß Madame Recamier nicht geneigt sei, seiner Bitte zu willfahren, so versuchte er es, hierin getreu dem Charakter seiner Familie, mit Drohungen. Doch Madame Recamier war nicht so leicht einzuschüchtern, und sie behielt diese Briefe für das Archiv ihrer Nachkommen.

Unter den vielen Tausenden von Verehrern, die Madame Recamier zählte, war Lucian der erste gewesen, der ihr seine glühende Zuneigung zu bekennen gewagt. Die gänzliche Erfolglosigkeit seiner Bemühungen hatte für die schöne Frau die erfreuliche Folge, daß die große Schaar ihrer Anbeter fortan den Spruch lernte:

»Die Sterne, die begehrt man nicht,
Man freut sich ihrer Pracht.«


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