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Als Napoleon in Cannes gelandet war, und alle ihm von Ludwig XVIII. entgegengesandten Heereskörper zu ihm übergingen, so daß er bald im Siegesmarsche auf Paris losrückte, da verbreitete sich die Kunde von dem neuen Märchenhaften in dem Leben dieses Wundermannes bald durch alle Lande und gelangte denn auch zu dem Ohr der Königin von Neapel, der klugen Schwester des gewaltigen Corsen. Die erst unbestimmten Gerüchte nahmen allmälig eine immer deutlichere Gestalt an. Wir ersehen dies aus einem längern Briefe der Königin Caroline an Madame Recamier, den sie im Anfange des Märzmonats 1815 begonnen und, als er schon zur Absendung bereit lag, wieder aufgemacht hatte, weil die Gerüchte von dem erfolgreichen Marsche Napoleon's immer bestimmter lauteten. Wie genau auch die Königin Caroline von den Huldigungen unterrichtet war, die der Madame Recamier in stets gesteigerter Beeiferung dargebracht wurden, geht aus dem eben erwähnten Briefe hervor, der so beginnt:
»Meine theure Julie, da habe ich einmal wieder Gelegenheit, Ihnen ganz im Vertrauen zu schreiben. Zwar weiß ich, daß Sie wenig Zeit haben, und daß in Ihrer glänzenden und ringsumworbenen Stellung es ganz Paris gegen mich aufbringt, wenn ich Sie für einige Augenblicke nöthige, meine langen Briefe zu lesen und darauf zu antworten. Doch ist es mir unentbehrlich, mich von Zeit zu Zeit Ihrer Freundschaft zu versichern. Auch wünsche ich, daß Ihre kleine Amélie sich meiner erinnere; sprechen Sie zuweilen von mir, damit, sollten wir uns je wieder sehen, ich ihr keine Fremde sei.
Es würde mich sehr beglücken, wenn ich hier Ihre liebenswürdige Freundin Es ist Frau von Staël gemeint. begrüßen könnte. Dieser Titel würde hinreichen, ihr meine Zuneigung zu sichern; aber ihr Geist und ihr schriftstellerisches Verdienst nöthigen mich zur Hochachtung, ja, Bewunderung.«
Jetzt kommt eine Stelle in dem Briefe der Königin, wo sie unter dem Eindrucke der unbestimmten Gerüchte von einer Landung Napoleon's schreibt, die, wie sie aus dem Verhältnisse ihres Bruders zu Madame Recamier mit Grund schloß, letztere nicht wenig beunruhigen mußte. Die Königin fährt demnach in ihrem Briefe so fort:
»Wenn Umstände, die ich nicht herbeiwünsche, die sich aber zutragen könnten, Sie, theure Julie, zu einer Reise zwingen sollten, so kommen Sie hierher; Sie finden in Neapel für alle Zeit eine aufrichtige, Sie zärtlich liebende Freundin. Man raunt sich vieles zu; sagen Sie mir genauer, wie sich alles verhält; seien Sie recht ausführlich darüber! Wir leben hier sehr ruhig und friedlich; es wäre zu wünschen, daß es in der ganzen Welt so aussähe.«
Als die Königin diesen Brief an Madame Recamier beendet und bereits geschlossen hatte, waren unterdeß von dem Siegeszuge Napoleon's genauere Nachrichten nach Italien gelangt. Sie fügt deshalb dem Obigen folgendes Neuere hinzu:
»Ich öffne meinen Brief wieder, da so eben sehr beunruhigende Nachrichten einlaufen. Man erzählt sich, ganz Paris sei im Aufstande, der König habe jeden Stützpunkt verloren; und Alles gehe drunter und drüber. Vergessen Sie ja nicht, daß Sie und Ihre Familie hier Freunde haben, die glücklich sein werden, Sie bei sich aufzunehmen! Sie finden hier treue Freundschaft, Bereitwilligkeit zu jedem Dienste und sichersten Schutz. Sagen Sie auch Herrn von Rohan, daß er hier mit seiner Familie ganz so empfangen und aufgenommen sein wird, wie damals, wo er allein kam.«
Zur Klarstellung der Sachlage haben wir zu bemerken, daß die Königin Caroline, die zu dem Fürsten Metternich früher in einem zärtlichen Verhältnisse gestanden, von dem schönen Prinzen von Rohan-Chabot, als er im Jahre 1813 sehr häufig um sie war, sich auch gern hätte den Hof machen lassen. Obgleich dies nun nicht geschah, und der Prinz sich überdies in der Zwischenzeit verheirathet hatte, so bot die Königin ihm dennoch ihren Schutz und ihre Gastfreundschaft an. Es ist dies sicher ein Zeichen ihres im Großen und Ganzen sehr edelmüthigen Charakters. Sie schließt ihren Brief an Madame Recamier mit folgenden Worten:
»Wir leben hier überaus ruhig. Der Zustand Frankreichs, sowie die wenig erquicklichen Verhältnisse der andern Länder, wohin die frühern Herrscher zurückgekehrt sind, haben zu unserer Befestigung wesentlich beigetragen. Das Volk liebt uns aufrichtig. Hat es doch in Erinnerung die Beispiele von all' dem Wehe, das veränderte Staatsverhältnisse und die Befriedigung niederer Rachegefühle mit sich führen. Die Neapolitaner fürchten mehr als je eine Veränderung, die ihnen den verhaßten Ferdinand zurückgeben könnte. Uebrigens darf ich es schon aussprechen, daß die jetzigen Beherrscher Neapels sich ernstlich um das Wohl ihrer Unterthanen bekümmern. Das Heer ist von gutem Geiste beseelt und hat einen Anführer, den aus dem Sattel zu heben nicht so leicht sein dürfte. Alles verkündet uns demnach eine ruhige Zukunft, was mich um so glücklicher macht, als mir dieser Umstand vergönnt, Ihnen einen sichern Hafen gegen die Stürme des Lebens anzubieten. Wie süß wäre es mir, wenn ich irgend etwas thun könnte, um Ihnen und Ihren Freunden den Umfang und die Stärke meiner Zuneigung zu beweisen.
Caroline.«
Unterdeß rückte Napoleon der sich in unbeschreiblicher Aufregung befindenden Hauptstadt näher und näher. Die Bourbonen und alle Royalisten, soweit es ihre Gesundheit und die Verhältnisse gestatteten, begaben sich auf die Flucht. Auch alle Freisinnigen, die mit dem Selbstherrscher nichts zu thun haben mochten, suchten einen stillen Winkel, wo sie die Entladung des Ungewitters ruhig abwarten wollten. Frau von Staël, in Thränen schwimmend und das Unglück im Voraus beklagend, das Napoleon auf's Neue über das arme Frankreich bringen werde, beschwor in dem Augenblicke, wo sie sich zur Abreise anschickte, ihre theure Julie, die Ankunft des Rücksichtslosesten aller Sterblichen in Paris nicht ruhig abzuwarten. Die übrigen, der Hauptstadt entfliehenden, Freundinnen der Madame Recamier hatten es so eilig und waren vor der Möglichkeit, daß Napoleon noch gleichzeitig mit ihnen in Paris eintreffen könne, so entsetzt, daß sie bei'm Abschiednehmen gar nicht mehr in den Salon hineinkamen, sondern im Vorzimmer ein schnelles und trauriges Lebewohl sagten. Dort sank der standhaft bleibenden Madame Recamier die Marschallin Moreau an die Brust, ihre Freundin anstehend, mit ihr nach England zu fliehen und dem, durch die Demüthigungen des Jahres 1814 gewiß zum äußersten Wüthen gereizten, corsikanischen Unholde sich nicht als ein Opferlamm darzubieten. Kaum war die Marschallin Moreau fort, so erschien die Herzogin von Mouchy, ebenfalls Lebewohl sagend und, gleich ihren Vorgängerinnen, zur Abreise drängend. Ihr folgte die Herzogin von Ragusa, und dieser ein ganzes Heer bekannter und befreundeter Damen, die sämmtlich das Dableibenwollen der Madame Recamier als Vermessenheit bezeichneten. Julie indeß blieb standhaft. Zwar rieth auch ihr Gatte dringend zur Abreise und schlug ihr Brüssel zum hoffentlich vorübergehenden Aufenthalte vor, wo sie den Verlauf dieses kriegerischen Intermezzos abwarten könne. Allein Madame Recamier hatte gesehen, wie ihr hochbetagter Vater bei dem Gedanken erzitterte, von seinem vergötterten einzigen Kinde vielleicht auf lange Zeit wieder getrennt zu werden, und um seinem Greisenalter die schmerzliche Aufregung eines neuen Abschiednehmens zu ersparen, entschloß sie sich, ruhig in Paris zu bleiben und Gott alles anheimzugeben.
Als Napoleon wieder in Paris angelangt war, und die Königin Hortense alle Mühe gehabt hatte, ihren zornigen Stiefvater zu beschwichtigen, der ihr bei der ersten Unterredung unter vier Augen die heftigsten Vorwürfe machte, daß sie nach seiner Abdankung in Frankreich geblieben sei und von Ludwig XVIII. den Titel einer Herzogin von Saint-Leu angenommen habe; als demnach Napoleon aufs Neue in Paris gebot, und die Königin Hortense bei ihrer Klugheit und Sanftmuth allmälig wieder seine Gunst gewann, so war es ihr erfreulich, der von ihr geschätzten und geliebten Madame Recamier ihren Schutz anbieten zu können. Sie schrieb ihr deshalb den 23. März 1815 folgende Zeilen:
»Ich hoffe, daß Sie ruhig sind, und daß Sie Paris nicht verlassen, wo Sie Freunde haben, denen Sie den Schutz Ihrer Interessen getrost anvertrauen können. Uebrigens bin ich überzeugt, daß sich mir nicht einmal die Gelegenheit darbieten wird, den Beweis zu liefern, wie es mir Freude macht, Ihnen nützlich sein zu dürfen. In allen Fällen zählen Sie auf mich und seien Sie überzeugt, daß ich glücklich sein werde, Ihnen die Treue jener Gefühle zu beweisen, die ich Ihnen für immerdar geweiht habe.
Hortense.«
Die in diesem Billet ausgesprochene Vermuthung bestätigte sich. Napoleon hatte zu viele Vorkehrungen zu treffen gegen die Herrscher Europa's, von denen er in die Acht erklärt worden, als daß er auf kleinliche Weise Madame Recamier hätte quälen sollen, was sonst gar nicht mit seinem Charakter im Widerspruch gewesen wäre. Der Sturm der hundert Tage brauste vorüber, ohne daß er Madame Recamier schwerer getroffen hätte, als das übrige Frankreich. Sie hatte demnach das befriedigende Selbstbewußtsein, ihrem alten Vater zu Liebe sich einer Lage ausgesetzt zu haben, die von den Meisten für gefährlich gehalten wurde.
Hatte Madame Recamier nun den Schutz der Königin Hortense gar nicht nöthig gehabt, so war es ihrem Herzen doch wohlthuend, daß ihr, die in dem Garten der Freundschaft für so Viele köstliche Blumen und Früchte zeitigte, zuweilen auch von der Gemüthsaue Anderer Labung und Stärkung zuströmten. Sie war übrigens ein zu liebes und liebenswürdiges Wesen, als daß nicht Jeder, falls er nicht ein ganz schlechtes Herz hatte, sobald er sie nur ein wenig kannte, beeifert gewesen wäre, ihr Schutz angedeihen zu lassen, wenn sie dessen bedurfte, und Trost ihr zuzusprechen, wenn sie Kummer belastete. So hatte Barrère während der Schreckenszeit seinen Arm über ihr gehalten; so strömte in den Jahren 1802 und 1806 die ganze durch Geburt und Verdienst ausgezeichnete Pariser Welt in ihr Hotel, um bei den beiden Katastrophen, die sie betroffen, zu helfen oder wenigstens zu trösten; so erklärte sich im Jahre 1815 die Königin Hortense bereit, ihr Haupt vor dem Donnerkeile Napoleon's zu bewahren.
Wenn demnach Madame Recamier die labendsten Früchte der Freundschaft spendete, so empfing sie auch ihrerseits manche süße und erquickende Gabe, die sie getrost hinnehmen konnte, da sie selbst im Gewähren so Großes leistete.
Das ruhige Verweilen der Madame Recamier in Paris, während ihre Freundinnen wie Tauben vor dem Geier nach allen Himmelsrichtungen verstoben, macht ihrem Muthe und ihrem Pflichtgefühle alle Ehre. Dies standhafte Beharren flicht ein schönes Blatt in den reichen Kranz ihrer Tugenden.