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Seitdem Madame Recamier in dem Hotel der Rue de la Chaussée-d' Antin wohnte, war ihre Gastfreundschaft eine wahrhaft fürstliche. In ihrem, einzig von Schönheit und Anmuth bewohnten, aber nicht durch politische Debatten beunruhigten Salon fanden sich alle Parteien, wie auf einem neutralen Boden, zusammen. Denn man hat zu beachten, daß, wenn die eiserne Hand des ersten Consuls auch allen Parteien den Nacken beugte, doch die verschiedensten Wünsche und Bestrebungen in der Brust der äußerlich Gebändigten, aber nicht innerlich Gewonnenen zurückblieben. In dem Salon der Madame Recamier nun, wo die Grazien unumschränkt geboten, und die Unterhaltung sich meist um Kunst und Literatur drehte, fanden sich Alle gern ein, weil Jeder dort sich heimisch fühlte und aus dem anmuthigen Verkehr nur wohlthätige Erinnerungen mitfortnahm. Wegen des feinen Tons, der im Salon der Madame Recamier herrschte, und der an die verbindlichen Formen des ancien régime erinnerte, fanden sich dort vorzugsweise die zurückgekehrten Emigranten ein. Sahen sie doch dort schöne, vergangene Tage wiederaufleben. Man begegnete in dem Salon der Madame Recamier edlen Mitgliedern der großen Familie Montmorency Im Jahre 1815 sah man drei Generationen der Montmorency's in dem Salon der Madame Recamier, nämlich den alten Herzog von Montmorency-Laval, seinen Sohn, Adrien von Montmorency, Prinzen von Laval, und seinen Enkel, Heinrich von Montmorency. Der Enkel der Montmorency's schwärmte noch feuriger für Madame Recamier, als Vater und Großvater. Adrien pflegte von diesem Cultus, den seine ganze Familie der Madame Recamier weihte, zu sagen: »Die Montmorency's sterben gerade nicht an dieser Liebe, aber alle sind bis in's Herz getroffen.«, dem Herzoge von Guignes, dem Grafen von Narbonne, dem weltmännischen Christian von Lamoignon und vielen andern Mitgliedern des ältesten französischen Adels. Auch traf man dort auf viele Männer, die mehr oder minder mit der Consularregierung zusammenhingen. Mit dem Augenblicke allerdings, wo Bonaparte seine Abneigung gegen den Salon der Madame Recamier zu erkennen gegeben hatte, verschwanden sie; denn sie gehorchten ja seinen leisesten Winken, als ob er ein asiatischer Despot wäre. In den ersten Jahren der Consularregierung verfehlten aber die Männer des Tages nicht, sich in dem Salon der berühmtesten Schönheit einzufinden. Da kamen Lucian Bonaparte, Fouché, Eugen Beauharnais, Bernadotte, Massena, Moreau und eine ungezählte Menge von mehr oder minder bekannten Generalen. Daß die Männer der Kunst und Wissenschaft sich ebenfalls einfanden, braucht kaum weiter erwähnt zu werden. So war der Salon der Madame Recamier der erste und gesuchteste der französischen Hauptstadt.
Unter den vielen ausgezeichneten Personen nun, die der Göttin der Schönheit und Anmuth ihre Huldigungen darbrachten, traten zwei Mitglieder der Familie Montmorency bald zu ihr in engere Beziehungen, wir meinen das Verhältniß echter und wahrer Freundschaft. Es waren dies Adrien und Mathieu von Montmorency, zwei Vettern, gleich an erlauchter Geburt und ähnlich an edlen, wahrhaft vornehmen Gesinnungen. Adrien, den Madame Recamier vor Mathieu kennen lernte, war ungefähr dreißig Jahre alt, als er zuerst mit der schönen Frau zusammentraf. Durch sein Aeußeres machte er nicht gerade einen günstigen Eindruck. Wenn auch groß und schlank und über seine vornehme Geburt nicht in Zweifel lassend, hatte er doch andrerseits unverkennbar etwas Linkisches im Auftreten und in seinen Bewegungen. Dies kam wol daher, weil er äußerst kurzsichtig war und stammelte. Bei zwei so wesentlichen Hindernissen, konnte er zu keinem eigentlichen Salonhelden gedeihen, was übrigens bei seiner mehr nach Innen gekehrten Natur auch gar nicht in seiner Absicht lag. Die ernste Zeit war ihm eine Lehrmeisterin für das Hohe und Edle geworden, so daß der flüchtige Beifall der Menge, mochte sie immerhin vornehme Titel tragen, ihn gänzlich gleichgültig ließ. Er hatte in dem Heere des Prinzen von Condé gedient und, als alle Versuche der Emigranten, mit bewaffneter Hand in Frankreich einzudringen, fruchtlose geblieben, sich nach England begeben, von wo er, nach erhaltener Erlaubniß von Seiten der französischen Regierung, in seine Heimath zurückkehrte.
War der Grundton bei Adrien Montmorency ernst, so hatte sein Vetter Mathieu etwas Feierliches, fast Priesterhaftes. Er stand in seinem achtunddreißigsten Lebensjahre, als er Madame Recamier kennen lernte, mithin hätte er wegen seines Alters noch der weltlichen Lust zugekehrt sein können. Aber schwere Prüfungen hatten seinen Sinn geläutert und seine Seele mit der Sehnsucht nach ihrer ewigen Heimath erfüllt. Gleich vielen andern Mitgliedern des französischen Adels für den Freiheitskampf der Nordamerikaner erglühend, hatte er, wie Lafayette und Rochambeau, für die Republik sein Schwert gezückt und war voll Begeisterung in die Ideen der französischen Revolution eingetreten. Sein Name schimmert in der Nacht des vierten August, wo auf seinen Antrag der französische Adel allen Vorrechten entsagte. Doch die Greuel der Revolution bewirkten bei ihm eine gänzliche Sinnesänderung. Er war im Jahre 1792 nach der Schweiz ausgewandert, wo er viel mit Frau von Staël verkehrte, die ihn mit ihrer herrlichen Beredsamkeit aufrichtete, denn er zitterte für das Leben zurückgebliebener theurer Verwandten. Wir wissen aus den Berichten der Frau von Staël, wie sie mit Mathieu von Montmorency in ihrem Parke auf und nieder wandelte, und wie sie, wenn sein banger Blick nach Frankreich hinirrte, wo ein von ihm mit Verehrung geliebter Bruder im Kerker schmachtete, wie sie auf die im Abendroth glühenden Kuppen der Berge wies und sein Herz aus dem trüben Thale des Diesseits hinaufzuretten suchte auf die ewig leuchtenden Höhen des Jenseits. Als nun das Schreckliche, vor dem Mathieu von Montmorency bangte, dennoch eintraf, da legte Frau von Staël den Balsam der Freundschaft auf seine Herzenswunde, die freilich nie vernarbte. Während der ersten Wochen, die auf die entsetzliche Nachricht folgten, daß das Haupt des Abbé von Laval unter der Guillotine gefallen sei, fürchtete Frau von Staël, ihr Freund Mathieu möge seinen Verstand verlieren. Denn in seiner furchtbaren Verzweifelung wüthete er gegen sich selbst. Er zieh sich der Hauptschuld an dem Tode seines Bruders. Hatte er doch mit Begeisterung die Grundsätze der Revolution verfochten, die jetzt, wie eine Tigerin nach Blut lechzend, überallhin Trauer und Schrecken verbreitete. Die Erbitterung gegen sich selbst bewahrte ihn vor dem Zusammensinken in dumpfe, sprachlose Betäubung. Frau von Staël, die diesen letztern Zustand als den bedenklichsten erachtete, ließ den armen Mathieu fast nie allein und brachte es durch die kluge und zugleich zarte Behandlung seines gefolterten Gemüthes dahin, daß er die furchtbare Krisis glücklich überstand, ohne die Klarheit seines Geistes einzubüßen. Aber diese Wochen voll Todesangst und Verzweifelung, diese Jahre voll tiefer und unauslöschlicher Trauer brachten bei Mathieu von Montmorency eine gänzliche Umwandlung hervor. Aus dem weltlichen, freisinnigen, dem Frauencultus ergebenen Edelmann ward ein strenger, gläubiger, dem Jenseits zugewandter Christ, der bei Allen, die er liebte, jenen Durchbruch der Gnade zu bewirken suchte, die ihn selbst vor dem Aeußersten bewahrt hatte.
Als nun Mathieu von Montmorency mit Madame Recamier häufiger zusammenkam und vermittelst seines in der Schule des Lebens geschärften Blickes bald erkannte, daß ihr Herz ebenso schön sei, wie ihr Antlitz, da beschloß er, diese sichtbar von Gott und den Menschen geliebte Creatur zu schützen und zu schirmen, auf daß sie dem Dämon der Welt nicht zum Opfer falle.
Mathieu von Montmorency hat seine Aufgabe glücklich gelöst, und weil er auf das Leben der Madame Recamier von so segensreicher Einwirkung war, so müssen wir diesem Walten echter Freundschaft eine eingehende Betrachtung widmen.