Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Begehungen der Madame Recamier zum General Moreau und dessen Familie.

Da Madame Bernard und Madame Hulot befreundet waren, so ergab es sich ganz natürlich, daß auch ihre liebenswürdigen Töchter viel mit einander verkehrten und sich an einander anschlossen. Als nun die eine dieser Töchter den Herrn Recamier, die andere den General Moreau geheirathet hatte, so erstreckte sich dieser freundliche Verkehr auch auf die beiderseitigen Männer. Es war nicht anders möglich, als daß Moreau der Madame Recamier sympathisch werden mußte. Ganz im Gegensatze zu seinem Antipoden Bonaparte, war er eine offene, warmblütige Natur. Deshalb mochten ihn die Pariser auch viel lieber, als den ersten Consul. Bei dem unruhigen, nervösen Wesen Bonaparte's konnte sich Niemand zu ihm hingezogen fühlen. Man sah es ihm an, daß ihn der Ehrgeiz verzehrte. In den ersten Jahren des Consulats war er noch auffallend mager. Der Kapellmeister Reichardt, der im December 1802 durch den preußischen Gesandten in den Tuilerien vorgestellt ward, sagt von Bonaparte: »Dünnere Lenden, Beine und Arme kann man nicht leicht sehen.« Dabei hatte er tiefliegende Augen, und sein Blick forschte unruhig umher. Sein Organ war nicht wohllautend, und seine Rede schloß häufig mit einem heisern Lachen. Wie ganz anders stellte sich Moreau dar! Von ihm konnte man in Wahrheit behaupten, was Schiller seinen Max von Wallenstein sagen läßt: »Gelockt von deiner gastlichen Gestalt.« Moreau und Duroc waren offenbar die beiden Generale in Paris, deren lauterer Charakter sich in dem ehrlichsten Gesichte abspiegelte. Moreau's Gesicht war von seinen vielen Feldzügen gebräunt und mehr oval, als rund geformt. Er hatte schwarze, funkelnde Augen; dennoch war sein Blick Vertrauen erweckend. Der günstige Eindruck, den der grade und ehrliche Blick des Auges erweckte, steigerte sich noch, wenn man den Zug von Güte gewahr ward, der um seinen Mund spielte. Dabei war seine Stimme tief und angenehm. Die Gestalt überschritt nicht die mittlere Größe, aber der Körper zeigte, um uns eines Goethe'schen Lieblingsausdrucks zu bedienen, »behagliche« Formen. Und behaglich mußte sich Jeder bei Moreau fühlen, während bei dem magern, unruhigen Bonaparte einem bald unbehaglich zu Sinne ward. Das ganze Wesen Moreau's war voll Einfachheit und Würde. Während die übrigen Generale und hohen Staatsbeamten sich zur Consularzeit meist theatralisch herausputzten und in Gesellschaften fast nie anders, als mit reichgestickten Uniformen, weißseidenen Strümpfen und Schuhen mit Schnallen erschienen, trug Moreau einen braunen Frack, schwarze Unterkleider, schwarzseidene Strümpfe und einen runden Hut in der Hand.

In demselben Grade, wie Moreau, war auch seine Frau eine sehr angenehme, anziehende Erscheinung. Glänzte sie allerdings nicht durch seltene Schönheit, wie Madame Recamier, so war sie doch eine sehr hübsche Frau, deren Anblick dem Auge wohlthat. Dabei war sie voller Kunstfertigkeiten. Sie stickte mit seltener Vollendung, malte in Oel und spielte meisterhaft auf dem Fortepiano. Ueberdies war sie eine der elegantesten Tänzerinnen von Paris, was sehr für ihre Grazie spricht, da damals so viele Damen der französischen Hauptstadt sich in der Kunst Terpsichorens auszeichneten. Man konnte demnach den General Moreau und dessen Gemahlin als zwei der hervorragendsten Erscheinungen in dem um jene Zeit so viel Beachtenswerthes aufweisenden Paris bezeichnen. Die beiden Eheleute liebten sich aufs Zärtlichste, und ein schöner Knabe, der sehr seinem Vater glich, krönte ihr Glück. Da nun Moreau ein großes Vermögen besaß, so bewohnte er im Winter ein schönes Hotel in Paris, während er im Sommer und Herbst nach Grosbois herauszog, wo er ein prächtiges Schloß erstanden hatte, das von einem umfangreichen, herrlichen Parke umgeben war. Hier hatte er eine Meute schöner englischen Jagdhunde, da er dem edlen Waidwerke mit Leidenschaft oblag. Kurzum, es war alles dazu angethan, ihn zufrieden zwischen seinen vier Pfählen leben zu lassen. Und in Wahrheit, er strebte auch nicht hinaus aus seiner stillen Glückseligkeit. Der Proceß, der ihn Anfangs die Freiheit und später das Vaterland kostete, war eine Liebedienerei gegen Bonaparte. Zeigte doch der französische Richterstand sich von jeher allzu gefügig, gegen die Winke der jedesmaligen Machthaber.

Als nun Moreau seinem glücklichen Familienleben entrissen und mit einem gehässigen Processe heimgesucht ward, so nahmen alle ehrlichen Leute für ihn Partei, und nur die Creaturen Bonaparte's suchten seinen guten Namen anzuschwärzen. Doch war ihre Mühe eine vergebliche. Die Volksmeinung zeigte sich dem unschuldig Angeklagten günstig und blieb ihm treu, mochte auch von Seiten der Regierung alles gethan werden, um ihr eine andere Richtung zu geben. Die ausgezeichnetsten Personen von Paris, insoweit sie unabhängig waren, wohnten den öffentlichen Proceßverhandlungen bei, um dadurch dem wackern Moreau ihre achtungsvolle Theilnahme zu bezeugen. Als nun Madame Recamier eines Tages mit ihrer Freundin, der Gattin des von dem Hasse Bonaparte's getroffenen Generals, zusammen war, so äußerte diese, daß Moreau unter den vielen Personen, die im Justizpalaste seinem Processe beiwohnten, ihr ihm so liebes Antlitz häufig vergeblich gesucht habe. Sogleich beschloß Madame Recamier, diesem Wunsche zu willfahren, mochte dadurch ihre Stellung zu dem ersten Consul eine noch ungünstigere werden. In Begleitung eines nahen Verwandten der Recamier'schen Familie, des Herrn Brillat-Savarin, der sich später durch seine Physiologie du goût einen so berühmten Namen machte, begab sich demnach die ihren Freunden stets getreue Frau in den Justizpalast. Herr Brillat-Savarin führte seine schöne Verwandte auf einen Sitz in dem Amphitheater, das sich den Angeklagten gegenüber befand, die durch die ganze Länge des weiten Saales von ihnen getrennt waren. Madame Recamier schlug, als sie Platz nahm, damit über ihre Anwesenheit im Saale kein Zweifel bestehe, den Schleier zurück. Sogleich erkannte sie Moreau, erhob sich und verneigte sich gegen sie mit ehrfurchtsvollem Gruße. Natürlich hefteten sich die Augen aller Anwesenden auf den berühmten Angeklagten und auf die berühmte Schönheit, die durch ihre Gegenwart im Gerichtssaale ihre Sympathie für ihn zu erkennen gab.

Es waren 47 Angeklagte, die Madame Recamier vor sich erblickte. Jeder Angeklagte saß zwischen zwei Gendarmen. Die Mitangeklagten Moreaus zeigten in ihrer Haltung ihm gegenüber viel Hochachtung und Ergebenheit. Die Gefühle der Madame Recamier wurden aufs Schmerzlichste erregt, als sie diesen berühmten General und ihr befreundeten Ehrenmann auf der Bank der Angeklagten erblickte. Sie würde nun, ganz ihren traurigen Gedanken hingegeben, sich wol die übrigen Angeklagten nicht genauer angesehen haben, wenn ihr Begleiter sie nicht auf Georges Cadoudal aufmerksam gemacht hätte, der kühn und herausfordernd dasaß, und der seinen trotzigen Royalismus bald auf dem Schaffote büßen mußte. Da nun Madame Recamier, von Herrn Brillat-Savarin wiederholt aufgefordert, über die Angeklagten von Zeit zu Zeit ihre Blicke gleiten ließ, so blieb ihr Auge bald voll Mitleids auf zwei sehr jugendlichen Gestalten haften, die noch nicht das Mannesalter erreicht hatten. Entsetzt dachte sie daran, daß diese jugendlichen Häupter bald unter der Guillotine fallen könnten. Als sie ihren Begleiter befragte, ob er vielleicht die beiden Jünglinge kenne, so nannte er ihr die Herrn von Polignac und Rivière. Madame Recamier harrte während der ganzen, langen Verhandlung im Saale aus, obgleich ihre Gefühle die schmerzlichsten waren. Gleichzeitig mit ihr brachen die Angeklagten auf, und der Zufall fügte es, daß, da bei der großen Anzahl von Zuhörern, die sich alle auf einmal entfernten, nur ein langsames Vorschreiten möglich war, daß Moreau sich plötzlich mit ihr in gleicher Linie befand, freilich durch ein Gitter von ihr getrennt und von seinen zwei Gendarmen umgeben. Moreau blieb stehen und richtete einige Worte des Dankes an sie wegen ihres Kommens und ihrer, ihm dadurch bezeugten Theilnahme. Madame Recamier war so verwirrt und gerührt, daß sie nicht zu antworten vermochte.

Die muthige Frau und treue Freundin würde wol noch häufiger den Proceßverhandlungen im Justizpalaste beigewohnt haben; doch sie unterließ es aus Rücksicht für Moreau. Den Tag darauf nämlich, wo Madame Recamier im Justizpalaste erschienen war, ließ Cambacérès sie durch einen gemeinsamen Freund warnen, daß sie während der Proceßverhandlungen nicht wieder zugegen sein möge. Der erste Consul habe, als er bei dem Berichte über die stattgehabte Sitzung ihrem Namen begegnet sei, unwillig ausgerufen: »Was hatte Madame Recamier dort zu thun!« Werde sie wieder erscheinen, so habe Moreau und sie den Schaden davon. Nicht für sich fürchtend, bestimmte sie doch die Rücksicht auf Moreau, der Warnung des wohlmeinenden Cambacérès Gehör zu geben.

Bekanntlich wünschte der erste Consul deshalb so lebhaft, Moreau möchte schuldig befunden werden, um in den Augen der Welt den Ruhm davonzutragen, daß er seinem berühmtesten und gefährlichsten Widersacher habe Gnade angedeihen lassen. Doch sprach er nicht zu Moreau das Wort » Soyons ami, Cinna!« – das er in einem Trauerspiele Corneille's so bewunderte, sondern verhängte über ihn die Strafe der Verbannung. Moreau reiste in Folge dessen nach Spanien ab, wohin ihm seine Gattin bald nachfolgte. Madame Recamier war während dieser bangen Zeit täglich bei ihrer Freundin und begleitete die herzzerreißend Weinende bis zum Wagen, der sie in's Exil führte. Wol durfte der Generalin Moreau das Herz brechen. Schied sie doch aus Verhältnissen, die bis vor kurzem glücklich, ja, beneidenswerth gewesen! Sagte sie doch ihrem Vaterlande Lebewohl, das alle Franzosen so leidenschaftlich lieben! Hatte sie doch, in hochschwangerem Zustande, sich von der Wiege ihres Kindes losgerissen, das ihr, von einer Erkrankung geschwächt, für den Augenblick nicht folgen durfte! Madame Recamier fühlte, wie bei so gehäuftem Unglücke, das auf die durch früheres Glück verwöhnte Frau sich wie eine Lawine herabgewälzt hatte, menschlicher Trost nichts vermöge. Ihre Thränen demnach mit denen der Freundin mischend, zeigte sie mit dem himmlischen Blicke des Glaubens nach oben, von wo der vernichtende Blitzstrahl kommt, aber auch der belebende Sonnenschein.

Die Generalin Moreau rühmte gegen ihren Gatten, als sie in Spanien sich glücklich wieder mit ihm vereint hatte, welch' eine Quelle des Trostes Madame Recamier für sie gewesen sei. Der berühmte Feldherr, der ein dankbares Herz besaß, richtete demnach, bevor er sich in Cadiz nach Amerika einschiffte, folgenden Brief an sie:

»Chiclana, bei Cadiz,
den 12. October 1804.

Verehrte Madame,

Sie werden ohne Zweifel mit einiger Theilnahme Nachrichten von zwei Flüchtlingen empfangen, denen Sie ein so lebhaftes Interesse bezeugten. Nachdem wir Beschwerden aller Art, zu Lande und zu Wasser, erduldet, hofften wir uns in Cadiz ausruhen zu können, als plötzlich das gelbe Fieber, das an Schrecklichkeit so ziemlich dem von uns bereits bestandenen Ungemache gleichkommt, über das arme Cadiz hereinbrach. Obgleich die Entbindung meiner Frau uns nöthigte, während eines ganzen Monats in Cadiz zu verweilen, gerade als die Seuche am heftigsten wüthete, so sind wir doch glücklich vor jeder Ansteckung bewahrt geblieben; ein einziger von unsern Bedienten ward von dem entsetzlichen Fieber befallen, ohne ihm jedoch zu erliegen. Jetzt befinden wir uns endlich in Chiclana, einem wenige Meilen von Cadiz entfernten Dorfe, in reizender Gegend. Wir erfreuen uns einer vortrefflichen Gesundheit, und meine Frau, die mich mit einem prächtigen Töchterlein beschenkte, schreitet ihrer vollständigen Genesung entgegen. Da sie überzeugt ist, daß Sie an allem, was uns betrifft, Antheil nehmen, so hat sie mich beauftragt, Sie von ihrer Entbindung in Kenntniß zu setzen und Sie zu bitten, Ihre unschätzbare Freundschaft ihr auch ferner zu bewahren.

Unser Leben ist im Ganzen höchst einförmig und langweilig; doch athmen wir wieder die Luft der Freiheit, weht sie gleich im Vaterlande der Inquisition.

Ich bitte Sie, Madame, die Versicherung meiner ehrfurchtsvollen Hochachtung genehmigen zu wollen, und zu glauben, daß ich für immerdar bin

Ihr sehr ergebener und gehorsamer Diener

Victor Moreau.«

So hatte Madame Recamier dem neben Hoche und Marceau anziehendsten Generale der Republik und dessen Gattin bis zum letzten Augenblicke sich als treue Freundin bewährt. Ihr schönes Bild begleitete demnach, in dankbare Herzen eingeschrieben, die Verbannten bis zu den Gestaden Nordamerika's.


 << zurück weiter >>