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Der Schönheitszauber der Madame Recamier.

Bei dem Sturze der Schreckensherrschaft athmete ganz Frankreich auf. Kamen auch erst mit dem achtzehnten Brumaire gesicherte Zustände, und herrschte unter dem Directorium noch viel Unruhe und Verwirrung, so war doch das Fallbeil der Guillotine nicht mehr in unablässiger Arbeit. Mochte es im ganzen Staate auch noch ziemlich unerquicklich aussehen, so hinderte dies die Franzosen doch nicht im Geringsten, das fröhliche gallische Element ihres Volkscharakters wieder herauszukehren. Da das durch die Revolution unterbrochene oder vielmehr ganz zerstörte Salonleben sich nur sehr langsam wiederherstellte, so mußten auch die vornehmeren und reicheren Personen ihr Vergnügen meist an öffentlichen Orten suchen, im Schauspiel, auf Bällen mit Eintrittsgeld, wo zuerst eine sehr gemischte Gesellschaft erschien, und in Gärten, wo Musik und Feuerwerk die herbeiströmende Menge unterhielt. Herr Recamier, der seinem Bankiergeschäfte bei mehr ruhigen Zuständen eine immer größere Ausdehnung gab, mithin viel Geld verdiente, brauchte jetzt nicht mehr ängstlich zu vermeiden, mit seiner Gattin, deren Schönheit mit jedem Tage strahlender ward, und mit den Zeichen seines Reichthums an die Öffentlichkeit zu treten. So erschien er denn häufiger mit seiner liebreizenden Gattin im Theater, auf Bällen und bei musikalischen Aufführungen. Ueberall erregte die seltene Schönheit Juliens eine sich zur Begeisterung steigernde Bewunderung. Da es in Frankreich Sitte ist, wenn für irgend einen wohltätigen Zweck gesammelt wird, die schönsten und angesehensten Frauen der jedesmaligen Ortschaft zu ersuchen, daß sie für die Armen sich dieser Anstrengung unterziehen, so ward begreiflicher Weise auch die wunderschöne Madame Recamier aufgefordert, für die Nothleidenden ihres Bezirks einen Bittgang zu machen. Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß Madame Recamier, die aus eigenen Mitteln die Armen aufs Reichste unterstützte, sich einem solchen Liebeswerke gern unterzog. Doch mußte sie später auf diese Art wohlzuthun Verzicht leisten, da die lauten Ausrufe der Bewunderung, die ihre liebliche Schönheit hervorrief, sie allzu sehr in Verlegenheit setzten. In der Kirche Saint-Roch war es, wo Madame Recamier zum ersten und zum letzten Male für die Armen sammelte. Als es plötzlich in den Seitengängen des Gotteshauses verlautete, daß im Schiff der Kirche die schönste Frau von Paris mit einer Büchse umherwandere, so stürzten Alle dahin, und der Raum zu ebener Erde genügte bald nicht mehr der andrängenden Schaulust. Da nun die französischen Herren sich in den Kirchen meist wie im Schauspielhause benehmen und mit Opernguckern bewaffnet auf Stühle und Bänke steigen, um einen weitern Umblick zu haben, so darf man sich nicht wundern, wenn diesmal ähnlich verfahren ward. Man klomm auf Stühle, Säulenpfeiler, Seitenaltäre, kurz, wo man nur einen Platz fand, um die Heiligkeit und Ehrwürdigkeit des mit Füßen getretenen Gegenstandes sich keinen Augenblick bekümmernd. Zum Glück wanderte die schöne junge Frau nicht ganz schutzlos inmitten dieser vor Entzücken bebenden Menge. Nach dem bei solchen Einsammlungen üblichen Herkommen gingen zwei ältere Herren ihr zur Seite, nämlich Emanuel Dupaty und Christian von Lamoignon. Konnten die beiden würdigen Männer auch das Ohr der Madame Recamier nicht gegen die lauten Ausrufe der Bewunderung verschließen, die sich rings über ihre engelgleiche Schönheit erhoben, so vermochten sie doch neugierig Andrängende von unmittelbarer Berührung fernzuhalten. Die Sammlung, zu der Madame Recamier ihre schöne Beihülfe hergeliehen, brachte 20,000 Franken ein; doch hatte ihr Zartsinn und ihre Bescheidenheit unter der stürmischen Bewunderung so gelitten, daß ihr der Muth fehlte, bei ähnlichen öffentlichen Einsammlungen wieder mitzuwirken. Da sie nun durch ihren reichen und zum Geben stets geneigten Gemahl für ihre Privatwohlthätigkeit eine immerdar offene Kasse hatte, so brauchte sie sich nicht auf's Neue zu einem Schritte zu entschließen, der ihr sehr schwer geworden, vor dessen Wiederholung sie aber nicht zurückgescheut wäre, hätte sie der Armuth nicht auf andere Weise zu helfen vermocht.

Ein zweites Mal, wo sie ringsum anstaunenden Blicken begegnete, und wo auch die Ausrufe des Entzückens deutlich zu ihrem Ohre drangen, ward sie etwas weniger in Verlegenheit gesetzt, da sie im Wagen saß, und dieser sie schnell an den bewundernden Menschengruppen vorüberführte. Diesen zweiten Triumphzug erlebte Madame Recamier in den elyseischen Feldern, als sie sich, begleitet von einigen Mitgliedern ihrer Familie, im offenen Wagen an einem schönen Frühlingstage des Jahres 1801 nach Longchamps begab, wo ja am Mittwoch, Donnerstag und Freitag der Osterwoche die berühmte Spazierfahrt stattfindet. An diesen Tagen zeigen die Frauen sich in der neuesten Frühlingstracht, und die Männer haben ihre Freude daran, auf stolzen Rossen umherzusprengen und in die dahinrollenden Wagen zu schauen, die oft einen reizenden Inhalt bergen. Es waren im Jahre 1801 viele schöne Frauen auf dieser Spazierfahrt zu sehen; aber die Reiter auf hohen Rossen und die in den Fußwegen umherwandelnden Spaziergänger einigten sich doch nach kürzerer oder längerer Prüfung dahin, daß Madame Recamier die Schönste der Schönen sei. Wo sie erschien, da brauchte ein Paris nicht lange zu schwanken. Der schönen Julie gebührte der Apfel. Sie besaß außer dem Liebreize der Venus die weibliche Würde der Juno und die Klugheit der Minerva. Selbst schöne Frauen, wenn sie nicht allzu verblendet waren, mußten einräumen, daß sie neben der Madame Recamier einer schnellen Verdunkelung entgegengingen. Dies räumte auch Madame Regnault de Saint-Jean-d'Angély ein, die in der That eine der schönsten Frauen jener schönheitsreichen Tage war. Als sie einst im Gespräche auf die Zeit ihrer Eroberungen zurückblickte, und der Name der Madame Recamier auf ihre Lippen kam, da zuckte sie anfangs allerdings wie schmerzlich zusammen und konnte sich die Bemerkung nicht versagen, daß andere Frauen eigentlich schöner gewesen seien, daß aber keine einzige eine solche begeisternde Wirkung hervorgebracht habe. Madame Regnault de Saint-Jean-d'Angély erzählte dann aus ihrer Erinnerung, wie sie einst in einem Salon trotz der Anwesenheit vieler sehr hübschen Frauen doch unbedingt die Scene beherrscht habe, indem die Blicke aller Männer an ihr gehangen. Da sei Madame Recamier eingetreten und nach wenigen Minuten habe sich die Aufmerksamkeit der gesammten Männerwelt nur auf diese gerichtet. Madame Regnault de Saint-Jean-d'Angély, die in ihrem Urtheile über eine Nebenbuhlerin merkwürdig objectiv verfuhr, gestand denn ein, daß die Augen der Madame Recamier, obgleich sie nicht gerade groß gewesen, doch einen wunderbaren Glanz ausgestrahlt hätten, und daß der schneeige Schimmer ihrer Schultern von keiner andern Frau je erreicht worden. Nach dieser erstaunlichen Probe von Billigkeit im Urtheile durfte Madame Regnault de Saint-Jean-d'Angély sich schon die Genugthuung gestatten, daß sie mit stolzem Lächeln bemerkte, im Laufe des Abends seien die Blicke der meisten Herren doch wieder zur schönsten Frau zurückgekehrt. Und diese schönste Frau war natürlich Madame Regnault de Saint-Jean-d'Angély.

Waren bei den beiden eben erzählten Huldigungen, die der Schönheit der Madame Recamier dargebracht wurden, die höhern Schichten der Gesellschaft vorzugsweise betheiligt, so trat bei dem dritten Triumphe, den sie feierte, das eigentliche Volk in Scene. Ihre Schönheit wirkte demnach auf die geringen, wie vornehmen Classen in gleich hinreißender Weise.

Erzählen wir den Vorgang, wo Madame Recamier die freiwillige Huldigung des weit mehr zum Spotte, als zum Lobe geneigten Pariser Volkes schüchtern entgegennahm.

Es war am 10. December 1797, wo dem aus Italien nach glänzendster Siegeslaufbahn zurückgekehrten General Bonaparte vom Directorium ein großes Fest veranstaltet wurde. In dem weiten Hofe des Luxemburgpalastes waren ein Altar und ein Standbild der Freiheit errichtet. Zunächst der Statue der Freiheit befanden sich fünf Lehnstühle, auf welchen die fünf Directoren in römischer Tracht Platz genommen hatten. Auf einem weiten Amphitheater, zu beiden Seiten des Altars und des Standbildes der Freiheit, saßen die Gesandten der fremden Mächte, die Minister und sonstige hohe Angestellte. Hinter diesen ein reicher Kranz von Herren und Damen, die den angesehenen Pariser Classen angehörten, da nur Solche, die zu den Regierungskreisen Beziehungen hatten, eingeladen worden waren. An den Fenstern des Luxemburgpalastes drängte sich Kopf an Kopf, und den von den Behörden und den eingeladenen Gästen freigelassenen Raum füllte das Volk aus. Hatte die römische Tracht der Directoren und der hohen Staatsbeamten allerdings etwas Theatralisches, so war sie für die sich abspielende Feierlichkeit doch durchaus am Orte und paßte für den weiten Umfang des Hofes weit besser, als für das engere Zimmer. Unter den vom Directorium eingeladenen Gästen befanden sich auch Madame Recamier und ihre Mutter. Ihnen waren auf den erhöhten Sitzen des Amphitheaters Plätze angewiesen. Madame Recamier, die mit steigender Bewunderung von den glänzenden Thaten des Generals Bonaparte gelesen hatte, war bisher seiner nicht ansichtig geworden. Sie war deshalb nicht wenig neugierig, den jungen Helden zu sehen, von dem man in allen Zeitungen und Salons nicht genug zu reden wußte. Ein Jubelruf des Volkes benachrichtigte sie, daß er angelangt sei. Bonaparte war damals außerordentlich mager, was aber das Fesselnde seiner Erscheinung nur erhöhte. Sein bleiches und verschlossenes Gesicht trug entschieden den Stempel der Größe und Bedeutendheit. Talleyrand, der damalige Minister der auswärtigen Angelegenheiten, begrüßte ihn im Namen des Directoriums und geizte nicht mit rühmenden Worten, die übrigens den vollführten Thaten eben angemessen waren. Bonaparte antwortete kurz und passend, aber in jener unruhigen und nervösen Weise, die ihn charakterisirte. Seine Worte, obgleich von der Mehrzahl kaum verstanden, wurden mit lautestem Beifall aufgenommen, weil sie aus einem bedeutenden Munde kamen. Da Madame Recamier von ihrem Sitze aus die Züge des Generals Bonaparte nicht genau unterscheiden konnte, so war es ganz natürlich, daß sie sich ein wenig erhob und vorbeugte, um von dem jungen Helden ein deutliches Bild zu bekommen. Madame Recamier, wie gewöhnlich ganz in Weiß gekleidet – der wunderbare Schimmer ihrer Haut beschämte stets den Atlas oder den Tüll oder den sonstigen hellsten Stoff, den sie für ihre verschiedenen Anzüge wählte – Madame Recamier stand also auf der Erhöhung des Amphitheaters, wie eine Erscheinung, die nicht dieser Erde angehörte. Einige aus der Volksgruppe bemerkten sie und starrten sie verwundert an. Der Nachbar zeigte sie dem Nachbarn, und mit Blitzesschnelle waren bald Aller Blicke nach der wunderschönen Frau gerichtet. Die Franzosen in ihrer Lebhaftigkeit begnügen sich nun nicht mit stummem Anschauen. Ein Ruf der Bewunderung drängte sich über Aller Lippen, und die zeigende Hand folgte dem entzückten Blicke. Da bemerkte Bonaparte, daß die Aufmerksamkeit des Volkes sich ganz von ihm abwandte. Sein Auge folgte demnach der Richtung, wohin Alle starrten. Da erblickte auch er das wunderliebliche Frauenbild. Doch weit entfernt, das Entzücken der Menge nachzufühlen, sandte er der Madame Recamier aus seinen zornsprühenden Augen einen so vernichtenden Blick zu, daß sie entsetzt auf ihren Sitz zurücksank. Er wollte die Volksgunst mit Niemandem theilen, und wer ihm in den Weg trat, der mochte sich in Acht nehmen.

So erregte Madame Recamier in Aller Herzen, die nicht durch Ehrgeiz erkältet waren, ein bewunderndes Entzücken.


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