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Die erste Begegnung der Madame Recamier mit der Frau von Staël.

Das Bankiergeschäft des Herrn Recamier erweiterte sich mehr und mehr, so daß aus dem wohlhabenden Manne ein Millionär ward. Seine Beziehungen zu auswärtigen Ländern brachten es mit sich, daß von den vielen berühmten, vornehmen und reichen Persönlichkeiten, die bei wiedergekehrter Sicherheit sich an den mannigfachen Reizen des Pariser Lebens ergötzten, die meisten bei ihm Empfehlungsschreiben abgaben, um der feinen Geselligkeit seines Hauses und des Anblickes einer Frau theilhaftig zu werden, deren Schönheit, Geist und Herzensgute sie zu einem der größten Anziehungspunkte der französischen Hauptstadt machten. Demnach reichten die von Herrn und Madame Recamier bis dahin bewohnten Räumlichkeiten nicht mehr aus, um so vielen, aus allen Theilen Europa's herandrängenden Gästen einen behaglichen Aufenthalt zu gewähren. Herr Recamier sah sich deshalb nach einem größern Hause um, wofür man jetzt, da das Directorium dem ewigen Köpfen der Guillotine Stillstand geboten hatte, schon wieder das Wort »Hotel« zu gebrauchen wagte, was man während der Schreckensherrschaft nimmermehr durfte, wenn man nicht als Aristokrat angeklagt werden und mit dem Fallbeil Bekanntschaft machen wollte. Hatte Doctor Guillotin allerdings behauptet, daß durch das von ihm erfundene Fallbeil nur eine angenehme Kühlung am Halse verursacht werde, so hatten doch die Meisten, selbst bei heißesten Sommertagen, keine Neigung, dieser belebenden Empfindung, die freilich das Leben zugleich mitfortnahm, theilhaftig zu werden. Herr Recamier brauchte also für seinen sich täglich erweiternden Gesellschaftskreis ein Hotel. Das Haus, das er bis dahin rue du Mail, 12, bewohnt hatte, konnte die vielen Fremden nicht aufnehmen, die aus allen Himmelsgegenden herbeiströmten, um der Göttin der Schönheit ihre Verehrung zu bezeugen. Nun traf es sich glücklich, daß Frau von Staël sich damals in Paris befand, um ein ihrem Vater gehöriges Hotel zu verkaufen. Dies, sich später bei der immer erweiternden Recamier'schen Geselligkeit auch zu klein herausstellende, aber im Vergleich zu der bisherigen Wohnung sehr stattliche Hotel lag in der damaligen rue du Mont-Blanc, die später in die rue de la Chaussée-d'Antin umgetauft ward.

Madame Recamier wohnte übrigens während des Frühlings und Sommers gar nicht in der Stadt. Da sie ein poetisches Gemüth hatte – sonst wäre sie trotz ihrer wunderbaren Schönheit für die höchsten Geistescelebritäten nicht von so unwiderstehlicher Anziehungskraft gewesen – da die den prosaischen Menschen stumme Natur für sie eine Sprache fand, so weilte sie gern auf dem Lande. Herr Recamier miethete deshalb für sie das Schloß von Clichy, das vor den Thoren von Paris lag, und wo sie seit dem Sommer des Jahres 1796, da ihre Mutter mit ihr hinauszog, ein sehr vergnügtes Leben führte. Herr Recamier, der die poetischen Neigungen seiner Frau nicht theilte – er war nicht ganz, aber doch annähernd so prosaisch, wie der reiche Frankfurter Handelsherr Brentano, der Vater zweier so überschwenglichen Kinder – Herr Recamier kam nur zum Mittagsessen heraus und kehrte gegen Abend in die Stadt zurück. War das Wetter weniger günstig, und hatte Madame Recamier keinen großen Kreis um sich versammelt, so fuhr sie ebenfalls nach Paris, wo sie in der großen Oper und im Théàtre-Français eine Loge hatte. Nach beendeter Vorstellung kehrte sie aber regelmäßig aufs Land zurück.

Eines Tages nun, als Herr Recamier in Clichy zum Diner erschien, kam er in Begleitung einer Dame, die, da er sich bald zu ihm bekannten, im Parke auf und nieder wandelnden Herren hinausbegab, bei seiner Frau im Salon zurückblieb, ohne daß Letztere ihren Namen wußte. Bei deutschen und englischen Damen, die oft langweilig ceremoniös sind, wäre dies eine mißliche Sache gewesen. Nicht so hier. Denn es befanden sich in diesem Augenblicke zwei Frauen gegenüber, die beide durch das Leben in der großen Welt ein leichtes und sicheres Benehmen erlangt hatten, und die vermöge eines allgewaltigen Instincts zu einander hingezogen wurden. Madame Recamier, die als echte Französin sich so vortheilhaft zu kleiden verstand, streifte mit einem Blicke die nicht weit von ihr sitzende Dame und fand, daß diese mit dem Geschmack auf gespanntem Fuße stehe. Da nun Geschmacklosigkeit im Anzuge bei Französinnen eine große Seltenheit ist, so hielt Madame Recamier die fremde Dame für eine Ausländerin. Machte der geschmacklose Anzug der Fremden auf sie allerdings einen ungünstigen Eindruck, so fühlte sie sich dennoch mächtig zu ihr hingezogen, da aus zwei herrlichen Augen reicher Geist und große Herzensgüte herausstrahlten. Die Augen der Fremden ruhten mit unverkennbarem Entzücken auf dem Antlitze der Madame Recamier, so daß Letztere ein wenig verlegen ward. Diese Verlegenheit steigerte sich zu einem sehr hohen Grade, als die Fremde sich erhob, ihr näher trat und von dem Entzücken sprach, das ihr die persönliche Bekanntschaft der Madame Recamier verursache. »Mein Vater, Herr Necker,« dies waren die letzten Worte, die Madame Recamier deutlich hörte. Sie wußte jetzt, daß Frau von Staël, die berühmte Schriftstellerin, vor ihr stand. Da sie die bis dahin erschienenen Werke der Frau von Staël sämmtlich gelesen und sehr bewundert hatte, so fühlte sie sich – Madame Recamier gesellte zu ihren vielen Vorzügen auch die Bescheidenheit – dieser Berühmtheit gegenüber unendlich klein. Doch Frau von Staël, die ebenso gut als klug war und bei ihrem dichterischen Feuer, hinblickend auf so viel Schönheit und Anmuth, in Begeisterungsflammen erglühte, Frau von Staël verscheuchte bald bei Madame Recamier die ursprüngliche, große Verlegenheit. Mit der edlen Offenheit des Genies und in jener wunderbaren Wohlredenheit, die Frau von Staël zu einem weiblichen Demosthenes machte, schilderte sie die gehobenen Empfindungen, die durch so seltenen Liebreiz bei ihr erweckt würden. Madame Recamier, die in seltenem Grade das Gefühl für Schicklichkeit besaß, würde eine so schwärmerische Lobrede auf ihre Schönheit aus jedem andern Munde höchst unpassend gefunden haben. Aber vermöge ihres poetischen Sinnes fühlte sie, daß sie sich hier den Offenbarungen des Genies gegenüber befand, die allgewaltig hervorquellen und enge gesellschaftliche Satzungen vor sich her treiben. Nachdem Frau von Staël, wie eine Pythia, der sie beherrschenden Begeisterung gehorcht und dem Strome des Entzückens seinen vollen Lauf gestattet hatte, ging sie in eine ruhigere Tonart über und erzählte, wie sie bald nach Coppet zu ihrem Vater zurückkehren werde, wie sie aber den Winter in Paris zu verleben gedenke und dann hoffe, häufiger mit Madame Recamier zusammenzukommen.

Und so geschah es auch.

Die erste flüchtige Begegnung der beiden ausgezeichneten Frauen bildete sich später zu der innigsten Freundschaft aus, weshalb die eine, wie die andere, gern in der Erinnerung bei jenem Tage in Clichy verweilte. Madame Recamier sagt von ihm: » Ce jour fait époque dans ma vie.«


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