Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Als Madame Recamier wieder in Rom anlangte, wurde die Schlacht von Leipzig geschlagen. Es begreift sich, daß, während fast ganz Europa um den Imperator, dessen Uebermuth durch Niederlagen nicht gebrochen ward, einen sich immer mehr verengenden eisernen Wall zog, es begreift sich, daß die vornehme Welt, deren Väter, Gatten und Söhne im Feldlager standen, für Vergnügungsreisen keinen Sinn hatte, daß es demnach in Rom an Fremden fast ganz fehlte. Nur eine Frau, wie Madame Recamier, die europäische Verbindungen hatte, erblickte hin und wieder einen Fremden von Auszeichnung. So sah sie den Herrn Lullin von Chateauvieux während seines nur kurzen Aufenthaltes in Rom häufiger in ihrem Salon, da dieser Genfer von lebhaftem und glänzendem Geiste gern seine, mit ihr in Coppet angeknüpfte, Bekanntschaft erneuerte. Da Madame Recamier von der napoleonischen Polizei mit Argusaugen überwacht ward, und es demnach nicht anging, daß sie den ihr fast unentbehrlich gewordenen Briefwechsel mit Frau von Staël fortsetzte, so war es wenigstens ein Trost für sie, sich über die geliebte Freundin mit einem Manne unterhalten zu können, der sie ungemein verehrte.
Als der geistvolle Genfer wieder abgereist war, trat eine andere, ebenfalls Beachtung verdienende und von der für alles Höhere empfänglichen Madame Recamier mit gebührender Auszeichnung aufgenommene, Persönlichkeit an die leer gewordene Stelle. Es war Herr von Montlosier. Doch verweilte dieser nur kurze Zeit in Rom, da er die Vulcane zum besondern Felde seiner Forschung gemacht hatte und deshalb zum Vesuv und Aetna eilte, um dort für seine Theorien nicht zu bestreitende Aussprüche der Natur zu gewinnen und so wissenschaftliche Probleme zur physikalischen Gewißheit zu erheben.
Nach Herrn von Montlosier traf eine, zwar nicht mit wissenschaftlichem Harnische umgebene Persönlichkeit, aber doch sehr ritterliche Erscheinung ein, nämlich der Prinz von Rohan-Chabot, der, obgleich er sich hatte entschließen müssen, kaiserlicher Kammerherr zu werden, nichtsdestoweniger der Madame Recamier sehr eifrige Huldigungen darbrachte und jeden Abend in ihrem Salon verweilte. Er war in der Blüthe der Jugend und hatte ein zartes, schönes Gesicht, das einen erhöhten Reiz durch den Ausdruck kindlicher Unschuld empfing, der seinen Zügen eingeprägt war. Dabei hatte er die untadelhaften Manieren des ancien régime, kleidete sich mit ausgesuchtem Geschmack, und der Ton seiner Stimme war sanft und einschmeichelnd. Damit er den Frauen nicht allzu gefährlich werde, hatte die sonst gegen ihn so verschwenderische Natur ihm einen nicht gerade scharfen Verstand bescheert, obgleich man ihn keineswegs einfältig nennen konnte. Da der Prinz von Rohan-Chabot nach Neapel reisen wollte und sich des Anblickes seiner schönen Landsmännin gern auch noch ferner erfreut hätte, so forderte erste dringend auf, sich ebenfalls dorthin zu begeben. Obgleich nun Madame Recamier den lebhaften Wunsch hegte, diesen schönsten Theil Italiens sehen und bewundern zu können, so hatte sie doch bisher Anstand genommen, dahin zielende Pläne auszuführen. Es hielt sie nämlich die Rücksicht auf das in Neapel herrschende Königspaar zurück. Wie wir schon erzählten, hatte Caroline Bonaparte, die spätere Königin von Neapel, während ihres Pariser Aufenthaltes der Madame Recamier vielfache Beweise einer zärtlichen Freundschaft gegeben, und auch Murat war häufig in ihrem Salon erschienen. Jetzt aber, wo sie eine Verbannte war, mochte sie die königliche Familie durch ihre Ankunft nicht in Verlegenheit setzen. Aller Vermuthung nach hatten sowohl Murat, wie seine Gemahlin, ihr die alte Zuneigung bewahrt; aber bei der strengen Zucht, unter welcher Napoleon die von ihm geschaffenen Herrscher hielt, wäre es für den König von Neapel bedenklich gewesen, einer von seinem Schwager Gehaßten Freundschaft zu beweisen. Madame Recamier theilte dem Prinzen von Rohan-Chabot ihre Bedenken mit, als dieser bei seiner Abreise die Hoffnung aussprach, sie bald in Neapel wiederzusehen. Daß sie sich diesmal einen Zwang auferlegt hatte, der von Denen, zu deren Gunsten es geschah, gar nicht begehrt ward, erfuhr sie durch den Prinzen von Rohan-Chabot, der sogleich nach seiner Ankunft in Neapel von der königlichen Familie war empfangen worden. Da er dem Königspaare die Rücksichten mittheilte, die Madame Recamier in Rom zurückhielten, so ward er ersucht, sofort die schöne Verbannte zu benachrichtigen, daß man an höchster Stelle in Neapel über ihre Ankunft entzückt sein werde. In Folge dieses Briefes, der ihre Bedenken als durchaus nicht begründet erscheinen ließ, entschloß sich Madame Recamier, den schönsten Golf der Welt nunmehr aufzusuchen. Da sie den Prinzen von Rohan-Chabot von ihrer veränderten Willensmeinung in Kenntniß gesetzt hatte, so schrieb er ihr folgende Zeilen:
»Neapel, den 22. November 1813.
Ich beeile mich, auf den Brief zu antworten, den ich gestern von Ihnen erhielt. Wie bin ich entzückt, Madame, daß Sie sich endlich bereitwillig erklären, nach Neapel herüberzukommen! Ich habe sofort den König von Ihrem Entschlusse in Kenntniß gesetzt. Es werden ohne Verzug Befehle gegeben werden, damit Sie auf Ihrem ganzen Wege die nöthigen Schutzwachen finden, falls es nöthig sein sollte. Uebrigens wird allgemein versichert, daß man auf der Landstraße für den Augenblick durchaus keine Gefahr läuft.«
Diese Versicherung des Prinzen von Rohan-Chabot beruhte auf strengster Wahrheit. Murat hatte durch eiserne Strenge den Banditen ihr Handwerk gelegt, so daß man ungefährdet von Rom nach Neapel reisen, konnte.
In der Besorgniß nun, daß die schöne Frau ihren Entschluß noch wieder ändern könne, fügte Herr von Rohan-Chabot folgende dringliche Worte hinzu:
»Bedenken Sie, Madame, daß der König von Ihrer baldigen Ankunft in Kenntniß gesetzt ward, und daß es mit Ihrer allbekannten Liebenswürdigkeit nicht übereinstimmen würde, falls Sie Erwartungen täuschten, die schon so viele Freude hervorriefen.«
Dieser Brief hatte noch eine Nachschrift folgenden Inhalts:
»Sollten Sie eine Schutzwache nöthig haben, so brauchen Sie auf neapolitanischem Gebiete nur Ihren Namen zu nennen, und sie wird Ihnen sofort gewährt werden. Für das römische Gebiet könnte General Miollis Ihnen Gendarmen zur Verfügung stellen.«
So dringender Aufforderung nachgebend, reiste Madame Recamier in den ersten Tagen des Decembers nach Neapel ab. Wie sie von Turin nach Rom einen würdigen Deutschen zum Reisebegleiter gehabt hatte, so diente ihr diesmal ein sehr ehrenwerther Engländer als Schutz und Schirm, nämlich Sir J. Coghill, der als eifriger Sammler von Antiken sich damals eines weitbekannten Namens erfreute. Der Engländer hatte seinen Wagen für sich, und ebenso Madame Recamier den ihrigen. In Velletri fanden sie bereitgehaltene Pferde für zwei Fuhrwerke, so wie Rosselenker, die sofort in den Sattel sprangen. Es ging demnach mit ungewöhnlicher Pünktlichkeit weiter. Da sich dies an mehreren Stellen wiederholte, und weder Madame Recamier, noch der Engländer sich bewußt waren, diese Vorkehrungen veranlaßt zu haben, so fragten sie endlich an einer neuen Haltestelle, was diese, an Zauberei grenzende, Schnelligkeit eigentlich bedeute. Man antwortete ihnen, die Sache sei ganz in der Ordnung, da ein Eilbote für zwei ihm nachfolgende Fuhrwerke diese Vorsorge getroffen habe. Es war nun offenbar, daß sie seit längerer Zeit von den für einen andern Reisenden bestimmten Annehmlichkeiten Nutzen gezogen hatten. Madame Recamier und der Engländer waren sich bewußt, an dieser Verwechselung keine Schuld zu tragen; sie gaben demnach ihr Gewissen in Ruhe und harrten der kommenden Dinge in vollkommener Gemüthlichkeit.
Da die Pferde wegen ihrer häufigen Erneuerung stets mit frischen Hufen ausgriffen, so langten die Reisenden zu guter Zeit in Terracina an, wo sie nächtigen wollten. Als Madame Recamier ihr Reisekleid gegen einen Gesellschaftsanzug vertauscht hatte und sich eben anschickte, ihr Abendessen einzunehmen, hörte sie lautes Schellengeklingel, das Knallen von Peitschen und das Heranrollen mehrerer Wagen. Dies waren sicher die Reisenden, die durch sie und den Engländer stets des Vorspanns waren beraubt worden. Ihre Vermuthung sollte sich bald als eine nur zu begründete herausstellen. Denn plötzlich hörte sie einen Mann mit Ungestüm die Treppe heraufsteigen und in hochfahrendem Tone die Worte ausstoßen: »Wo sind diese Frechen, die mir auf der ganzen Wegstrecke meine Pferde gestohlen haben?« Madame Recamier erkannte sofort die Stimme des Zürnenden. Es war Fouché, Herzog von Otranto. Sie beeilte sich, ihre Thür zu öffnen, und antwortete mit lachendem Munde: »Hier finden Sie die Uebelthäter. Ich, Herr Herzog, trage alle Schuld.«
Fouché wich etwas verlegen zurück, daß die gefeierte Pariser Salondame ihn bei so rauhem Ungestüm ertappt hatte. Madame Recamier war zu gutmüthig, um sich an seiner Verlegenheit zu werden, obgleich sie sich sagen konnte, daß er an ihrer Verbannung gewiß mit Schuld trage. Sie lud ihn artig ein, sich in ihrem Zimmer auszuruhen, und sprach dann über gleichgültige Dinge, alles Politische vermeidend, um nicht den Kaiser erwähnen zu müssen, Doch Fouché konnte den Kaiser so leicht nicht vergessen, da er sich gerade in dessen Auftrage nach Neapel begab, um Murat in seiner schwankenden Treue zu befestigen. Fouché, ohne der Madame Recamier dafür dankbar zu sein, daß sie ihm erst über seine Verlegenheit gutmüthig hinweggeholfen hatte, fühlte in seiner bösartigen Natur bald die Aufforderung, der Frau, die gegen ihn so zart gewesen, etwas Unzartes zu sagen. Denn plötzlich fragte er mit fast drohendem Tone, was sie in Neapel zu thun gedenke, und was sie dort überhaupt zu schaffen habe. Dann gab er ihr in ziemlich hochfahrender Weise Rathschläge, wie sie alles vermeiden müsse, den Unwillen des Kaisers zu steigern. Das wenig verbindliche Benehmen Fouché's rief den lebhaften Unwillen der sonst so sanftmüthigen Madame Recamier hervor. Ihre stolze Haltung und der gekränkte Ausdruck ihres Gesichts zeigten deutlich, wie sehr das Benehmen Fouché's ihr mißfallen habe. Doch dieser lenkte nicht so leicht auf eine bessere Bahn hinüber, sondern verstockte sich in seiner Unliebenswürdigkeit. Es blieb demnach der sonst so nachsichtigen Madame Recamier nichts übrig, als durch ihre Haltung anzudeuten, daß sie von seiner Gegenwart befreit zu sein wünsche. Er erhob sich, da ihm so unzweideutig zu erkennen gegeben ward, daß er lästig falle. Doch vermehrte diese Wahrnehmung noch seine Galle, die er vor seinem Weggehen noch von sich geben mußte. »Erinnern Sie sich, Madame«, sprach er, als er sich zum Abschiede verneigte, »daß man unterwürfig sein muß, wenn man schwach ist.« – »Und man muß gerecht sein, wenn man stark ist,« antwortete die schöne, muthige Frau, die vor dem Kaiser und dessen Schergen ihre stolze Haltung bewahrte.
Fouché zog sich mit einem giftigen Blicke zurück, und Madame Recamier trat zum Fenster, um nach dem blauen Abendhimmel emporzuschauen, wo, wie sie wußte, ein Starker wohnte, der zugleich gerecht war.
Am andern Morgen setzte Madame Recamier ihre Reise nach Neapel fort, wo der Prinz von Rohan-Chabot für sie Zimmer im Hôtel de la Grande-Bretagne belegt hatte, so daß sie sich nach einer Wohnung nicht weiter umzusehen brauchte.